www.wsws.org/de/2008/nov2008/ein1-n08.shtml
Dies ist die erste Hälfte eines zweiteiligen Artikels über Albert Einstein und seine Ansichten zur Religion.
Im Sommer wurde in London ein bisher unbekannter Brief von Albert Einstein versteigert. Es handelt sich um ein bemerkenswertes Dokument, da der berühmte Physiker hier freimütig seine Ansichten zur Religion äußert.
Einstein schrieb: "Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger, aber doch reichlich primitiver Legenden." [1]
Seine in diesem Brief geäußerten Meinungen stehen in völligem Widerspruch zu der Bemerkung, die so häufig angeführt wird, um Einsteins Ansichten zur Religion zusammenzufassen: "Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft ist blind."
Diese berühmte Bemerkung lässt vermuten, Einstein habe Religion und Wissenschaft für vereinbar gehalten. Sie wird oft von denen zitiert, die Einstein für die religiöse Lobby vereinnahmen wollen.
Man hatte mit einem Erlös von 16.000 Dollar für den Brief gerechnet, doch nach einem "verbissenen" Bieten, wie es in den Meldungen hieß, ging er schließlich für 404.000 Dollar an den neuen Besitzer über. Rupert Powell vom Pfandhaus Bloomsbury Auctions meinte: "Dieser außergewöhnliche Brief schien eine Faszination auszuüben, und er ermöglichte uns einen tiefen Einblick in die Persönlichkeit eines der bedeutendsten Köpfe des 20. Jahrhunderts."
Den Namen des erfolgreichen Bieters nannte er nicht, da dieser anonym bleiben wollte. Unter den erfolglosen Bietern war allerdings Richard Dawkins, Biologe und erklärter Gegner der Religion.
Der Preis lässt ahnen, dass dies ein wirklich wichtiges Dokument ist. Möglicherweise bietet der Brief neue Erkenntnisse über Einsteins Auffassungen über die Religion und die Entwicklung seines Denkens. Die Öffentlichkeit wird diesen wichtigen Brief jetzt wohl nicht so bald zu Gesicht bekommen. Er hatte sich praktisch seit seiner Niederschrift in privatem Besitz befunden und war den Experten bisher unbekannt.
In Anbetracht dieser Umstände hätte man mit einem lebhaften Interesse der Medien an diesem Brief gerechnet. Einstein ist eine Kultfigur. Enthüllungen über sein Liebesleben erregten beachtliches Medieninteresse, und Versuche von feministischen Historikerinnen, seine erste Frau, Mileva Maric, als eigentliche Urheberin der Relativitätstheorie auszumachen, fanden über Gebühr Beachtung.
Das hundertjährige Jubiläum von Einsteins annus mirabilis, in dem er fünf Bahn brechende Arbeiten veröffentlichte, die unser Verständnis der Natur von Grund auf veränderten und in der Folgezeit im letzten Jahrhundert eine technologische Revolution auslösten, hat ein gewisses Interesse erregt; der neu entdeckte Brief war jedoch kaum eine Meldung wert. Die beiden Zeitungen, die am ausführlichsten darüber berichteten, die New York Times und der Guardian, wiesen auf Einsteins angebliche Antipathie gegen Atheisten hin, als hätte der Geist des berühmten Mann aus dem Jenseits mahnend den Zeigefinger gegen den Atheisten und erfolglosen Bieter Richard Dawkins erhoben .
Hier kommt das starke Bedürfnis von Teilen der Intelligenz diesseits und jenseits des Atlantik zum Ausdruck, Einsteins Ansichten zur Religion herunterzuspielen, weil sie dem feigen Versuch, Religion und Wissenschaft zu versöhnen, entgegenstehen. So werden Meinungen, die man als Kritik an Israel verstehen könnte, nur sehr widerwillig veröffentlicht. Weder der Guardian noch die New York Times ließen sich herbei, die Bedeutung dieses Einstein-Briefes zu erörtern, der sich von konventionellen religiösen Konzepten distanziert, sich lobend über Spinoza, den materialistischen Philosophen des 17. Jahrhunderts, äußert und die Ansicht zurückweist, die Juden seien ein auserwähltes Volk.
