Deutsche Kanzlerin vor dem amerikanischen Kongress
Merkel sichert Unterstützung für Außenpolitik der Obama-Regierung zu
Von Stefan Steinberg
6. November 2009
aus dem Englischen (5. November 2009)
Die Rede von Kanzlerin Angela Merkel vor einer gemeinsamen Sitzung des amerikanischen Kongresses am Dienstag zeichnete sich durch ihre volle und uneingeschränkte Unterstützung für die Außenpolitik der Obama-Regierung aus. Sie markiert eine deutlich stärkere unkritische Unterstützung der neu gewählten deutschen Regierung für das militärische Abenteurertum der USA im Nahen Osten, dem Iran und Afghanistan.
Merkel ist erst das zweite deutsche Regierungsoberhaupt, das jemals vor dem Kongress gesprochen hat, und die erste, die vor einer gemeinsamen Sitzung gesprochen hat. 1957 sprach Konrad Adenauer nacheinander vor beiden Häusern. Merkels Rede, die mit frommen und kriecherischen Hommagen an das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" gewürzt war, wurde von den Zuhörern mit einem halben Dutzend stehender Ovationen belohnt. Den stärksten Applaus erhielt sie für ihre Bemerkungen zum Iran.
In der gleichen aggressiven Haltung und Sprache, wie sie das amerikanische Außenministerium und Barack Obama selbst in Bezug auf den Iran benutzen, erklärte Merkel: "Null Toleranz muss es auch geben, wenn Massenvernichtungswaffen zum Beispiel in den Händen des Iran unsere Sicherheit bedrohen könnten." Weiter sagte sie: "Eine Atombombe in der Hand des iranischen Präsidenten, der den Holocaust leugnet, Israel droht und das Existenzrecht abspricht, darf es nicht geben.
Die Demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, erhob sich sofort und applaudierte der Kanzlerin. Praktisch der gesamte Kongress tat es ihr gleich. Republikaner und Demokraten erkannten, dass Merkels Bemerkungen auf einen Freifahrtschein für alle aggressiven Schritte der USA oder ihres engsten Verbündeten in der Region, Israel, in der nächsten Zukunft gegen den Iran hinausliefen. Die Obama-Regierung hat Deutschland vor kurzem aufgefordert, schärferen Wirtschaftssanktionen gegen den Iran zuzustimmen, falls Teheran nicht der Beschränkung seiner nuklearen Aktivitäten zustimme. Merkel nahm direkt darauf Bezug: " Deshalb tritt die freie Welt dieser Bedrohung entgegen, notfalls mit harten wirtschaftlichen Sanktionen."
Ihre Bemerkungen zum Iran wurden von führenden amerikanischen Persönlichkeiten sofort vermerkt. Charles Kupchan vom Council on Foreign Relations bemerkte, dass Deutschland in der Vergangenheit "nur zögerlich gegen Teherans Atomprogramm vorgegangen ist." Über ihre Rede im Kongress sagte Kupchan: "Ich glaube Merkel hat jetzt Position bezogen und klar gemacht, dass ein nuklear bewaffneter Iran nicht akzeptabel ist", sagte er. "Es scheint, dass sie nach ihrer Wiederwahl bereit ist, eine festere Haltung einzunehmen."
Dann erklärte Merkel die unverbrüchliche Unterstützung ihrer Regierung für Israel. Sie sagte: "Die Sicherheit Israels ist für mich niemals verhandelbar. Im Übrigen wird nicht nur Israel bedroht, sondern die ganze freie Welt." Dann erklärte sie die weitere Unterstützung Deutschlands für die amerikanische Politik in Afghanistan. Sie betonte, dass Deutschland und die USA "wie bisher jeden weiteren Schritt im Bündnis gemeinsam gehen" würden.
