Schläge gegen USA und Nato nehmen zu
Pentagon drängt auf Truppenverstärkung in Afghanistan
Von Jerry White
11. August 2009
aus dem Englischen (4. August 2009)
Am ersten Augustwochenende fielen bei Kämpfen in Afghanistan sechs amerikanische, ein französischer und zwei kanadische Soldaten. Das ist ein nochmaliger Anstieg der Gefallenen, nachdem im vergangenen Monat 74 NATO-Soldaten, 43 davon Amerikaner, ihr Leben ließen. Seit Beginn der Besatzung vor acht Jahren war dieser Juli der verlustreichste Monat für die Besatzungstruppen.
Die meisten Toten gab es im Süden des Landes - besonders in der Provinz Helmand -, wo das amerikanische und britische Militär letzten Monat eine Offensive starteten. Drei Amerikaner starben am Samstag in der Provinz Kandahar durch eine Autobombe. Am selben Tag verloren zwei Kanadier westlich von Kandahar ihr Leben, als eine primitiv gebaute Bombe ganz in der Nähe ihrer Patrouille explodierte.
Die drei anderen Amerikaner wurden am Sonntag in der Provinz Wardak, westlich des Stadtzentrums von Kabul getötet, als ihr Konvoi durch eine Autobombe zum Anhalten gezwungen wurde und sie dann von Aufständischen unter Gewehrfeuerbeschuss genommen wurden. Der französische Soldat wurde am Samstag bei einem Feuergefecht außerhalb Kabuls getötet.
Die USA haben ihr Truppenkontingent in dem Land seit letztem Jahr annähernd verdoppelt. Sie entsandten 21.000 zusätzliche Soldaten. Im Vorfeld der nationalen Präsidentschaftswahlen am 20. August weiten sie ihre Militäroperationen noch einmal aus. Die ursprünglich sechs Monate früher geplante Wahl soll der verhassten und isolierten Kabuler Regierung einen Anstrich von Legitimität geben.
Vergangenen Monat sagte Präsident Obama, er hoffe, der Krieg werde "nach der afghanischen Präsidentschaftswahl ...in eine neue Phase übergehen." Ursprünglich war der Krieg von der Bush-Regierung als "Kampf gegen den Terror" bezeichnet worden, um al-Qaida-Führer in entlegenen Gegenden des Landes zu jagen. Jetzt wird er immer mehr zur Bekämpfung eines Aufstands in dicht besiedelten Gebieten. Das heißt, dass die militärische Gewalt der USA gegen das afghanische Volk enorm zunehmen wird, um den Widerstand gegen das Marionettenregime in Kabul und die Besatzungstruppen zu unterdrücken
Es wird erwartet, dass General Stanley McChrystal, der letzten Monat Oberkommandierender über alle US- und NATO-Truppen wurde, demnächst bei der Regierung weitere Truppen und wirkungsvollere Waffen anfordern wird. McChrystals Rapport ist für den 14. August angekündigt.
Wie ein leitender amerikanischer Militärbeamter zu CNN sagte, wird McChrystal eine Truppenverstärkung, zusätzliche Ausrüstung für geheimdienstliche Maßnahmen, Überwachung und Aufklärung, und zur Abwehr von Autobomben fordern. Es wird auch erwartet, dass er eine Aufstockung der afghanischen Sicherheitskräfte, von derzeit 150.000 Soldaten auf 300.000 fordern wird.
In einem Interview mit der Los Angeles Times vergangene Woche gestand General McChrystal ein, dass sich die amerikanischen Streitkräfte in einer militärischen und politischen Krise befinden und sagte, es sei das erstrangige Ziel der militärischen Strategie, die Unterstützung der Bevölkerung für die Widerstandstruppen gegen die Besatzung, d.h. die Taliban, zu untergraben.
"Es gibt Gebiete, die von den Taliban kontrolliert werden", sagte er. "Es gibt Orte, die die afghanischen und Koalitionstruppen nicht ohne Vorkehrungen betreten können, wo die Aufständischen frei operieren, und eine Schattenregierung installieren können. Obwohl sie keine wirklich sicheren Schlupfwinkel haben, fühlen sie sich doch sicherer, als wir es ihnen gönnen. Und daher wollen wir diese Gebiete nach und nach reduzieren."
McChrystal erläuterte die Notwendigkeit für eine Strategieänderung in Richtung "klassischer Aufstandsbekämpfung" so: "Wir haben die Absicht, den dicht bevölkerten Gebieten Vorrang zu geben, in einigen Fällen sind das auch die Orte mit vielen Aufständischen. Damit soll die Bevölkerung geschützt werden. Wenn sich die Aufständischen in sehr abgelegenen und wenig bewohnten Gebieten aufhalten, haben sie keinen Zugang zu dem, was sie zum Erfolg brauchen, also der Bevölkerung. So wollen wir sie von der Bevölkerung isolieren."
Mit "Schutz der Bevölkerung" haben die Anti-Aufstands-Operationen nicht das Entfernteste zu tun. Bei solchen Operationen Großbritanniens in Malaysia und den USA in Vietnam und El Salvador wurden große Teile der Bevölkerung ausgelöscht und sämtliche politischen Gegner ermordet. Das Gleiche zeichnet sich auch in Afghanistan ab, wo schon Tausende Menschen amerikanischen Raketen und Bomben zum Opfer gefallen sind. Nach einer Studie der Menschenrechtsabteilung der UNAMA (Hilfsmission der UN für Afghanistan) haben die zivilen Opfer in dem Land in den ersten sechs Monaten 2009 um 24 Prozent zugenommen.
