Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen
Massiver Linksruck in der Bevölkerung
Von Ulrich Rippert
29. Januar 2008
Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am vergangenen Sonntag waren von einem massiven Linksruck gekennzeichnet.
In beiden Bundesländern zieht die erst im vergangenen Sommer gegründete Partei Die Linke ins Landesparlament ein. In Hessen, wo auch die SPD stark hinzu gewann, überwand Die Linke nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde. In Niedersachsen, wo SPD und CDU Stimmen verloren, erreichte sie mit einer weitgehend unbekannten Mannschaft 7,1 Prozent.
Damit hat sich Die Linke, hervorgegangen aus der ostdeutschen PDS und der westdeutschen WASG, neben dem Bundestag, den ostdeutschen Ländern und dem Stadtstaat Bremen erstmals auch in zwei westdeutschen Flächenstaaten etabliert. Es ist das erste Mal seit dem Aufstieg der Grünen Ende der 1970er Jahre, dass sich eine neue Partei bundesweit durchsetzen kann.
Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, werden statt bisher drei oder vier zukünftig fünf Parteien in den Parlamenten vertreten sein. Das wird die Bildung stabiler Regierungen zunehmend erschweren und dem gesamten politischen System einen unbeständigen Charakter verleihen.
Hessen
In Hessen erlebte die seit neun Jahren regierende CDU von Ministerpräsident Roland Koch ein Wahldebakel sondergleichen. Koch, der 1999 mit einer ausländerfeindlichen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft an die Macht gelangt war, hatte angesichts sinkender Umfragewerte versucht, erneut die rassistische Karte zu spielen. Es ist bezeichnend für den seitherigen Stimmungsumschwung, dass seine ausländerfeindliche Law-and-order-Kampagne diesmal voll gegen ihn ausschlug.
Breite Schichten der Bevölkerung, insbesondere Jugendliche an Universitäten, Fachschulen und Ausbildungszentren, reagierten mit Empörung auf Kochs aggressiven Rassismus. Die CDU, die 2003 ein Rekordergebnis von 48,8 Prozent erreicht hatte, verlor 12 Prozent, während die SPD 7,6 Prozent hinzugewann. Während die Wahlbeteiligung in Niedersachen um zehn Prozent auf magere 57 Prozent sank, blieb sie in Hessen mit 64 Prozent unverändert hoch.
Die Stimmengewinne der SPD sind umso bemerkenswerter, als die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti zum linken Parteiflügel gezählt wird. Das Parteiestablishment hatte ihr deshalb keine Chance eingeräumt. SPD-Vorstandsmitglied Wolfgang Clement, Wirtschaftsminister unter Gerhard Schröder, hatte sogar öffentlich von ihrer Wahl abgeraten.
Im Endergebnis lag die CDU zwar 3.595 Stimmen vor der SPD, doch die von Koch angestrebte Koalition mit der FDP liegt in weiter Ferne. Obwohl die FDP leicht zulegen konnte und mit 9,4 Prozent der Stimmen drittstärkste Partei wurde, erhielten beide Parteien zusammen gerade noch 46 Prozent der Stimmen, weniger als die CDU vor vier Jahren allein. Da auch die Grünen in ihrem Stammland 2,6 Prozent der Stimmen verloren und nur noch 7,5 Prozent erzielten, verfügt Rot-Grün ebenfalls über keine Mehrheit. Die Linkspartei bildet das Zünglein an der Wage.
Am Montagvormittag tagten die Führungsgremien der Parteien, und seitdem haben heftige Spekulationen über die Bildung der neuen Regierung begonnen. Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel stärkte trotz der massiven Verluste ihrer Partei Roland Koch den Rücken. "Die CDU ist stärkste Partei geworden", sagte Merkel nach einer Sitzungen der Parteispitze in Berlin. Der Auftrag, eine Regierung zu bilden, liege eindeutig in den Händen des bisherigen hessischen Ministerpräsident Roland Koch.
Das angestrebte Bündnis von CDU und FDP reicht aber für eine Regierung nicht aus, und eine Große Koalition mit der SPD haben die Sozialdemokraten bisher abgelehnt. Die FDP-Spitze wiederholte ihre Aussage, dass sie ein rot-grünes Bündnis nicht unterstützen werde, brachte aber eine "Jamaika-Koalition" aus CDU, FDP und Grünen ins Gespräch.
Bisher haben die Grünen sich dazu nicht direkt geäußert. Sie betonen aber, dass sie ein Bündnis mit der SPD anstreben. Wenn die FDP bei ihrer Verweigerung einer "Ampel" (rot, gelb, grün = SPD, FDP, Grüne) bleibt, dann müsste sich Rot-Grün auf die Zusammenarbeit mit der Linkspartei stützen. Das wiederum lehnt die SPD, zumindest gegenwärtig, strikt ab.
