Joschka Fischer im hessischen Wahlkampf
Die Grünen - offen nach allen Seiten
Von Hendrik Paul
24. Januar 2008
Am Montagabend, sechs Tage vor der Wahl zum hessischen Landtag, trat der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer auf die Bühne in Wiesbaden, um den Wahlkampf der Grünen in seiner Endphase zu unterstützen. Nach fast eineinhalbjähriger Abstinenz vom partei-politischen Geschehen sollte Fischers Auftritt der Partei der Grünen zurück auf die hessischen Regierungsbänke verhelfen.
Bisher war der hessische Wahlkampf der Grünen in ihrem einstigen Stammland auffallend blass und wurde kaum wahrgenommen. Die Partei war offensichtlich bis vor kurzem der Auffassung, dass an der Wiederwahl Kochs kaum Zweifel bestünden.
Dass die Hetzkampagne des CDU-Ministerpräsidenten gegen ausländische Jugendliche eine derart heftige Opposition in der Bevölkerung auslöste und die hessische Regierungspartei in den Umfragen regelrecht abstürzte, kam für die Grünen sehr überraschend. Umfragen sagen für den Sonntag ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD voraus.
Doch bisher konnten die Grünen von dem Absturz der CDU in den Umfragen nicht profitieren. Sie stehen im Augenblick in den Umfragen bei sieben Prozent, Tendenz fallend. Weniger Zustimmung in Hessens Bevölkerung hatten sie seit 25 Jahren nicht. Selbst als sie vor neun Jahren die Landesregierung verlassen mussten, kamen sie noch auf 7,2 Prozent. Auch das mediale Interesse an den Grünen kann man als eher dürftig beschreiben. Den Wahlkampfauftritt des früheren Bundesumweltministers Jürgen Trittin wollte in der vergangenen Woche nur ein Lokalreporter sehen.
Die Veranstaltung mit Fischer war dann auch vor allem ein mediales Spektakel. Im prunkvollen Konzertsaal des Wiesbadener Kurhauses, zwischen Marmorsäulen und unter goldbemalter Decke, tobten die Parteianhänger, als Fischer, umringt von einem knappen Dutzend Fotografen, den Saal durchschritt. An seinem Platz angekommen setzte sich das Blitzlichtgewitter noch minutenlang fort, so dass Tarek Al-Wazir, der Landesvorsitzende der Grünen in Hessen, der als erster Redner sprach, sie zur Ordnung rufen musste. Jeder zehnte Besucher im Saal war von der Presse. Über 100 Journalisten aus ganz Europa waren gekommen, um den Auftritt der einstigen Galionsfigur der Grünen für die interessierte Öffentlichkeit aufzuschreiben und abzulichten.
Damit war aber auch der Höhepunkt der Veranstaltung bereits erreicht. Fischers Rede blieb - abgesehen von seiner bekannten Wahlkampfrhetorik - ohne klaren Fokus. Zu keinem der großen gesellschaftlichen Probleme hatte er Ernsthaftes zu sagen. Die Enttäuschung war am nächsten Tag in den Zeitungen zu lesen. "Der Löwe hat gebrüllt, zu sagen hat er nichts mehr", titelte die Frankfurter Rundschau. Auch Die Zeit stellt in ihrer Online-Ausgabe fest, dass das, "was Fischer mitzuteilen hat, [...] nicht neu" sei.
Doch kaum einer der Kommentatoren ging auf die Frage ein, woher es kam, dass Fischers Phrasen so hohl und abgedroschen klangen. Der Hauptgrund dafür besteht darin, dass diese Partei nach allen Seiten offen ist und durchaus auch die Zusammenarbeit mit der CDU anstrebt. Auf kommunaler Ebene pflegen CDU und Grüne bereits ein sehr enges und vertrauensvolles Verhältnis. In der Bankenmetropole Frankfurt - der größten Stadt in Hessen - bilden die Grünen gemeinsam mit der CDU eine "Koalition des Realismus", wie die CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth sie nennt.
Während die Grünen also ihre Fühler Richtung CDU ausstrecken, war in der hessischen Landespolitik plötzlich eine Situation entstanden, in der eine rot-grüne Regierung - möglicherweise toleriert von der Linkspartei - in die Reichweite der Koalitions-Möglichkeiten rückte.