Eine Pressekonferenz von Anthony Cordesman von Zentrum für Strategische und Internationale Studien am 29. Juli enthüllte den Charakter des geplanten Feldzugs. Er gab seine Stellungnahme nach einer Reise durch Afghanistan ab, wo er als Berater der Strategic Assessment Group von General McChrystal tätig war.
"Wir müssen die Grenzen, die eine Aufstandsbekämpfung üblicherweise hat, weit überschreiten", sagte Cordesman. "Wenn wir, die Vereinigten Staaten, gewinnen wollen, müssen wir die auch die Mittel zur Verfügung stellen. Dies bedeutet sehr viel mehr Geld, ein Mehr an Kampftruppen und es beinhaltet sowohl die Finanzierung notwendiger ziviler Bemühungen als auch die annähernde Verdoppelung der afghanischen Sicherheitskräfte."
Auf die Frage eines Journalisten, wie lange die USA die Besatzung des zentralasiatischen Landes aufrecht erhalten würden, antwortete Cordesman: "Ich denke, wer sich mit der Geschichte der Aufstandsbekämpfung befasst, wird kaum davon ausgehen, dass wir das während der Amtszeit Präsident Obamas wirklich erledigen können. Wir können sehr erfolgreich sein...In einer neueren RAND-Studie wird jedoch aufgezeigt, dass die durchschnittliche Dauer von Aufstandsbekämpfungen, bei denen die Regierung siegte, bei vierzehn Jahren lag.... Wir haben ein halbes Jahrzehnt vergeudet und haben viele Jahre lang zur Stärkung des Feindes beigetragen. So etwas kann man nicht kurzerhand umdrehen."
Weiter hat die Regierung Obama die Ausdehnung des Krieges nach Pakistan vor. Wie die Los Angeles Times berichtet, baut der Generalstabsvorsitzende, Marineadmiral Michael G. Mullen im Keller des Pentagon eine "Koordinationseinheit Pakistan-Afghanistan" auf, die die Aufgabe hat, den Krieg in der ganzen Region voranzutreiben.
Die Times berichtet, Mullen habe seine militärische Laufbahn als junger Offizier auf einem Zerstörer in Vietnam begonnen und aus diesem Krieg Schlussfolgerungen gezogen. "Ihm ist sehr bewusst, wie wichtig es ist, gegen die Rückzugsgebiete des Feindes in Pakistan vorzugehen," so ein pensionierter Oberst zu der Zeitung. "Er sieht die starke Analogie zu unseren Erfahrungen im Vietnamkrieg, wo sich der Feind nach Laos und Kambodscha zurückzog.".
Die Eskalation der militärischen Gewalt löst in den politischen Eliten Amerikas, Großbritanniens, Kanadas und weiterer Länder Befürchtungen vor einer allgemeinen Ablehnung neokolonialer Kriege in ihren jeweiligen Ländern aus. Die aktuelle Offensive soll "Erfolg" demonstrieren, insbesondere da die Koalitionstruppen immer größere Opfer zu beklagen haben.
Vergangenen Monat sagte Außenminister Gates, der Sieg sei bei jedem Scenario eine "langfristige Perspektive", die USA könnten den Krieg nicht in Jahresfrist gewinnen. Dennoch müssten die amerikanischen Streitkräfte innerhalb eines Jahres eine Wende herbeiführen, sonst würden sie den gesellschaftlichen Rückhalt verlieren. "Nach der Erfahrung im Irak ist niemand bereit, eine lange Hängepartie hinzunehmen, bei der kein Fortschritt erkennbar ist", sagte Gates in einem Interview. "Die Soldaten sind ausgelaugt, das amerikanische Volk ist sehr ausgelaugt."
Es wird auch erwartet, dass die USA Druck auf ihre NATO-Verbündeten, und besonders auf Großbritannien, ausüben werden, damit diese ihre Truppen verstärken und Einschränkungen bei den Einsatzgebieten aufheben. Vor ein paar Tagen warnte ein Ausschuss des Unterhauses vor der "ernsten Gefahr" eines weiteren Verlusts an öffentlicher Unterstützung, falls die Regierung nicht in der Lage sei, den Einsatz von 9.000 britischen Soldaten in Afghanistan plausibel zu erklären.
Der Abgeordnete Mike Gapes vom Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten sagte der Times : "Ich glaube, es ist sehr riskant....Die Menschen sehen, wie Männer und Frauen für etwas getötet werden, und wissen nicht wirklich wofür."
Im Juli erlitt Großbritannien mit dem Tod von 22 Soldaten und einer noch viel höheren Zahl von Verwundeten den blutigsten Monat seit Beginn des Konflikts. Auch die Kosten steigen, schrieb die Zeitung. Von 750 Millionen Pfund (875 Mill. Euro) 2006-2007 stiegen sie auf 2,6 Mrd. Pfund (drei Mrd. Euro) 2008-2009.
Der ehemalige Außenstaatssekretär Kim Howells behauptete kürzlich, es werde keine öffentliche Unterstützung für einen langen Afghanistankrieg geben und beklagte die grundlegende Änderung der öffentlichen Meinung zu britischen Kriegseinsätzen. In der BBC sagte er: "Momentan, glaube ich, kann sich niemand vorstellen, 30 Jahre in Afghanistan zu bleiben und die nicht enden wollenden Opfer, Toten und Beerdigungen zu ertragen. Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung dazu überhaupt noch bereit ist. Es hat sich alles verändert. Als Nation wollen wir unsere Soldaten nirgends mehr hinschicken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in der Vergangenheit mit dieser Mentalität jemals einen großen, schweren Krieg hätten gewinnen können."