Bildung ist ein Grundrecht
PSG-Kandidat spricht auf Schülerdemonstration in Limburg
Von Marianne Arens
22. Januar 2008
Seit Monaten kommt es in Hessen immer wieder zu Schüler- und Studentenprotesten, und kurz vor den Landtagswahlen findet fast täglich eine Demonstration oder Kundgebung statt. Das Thema Bildung spielt im hessischen Landtagswahlkampf eine besondere Rolle; mehrere Umfragen haben die Bildung sogar als Thema Nummer eins ausgemacht.
1999 hatten grassierender Lehrermangel und Unterrichtsausfall dazu beigetragen, dass Roland Koch die Führung des Landes von der diskreditierten SPD übernehmen konnte. In den seither vergangenen neun Jahren hat sich jedoch nichts zum Besseren gewandt - im Gegenteil: Die Bildungsbilanz der Koch-Regierung zeigt ein verheerendes Bild.
Dem chronischen Lehrermangel und Stundenausfall versuchte man unter Koch mit der "Unterrichtsgarantie" und ihrem Nachfolgemodell, der "Unterrichtsgarantie plus", beizukommen: Dabei werden so genannte "Quereinsteiger" ohne pädagogische Ausbildung als Lehrervertreter eingesetzt, worunter natürlich die Qualität des Unterrichts leidet und professionelle Standards des Lehrberufs auf der Strecke bleiben.
Zudem hat die unter Koch eingeführte 42-Stunden-Woche für Beamte dazu geführt, dass Lehrkräfte in Hessen die höchste Pflichtstundenzahl seit dem II. Weltkrieg leisten, was der Landesregierung ermöglicht hat, effektiv Hunderte Lehrerstellen einzusparen.
Laut einem Bericht der Wirtschaftswoche landete Hessen im Zeitraum 2003-2005 auf dem drittletzten Rang aller Bundesländer. In einem Schüler-Lehrer-Ranking wurde eine Zunahme von 0,5 Prozent verzeichnet, was bedeutet, dass die Anzahl der Schüler, die auf einen Lehrer oder eine Lehrerin kommen, sogar noch gestiegen ist, während sie im Bundesdurchschnitt um ein Prozent gefallen ist.
Kritiker dieser verfehlten Bildungspolitik, die den Unterricht des unzureichend geschulten Personals richtigerweise mit dem Einsatz eines Metzgers in der Chirurgie verglichen, wurden von der hessischen Kultusministerin Karin Wolff (CDU) unter Androhung von Strafversetzungen mundtot gemacht.
Eine weitere Maßnahme, die für Unmut sorgt, ist die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre, das so genannte G8 oder Turbo-Abi. Um den Forderungen der Wirtschaft nachzukommen werden Schüler mit weniger Lehrkräften und auf niedrigerem Niveau in kürzerer Zeit auf das Abitur vorbereitet. Viele Schüler leiden darunter und weisen Stresssymptome wie Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen und Appetitlosigkeit auf.
Studiengebühren
Was die Universitäten angeht, so beschloss der hessische Landtag mit der Mehrheit der CDU-Stimmen die Einführung von Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester, die seit dem laufenden Wintersemester bezahlt werden müssen. Für Langzeitstudierende kann die Gebühr sogar bis auf 900 Euro erhöht werden. Die Gebühr steht im direkten Widerspruch zur Hessischen Landesverfassung, die folgenden Passus enthält: "In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich."
Gegen die Entscheidung haben jahrelang Tausende Studenten gekämpft, und mehrere Studenten aus Gießen und Marburg haben vor Gericht dagegen geklagt und Recht bekommen. Ein endgültiges Urteil steht jedoch noch aus.
Die Gebühr von 500 Euro vom ersten Semester an führt dazu, dass Jugendlichen aus sozial schwächeren Familien der Weg zur Hochschulbildung massiv verbaut wird. Wer nicht aus reichem Elternhaus kommt, wird künftig gezwungen sein, hart zu arbeiten, um sein Studium zu finanzieren, oder kann es erst gar nicht beginnen. Für Werkstudenten ist es außerdem schwieriger, ihre Zwischenprüfung im vierten Semester abzulegen, was die wichtigste Voraussetzung für ein Stipendium ist.