Unter diesen Bedingungen stellte Fischer, dessen Rede sich inhaltlich kaum von der des Landesvorsitzenden Al-Wazir unterschied, die weit verbreitete Forderung: Koch muss weg! in den Mittelpunkt seiner Ausführengen. Koch müsse abgewählt werden, wegen seiner Umweltpolitik, wegen seiner Bildungspolitik und natürlich wegen seiner rassistischen Kampagne um die Jugendkriminalität, die der eine Redner als "schmutzig", der andere als "unanständig", aber keiner von beiden als das bezeichnete, was sie wirklich ist: nämlich Bestandteil einer Law-and-Order-Kampagne zur Staatsaufrüstung. Immerhin hatten die Grünen sieben lange Jahre mit Bundesinnenminister Otto Schily zusammengearbeitet, der das Ausländerrecht dramatisch einschränkte und viele Angriffe auf demokratische Rechte auf den Weg brachte.
Um die CDU-Regierung in Hessen durch eine Koalition aus SPD und Grünen zu ersetzen, sei es nötig, die Grünen zu wählen, rief Fischer. Auf eine Begründung, warum das eine politische Alternative sein solle, wartete man vergeblich. Dabei wäre nichts nötiger als das. Zu frisch sind die Erinnerungen an eine ähnlich klingende Parole aus dem Jahr 1998, die da lautete: Kohl muss weg! Der auf dieser Grundlage abgewählte damalige Bundeskanzler der CDU wurde seinerzeit durch eine rot-grüne "Alternative" ersetzt, durch eine Regierung unter Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer.
Für viele Millionen Menschen in Deutschland gehören diese rot-grünen Regierungsjahre zu den bittersten Erfahrungen in ihrem Leben. Die Agenda 2010 und Hartz IV gehen auf diese Regierung zurück, ebenso der Einsatz der Bundeswehr in der ganzen Welt und die Anti-Terror-Gesetze, nicht zu vergessen der auf Jahrzehnte verhinderte Atomausstieg und die Abschaffung des Asylrechts.
Fischer machte deutlich, dass sein Feldzug gegen Roland Koch nicht mit einem Kampf gegen die CDU als Ganzes und die CDU-Politik gleichgesetzt werden sollte. Beide Redner waren bemüht, den Unterschied zwischen der hessischen CDU, besonders aber Roland Koch und der Rest-CDU hervorzuheben. So erklärte Fischer zum Beispiel, dass er "eigentlich sehr hoffnungsvoll" war in Bezug auf Fragen der Zuwanderung in den Unionsparteien, "bis Roland Koch meinte, diesen Knüppel rausholen zu müssen." Koch habe "einer modernen CDU einen Bärendienst erwiesen".
Natürlich wollen die hessischen Grünen zurück an die Macht und werden nicht umhin können, dabei über die CDU hinweg zu schreiten. Aber man will dadurch nicht gleich die Aussichten, in anderen Ländern und Regionen an der Seite der CDU zu regieren, grundsätzlich verbauen. Nur vier Wochen nach der Hessenwahl folgt die Wahl in Hamburg, wo die Grünen schon seit längerer Zeit die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der CDU im Visier haben. Für die Hamburger Grünen wäre es fatal, wenn ihnen durch den Übereifer der Hessen in der Anti-CDU-Kampagne ihr künftiger Partner verprellt würde.
Dass es keine prinzipiellen Differenzen mit der CDU gibt, erkennt sogar die CDU selbst an. Als Fischer sich im September 2005 nach der verlorenen Bundestagswahl von allen Führungsämtern bei den Grünen zurückzog, diente dies ja gerade als Angebot an die CDU, dass die Grünen zur Zusammenarbeit, selbst auf Bundesebene, bereit sind. Spitzenpolitiker der CDU, wie der thüringensche Ministerpräsident Dieter Althaus, der amtierende Innenminister Wolfgang Schäuble oder die Kanzlerin Angela Merkel sahen die Grünen zusammen mit der FDP als eine Option, bevor sie sich zur Bildung der großen Koalition mit der SPD entschlossen. Althaus damals: "Es gibt sicher eine ganze Reihe von Punkten, wenn man den Wahlkampfnebel verziehen lässt, die übereinstimmend sind."
