Die erste Pressekonferenz im Weißen Haus
Obama zeichnet Bild einer Wirtschaftskatastrophe
Von Patrick Martin
12. Februar 2009
aus dem Englischen (10. Februar 2009)
Bei seiner ersten Pressekonferenz im Weißen Haus warb Präsident Barack Obama vor dem amerikanischen Fernsehpublikum für sein Konjunkturprogramm und schilderte in ungewöhnlich deutlichen Worten die sich verschärfende ökonomische Krise. Er sprach über die schnell zunehmende Arbeitslosigkeit, die wachsende Nachfrage nach öffentlicher Armenspeisung, die um sich greifenden Zwangsvollstreckungen, das Einbrechen der Ausgaben der Konsumenten und die Krise kleiner Unternehmen.
Er erklärte, dass seine Regierung "die tiefste wirtschaftliche Notlage seit der Großen Depression geerbt hat", und mahnte, dass sich durch unzureichende Eingriffe der Bundesregierung "die Krise zur Katastrophe entwickeln könne."
Die erste Frage auf der Pressekonferenz unterstellte, ob er das Ausmaß der Krise nicht übertreibe. Daraufhin legte er dar: "Es handelt sich nicht um eine gewöhnliche, zyklische Krise. Wir durchlaufen die schlimmste Krise seit der Großen Depression. Wir haben 3,6 Millionen Arbeitsplätze verloren. Aber vielleicht ist noch beunruhigender, dass beinahe die Hälfte der Jobverluste in den letzten drei Monaten stattfand, das heißt, die Probleme verschlimmern sich anstatt besser zu werden."
Obama versuchte an keinem Punkt, den Grund für die größte wirtschaftliche Tragödie seit einem Dreivierteljahrhundert zu erklären. Als die Frage eines weiteren Journalisten darauf anspielte, ob exzessive Ausgaben der Konsumenten ein Grund für die Krise seien, sagte er, es handele sich nicht um ein Fehlverhalten der Verbraucher, sondern der "Banken, die mit dem Geld anderer Leute maßlos überzogene Risiken auf der Basis zweifelhafter Vermögenswerte eingegangen sind."
Er zog jedoch keinerlei Schlussfolgerungen aus diesem Eingeständnis- es widerspricht klar der Aussage in seiner Antrittsrede vom 20. Januar, dass nämlich das ganze amerikanische Volk für die Finanzkrise verantwortlich sei. Seine Position, auf den Nenner gebracht, ist: "Der Kapitalismus hat versagt. Lang lebe der Kapitalismus!"
Obama erklärte, dass er, genau wie die Republikaner, das Primat des "Privatsektors" befürworte - das heißt, dass die am Profit orientierten Unternehmen in der amerikanischen und weltweiten Wirtschaft die Richtung angeben sollen. Aber die Regierung müsse eingreifen, um dem Profitsystem eine Initialzündung zu geben, argumentierte er.
"Im Moment" bemerkte Obama einleitend, "ist der private Sektor derart durch die gegenwärtige Rezession geschwächt, dass die Bundesregierung die einzig verbliebene Institution ist, die durch Einsatz ihrer Ressourcen unsere Wirtschaft wiederbeleben kann. Nur die Regierung kann den Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit, Rückgang von Konsum und dadurch ansteigenden Entlassungen durchbrechen."
Die vom Weißen Haus vorgeschlagenen Maßnahmen tun nichts, um die Ursachen des Finanzkollapses zu beseitigen, und tun wenig, um das Massenelend in den Vereinigten Staaten zu lindern. Der Umfang des Konjunkturprogramms von 820 Milliarden Dollar wird durch das Ausmaß des wirtschaftlichen Niedergangs in den Schatten gestellt. Selbst wenn man akzeptiert, dass Obamas Programm in zwei Jahren vier Millionen Arbeitsplätze schaffen oder erhalten könne, vernichtet die amerikanische Wirtschaft derzeit 600.000 Arbeitsplätze pro Monat - das sind 14 Millionen in zwei Jahren.
Wenige Stunden vor der Pressekonferenz traf der Senat die entscheidende Weichenstellung für die Verabschiedung der Gesetzesvorlage zu Obamas Konjunkturprogramm. Er stimmte mit 61 zu 36 Stimmen für das Ende der parlamentarischen Debatte und für die Ablehnung eines Filibusters (einer parlamentarischen Zermürbungstaktik) der Republikaner. Die Gesetzesvorlage des Senats beinhaltet, wie die des Repräsentantenhauses, Steuererleichterungen von 500 Dollar jährlich, die den meisten Arbeitern zugute kommt. Beide Vorlagen heben das Arbeitslosengeld und die medizinischen Leistungen für Arbeitslose an und subventionieren die Regierungen der Bundesstaaten.
