Berliner Nahverkehr
Verdi reduziert den Streik und bietet faulen Kompromiss an
Von Ulrich Rippert
18. März 2008
Nach zwölf Streiktagen brach die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am Montag den Vollstreik bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) und deren Tochter Berlin Transport ab, ohne dass der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) auch nur das geringste Zugeständnis gemacht hatte.
Verdi forderte die Beschäftigten des BVG-Fahrpersonals auf, die Arbeit wieder aufzunehmen, während mehrere Tausend Mitarbeiter der Werkstätten, Technik und Verwaltung weiter streiken sollen.
Der Verhandlungsführer der Gewerkschaft Frank Bäsler versuchte, diese schrittweise Wiederaufnahme der Arbeit als "flexible Streiktaktik" darzustellen. Die BVG müsse die Mitarbeiter im Fahrdienst nun wieder bezahlen, und dennoch würden die Fahrzeuge nach und nach ausfallen, weil sie nicht gewartet werden könnten und Verwaltungsarbeit nicht getätigt werde.
Doch hinter der "Nadelstich-Taktik" verbirgt sich nicht eine Verstärkung des Arbeitskampfs, sondern die Vorbereitung auf den Ausverkauf. Verdi spaltet die Streikfront und gibt gleichzeitig einen Großteil der bisherigen Forderungen preis. Bisher hatte Verdi seine Forderung mit der "Formel" umschrieben: "12-250-12". Das bedeutete 12 Prozent mehr für alle Beschäftigte der BVG und der Berlin Transport (BT), mindestens aber eine Erhöhung von 250 Euro Brutto pro Monat für alle. Gleichzeitig hatte die Gewerkschaft auf einem "verhandlungsfähigen Angebot" als Voraussetzung für eine Aussetzung der Arbeitsniederlegungen bestanden.
Nun fordert Verdi vom Kommunalen Arbeitgeberverband nur noch die Zustimmung zu einem "verbindlichen Verhandlungskorridor" von 3 bis 9 Prozent für alle und einer Laufzeit von 12 bis 30 Monaten", wie Verdi-Landeschefin Susanne Stumpenhusen am Wochenende erklärte. Was darunter zu verstehen ist, erläuterte Frank Bäsler. Die kommunalen Arbeitgeber müssten mindestens drei Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von maximal 30 Monaten bieten.
Damit signalisiert Verdi seine Bereitschaft, über ein Angebot zu verhandeln, das weit unter der Inflationsrate liegt und weitere Reallohnverluste bedeuten würde. Die Forderung nach einer Mindestanhebung der Löhne und Gehälter um 250 Euro im Monat wurde völlig aufgegeben.
Verdi fällt damit den Streikenden in den Rücken. Ein Abschluss am unteren Ende von Verdis Verhandlungskorridor würde bedeuten, dass die BVG-Beschäftigten durch den Lohnausfall während der Streiktage weit mehr Geld verloren haben, als sie durch die Erhöhung bekommen würden.
Das Kapitulationsangebot von Verdi macht vor allem deutlich, dass die Gewerkschaft nicht bereit ist, gegen den rot-roten Senat zu kämpfen, der aus SPD und Linkspartei besteht - zwei Parteien, in denen die Mehrheit der Verdi-Funktionäre Mitglied ist.
Verdis zynisches Doppelspiel
Vor gut zwei Jahren arbeitete Verdi mit dem Senat zusammen, um den Tarifvertrag Nahverkehr (TV-N) gegen den Widerstand der Beschäftigten durchzusetzen. Damit begann eine drastische Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Die Beschäftigten der BVG mussten auf bis zu zwölf Prozent ihres Gehalts verzichten. Gleichzeitig wurde das Weihnachtsgeld gekürzt und das Urlaubsgeld gestrichen.
Während so genannte Alt-Beschäftigte einen geringfügigen Sicherungsbetrag zu ihrem Gehalt bekommen, der die Lohneinbußen abmildern soll, erhalten Neu-Eingestellte etwa 30 Prozent weniger Lohn. Diese Niedriglöhne nutzt der Senat nun als Hebel, um die Löhne der Alt-Beschäftigten weiter abzubauen.