Ein Sprecher des Außenpolitischen Ausschusses des Senats machte die rechte Orientierung der Demokraten im Kongress deutlich, als er sagte: "Die Übereinstimmung zwischen der konservativen deutschen Kanzlerin und eher liberalen Demokraten war bemerkenswert."
Merkel machte in ihrer Rede zwar keine konkreten Zusagen für die Entsendung zusätzlicher Truppen in die Region, sie sprach sich aber für die Wiederaufnahme von Konsultationen mit den USA über die künftige Politik aus. Aber schon in ihrer kurzen Amtszeit ließ es sich die neue Regierung angelegen sein, eine kriegerische Haltung in der Afghanistanfrage an den Tag zu legen. Die erste Maßnahme des neuen Verteidigungsministers Karl Theodor zu Guttenberg bestand darin, mit der in Deutschland allgemein gepflegten Übung zu brechen, für die Kämpfe in Afghanistan das Wort "Krieg" nicht zu verwenden.
Im Gegensatz zur Ablehnung der Intervention deutscher Truppen in Afghanistan in der breiten Öffentlichkeit erklärte zu Guttenberg, dass es "keine Alternative zum deutschen Engagement" gebe. Während Deutschland und andere führende europäische Länder immer noch auf die endgültige Entscheidung des Weißen Hauses über eine massive Truppenverstärkung warten, machte Merkel in ihrer Rede klar, dass Deutschland der Führung der USA folgen und die amerikanische Militärpolitik in der Europäischen Union verteidigen werde.
Erst letzte Woche versprachen die europäischen Außenminister in Luxemburg aufgrund eines von ihnen in Auftrag gegebenen Berichts mehr Hilfe für Afghanistan und Pakistan. Der Bericht machte klar, dass sich die politische und Sicherheitslage in der Region verschlechtere. Die europäischen Regierungen haben nicht die Absicht, der überwältigenden Stimmung in der Bevölkerung ihrer Länder zu folgen und sich zügig aus Afghanistan zurückzuziehen, erklärt der Bericht. "Die Situation in Afghanistan hat direkte Auswirkungen auf Europa. Viele der schwersten globalen Bedrohungen haben ihren Ursprung in dieser Region."
In ihrer Rede vor dem Kongress machte Merkel auch klar, dass die deutsche Regierung an der Seite der Vereinigten Staaten stehen werde, wenn es bei der bevorstehenden Klimakonferenz in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen um Regeln zur Verhinderung des Klimawandels geht. Die USA sind das größte Industrieland, das sich wiederholt gegen Reformen zur Verhinderung des Klimawandels gesperrt hat. Merkel reichte der Obama-Regierung die Hand zu einem Pakt, um stärkeren Druck auf Schwellenländer auszuüben, neue Umweltmaßnahmen zu ergreifen. "Ich bin davon überzeugt: Wenn wir in Europa und Amerika zu verbindlichen Verpflichtungen bereit sind, werden wir auch China und Indien davon überzeugen." Merkels Rede wurde auch als eine Unterstützung für die Verabschiedung von Obamas Klimaprogramm im Kongress interpretiert.
Merkel nutzte die Gelegenheit des bevorstehenden 20. Jahrestags des Falls der Berliner Mauer und ihre eigenen Wurzeln im stalinistisch beherrschten Ostdeutschland, um das Auditorium für sich zu einzunehmen. In der Art einer ahnungslosen Unschuld vom Lande sprach Merkel kurz zu ihrer Herkunft aus Ostdeutschland und erklärte, dass sie sich vor zwanzig Jahren selbst in ihren "kühnsten Träumen" nicht habe vorstellen können, nach Amerika zu reisen und vor dem Kongress zu sprechen.
In einem peinlichen emotionalen Loblied auf den amerikanischen Traum und die USA als den Hort der Freiheit, gab Merkel eine kurze und oberflächliche Zusammenfassung der deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Zeit nach dem Krieg. Sie begann mit der Berliner Luftbrücke von 1948/49 und erwähnte die Präsidenten Kennedy, Reagan und George H.W. Bush. Dann ergriff sie die Gelegenheit, den sechzehn Millionen amerikanischen Soldaten zu danken, ohne deren Hilfe "die Überwindung der Teilung Europas unmöglich gewesen wäre".