Ein kleiner Teil der Studenten mit besonders guten Abschlüssen wird von den Studiengebühren ausgenommen. Aber wenn die Landesregierung darauf spekuliert, so die Elitebildung zu fördern und einen Keil unter die Studenten zu treiben, so hat sie sich offensichtlich verrechnet. So sagte in Gießen Kristina, eine Psychologiestudentin im neunten Semester, der WSWS, sie sei selbst wegen guter Leistungen von den Studiengebühren befreit worden, lehne aber eigentlich eine solche Regelung vollkommen ab.
"In meinem Bekanntenkreis sind schon etliche davon betroffen", sagt Kristina. "Sie werden durch die Einführung von Studiengebühren genötigt, sehr viel zu arbeiten und mehrere Jobs anzunehmen. Wenn dann noch ein Kind vorhanden ist, wenn es gilt, eine Familie zu versorgen, dann wird das schon zeitmäßig problematisch, sein Studium abzuschließen.
Ich selbst bin zwar von den Studiengebühren befreit und bin auch froh darüber. Aber all die anderen haben vielleicht wegen einer problematischen finanziellen Situation - weil sie nebenher arbeiten mussten - nicht dieselbe Leistung erbringen können. Sie sind jetzt natürlich doppelt bestraft. Wer soviel bezahlen und deshalb noch mehr arbeiten muss als bisher, kann sich schon allein deshalb weniger aufs Studium konzentrieren. Die jüngste Entscheidung, derart massive Studiengebühren zu erheben, hat für viele Menschen, die ein Studium erwägen, mehr Barrieren errichtet."
Schülerdemonstration in Limburg
Am Freitag, den 18. Januar, fand in Limburg eine Demonstration "gegen Studiengebühren und Bildungsabbau in Hessen" statt. Die Schülergruppe, die als Organisator auftrat, forderte in einem offenen Brief zum Hessenwahlkampf die Politiker auf, "den Wahlkampf nicht mit fragwürdigen, rechtspopulistischen Äußerungen zu führen, sondern sich insbesondere seriös der Bildungsdebatte zu stellen".
Auf dem Podium traten außer dem Sprecher der Landesschülervertretung Politiker der SPD, der LINKEN und von Bündnis90/Die Grünen auf. Als sich Helmut Arens, Landtagskandidat der Partei für Soziale Gleichheit (PSG), zu Wort meldete, wurde für ihn ebenfalls das Mikrophon freigegeben.
"Bildung ist ein Grundrecht!", rief Arens. "Sie muss vom Kindergarten bis zur Hochschule für alle kostenfrei sein. Bildung ist nicht nur dazu da, bessere Bedingungen für die Wirtschaft zu schaffen, sondern Bildung ist ein demokratisches Recht, eine Voraussetzung für wirkliche Demokratie."
"Die PSG ist für die sofortige Abschaffung der Studiengebühren", fuhr er fort. Er erklärte, es sei notwendig, sofort Milliarden Euro in das Bildungssystem zu stecken, um die Lernbedingungen an Schule und Uni grundlegend zu verbessern. "Kleine Klassen und Seminare müssen die Regel sein und nicht die Ausnahme".
In dem Zusammenhang ging er auf die Debatte um das Elite-Internat Schloss Hansenberg ein, ein Prestigeprojekt der hessischen Landesregierung. Die SPD hatte mit dem Argument, das Projekt Hansenberg binde zu viele anderweitig benötigte Gelder, Hansenberg von Anfang an abgelehnt und droht bis heute mit seiner Schließung.
Allerdings erbringt die Schule mit dem paradiesischen Lehrer-Schüler-Verhältnis von eins zu sieben den praktischen Nachweis, dass es möglich ist, Schüler hundertprozentig zu motivieren und für die unterschiedlichsten Bereiche zu interessieren. Würden derartige Mittel in die Bildung aller Kinder ohne Ausnahme investiert, wäre dies zweifellos die beste Prävention gegen Jugendgewalt.
"Unsere Forderung muss nicht lauten: Schafft Hansenberg ab, sondern: Hansenberg für alle!" rief Arens und erhielt Beifall.
Darauf befasste er sich mit dem bekannten Argument, für solche "Träumereien" sei kein Geld vorhanden, denn die Kassen seien leer. Dazu sagte Arens: "Durch massive Steuersenkungen für die Reichen und die Wirtschaft wurden die Kassen bewusst geleert, und zwar von denen, die jetzt lamentieren, es sei kein Geld vorhanden. Und dieses verlogene Argument hört man nicht nur von Kochs CDU, sondern genau so von den Grünen und der SPD. Vor neun Jahren ist die SPD wegen ihrer maroden Bildungspolitik hier in Hessen abgewählt worden. Sie steht genau so im Sold der Wirtschaftsinteressen wie die CDU.
