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Obamas Antrittsrede: Seichte Plattitüden und der Ruf nach Sparpolitik

Von Bill Van Auken
22. Januar 2009
aus dem Englischen (21. Januar 2009)

Präsident Barak Obama hat in seiner Antrittsrede vom Dienstag keinerlei konkrete Zusagen oder Pläne vorgebracht, wie er mit der Wirtschaftskrise umgehen oder den Krieg beenden will. Stattdessen hat er deutlich gemacht, dass die amerikanische Bevölkerung noch größere Opfer zu bringen habe.

Die Prachtentfaltung einer Zeremonie, die auf eine 220 Jahre alte Tradition seit der Entstehung der amerikanischen Republik zurückgeht, und zum Amtsantritt des ersten afroamerikanischen Präsidenten neu belebt wurde, stand im schärfsten Gegensatz zur Banalität von Obamas Worten und der Hohlheit seiner Botschaft.

Die Emotionen der Millionen, die die Washington Mall bevölkerten, waren von der Hoffnung getragen, dass der Machtantritt eines afroamerikanischen Präsidenten ihnen wirkliche Erleichterung und eine Veränderung bringen würde, die im Gegensatz zur Amtszeit von George W. Bush stünde. Als letzterer sich auf den Stufen des Capitols zeigte, empfing ihn die Menge mit lauten Buh-Rufen. Am Ende der Zeremonie, als der Hubschrauber mit Bush, dem meistgehassten Präsidenten der amerikanischen Geschichte, abhob, ertönte aus der Menge ein Ruf, den man häufig von Sportfans hört, wenn sie ein gegnerisches Team verhöhnen wollen: "Na-na-na-na, Na-na-na-na, Hey Hey, Goodbye."

Die Menschen hofften einfach, dass die Amtseinführung eines neuen Präsidenten das Ende eines achtjährigen nationalen Albtraums markieren würde, der schon mit einer gestohlenen Wahl begonnen hatte, und der dann zwei Aggressionskriege vom Zaun gerissen, beispiellose Angriffe auf die Verfassungsrechte geführt, die soziale Ungleichheit ständig verschärft und die tiefste Wirtschaftskrise der modernen Geschichte Amerikas eingeleitet hatte. Eine solche Stimmung war allgegenwärtig, und auch die Menschen auf der ganzen Welt, die die Zeremonie am Fernsehen mitverfolgten, teilten sie.

Die Rede Obamas jedoch schien vor allem darauf ausgerichtet, derartige Erwartungen zu dämpfen. Die Botschaft, die sämtliche Medien hinausposaunten, und die von den Leitartikeln von New York Times und Washington Post ausging, bestand in Obamas Ruf nach einer "neuen Ära der Verantwortung".

Dieser Appell ist voller bitterer Ironie, denn das Prinzip der Verantwortung kann höchst unterschiedlich angewandt werden. Obama und seine Berater haben immer wieder betont, dass sie nicht gewillt sind, Bush, Cheney oder andere hochrangige Politiker auf irgendeine Art für die Politik der Kriegsverbrechen und Verfassungsverstöße während ihrer Amtszeit zur Rechenschaft zu ziehen.

Nach Obamas Einschätzung trägt überhaupt niemand besondere Verantwortung für die tiefste Finanzkrise in der Geschichte des amerikanischen Kapitalismus. "Unsere Wirtschaft ist geschwächt, als Konsequenz aus Gier und Unverantwortlichkeit bei einigen wenigen - aber auch weil wir als Kollektiv versäumt haben, harte Entscheidungen zu treffen und diese Nation auf die neue Zeit vorzubereiten", erklärte er zu Beginn seiner Rede.

Diese Formulierung schiebt die Verantwortung Millionen arbeitender Menschen in die Schuhe, obwohl diese heute ohne eigene Schuld den Verlust ihrer Arbeitsplätze und Häuser befürchten müssen. Sie sind angeblich für die aktuelle Krise genau so verantwortlich wie die Vorstände der Wall Street und Hedgefonds-Manager, die mit ihrem finanziellen Parasitentum und kriminellen Handeln dazu beigetragen haben, ihre eigenen Firmen und die Weltwirtschaft in den Ruin zu treiben.

Aber Obama will der arbeitenden Bevölkerung weismachen, sie müsse "Verantwortung" für die Krise übernehmen, die ihre Lebensbedingungen zerstört. Sie müsse schärfere Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Sozialleistungen ertragen, obwohl Billionen von Dollar öffentlicher Gelder ausgegeben werden, um die Wall Street zu retten, während die Firmenvorstände weiterhin ihre sieben- und achtstelligen Bonuszahlungen kassieren.