Es gibt auch bereits Spekulationen, dass Koch sich schließlich zurückziehen und möglicherweise ein Ministeramt in Berlin übernehmen werde. Ähnlich wie dies Gerhard Schröder nach der letzten Bundestagwahl getan hat, werde er nur an seinem Amtsanspruch festhalten, um den Preis der CDU hochzutreiben, um schließlich den Weg für eine Große Koalition oder eine Koalition mit FDP und Grünen freizumachen. SPD oder Grünen werde es wesentlich leichter fallen, eine Koalition mit der CDU zu rechtfertigen, wenn Koch durch einen anderen CDU-Politiker - im Gespräch ist Verteidigungsminister Franz-Josef Jung - abgelöst wird.
Paradoxerweise könnte das deutliche Votum gegen Koch so auch in Hessen in eine CDU-geführte Große Koalition münden, wie sie im Bund existiert.
Auch die Grünen schließen ein Zusammengehen mit der CDU nicht aus, falls sich Koch zurückzieht. Im Wahlkampf hatten die Grünen immer betont, ihr Hauptziel sei es, Koch abzulösen. Grüne Spitzenpolitiker wiesen gleichzeitig darauf hin, dass eine Zusammenarbeit mit anderen Teilen der Union "durchaus sinnvoll" sei.
Auch Joschka Fischer hob vergangene Woche in Wiesbaden den Unterschied zwischen Roland Koch und der Rest-CDU hervor. Er sei in Bezug auf Fragen der Zuwanderung gegenüber den Unionsparteien "eigentlich sehr hoffnungsvoll" gewesen, sagte er, "bis Roland Koch meinte, diesen Knüppel rausholen zu müssen." Koch habe "einer modernen CDU einen Bärendienst erwiesen".
In der Kommunalregierung der Landeshauptstadt Wiesbaden arbeiten die Grünen bereits eng mit CDU und FDP zusammen. Und auch in der Bankenmetropole Frankfurt - der größten Stadt in Hessen - bilden die Grünen gemeinsam mit der CDU eine "Koalition des Realismus", wie die CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth es nennt. Darüber hinaus findet in vier Wochen die Landtagswahl in Hamburg statt, und dort haben die Grünen schon seit längerer Zeit die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der CDU im Visier.
Niedersachsen
In Niedersachsen verloren CDU und SPD massiv an Stimmen, bei einer deutlich gesunkenen Wahlbeteiligung - eine deutliche Absage an die Große Koalition in Berlin. FDP und Grüne konnten gering zulegen, während Die Linke als einzige Partei massiv gewann.
Trotz Stimmenverlusten von 5,8 Prozent kann Ministerpräsident Christian Wulff die Koalition von CDU (42,5 Prozent) und FDP (8,2 Prozent) aber fortsetzen. Die SPD erreichte in dem Bundesland, das einst von Gerhard Schröder regiert wurde, mit 30,3 Prozent ein historisches Tief.
Wulff hatte sich im Wahlkampf deutlich von seinem Parteikollegen Roland Koch abgesetzt und sich von dessen ausländerfeindlichen Kampagne distanziert. Stattdessen hatte er auf das Image eines Landesvaters gesetzt und darauf verzichtet, den Wahlkampf zu polarisieren.
Angst vor sozialer und politischer Radikalisierung
Die Wahlergebnisse in Hessen und Niedersachsen sind Ausdruck einer Linksentwicklung und Radikalisierung der Bevölkerung, die sich seit längerem abzeichnet.
Seit Wochen dominieren in den Medien Berichte über die rapide Zunahme der sozialen Ungleichheit im Land. Der Spiegel berichtete im Dezember, dass die Einkommen der ärmsten Schichten gegenüber dem Jahr 1992 preisbereinigt um 13 Prozent gesunken sind, während die Spitzenverdiener ihre Bezüge im selben Zeitraum um fast ein Drittel erhöhten. "Die Entwicklung ist erschreckend," fügte das Magazin hinzu.
Teile der herrschenden Elite befürchten, die wachsende wirtschaftliche und soziale Krise könne zu scharfen gesellschaftlichen Konflikten führen. Vor allem die verschärfte Finanzkrise der vergangenen Wochen steigerte die Angst vor verschärften Klassenkämpfen.
Vor diesem Hintergrund stieß der polarisierende Wahlkampf von Roland Koch auch in einigen Medien auf heftigen Widerstand. Die Redaktionen der Frankfurter Rundschau, der Süddeutschen Zeitung und der Zeit waren in höchstem Maße alarmiert. Sie befürchteten, Kochs aggressive Kampagne könnte gesellschaftliche Konflikte schüren, die außer Kontrolle geraten.