Und dieser SPD dient sich zurzeit die Linkspartei als Steigbügelhalter in die Landesregierung an. Aber in Berlin, wo die Linkspartei seit sechs Jahren mit der SPD an der Regierung ist, beteiligt sie sich an massiven Sozialkürzungen auch im Bildungsbereich, setzt Personalkürzungen an Schulen und Universitäten durch und schafft die Lehrmittelfreiheit ab. Die Begründung dabei lautet, man könne den kapitalistischen Sachzwängen nicht ausweichen."
"Wer bessere Bildung will, muss gegen Militarismus kämpfen", sagte Arens zum Schluss. "Militarismus führt zu Sozialabbau und bedroht demokratische Rechte. Deshalb fordern wir den sofortigen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan, aus dem Balkan, dem Libanon und aus Afrika, die Schließung aller US-Basen auf deutschem Boden und die Auflösung der NATO."
Die Rede und auch der Wahlaufruf der PSG, der massiv verteilt wurde, entfachten lebhafte Diskussionen. So berichtete Markus, ein Student aus Gießen, dass die Gelder aus den Studiengebühren in keiner Weise verwendet würden, um die Bedingungen an der Uni zu verbessern.
"Laut Erzählungen von Kommilitonen, die schon länger an der Uni Gießen studieren, haben konkrete Veränderungen nicht stattgefunden. Seminare sind nach wie vor überfüllt, Räume sind zu klein und die Heizung fällt aus, - alles Dinge, die meiner Meinung nach für 500 Euro Semestergebühr einfach selbstverständlich sein müssten. Die Studiengebühren sind unverhältnismäßig hoch. Im Übrigen stehen sie im Widerspruch zur hessischen Verfassung, die ausdrücklich festlegt, dass Schulbildung bis zur Hochschulbildung kostenlos sein muss."
Markus äußerte die Hoffnung, dass die SPD die Studiengebühren innerhalb von hundert Tagen rückgängig machen würde, wie es die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti versprochen hatte.
Diese Hoffnung könnte sich jedoch nur allzu schnell als Illusion erweisen. Zwar spielen CDU-regierte Länder wie Hessen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Bayern und Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle bei der Einführung von Studiengebühren. Doch liebäugeln auch die SPD-geführten Regierungen damit.
Sie haben bisher nur deshalb auf Studiengebühren verzichtet, weil sie verzweifelt bemüht sind ihre politische Glaubwürdigkeit und schwindende soziale Basis aufzupolieren. Im aktuellen Wahlkampf benötigt die SPD die Studentenproteste dringend, um für ihren Wahlsieg zu trommeln, und wird darin von der Linkspartei, der GEW und Verdi unterstützt.
Ist die SPD einmal an der Macht und sitzt sie beispielsweise zusammen mit der FDP und den Grünen im Landeskabinett, dann sieht die Lage schon wieder ganz anders aus. Sie wird dann versuchen alle unpopulären Entscheidungen mit Rücksicht auf die FDP zu begründen. Die SPD hat längst die Verteidigung von Arbeiterinteressen aufgegeben und ist in jeder Frage vollständig den Profitinteressen der kapitalistischen Wirtschaft verpflichtet.
Die letzte rot-grüne Bundesregierung hat bereits dramatische Einschnitte bei der Finanzierung von Bildungs- und Kultureinrichtungen durchgesetzt und damit den Bildungssektor stark eingeschränkt. Wenigstens 1.500 Professorenstellen gingen in der Folge verloren. Die gegenwärtige Große Koalition, aus SPD und CDU, rechtfertigt die Einführung von Studiengebühren mit angeblich "notwendigen" Sparmaßnahmen. Sie gibt für die gesamte höhere Bildung gerade mal ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus.
Eine kostenfreie und hochwertige Bildung für alle erfordert eine sozialistische Perspektive. Erst wenn die großen Konzerne und Finanzinstitutionen in gesellschaftliches Eigentum überführt und demokratisch kontrolliert werden, können die Mittel freigesetzt werden, um Bildung von einem Privileg für Reiche in ein demokratische Grundrecht für alle zu verwandeln.