Bill Clintons Besuch in Nordkorea:
Eine taktische Verschiebung der US-Außenpolitik
Von John Chan
7. August 2009
aus dem Englischen (6. August 2009)
Am Dienstag traf der ehemalige amerikanische Präsident Bill Clinton überraschend in Nordkorea ein, um die Freilassung von zwei amerikanischen Journalistinnen auszuhandeln, die seit März festgehalten wurden. Die Reise wurde von der Obama-Regierung als private Mission bezeichnet. Gleichwohl entspricht sie dem Wunsch Washingtons, den Nuklearkonflikt mit Nordkorea aus dem Weg zu räumen, um sich auf eine Konfrontation mit dem Iran vorzubereiten.
Weil die USA und Japan veranlasst hatten, dass die Vereinten Nationen den nordkoreanischen Testlauf einer Langstreckenrakete am 5. April verurteilten, hatte sich Nordkorea aus den Sechs-Parteien-Gesprächen zurück gezogen. An diesen Gesprächen nahmen bisher die USA, China, Japan, Russland und die beiden Koreas teil. Am 25. Mai führte Pjöngjang einen zweiten Atomtest durch, der eine noch schärfere UN-Resolution provozierte. Noch auf dem ASEAN-Gipfel im vergangenen Monat in Thailand kritisierte US-Außenministerin Hillary Clinton, die Frau von Bill Clinton, Nordkorea, weil es angeblich Nuklear- und Raketentechnik an die birmanische Junta liefere.
Nur Stunden nach Clintons Treffen mit dem nordkoreanischen Führer Kim Jong-il gab die offizielle koreanische Nachrichtenagentur Korean Central News Agency (KCNA) am Mittwoch bekannt, dass Kim die beiden amerikanischen Journalistinnen Euna Lee und Laura Ling begnadigt habe. Sie waren zu zwölf Jahren Arbeitslager verurteilt worden, nachdem sie im März an der chinesisch-nordkoreanischen Grenze aufgegriffen worden waren, wo sie versucht hatten, über nordkoreanische Flüchtlinge zu berichten. Die beiden Journalistinnen wurden freigelassen und verließen Pjöngjang am Mittwoch in Clintons Flugzeug.
KCNA berichtete, Clinton habe eine Botschaft von Präsident Obama überbracht, was der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, dementierte. Er betonte, es sei eine "private Mission" aus rein humanitären Gründen. Um Clintons Reise von der offiziellen Politik der Obama-Regierung gegenüber Nordkorea abzusetzen, begleitete kein Regierungsvertreter den Ex-Präsidenten. Clinton reiste in einem privat gemieteten Flugzeug und nicht in einer Regierungsmaschine.
In Wirklichkeit war der Clinton-Besuch das Ergebnis geheimer Verhandlungen zwischen Washington und Pjöngjang. Dem Wall Street Journal zufolge erklärte sich die Obama-Regierung schon vor einem Monat auf speziellen Wunsch Nordkoreas bereit, Clinton nach Pjöngjang zu schicken, ohne die Welt darüber zu unterrichten. "Jetzige und ehemalige US-Vertreter äußerten am Dienstag die Vermutung, Kim Jong-il versuche die Uhr zurückzudrehen und die Beziehung zu Clinton wiederzubeleben, die Ende 2000 dem Punkt nahe gekommen waren, dass der Koreakrieg formell beendet worden wäre", berichtete das Journal.
Zu den Begleitern Clintons zählte sein ehemaliger Stabschef im Weißen Haus, John Podesta, der auch Obamas Übergangsteam geleitet hatte. Zu den hohen nordkoreanischen Vertretern, die Clinton am Flughafen begrüßten, gehörte auch Kim Kye-kwan, der Chefunterhändler seines Landes bei den Sechs-Parteien-Gesprächen.
Die Clinton-Reise hatte das Ziel, den Weg für Nordkorea zu ebnen, wieder an den Verhandlungstisch mit den USA zurückzukehren, und die "Nuklearkrise" mit Pjöngjang vorerst zu beruhigen.
Die Obama-Regierung versucht in ihrer Außenpolitik, die Spaltungen im iranischen Regime auszunutzen. In der vergangenen Woche drohten die USA, den Export von raffinierten Ölprodukten in den Iran zu drosseln. Damit wollen sie Teheran unter Druck setzen, sein Atomprogramm zu stoppen. Sie hoffen, die politische Stabilität des Landes zu unterhöhlen und jenen Teil der iranischen Elite an die Macht zu bringen, der zu engerer Zusammenarbeit mit den amerikanischen Besatzungen des Irak und Afghanistans bereit ist.
Mit der Entsendung Clintons nach Pjöngjang, um die zwei amerikanischen Journalistinnen frei zu bekommen, sandte Washington auch an Teheran die Botschaft, dass die USA offen für Gespräche sind. Auch der Iran hält drei Amerikaner fest, die vergangene Woche im irakisch-iranischen Grenzgebiet aufgegriffen worden waren. Eine andere Überlegung könnte sein, die Opposition Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat abzuschwächen, die bisher härtere Sanktionen gegen das iranische Atomprogramm verhindert hat. Mit einem moderateren Vorgehen könnte Washington auf eine offenere Haltung Pekings und Moskaus in der UN hoffen.
