Ted Kennedy und der Niedergang des amerikanischen Liberalismus
Von Barry Grey
28. August 2009
aus dem Englischen (27. August 2009)
Der Tod von Senator Edward (Ted) Kennedy aus Massachusetts am Dienstag markiert das Ende der Rolle der Kennedy-Familie als wichtiger Faktor der amerikanischen Politik. Ted Kennedy, der im Alter von 77 Jahren einem Gehirntumor erlag, hielt 47 Jahre lang einen Sitz im Senat. Er war der letzte politische Repräsentant einer Familie, die länger als ein halbes Jahrhundert nachhaltig das politische Bewusstsein Amerikas geprägt hat.
Ted Kennedy starb 46 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen in Dallas, die der Regierung und dem Leben seines Bruders John F. Kennedy ein Ende setzten, und 41 Jahre nach der Ermordung seines Bruders Robert F. Kennedy. (Joe Jr., der älteste Bruder starb als Navy Pilot im Zweiten Weltkrieg, als sein Flugzeug im August 1944 explodierte).
Die politischen Karrieren der Kennedys deckten die gesamte Nachkriegsperiode ab. Ihre persönlichen Tragödien waren eng mit dem Verlauf der amerikanischen Politik und dem explosiven Charakter der Klassenbeziehungen in den Vereinigten Staaten verbunden. Die Ermordung von John und Robert Kennedy war nicht nur für die Kennedy-Familie eine Katastrophe, sie war auch das Ende auch einer ganzen Periode des amerikanischen Liberalismus.
John F. Kennedy repräsentierte, die Demokratische Partei mit allen ihren Widersprüchen, wie sie durch Roosevelts New Deal geformt worden war. Er wurde 1946 in Massechusetts ins Repräsentantenhaus gewählt und 1952 in den Senat. Er zog nur ein Jahr nach Roosevelts Tod und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Kongress ein. Sein Vater Joseph Kennedy, ein reicher Geschäftsmann, hatte in der Roosevelt-Regierung Positionen bekleidet.
Als Kennedys politische Karriere begann, war der amerikanische Liberalismus schon durch seine enge Verbindung mit dem amerikanischen Imperialismus und seine Unterstützung für den Antikommunismus kompromittiert. Sein Niedergang wurde eine Zeitlang durch den enormen Reichtum des amerikanischen Kapitalismus überdeckt, der es den Demokraten ermöglichte, der Arbeiterklasse gewisse Zugeständnisse zu machen. Das Ganze wurde in Zusammenarbeit mit der rechten Gewerkschaftsbürokratie organisiert.
Die Vereinigten Staaten waren nach dem Zweiten Weltkrieg die dominierende imperialistische Weltmacht. Der amerikanische Liberalismus verband seine idealistische Rhetorik mit den kriminellen Interventionen des Außenministeriums, der CIA und des Pentagon gegen die internationale Arbeiterklasse.
Selbst als die Demokratische Partei sich als globale Vorkämpferin für Demokratie und Freiheit präsentierte, war sie von der Unterstützung des "Solid South" (des tiefen Südens) abhängig, um Wahlen zu gewinnen. Diese Unterstützung erhielt sie, weil sie die Rassendiskriminierung in großen Teilen der USA verteidigte.
Diese Widersprüche spielten eine wichtige Rolle für die zunehmende Krise, in die die Kennedy-Regierung und vor allem ihre Nachfolgerin unter Lyndon B. Johnson gerieten. Johnsons Sozialreformen, die er Great Society nannte, brachen unter der Belastung des katastrophalen Vietnamkriegs und der wirtschaftlichen Probleme zusammen, die sich aus dem zu Ende gehenden Nachkriegsboom ergaben.
John Kennedys politische Karriere bildete eine Brücke von den Hoch-Zeiten der amerikanischen Weltherrschaft zu dem beginnenden Zusammenbruch dieser Vorherrschaft. Kennedy wurde 1960 als Liberaler im Kalten Krieg zum Präsidenten gewählt. Im Weißen Haus versuchte er moderate innenpolitische Reformen mit einer aggressiveren Vertretung amerikanischer Interessen auf internationaler Ebene zu vereinen. Seine Regierung wurde alsbald von den Widersprüchen des amerikanischen Kapitalismus im In- und Ausland eingeholt.
Kennedy hatte ursprünglich kein großes Interesse an Bürgerrechtsfragen, musste sich aber bald mit den politischen Schockwellen auseinandersetzen, die die Massenmobilisierung der Afroamerikaner in der Bürgerrechtsbewegung der 1950er und frühen 1960er Jahre hervorrief. Er wurde im November 1963 ermordet.
Die Kennedy-Regierung ging zu Ende, als die Ereignisse in Vietnam militärisch eskalierten und sich zu einem regelrechten Krieg auszuweiten begannen. Dafür war dann die Johnson-Regierung verantwortlich
Die Präsidentschaftsbewerbung des jüngeren Kennedy-Bruders Robert auf der Grundlage einer späten Opposition gegen den Vietnamkrieg endete im Juni 1968 ebenfalls durch Gewehrschüsse. Die Ironie der Geschichte wollte es, dass Roberts Tod acht Jahre später den Weg für Richard Nixon ins Weiße Haus bereitete, dem John Kennedy 1960 die Präsidentschaft weggeschnappt hatte.