Aus einigen rhetorischen Formulierungen Obamas lässt sich ablesen, dass er und seine Redenschreiber versucht haben, aus der ersten Antrittsrede Präsident Roosevelts abzukupfern, die dieser 1933, inmitten der Großen Depression, hielt. Sicher gibt es historische Parallelen, die durch das Absacken der Börsenkurse am Dienstag unter die 8000er Marke noch deutlicher wurden. Der wichtigste Index verlor gerade in dem Augenblick, als Obama den Schwur leistete, mehr als fünf Prozent.

Aber Obama war ganz offensichtlich nicht in der Lage, so offen zu sprechen, wie es Roosevelt vor 76 Jahren getan hatte. Die Antrittsrede des neuen Präsidenten zeichnete sich vor allem durch ein auffälliges Fehlen jeder Art von Konkretheit aus.

Als Roosevelt damals zur Nation sprach, schwor er, "die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit, frank und frei". Obwohl er dies natürlich nicht tat, weil sein Ziel darin bestand, den Kapitalismus vor der sozialen Revolution zu retten, sprach er doch relativ präzise aus, wodurch die Krise verursacht war, und was genau er vorhatte.

Die Krise der 1930er Jahre, so erklärte Roosevelt, sei nicht entstanden, weil die Natur nicht genügend "Reichtum" zur Verfügung gestellt habe, oder weil es nicht genügend "menschliche Anstrengungen" gegeben habe, um diesen Reichtum zu vermehren, sondern: "Diejenigen, die den Austauschs der menschlichen Güter regeln sollten, haben auf Grund ihres Starrsinns und ihrer Unfähigkeit versagt." Und er fuhr fort: "Die Machenschaften der gewissenlosen Geldwechsler stehen am Pranger der öffentlichen Meinung, und Herz und Verstand der Menschen verurteilen sie."

Wie es scheint, hat Obama einen Teil seiner Rede von diesem Konzept entlehnt, wenn er sagt: "Unsere Arbeiter sind noch genauso produktiv wie an dem Tag, da diese Krise begann. Wir sind nicht weniger erfinderisch und innovativ, unsere Güter und Dienstleistungen werden nicht weniger dringend nachgefragt als noch vor einer Woche oder einem Monat oder im vergangenen Jahr." Aber er geht nicht darauf ein, warum die Wirtschaft, wenn das so ist, immer weiter in den Strudel der Rezession gezogen wird, wobei allein im letzten Jahr schon fast drei Millionen Arbeitsplätze in den USA vernichtet wurden.

Sein Verschweigen der Ursachen verrät ein erstaunliches Maß an Verachtung und Arroganz jenen gegenüber, die ihn unterstützen. Er hat offensichtlich nicht das Gefühl, er schulde ihnen eine Erklärung. Je weniger er sagt, desto besser für ihn.

Obama ist unfähig, die Rolle der heutigen "Geldwechsler" auch nur zu erwähnen. Schließlich haben sie einen großen Teil des Geldes für seinen Wahlkampf und auch die Amtseinführungszeremonie beigesteuert. Ungeachtet seiner vagen Rhetorik über "Gleichheit" hat er die Absicht, ihre Interessen auf Kosten der breiten Masse der arbeitenden Menschen in Amerika zu verteidigen.

Das ist die wirkliche Bedeutung seiner Behauptung, er habe "die schalen politischen Argumente der Vergangenheit" über die Rolle der Regierung und des kapitalistischen Markts hinter sich gelassen, oder wenn er schwört: "Die Zeit, da wir ... schwierige Entscheidungen aufgeschoben haben - diese Zeit ist vorbei."

"Die Frage, die wir uns heute stellen müssen, ist nicht, ob unsere Regierung zu groß ist oder zu klein, sondern ob sie ihre Aufgabe erfüllt..... Wenn die Antwort Ja lautet, dann werden wir diesen Kurs fortsetzen. Wenn die Antwort Nein lautet, werden wir die entsprechenden Programme sofort beenden." Und auch hier wurden die Programme nicht genannt, die zu beenden seien. Aber in der letzten Woche hat er angedeutet, dass er gewillt sei, grundlegende Sozialprogramme einschließlich der Sozialhilfe und der medizinischen Notversorgung radikal zu kürzen, um die Finanzkrise der Regierung zu beheben.

"Wir stehen auch nicht vor der Frage, ob der Markt eine gute Macht ist oder eine böse", fuhr Obama fort. "Es gibt zu seiner Kraft, Wohlstand zu generieren und der Freiheit Raum zu verschaffen, keine Alternative." Er gab zu, dass die gegenwärtige Krise "ein wachsames Auge" erfordere, und erklärte, man müsse "die Ausbreitung des Wohlstands" auch daran messen, dass "jedem Willigen eine Chance gegeben" werde. In dieser Rede ist nichts enthalten, was nicht auch von Ronald Reagan oder irgendeinem anderen rechten Politiker der letzten drei Jahrzehnte hätte gesagt werden können, der im Interesse der Wall Street und des amerikanischen Kapitals regiert hat.