Im Prinzip hält die Obama-Regierung an dem Kurs der Bush-Regierung fest, mit Nordkorea nur im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche zu verhandeln. Dennoch hat Washington Pjöngjang begrenzte, aber nicht zu übersehende Zugeständnisse gemacht. Im Juli hielt sich Kurt Campbell, der stellvertretende Außenminister für Ostasien und den Pazifik, in Seoul auf, um den so genannten "zweigleisigen" Umgang mit Pjöngjang zu diskutieren. Zwar bestand er "auf einer Reihe von Maßnahmen,... mit denen mehr Druck auf Nordkorea ausgeübt werden soll", aber er sagte auch, die USA böten ein "umfassendes Paket" an, wenn Nordkorea sein Atomprogramm aufgebe.
Am 24. Juli gab der UN-Botschafter Nordkoreas, Sin Sun-ho, eine seiner seltenen Pressekonferenzen, auf der er ankündigte, dass Pjöngjang an direkten Gesprächen über "Probleme, die beide Seiten interessieren" mit der Obama-Regierung bereit sei. Der südkoreanischen Zeitung JoongAng Daily zufolge erklärte ein Vertreter Südkoreas vergangene Woche, die USA und Nordkorea seien zu einer Übereinkunft gelangt. Die beiden amerikanischen Reporterinnen würden amnestiert und freigelassen. "Es ging nur noch darum, wer Nordkorea besuchen würde, und wann", wurde die Quelle zitiert.
Die Washington Post zitierte am Dienstag eine Quelle, die in die Vorbereitung von Clintons Reise involviert war. Ihr zufolge habe die Obama-Regierung ursprünglich Ex-Vizepräsidenten Al Gore favorisiert, der ein Mitbegründer des Fernsehsender Current TV ist, bei dem die beiden Journalistinnen beschäftigt sind.
Pjöngjang wünschte aber eine Prestige trächtigere Person, denn es beabsichtigte, deren Anwesenheit zu nutzen, um seinen Wunsch nach Normalisierung der Beziehungen zu den USA zu verdeutlichen. Der Besuch sollte außerdem das geschwächte Regime Kim Jong-ils in den Augen der nordkoreanischen Massen stärken. Nach Kims angeblichem Schlaganfall im vergangenen Jahr spielt die Nachfolgediskussion in Pjöngjang eine große Rolle. In Anbetracht der tiefen Wirtschaftskrise kann diese Frage zu politischer Instabilität führen.
Clinton ist der höchste amerikanische Repräsentant, der Nordkorea besucht, seit Ex-Präsident Jimmy Carter 1994 in das Land reiste. Damals hatte die Clinton-Regierung die koreanische Halbinsel wegen deren Atomprogramms an den Rand eines großen Krieges manövriert. Dieses Vorhaben gab Clinton erst auf, als er von amerikanischen Geheimdiensten über das enorme Ausmaß an physischer Zerstörung und an Opfern informiert wurde, die ein neuer Koreakrieg verursacht hätte.
Carters "inoffizielle" Reise legte damals die Grundlage für das vereinbarte Rahmenabkommen zwischen Pjöngjang und der Clinton-Regierung. Pjöngjang stimmte der Stilllegung des Plutonium brütenden Reaktors von Yongbyon zu und erhielt im Tausch dafür zwei Leichtwasserreaktoren, Sicherheitsgarantien und die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen mit Washington.
Die amerikanisch-nordkoreanischen Beziehungen erreichten in den folgenden Jahren ihren Höhepunkt und gipfelten in dem Besuch der damaligen Außenministerin Madeleine Albright in Pjöngjang im Jahre 2000. Der zweithöchste nordkoreanische General, Jo Myong-rok, besuchte Washington und unterzeichnete ein Memorandum of Understanding (Absichtserklärung) für ein offizielles Ende der Feindseligkeiten auf der koreanischen Halbinsel. Die USA unterhalten in Südkorea auch heute noch große Truppenkontingente. Der damalige südkoreanische Präsident Kim Dae-jung entwickelte seine berühmte "Sonnenschein"-Diplomatie, die ihm den Friedensnobelpreis einbrachte. Diese Politik sollte zu einer besseren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Nordkorea führen.
Die taktische Veränderung gegenüber Nordkorea unter Clinton hatte damit zu tun, dass die herrschenden Kreise in den USA die strategische Vorherrschaft in Zentralasien, dem kaspischen Becken und anderen Kernzonen Eurasiens anstrebten. Den Schritten in Richtung Frieden auf der koreanischen Halbinsel ließ Clinton 1999 den neokolonialen Krieg gegen Serbien folgen.