Einstein schrieb den Brief am 3. Januar 1954 an den jüdischen Philosophen Erich Gutkind, der ihm ein Exemplar seines Buches Entscheide dich für das Leben: Der biblische Aufruf zur Revolte zugeschickt hatte. Im Guardian erschien eine unredigierte Übersetzung eines Teils des Briefes, im Tagesspiegel ein kurzer Ausschnitt aus dem Brief [2] . Das kann uns natürlich überhaupt nicht zufrieden stellen, doch es ist alles, was wir von diesem einzigartigen Dokument haben. Wir geben die Textstellen hier wieder:
... Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger, aber doch reichlich primitiver Legenden. Keine noch so feinsinnige Auslegung kann etwas daran ändern. Diese verfeinerten Auslegungen sind höchst mannigfaltig und haben so gut wie nichts mit dem Urtext zu schaffen. Für mich ist die unverfälschte jüdische Religion, wie alle anderen Religionen, eine Inkarnation des primitiven Aberglaubens. Und das jüdische Volk, zu dem ich gern gehöre und mit dessen Mentalität ich tief verwachsen bin, hat für mich doch keine andersartige Qualität als alle anderen Völker. So weit meine Erfahrung reicht, ist es auch um nichts besser als andere menschliche Gruppierungen, wenn es auch durch Mangel an Macht gegen die schlimmsten Auswüchse gesichert ist. Ansonsten kann ich nichts,Auserwähltes an ihm wahrnehmen.
Überhaupt empfinde ich es schmerzlich, dass Sie eine privilegierte Stellung beanspruchen und sie durch zwei Mauern des Stolzes zu verteidigen suchen: eine äußere als Mensch und eine innere als Jude. Als Mensch beanspruchen Sie gewissermaßen eine Dispens von der sonst gültigen Kausalität, als Jude ein Privileg für Monotheismus. Aber eine begrenzte Kausalität ist überhaupt keine Kausalität mehr, wie wohl zuerst unser wunderbarer Spinoza in aller Schärfe gesagt hat. Und die animistischen Deutungen der Naturreligionen werden auch durch Monopolisierung grundsätzlich nicht hinfällig. Mit solchen Mauern erliegen wir eigentlich nur einer Selbsttäuschung, doch sie helfen uns nicht bei unserem Streben nach einer höheren Moral. Im Gegenteil.
Jetzt, da ich unsere unterschiedlichen Überzeugungen in aller Offenheit ausgesprochen habe, habe ich nach wie vor die Gewissheit, dass wir in wichtigen Fragen, z.B. in unserer Einschätzung des menschlichen Verhaltens, weitgehend übereinstimmen. Was uns trennt, sind, um mit Freud zu sprechen, geistige Stützen und Rationalisierungen. Ich glaube also, dass wir uns gut verstehen, wenn wir über konkrete Dinge sprechen.
Mit freundschaftlichem Dank und besten Wünschen
grüßt sie Ihr
A. Einstein
Trotz dieser bruchstückhaften Überlieferung ist der Inhalt des Briefes völlig klar. Für Einstein ist "das Wort Gott" nichts als "das Produkt menschlicher Schwächen", die Bibel "eine Sammlung ... primitiver Legenden", und jegliche Religion, die jüdische eingeschlossen, "primitiver Aberglaube". Dann lobt er Spinoza dafür, dass er Ausnahmen von der Kausalität nicht akzeptiert. Spinozas entschiedener Determinismus und seine Auffassung, der Mensch habe keinen freien Willen, war für seine Zeitgenossen und seine späteren Kritiker der klarste Hinweis darauf, dass Spinoza Atheist war. Für Einstein war er "unser wunderbarer Spinoza". Diese Worte sollten eigentlich schon genügen, um Einstein als Atheisten auszuweisen.
Doch dem Guardian wie auch der New York Times gelingt es, den Eindruck zu vermitteln, der Autor dieses Briefes sei kein Atheist. Beide zitieren einen Brief Einsteins aus dem Jahre 1941, in dem er sich mit der Reaktion auf einen Artikel befasst, den er im Jahr zuvor veröffentlicht hatte. Dieser Artikel war von religiösen Fundamentalisten angegriffen und von Atheisten gelobt worden. Der Brief bringt die Ansichten eines differenzierten und subtilen Denkers zu einer bestimmten Problematik zum Ausdruck.
"Ich wurde von vielen Hunden angebellt," schrieb Einstein, "die ihr Fressen damit verdienen, dass sie Ignoranz und Aberglaube behüten zum Vorteil derer, die daraus Nutzen ziehen. Dann gibt es ja auch noch die fanatischen Atheisten, deren Intoleranz jener der religiösen Fanatiker gleichkommt und sich aus der gleichen Quelle nährt. Sie sind wie Sklaven, die immer noch das Gewicht ihrer Ketten spüren, von denen sie sich nach hartem Kampf befreit haben. Sie sind Kreaturen, die in ihrem Zorn auf das traditionelle Opium des Volkes für die Musik der Sphären unempfänglich sind. Das Wunder der Natur wird dadurch nicht geringer, dass man es nicht mit den Maßstäben menschlicher Moral und menschlicher Ziele ermessen kann."[3]
Einsteins Brief von 1941 ist keine pauschale Verurteilung der Atheisten und des Atheismus, sondern eines bestimmten Schlags von Atheisten, deren Atheismus eine intolerante und dogmatische Form angenommen hat. Dass er das "Opium für das Volk" zitiert, lässt vermuten, dass Einstein sich auf Stalinisten bezog, die eine mechanistische Sicht auf die Natur hatten. Als einer, der die Grenzen des menschlichen Wissens gerade auf neues und noch wenig bekanntes Terrain vorgeschoben hatte, empfand Einstein einen gesunden Respekt für die Wunder der Natur. Davon zeugte sein gesamtes Lebenswerk. Seine Weigerung, dieses Wunder nach "menschlichen und moralischen Zielen" zu beurteilen, positioniert ihn eindeutig im Lager des Atheismus. Eine persönliche Gottheit existierte für Einstein nicht. Schon seit langem hatte er diesen primitiven Vorstellungen abgeschworen und, wie der nun bekannt gewordene Brief zeigt, diese Überzeugung bis ans Ende seines Lebens beibehalten. Die Briefe von 1941 und der Brief von 1954 bewegen sich in dieser Hinsicht auf der gleichen Linie.