Als der Widerstand unter den BVG-Beschäftigten immer stärker wurde und die Gewerkschaftsmitglieder mit spontanen Streikaktionen und Gewerschaftsaustritt drohten, begann Verdi sein bekanntes Doppelspiel. Nach fast 96-prozentiger Urabstimmung für Streik wurden Kampfmaßnahmen eingeleitet und Verdi-Funktionäre traten mit radikalen Phrasen und Durchhalteparolen an den Streiktoren auf. Gleichzeitig beschränkte Verdi den Streik auf die BVG und isoliert ihn systematisch.
Obwohl in Berlin in allen Bereichen des öffentlichen Diensts die unsoziale Politik des rot-roten Senats auf große Ablehnung stößt, unternahm Verdi nichts, um den Streik mit den Protesten gegen die Privatisierung der Wasserbetriebe, den Lehrerprotesten gegen die Kürzungen im Bildungsetat und unzumutbaren Bedingungen an den Schulen, mit den Protesten gegen die schlechte personelle und sachliche Ausstattung in den Kitas und dem Widerstand gegen die Schließung mehrerer Stadtteilbibliotheken zu verbinden.
Als die Forderung aufkam, stärkeren Druck auf den Senat auszuüben, organisierte Verdi eine Mini-Kundgebung, an der etwa 500 der 12.000 Streikenden teilnahmen. Aber selbst diese Alibi-Veranstaltung fand nicht vor dem Roten Rathaus, sondern weit abgelegen im Ostteil der Stadt vor dem Sport- und Erholungszentrum (SEZ) in Friedrichshain statt. Verdi-Chef Bsirske schimpfte dort gegen den Kommunalen Arbeitgeberverband, der zu ernsthaften Gesprächen und Verhandlungen nicht bereit sei. Was er nicht sagte: Drei von sechs Vorstandsmitgliedern des Arbeitgeberverbands - einschließlich des Vorstandsvorsitzenden des KAV - sind Verdi-Mitglieder. Sie blicken auf eine langjährige Gewerkschaftskarriere zurück und sind über die gewerkschaftliche Karriereleiter in Spitzenpositionen der Arbeitgeberseite aufgestiegen.
Die Arroganz des KAV hängt damit zusammen, dass er enge Beziehungen zu Verdi unterhält und sehr genau darüber informiert ist, dass die Gewerkschaft kein ernsthaftes Interesse hat die aufgestellte Forderung durchzusetzen.
Der bisherige Streik diente folglich nicht dazu, den Arbeitgeberverband und den Senat zu zwingen nachzugeben. Vielmehr zielte er darauf ab, den Widerstand unter den Beschäftigten zu brechen und nach fast zwei Wochen fruchtlosem Kampf mit hohen finanziellen Einbußen ein Gefühl der Frustration und Enttäuschung zu verbreiten. Verdis Botschaft lautet: Seht Ihr - selbst mit Streik kann man nichts erreichen! Diese Botschaft dient auch dazu, alle anderen Teile des öffentlichen Dienstes einzuschüchtern.
Verdi handelt hier direkt als Erfüllungsgehilfe von SPD und Linkspartei im Senat. Deshalb konnte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sich am Wochenende mit der Bemerkung in den Osterurlaub verabschieden: "Nicht nachgeben!"
Verdis Kapitulationsstrategie beinhaltet wichtige politische Lehren. Der Kampf gegen den Senat kann nicht mit einer Gewerkschaft geführt werden, die mit den Regierungsparteien aufs engste verbunden ist und deren politische Standpunkte teilt. Wenn die Leitung des Streiks in den Händen von Verdi bleibt, wird er mit einer Niederlage enden.
Deshalb ist es wichtig, die Kontrolle von Verdi zu durchbrechen und eine unabhängige Streikleitung aufzubauen. Dazu müssen in allen Depots Streik- und Aktionskomitees aufgebaut werden, um die Verhandlungen zu überwachen und eine gezielte Zusammenarbeit mit Arbeitern oder Angestellten aus anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes, aus der Privatindustrie, aber auch Studenten und anderen Teilen der Bevölkerung aufzubauen.
Das erfordert aber nicht nur einen organisatorischen Bruch mit Verdi. Der Aufbau von Verteidigungs- und Solidaritätskomitees muss mit der Diskussion über eine neue Perspektive verbunden werden, die sich gegen die opportunistische Politik der Sozialpartnerschaft richtet und eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft anstrebt.
Nur so ist es möglich, den geplanten Ausverkauf zu verhindern und den Streik zum Ausgangspunkt für eine breite politische Mobilisierung gegen den Senat aus SPD und Linkspartei zu machen.