Die Leichtwasserreaktoren, die Nordkorea im Vereinbarten Rahmenabkommen zugesagt worden waren, wurden allerdings nie geliefert, weil rechte Republikaner dieses Zugeständnis ablehnten. Mit Bushs Amtsübernahme 2001 wurde das Abkommen praktisch eingefroren. 2002 kündigte Bush das Abkommen unter dem Vorwand auf, dass Nordkorea insgeheim noch ein Urananreicherungsprogramm verfolge. Kurz vorher hatte Bush auch Nordkorea auf der "Achse des Bösen" verortet, gemeinsam mit dem Irak und dem Iran. Wachsende Spannungen auf der koreanischen Halbinsel waren die Folge. Nordkorea trat 2003 aus dem Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (NPT) aus und nahm sein Programm zur Gewinnung von Plutonium aus verbrauchten Brennstäben wieder auf.
Zugleich verlagerte die Bush-Regierung ihren Schwerpunkt auf die von China ausgerichteten Sechs-Parteien-Gespräche, um Nordkorea unter Druck zu halten, während Washington die Invasion des Irak im Jahre 2003 vorbereitete. Der Vorwand für die Invasion des Irak waren Saddam Husseins angebliche "Massenvernichtungswaffen", die es in Wirklichkeit nie gab. Gleichzeitig erklärte Nordkorea offen seine Absicht, Atomwaffen zu bauen. Diese Anomalie erklärt sich aus der Tatsache, dass Nordkorea für den Kampf des US-Imperialismus um die globale Vorherrschaft strategisch viel weniger wichtig ist als der Öl reiche Nahe Osten. Außerdem ist Washington von Nordkoreas wichtigstem Verbündeten, China, wirtschaftlich abhängig geworden.
Die Sechs-Parteien-Gespräche waren schwierig und dauerten lange, vor allem weil die Bush-Regierung ständig neue Forderungen stellte. Zum Beispiel verlangte sie die Verifizierung von Nordkoreas Entnuklearisierung. Doch genau zu dem Zeitpunkt, als im September 2005 eine dem Vereinbarten Rahmenabkommen ähnliche Vereinbarung getroffen werden sollte, brachen die Sechs-Parteien-Gespräche zusammen. Der Grund war, dass das US-Finanzministerium ein Guthaben Nordkoreas von 25 Millionen Dollar bei der Banco Delta Asia in Macao einfror. Schließlich sah sich Nordkorea gezwungen, im Oktober 2006 seinen ersten Atomwaffenversuch zu unternehmen, um Washington Zugeständnisse abzuringen.
Im Februar 2007 wurde das Abkommen wieder aus der Schublade geholt. Nordkorea erklärte sich bereit, erste Maßnahmen zu ergreifen, um seine Atomanlagen einzufrieren und abzubauen. Im Gegenzug wurden Energielieferungen und Verhandlungen über eine Normalisierung der Beziehungen zu den USA versprochen. Obwohl die USA und China über ein nukleares Wettrüsten in Nordostasien besorgt sind, besonders weil auch Japan Atomwaffen entwickeln könnte, war es letztlich nicht der nordkoreanische Atomtest, der die Bush-Regierung zum Einlenken zwang.
Die Bush-Regierung erhöhte zu der Zeit den Druck auf den Iran und führte eine intensive Diskussion über einen möglichen Militärschlag gegen das Land. Mit dem Abkommen mit Nordkorea wollte Washington im Wesentlichen Zeit gewinnen, um sich voll auf den Iran konzentrieren zu können. Noch vor dem Ende der Präsidentschaft Bushs brachen die Sechs-Parteien-Gespräche im Dezember 2008 erneut zusammen, weil die USA wieder Zusatzforderungen stellten, obwohl Nordkorea den Reaktor in Yongbyon abgeschaltet und erste Schritte zu seiner Einmottung ergriffen hatte. Um die neue Obama-Regierung zu Zugeständnissen zu zwingen, griff Pjöngjang wieder zu seinem einzigen Verhandlungstrumpf - seinem Atom- und Raketenprogramm.
Das ganze Gerede über Nordkoreas Weigerung, sein Atomprogramm wie versprochen aufzugeben, geht an der Sache vorbei. Die Bilanz seit den 1990er Jahren zeigt, dass die US-Regierung - unter Demokratischer wie unter Republikanischer Führung - für die nordkoreanische "Nuklearkrise" verantwortlich ist. Pjöngjangs Atomprogramm ist ein bequemer Vorwand für die USA, um die Spannungen in Nordostasien zu verschärfen und so seine umfangreiche militärische Präsenz in Südkorea und Japan zu rechtfertigen. Diese Präsenz könnte sich gegen seine Großmachtrivalen, besonders China, richten. Clintons angeblicher diplomatischer Coup ist nur ein taktisches Manöver, das auch schnell wieder in die andere Richtung gehen kann, ganz wie es Washingtons unmittelbaren Bedürfnissen beim Kampf um die globale Hegemonie nützlich scheint.
Schon jetzt greifen die "Falken" unter den führenden Kreisen der USA den Clinton-Besuch an. Bushs UN-Botschafter John Bolton erklärte, der Besuch bedeute, dass Kidnapping belohnt werde. Er fragte: "Wird Bill demnächst nach Teheran reisen, um diese Rucksacktouristen auch rauszuholen?"