Wahlveranstaltung der Linkspartei in Wiesbaden:
Mit linker Rhetorik in die Arme der SPD
Von unseren Korrespondenten
15. Januar 2008
Am vergangenen Sonntag machte der hessische Spitzenkandidat der Linkspartei Willi van Ooyen auf einer Wahlveranstaltung unmissverständlich deutlich, dass die Linkspartei zu den Landtagswahlen angetreten ist, um in eine Koalition mit SPD und Grünen zu treten oder eine solche Koalition zu tolerieren. Begleitet wurde diese Ankündigung von einer demagogischen Rede des Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Gregor Gysi.
Van Ooyen sagte, dass Kochs Wiederwahl nur mit den Stimmen der Linkspartei verhindert werden könne. Nur wenn die Linke in den Landtag einziehe, erklärte der Spitzenkandidat, bestünde die Möglichkeit einer Mehrheit gegen Koch. "Dann haben SPD und Grüne auch die Verantwortung, ihr Wahlversprechen einzuhalten und eine solche Koalition zu ermöglichen." Noch vor einer Woche hatte van Ooyen erklärt, dass einzig die Mitglieder der Linkspartei über eine Koalition oder eine Duldung entscheiden würden.
Der Rede van Ooyens folgte die Gregor Gysis, der im Wesentlichen behauptete, dass die Linke erstens eine linke Politik vertrete und zweitens, SPD und Grüne nach links drücken könne. "Unser Wirken funktioniert immer nur über die Veränderung der anderen. Ihr müsst lernen die anderen zu nerven." In gewohnt großer Rhetorik sprach er über einige soziale Misstände. Er machte deutlich, dass Privatisierungen zu sinkenden Löhnen und steigenden Preisen, Kürzungen im Bildungssystem zu sozialer Ungleichheit und Steuergeschenke an die Reichen zu Massenarmut führen.
SPD und Grünen warf er mangelnde Glaubwürdigkeit vor. Beide Parteien hätten die Agenda 2010, Hartz IV und Steuersenkungen für die Superreichen durchgesetzt und redeten jetzt von sozialer Gerechtigkeit. Es bedürfe der Linkspartei, um diese Parteien an ihre Wahlkampfziele zu erinnern.
Demagogisch war die Rede vor allem deshalb, weil Gysi es vermied, auch nur ansatzweise die gesellschaftlichen Bedingungen zu beleuchten, die hinter der Verwandlung von SPD und Grünen und der ganzen rechten Politik stehen. All das läge nur am "neoliberalen Zeitgeist", den die Linkspartei nun durchbrechen würde.
Schweigen musste der Berliner deshalb über die Politik seines eigenen Landesverbands, der seit fast sieben Jahren zusammen mit der SPD die Hauptstadt regiert. Jeder einzelne Satz seiner Rede wird durch die Berliner Regierungspolitik widerlegt. In Berlin wurde privatisiert, an den Unis und Kitas gespart, die Lehrmittelfreiheit abgeschafft, das Polizeigesetz verschärft, Zehntausende öffentliche Stellen abgebaut und zum Ausgleich 35.000 Ein-Euro-Jobs geschaffen. Eine Bilanz, die selbst Roland Koch in den Schatten stellt.
Am Ende des Vortrags ging Marius Heuser vom Parteivorstand der PSG ans Mikrofon und stellte Gysi zur Rede: "Ich bin aus Berlin" begann er seinen Beitrag, "und würde gern ein paar Bemerkungen zu der Glaubwürdigkeit der Linkspartei machen. Mir scheint es, dass die Linke - sobald sie an der Regierung ist - nicht SPD und Grüne nach links drückt, sondern selbst nach rechts rückt.
In Berlin hat die Linkspartei eine soziale Katastrophe zu verantworten. Sie macht genau die Politik, die Gregor Gysi gerade so wortreich angegriffen hat. Es wurden 65.000 Wohnungen an den US-Investor und Spekulanten Cerberus verkauft und die Wasserbetriebe wurden teilprivatisiert. Für die Berliner Bevölkerung bedeutet das ein Anstieg des Wasserpreises um 25 Prozent. Wie wollen Sie diesen Widerspruch zwischen Wort und Tat erklären?"
Der Widerspruch zwischen den linken Phrasen im Hessenwahlprogramm der Linkspartei und den unsozialen Maßnahmen der Berliner Regierungspolitik ist weithin bekannt und die Partei von Gysi und Lafontaine reagiert höchst nervös wenn er angesprochen wird.
Auf der Wiesbadener Versammlung wurde es bereits nach den ersten Sätzen von Marius Heuser unruhig. Linkspartei-Mitglieder forderten den PSG-Sprecher mehrfach auf, zum Ende zu kommen. Sie wollten auf ihrer Wahlveranstaltung nicht mit der Berliner Realität konfrontiert werden. Ein Linkspartei-Aktivist stand auf und erklärte, dass er es für eine Ehre halte nach Gregor Gysi sprechen zu dürfen, und er sich die Kritik Heusers verbitte.
Gysi antwortete auf die Kritik der PSG wie schon eine Wochen zuvor Lothar Bisky, indem er die Berliner Politik verteidigte und seine vorherige Rede selbst widerlegte. Angesichts der angespannten Finanzsituation sei in Berlin keine andere Politik möglich gewesen. Man habe die Einsparungen vornehmen müssen, um bessere Chancen zu haben, Hilfe vom Bund zu erhalten. Dass das Gericht einem Finanzausgleich schießlich doch nicht zugestimmt habe, sei nicht Schuld der Linkspartei, so Gysi.
Marianne Arens, ein weiteres Mitglied der PSG, richtete ebenfalls eine Frage an Gisy: "Die Lokführer kämpfen gerade gegen die Entwicklung, die Sie eben selbst kritisierten," sagte sie, "dass nämlich die Reichen immer Reicher und Arbeiter immer ärmer werden. Im Deutschlandfunk haben Sie vor einigen Wochen gesagt, dass Sie die Lohnforderungen der Lokführer zwar akzeptieren, die Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag aber ablehnen. Wie passt das zusammen? Solange die Gewerkschaft Transnet den Arbeitern schlechte Tarife diktiert, konnten die Lokführer keine angemessenen Lohnforderung durchsetzen. Sie mussten die Tarifgemeinschaft beenden und unabhängig von dieser gelben Gewerkschaft kämpfen. Wieso schützen Sie Transnet?"
Gysi wiederholte dieselben Attacken, die er bereits vorher gegen die streikenden Lokfüher gerichtet hatte. Er sei zwar nicht mit allem, was Transnet tue und sage, einverstanden, aber ihre Kritik am "eigenständigen Tarifvertrag" für die Lokführer sei unbedingt richtig. Man müsse den Einheitstarifvertrag unter allen Umständen aufrecht erhalten.
Gysi machte erneut deutlich, in welch enger Beziehung die Linkspartei zur Gewerkschaftsbürokratie steht. Seit der Vereinigung von PDS und WASG ist diese Verbindung noch enger geworden. In den westlichen Bundesländern - gerade auch in Hessen - ist die "Wahlalternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" vor allem von Gewerkschaftsbürokraten ins Leben gerufen worden, weil sie angesichts der Radiklisierung in vielen Betrieben und Verwaltungen befürchten, dass die SPD die Kontrolle verliert.
Es war kein Zufall, dass der Vorsitzende von Transnet Norbert Hansen, der in den vergangenen Monaten vehement gegen den Streik der Lokführer gehetzt hat - als Teil einer DGB-Delegation am Gründungskongress der Linkspartei im vergangenen Frühjahr teilgenommen hatte.