Unter diesem Aspekt verdienen ein paar andere Bemerkungen in Fischers Rede, aufmerksam registriert zu werden. So zum Beispiel in Bezug auf die Sicherheitspolitik. Die direkte Antwort auf die ausländerfeindliche Kampagne von Roland Koch besteht nämlich in der Forderung nach mehr Polizei, nach besser ausgebildeter, besser motivierter und zahlenmäßig vergrößerter Polizei und ist im Grunde eine rechte Kritik. Dass parallel dazu auch mehr Sozialarbeiter gefordert werden, ist insofern belanglos, weil man diese Sozialarbeiter schon jetzt erfahrungsgemäß als erste Opfer einer klammen Haushaltspolitik betrachten kann, die wahrscheinlich über den Status einer Forderung nie hinauskommen werden.
Auch die Fragen der Bildungs- und Umweltpolitik betrachtete Fischer vor allem aus der Perspektive ihrer Wirtschaftlichkeit. So sind zum Beispiel Atomkraftwerke weniger eine Gefahr als ein Subventionsgrab, die auf dem freien Markt der Energieproduktion nicht lebensfähig wären, weil kein Versicherer der Welt ihre Risiken versichern würde. In Wirklichkeit sind die alternativen Energien inzwischen ein Milliardengeschäft, die sich auf dem gleichen Markt wie die Atomenergie tummeln und nebenbei auch auf dieselben Subventionstöpfe scharf sind. Als Fischer dann noch erklärte, dass ihre einstige Forderung nach fünf Mark für einen Liter Benzin bald antiquiert sei, er aber keine Probleme mit hohen Energiepreisen habe, weil sie einen Innovationsdruck für alternative Energieerzeugung darstellten, da erstarrte selbst seinen Anhängern im Saal das Lachen im Gesicht.
Dazu passen schließlich noch die Fragen über die die beiden Redner nicht gesprochen haben. Es ist kaum zu glauben, dass sich Fischer zwei Stunden lang wie ein Popstar feiern lässt, während am selben Tag weltweit die Börsen zur Talfahrt angesetzt haben, und er nicht ein einziges Wort darüber verliert. Allein im DAX sind durch die Kurseinbrüche über 60 Milliarden Euro an einem Tag vernichtet worden. Eine Erwähnung dieser Ereignisse verwandelt natürlich alle Wahlversprechen in Makulatur, noch bevor die Wähler am Sonntag an die Urnen treten.
Das steht im Zusammenhang mit einer zweiten, nicht aufgeworfenen Frage, die die Mehrheit der Bevölkerung um den Schlaf bringt: die soziale Misere! Die rasant wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die krassen Unterschiede im Einkommen eines Unternehmensvorstands verglichen mit einem Durchschnittsarbeiter, ganz zu Schweigen im Vergleich zu einem Hartz-IV-Empfänger, sind Fischer keiner Erwähnung wert. Er verliert auch kein Wort darüber, dass etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland für weniger als fünf Euro pro Stunde arbeiten und dass immer mehr Arbeiter sich gezwungen sehen, gegen ein Kartell aus Unternehmen, Gewerkschaften und Regierung zu kämpfen, damit ihr Einkommen wenigstens mit der Preistreiberei ein wenig mithalten kann. Diese Ignoranz gegenüber der Verarmung der Massen in Verbindung mit der pompösen Inszenierung seines eigenen Auftrittes spricht eine deutliche Sprache sowohl über die Art der Alternative, die die Grünen zu sein vorgeben als auch über den "Kampf" gegen die CDU.
Während sie bei ihren Angriffen auf die CDU peinlich auf die Wirkung achten, die diese über die hessischen Grenzen hinaus haben könnten, haben nationale und gar internationale politische und soziale Ereignisse in einem Landtagswahlkampf der Grünen keinen Platz.
Dabei sind es die globalen Entwicklungen, die wachsende Rezession in den Vereinigten Staaten, die Ölpreisentwicklung, die Panik an den Börsen und erst recht der "Krieg gegen den Terror", die die stärksten und auch direktesten Auswirkungen auf das Leben auch jedes hessischen Bewohners haben, stärker, direkter und langfristiger als irgendeine Entscheidung einer hessischen Landesregierung je wirken könnte.