Die Zeit schrieb drei Tage vor der Wahl: "Koch ist ein fähiger Ministerpräsident. Aber diese Wahl darf er nicht gewinnen". Sein Wahlsieg wäre eine "Katastrophe" für Deutschland, denn er habe die Situation unnötig zugespitzt und die "politische Kultur" vergiftet.
Die Stimmengewinne der SPD in Hessen kamen nicht von jenen Teilen der Arbeiterklasse, die vom Sozialabbau der vergangenen Jahre am stärksten betroffen sind. Laut einer Studie über Wählerwanderungen gewann die SPD bei Arbeitern, Arbeitslosen und Rentnern nur jeweils etwa ein Prozent hinzu. Bei Angestellten und Selbständigen erzielte sie dagegen Zuwächse von 13 und 12 Prozent. Diese Schichten verbinden die Wahl der SPD mit der Hoffung, sie werde zu einer Politik des sozialen Ausgleichs zurückkehren und so heftige Klassenauseinandersetzungen verhindern.
Am deutlichsten artikulierte Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung derartige Hoffnungen. Am Morgen nach der Wahl feierte er die Wiederauferstehung der SPD und verglich sie mit dem biblischen Lazarus.
Die Wähler in Hessen hätten ihre Partei wieder entdeckt, "die bereits für tot erklärt" worden sei, schrieb Prantl. Wie die biblische Figur sei die Sozialdemokratie "nicht mehr rot, sondern blass" gewesen. Sie habe "Angst vor ihrer Tradition und vor ihren Mitgliedern" gehabt. Doch nun sei "die stolze SPD" wieder da, "partiell zumindest". Zwar sei sie in Niedersachsen "noch tot (weil keine politische Polarisierung sie auferweckt hat)". In Hessen aber "springt sie in die Höhe".
Prantls Lazarus-Theorie über die Auferstehung der SPD ist nicht nur die groteske Selbsttäuschung eines langjährigen Apologeten von Rot-Grün. Es ist der Versuch der SPD-Führung zu helfen, ihre Kontrolle über die Arbeiterklasse wieder zu erlangen.
Die Vorstellung, die SPD werde im Schatten von Globalisierung und internationaler Finanzkrise zu einer Politik des sozialen Ausgleichs zurückkehren, ist schlichtweg grotesk. Wer sich solchen Illusionen hingibt, wird ein bitteres und abruptes Erwachen erleben. Alle Erfahrungen der vergangenen Jahre beweisen das Gegenteil. Ob in Deutschland, England, Frankreich oder Italien - überall hat die Sozialdemokratie ihren schwindenden Einfluss genutzt, um die bürgerlichen Verhältnisse zu stabilisieren, eine Politik im Interesse der Wirtschaft durchzusetzen und den Widerstand von unten zu unterbinden.
Dasselbe gilt für Die Linke. Diese Partei sieht ihre Hauptaufgabe darin, der SPD Schützenhilfe zu geben. Wo sie Regierungsverantwortung übernimmt - wie in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin - lässt sie ihre linke Rhetorik fallen und trägt die Angriffe auf die Bevölkerung voll mit.
1034 Stimmen für die PSG
Hier liegt die Bedeutung der Beteiligung der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) an der hessischen Landtagswahl.
Die PSG war nicht bereit, sich unter der Parole "Koch muss weg" der SPD und der Linkspartei unterzuordnen. Sie warnte vor der Rolle einer so genannten "Linksregierung" von SPD und Grünen, unterstützt oder toleriert durch die Linkspartei. Ähnlich wie in Frankreich die Regierung von Lionel Jospin (SP) oder die Prodi-Regierung in Italien würde auch eine "Linksregierung" in Hessen als Wegbereiter rechter Parteien dienen.
Die Wahlkampagne der PSG beschränkte sich nicht auf das Hier und Heute. Sie bereitete die Zukunft vor: Die gesellschaftlichen Kämpfe, die sich unweigerlich aus der sozialen Polarisierung ergeben müssen. Als einzige Partei trat sie für ein internationales sozialistisches Programm ein und verfolgte das Ziel, die Arbeiterklasse als unabhängige gesellschaftliche Kraft zu organisieren.
Die Landesliste der PSG erzielte in Hessen über Tausend Stimmen. Das ist eine kleine aber bedeutsame Zahl. Angesichts der Tatsache, dass die Wahl sehr stark polarisiert war und viele Wähler nach einer Möglichkeit suchten, Koch abzuwählen, ist dieses Ergebnis außerordentlich wichtig. Die Stimmen für die PSG waren, eine bewusste Entscheidung gegen die SPD und gegen die Linkspartei, die beide eine teure Materialschlacht führten und nahezu unbegrenzten Zugang zu den Medien hatten.
Die PSG-Wähler stimmten für ein sozialistisches Programm, das sich der kapitalistischen Logik widersetzt und die Bedürfnisse der Bevölkerung den kapitalistischen Profitinteressen überordnet.