Die Amtsübernahme Nixons war ein Wendepunkt für den amerikanischen Liberalismus. Sie markierte das Ende der Periode, in der die Demokratische Partei noch für, wenn auch begrenzte, Sozialreformen stand.
Edward Kennedy, der jüngste Bruder, wurde 1962 in den Senat gewählt. Seine politische Karriere wurde immer wieder von seiner persönlichen Leichtsinnigkeit unterbrochen, die im Juli 1969 mit der pikanten Episode in Chappaquiddick ihren Höhepunkt fand, bei der eine Wahlkampfhelferin der Kennedys den Tod fand. Viel wichtiger aber waren grundlegende Veränderungen in der amerikanischen Politik und der Demokratischen Partei, die in den 1970er Jahren an Stärke zunahmen.
Nach dem Debakel der Kandidatur McGoverns 1972 ging die Demokratische Partei scharf nach rechts. Hintergrund dieser Entwicklung waren grundlegende Veränderungen der globalen ökonomischen Position des amerikanischen Kapitalismus. Diese äußerten sich im Zusammenbruch des Nachkriegswährungssystems von Bretton Woods und der Beendigung der Austauschbarkeit von Dollar und Gold im August 1971.
1976 machte die Demokratische Partei den konservativen Südstaaten Gouverneur Jimmy Carter zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. Die gespannte Beziehung zwischen Carter und Kennedy brach in den späten 1970ern ganz zusammen und brachte Kennedy dazu, Carter 1980 die zweite Amtszeit streitig zu machen. Zu dieser Zeit war Kennedy selbst in eine konservativere Richtung gerückt, was an seiner aktiven Unterstützung für die Deregulierung der Luftfahrt-Industrie und des Transportgewerbes abzulesen war.
Trotzdem lehnte die Demokratische Partei Kennedy ab und unterstrich damit ihre Rechtsentwicklung. Seine oft zitierte "Der Traum wird niemals sterben"-Rede auf dem Demokratischen Parteitag 1980 war praktisch das letzte Hurra des amerikanischen Liberalismus. Das Programm des Liberalismus war zu dieser Zeit schon hohl geworden. Ohne politische Substanz, nahm er einen zunehmend demagogischen Charakter an.
Nach der halbherzigen Präsidentschaftskandidatur des Gouverneurs von Minnesota, Walter Mondale, 1984 schickten die Demokraten 1988 den wenig bekannten konservativen Gouverneur Michael Dukakis und 1992 den konservativen Südstaatengouverneur Bill Clinton ins Rennen.
Nach 1980 wies Kennedys Streben nach Sozialreformen nur noch wenig Substanz auf. Trotzdem wurde er zur Dauerzielscheibe der rechten Republikaner, die ihn als unverbesserlichen Liberalen brandmarkten. Von da an wurde Kennedy was man einen politischen Minimalisten nennen könnte - er ging jedem ernsthaften Versuch aus dem Weg, substanzielle Sozialreformen durchzusetzen.
Das politische Establishment der USA ging insgesamt scharf nach rechts, verkörpert im Marktradikalismus eines Ronald Reagan. Der lieferte die politische Rechtfertigung für gnadenlose Angriffe auf die soziale Lage der Arbeiterklasse, die unter Clinton und Bush weitergingen und jetzt von unter Obama fortgesetzt werden.
Jetzt nach seinem Tod wird Kennedy als der "Löwe des Senats" gepriesen, als Meister der Gesetzgebung und Fürsprecher des kleinen Mannes. Die persönlichen Tragödien der Kennedys riefen zweifellos eine gewisse Sympathie für Ted Kennedy hervor. Aber die Tatsache bleibt bestehen, dass er in seinem letzten Jahrzehnt rechte überparteiliche Projekte vorantrieb wie George W. Bushs "No Child Left Behind"-Gesetz - ein Angriff auf die öffentliche Schulbildung - und einen Gesetzentwurf, der sich gegen Einwanderer ohne Papiere richtete, der aber im Kongress durchfiel.
Kennedy unterstützte Obama 2008 in seinem Wahlkampf, teilweise aus Abneigung gegen Bill Clinton, den er privat verachtete. Die dunkle Ironie seines Lebens wird von der Tatsache unterstrichen, dass sein überragendes politisches Projekt, das er fast fünfzig Jahre lang verfolgte - eine allgemeine Krankenversicherung -, von Obama in ein Instrument verwandelt wird, die Krankenversicherung von Millionen Amerikanern einzuschränken. Als Kennedy auf seinem Totenbett lag, debattierte der Kongress über einen Gesetzentwurf, der die Gesundheitskosten für die Wirtschaft und die Regierung senken soll.