Nicht zufällig betonte Obama "die Selbstlosigkeit der Arbeiter, die lieber ihre Arbeitszeit reduzieren, als mit anzusehen, wie ein Freund seinen Job verliert", um zu illustrieren, was für Maßnahmen er als wesentlich erachte, um die Krise zu überwinden. Eine bittere Bemerkung, angesichts der Lage von Arbeitern im ganzen Land, die darunter leiden, dass ihre Arbeitszeit und ihre Löhne gekürzt werden, angeblich um Arbeitsplätze zu retten, während die geretteten Banker jegliches Opfer ablehnen.

Der "Krieg gegen den Terror" geht weiter

In Barak Obamas Rede gab es noch ein zweites Grundthema: die amerikanische Kriegstreiberei und der Militarismus. Obama wird sie fortsetzen, wenn er auch stärker darauf achten wird, die raubgierige Außenpolitik in schönen Worten von Moral und Uneigennützigkeit zu verpacken.

Im ersten inhaltlichen Satz seiner Rede erklärte Obama: "Unsere Nation ist im Krieg gegen ein weit reichendes Netz der Gewalt und des Hasses." Was damit gemeint war, ist unmissverständlich. Der globale "Krieg gegen den Terror", den die Bush-Regierung als Vorwand benutzte, um zwei Aggressionskriege zu beginnen, um zu foltern, Menschen illegal zu entführen und die eigenen Bürger zu bespitzeln, - er wird unvermindert fortgesetzt.

Obama schwor: "Wir werden mit einem verantwortungsvollen Rückzug aus dem Irak beginnen und das Land seinem Volk übergeben - und wir werden den schwierigen Weg zu einem Frieden in Afghanistan weitergehen." Aber kein Wort der Kritik an der Entscheidung, die diese Kriege überhaupt begonnen hat. Stattdessen hat die neue Regierung bereits angedeutet, dass sie den Irak keineswegs "seinem Volk" überlassen werde. Die Besetzung wird, wenn auch sparsamer als bisher, bis auf unbestimmte Zeit weitergeführt. Gleichzeitig sollen Tausende zusätzlicher US-Truppen nach Afghanistan geschickt werden, um den Krieg dort auszuweiten.

Obama erklärte: "Wir werden uns auch in Zukunft nicht für unsere Lebensweise entschuldigen oder auch nur einen Moment lang zögern, sie zu verteidigen." Dies und seine Verurteilung ausländischer politischer Führer im Nahen Osten, in Asien und Lateinamerika, die "dem Westen die Schuld an ihren eigenen Problemen geben", verliehen seiner Rede eine hässliche Note von Arroganz und Chauvinismus.

In seiner Rede griff er jene an, "die versuchen, ihre Sache durchzusetzen, indem sie Terror in die Welt bringen und Unschuldige massakrieren", und drohte ihnen: "Wir werden euch besiegen." Diese Worte Obamas sind vollkommen heuchlerisch, angesichts von Israels Krieg im Gazastreifen, den Obama durch sein Stillschweigen unterstützt hat.

Zuletzt zollte Obama noch den amerikanischen Truppen Tribut, "die in fernen Wüsten und Bergregionen patrouillieren". Er erklärte, sie verkörperten "den Willen, ihrer Nation zu dienen... und genau darauf [kommt es] an: dass dieser Wille uns alle erfüllt".

Damit definierte der neue Präsident einen Lehrsatz des modernen Militarismus: Das Ethos und den Geist des Militärs pries er der ganzen Nation als Ideal, als das Wesen seiner "Vision" der Erneuerung Amerikas.

Schließlich ist bemerkenswert, dass bei der Amtseinführung des ersten afroamerikanischen Präsidenten der Kampf für die Bürgerrechte nicht mit einem Wort erwähnt wurde - wie auch jede andere Art sozialer Kämpfe.

Dafür gibt es zwei Gründe. Obama hat nicht vor, die Massen zu solchen Kämpfen zu ermuntern, und er bemüht sich, die Kräfte der sozialen Reaktion zu besänftigen, auf die er sich stützt, und die ihn jetzt umgeben.

Aber was auch immer seine Absicht sein mag: Die ungeheure wirtschaftliche und soziale Krise, die sich in Amerika und auf der ganzen Welt ausbreitet, wird solche Kämpfe in noch viel größerem Ausmaß hervorbringen. Die Politik, die in dieser banalen und unehrlichen Antrittsrede umrissen wurde, steht den sozialen Bedürfnissen und Hoffnungen der großen Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung diametral entgegen. Eher früher als später wird es zu einer politischen Konfrontation und einem neuen Ausbruch des Klassenkampfs kommen, und er wird die Grundfesten des amerikanischen Kapitalismus erschüttern.

Siehe auch:
Am Vorabend von Obamas Amtsantritt
(21. Januar 2009)