In biblischer Manier ließ Merkel dann wissen, dass diese überirdische Suche Amerikas nach Freiheit, die von den amerikanischen Präsidenten verkörpert werde, schließlich die "dunkle Wand" zwischen Ost- und Westdeutschland eingerissen und "eine Tür" geöffnet habe.
Die politische Biographie Merkels ist typisch für die gesellschaftlichen Schichten in Ostdeutschland und Osteuropa, die vor zwanzig Jahren auf das ungebändigte Marktsystem der Vereinigten Staaten als Modell für ihre eigenen Karrieren und sozialen Ambitionen schauten. Merkel gab zu, dass sie sich vor 1989 nicht für Politik interessiert und in der Sauna gesessen habe, als Tausende Ostdeutsche begannen, die Berliner Mauer einzureißen. Fest steht jedenfalls, dass sie als Mitglied der offiziellen stalinistischen Jugendorganisation FDJ nicht durch Opposition zur herrschenden Bürokratie aufgefallen ist.
Obwohl andere Mitglieder ihrer Familie in die Sozialdemokratische Partei oder die Grünen eintraten, entschied sich Merkel, in der CDU aktiv zu werden. Denn ihr war nach der Wiedervereinigung sofort klar: sie wollte in den Bundestag, sie war für die schnelle deutsche Einheit und sie unterstützte die freie Marktwirtschaft.
Weil die CDU unter jüngeren Schichten der ostdeutschen Bevölkerung zuerst wenig Unterstützung hatte, konnte Merkel einen meteorhaften Aufstieg in der CDU in führende Positionen hinlegen. 2000 übernahm sie den Vorsitz der Union. Von Anfang an verhehlte Merkel ihre US-freundliche Haltung nicht und in der Vorbereitung auf den Irakkrieg stellte sie sich demonstrativ auf die Seite der aggressiven Politik der Bush-Regierung.
Schon im Februar 2003 schrieb Merkel einen Meinungskommentar für die Washington Post, in dem sie den damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) wegen seiner Weigerung angriff, Truppen in den Irak zu entsenden. Achtzig Prozent der deutschen Bevölkerung lehnten Umfragen zufolge den drohenden Krieg ab und es kam zu den größten Antikriegsdemonstrationen der Geschichte.
Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD (2005-2009) unter Merkel hielt noch eine gewisse Distanz zur Bush-Regierung und suchte engere Beziehungen zu Russland zu knüpfen und die Europäische Union zu einem Gegengewicht zum schwindenden Einfluss und Machtpotential Amerikas auszubauen. Ex-Kanzler Schröder, der nach seiner Wahlniederlage 2005 eine führende Position im russischen Energiekonzern Gazprom übernahm, sorgte dafür, dass sein engster Mitarbeiter im Kanzleramt, Frank-Walter Steinmeier, das Außenministerium in der großen Koalition übernahm.
Nach der Finanzkrise im Herbst 2008 wurden die transatlantischen Beziehungen erneut gespannter, als mehrere führende deutsche Politiker für stärkere Unabhängigkeit deutscher Firmen und Banken von den amerikanischen Finanzinstitutionen plädierten.
Merkels Rede vor dem US-Kongress weist jedoch darauf hin, dass die neue Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP - mit Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) als Verteidigungsminister und dem Atlantiker Guido Westerwelle (FDP) als Außenminister - einen neuen außenpolitischen Kurs einschlägt. Unkritische Unterstützung für amerikanische militaristische Abenteuer im Nahen Osten und Zentralasien soll jetzt dazu dienen, eine neue Phase deutscher Großmachtpolitik einzuläuten und die eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen, gestützt auf die eigene militärische Kraft, zu vertreten.