Die Senatsvorlage ist ein von ein paar Republikanern und rechten Demokraten ausgehandelter Kompromiss und beinhaltet 40 Milliarden Dollar weniger Bundeshilfen für die Bundesstaaten als der Gesetzentwurf des Repräsentantenhauses. Die Senatsvorlage kürzt das Geld für Schulbauten und Renovierungen um 20 Milliarden Dollar, während sie vor allem besser verdienenden Familien 70 Milliarden Dollar an zusätzlichen Steuererleichterungen zukommen lässt. Keine der beiden Fassungen behebt die Defizite der Staats-Haushalte, die Zehntausende von Entlassungen und dramatische Einschnitte bei lebenswichtigen sozialen Dienstleistungen zur Folge haben werden.
Nur ein winziger Bruchteil der beiden Gesetzesvorlagen - ungefähr 40 Milliarden von 820 Milliarden Dollar fließt durch öffentliche Arbeitsbeschaffungsprogramme unmittelbar in die Schaffung von Arbeitsplätzen. Der Rest läuft auf den Versuch hinaus, den totalen Zusammenbruch der Konsumausgaben und den völligen Bankrott der Bundesstaaten aufgrund des sich beschleunigenden wirtschaftlichen Niedergangs zu verhindern.
Obama ging nicht auf die Kritiker ein, die das Anschubprogramm für zu kraftlos halten. Stattdessen lenkte er die Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Opposition der Republikaner im Kongress. Sie richtet sich gegen jedwede Ausgabensteigerung der Bundesregierung, die auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen abzielt.
Nachdem Obama auf seinen zuvor absolvierten Besuch einer Bürgerversammlung in Elkhart in Indiana eingegangen war - die Arbeitslosigkeit in dieser Industriestadt hat sich im vergangenen Jahr verdreifacht -, sagte er: " Sollte es noch jemanden geben, der nicht daran glaubt, dass wir mitten in der Krise stecken, dann schlage ich ihm vor, das Gespräch mit einem der Millionen Amerikaner zu suchen, deren Lebensbedingungen aus den Fugen geraten sind, weil sie nicht mehr wissen, womit sie ihre nächsten Rechungen bezahlen sollen."
Aber Obamas Programm befasst sich an keinem Punkt mit den systemischen Ursachen der Krise. Er erwähnte im Vorübergehen die "verfehlte Politik in der Vergangenheit" und "die Steuersenkungen für die reichsten Amerikaner" und kritisierte die Kongressmitglieder, die sich jedem Konjunkturpaket widersetzen. Aber er machte keine Vorschläge für eine Änderung des Finanzsystems, und ging ebenso wenig auf die Bedeutung des Anhäufens von privatem Reichtum als Ursache des gegenwärtigen Desasters ein.
Er schwieg zum gewaltigen Anwachsen der sozialen Ungleichheit, d.h. zur Kluft zwischen den Superreichen und der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung, die größer ist, als sie in Amerika je war. Diese soziale Kluft ist nicht nur Symptom der Finanzhavarie, sie ist auch wichtigstes Hindernis für alle Lösungsversuche, da jedes ernsthafte Programm zur Lösung der wirtschaftlichen Notlage Angriffe auf die finanziellen Interessen der Milliardäre erfordert.
Zweifellos sind der nüchterne, ja, sogar düstere Ton, den Obama zur Eröffnung der Pressekonferenz anschlug, und das verstörende Bild, das er von der Zuspitzung der Wirtschaftskrise zeichnete, seinem Besuch in Elkhart wenige Stunden zuvor geschuldet. Dort hatten einige tausend, vorwiegend zur Arbeiterklasse gehörende Menschen die Versammlung in der Stadthalle besucht.
Die Fragen, die Obama aus dem Publikum gestellt wurden, drückten eine bitterböse Klassenfeindschaft gegenüber den "Superreichen" von der Wall Street aus, die als Verursacher der Krise und auch als Nutznießer der Rettungsaktionen Bushs und Obamas angesehen werden.
Als politischer Repräsentant der Wirtschaftselite kann Obama die arbeitende Bevölkerung nur als Opfer der Finanzkatastrophe behandeln. Er appelliert nicht an die Arbeiterklasse, den Kampf für die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze, ihrer Häuser und ihres Lebensstandards aufzunehmen.
Im Gegenteil. Es ist eines der wichtigsten Anliegen Obamas, die herrschende Klasse vor den explosiven Folgen des unkontrollierten Anwachsens von Massenelend zu warnen.