Dennis Overbye hat eine wohlwollende Biographie über Einstein verfasst, die einiges von dem umfangreichen Material, das inzwischen zu seinem Privatleben vorliegt, berücksichtigt.[4] Sein Artikel in der New York Times über den neuen Brief Einsteins war zu kurz, um dessen vollen Bedeutung gerecht zu werden, und sogar Overbye hat sich anscheinend bemüßigt gefühlt, einen Auszug aus dem Brief von 1941 einzufügen, in dem Einstein Atheisten kritisiert.
Der Artikel des Guardian dagegen zeichnete sich durch Unaufrichtigkeit aus. James Randerson, Wissenschaftskorrespondent des Guardian, stützt sich dabei vor allem auf John Brooke von der Universität Oxford, den er als führenden Einstein-Experten ins Feld führt. Brooke behauptet, Einstein sei "zornig geworden, wenn seine Ansichten von den Predigern des Atheismus vereinnahmt wurden", und "ihr Mangel an Demut hat ihn verletzt".
Randerson unterschlägt, dass Brooke Professor für Wissenschaft und Religion an der Theologischen Fakultät der Universität Oxford ist und seit vielen Jahren mit der Templeton Foundation enge Beziehungen pflegt. Er ist mitverantwortlicher Leiter des Templeton-Projektes Wissenschaft und Religion. Die Stiftung, die von der wohlhabenden Templeton-Familie ins Leben gerufen wurde, fördert Projekte, die Wissenschaft und Religion zusammenbringen und marktwirtschaftliche Initiativen gegen Armut entwickeln. In den Worten der Stiftung: "Der Templeton-Preis ehrt eine lebende Persönlichkeit, die einen außergewöhnlichen Beitrag zur Stärkung der spirituellen Dimensionen des Lebens geleistet hat, durch Einsichten, Entdeckungen oder praktische Beiträge." Der Preis wolle "Unternehmer des Geistes auszeichnen".
Wie es scheint, ist die Templeton-Stiftung in rechtsgerichtete Projekte involviert, und eine Reihe von Wissenschaftsjournalisten und führenden Wissenschaftlern haben sie kritisiert. Richard Dawkins sagte, der Templeton-Preis sei "eine sehr hohe Geldsumme, die in der Regel einem Wissenschaftler verliehen wird, der sich positiv über die Religion äußert."[6] Die World Socialist Web Site hat sich kritisch zu Richard Dawkins philosophischen und politischen Auffassungen geäußert, insbesondere seiner Tendenz, "gegenüber der religiös eingestellten Bevölkerung, die auf der ganzen Welt immer noch eine Mehrheit der Arbeiterklasse darstellt, eine verächtliche Haltung einzunehmen"[7]. Aber seine Haltung zum Templeton-Preis verdient Unterstützung.
Brooke hat ein professionelles Interesse daran, abzustreiten, dass Einstein ein Atheist oder Materialist war. Der Guardian ist tendenziös und betreibt Desinformation, wenn er ihn kommentarlos als Experten zu Einstein zitiert. Es ist der Versuch, Einstein weiterhin als Zeugen für die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion anzuführen, obwohl der neue Brief ein klares Bekenntnis zum Atheismus ist.
Wird fortgesetzt
Anmerkungen:
[1] Faksimile der ersten Briefseite, siehe http://savatier.blog.lemonde.fr/files/2008/05/einstein1.1210684060.jpg,
[2] http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/geschichte/Albert-Einstein-Religion;art15504,2530755, http://www.guardian.co.uk/science/2008/may/13/peopleinscience.religion,
[3] Einstein and Religion by Max Jammer, Princeton University Press, 1999, p. 97,
[4] Einstein in Love, A Scientific Romance by Dennis Overbye, Penguin, 2000,
[5] http://www.templeton.org/,
[6] http://en.wikipedia.org/wiki/John_Templeton_Foundation,
[7] siehe: Wissenschaft, Religion und Gesellschaft: The God Delusion von Richard Dawkins (WSWS, 20. Mai 2007)