Münchner Sicherheitskonferenz
US-Verteidigungsminister Gates erpresst die Nato
Von Ulrich Rippert
12. Februar 2008
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die am vergangenen Wochenende zum 44. Mal in der bayrischen Landeshauptstadt tagte, verschärfte der amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates seine Attacken auf die europäischen Nato-Verbündeten.
Gates forderte mit Blick auf den Krieg in Afghanistan eine "faire Lastenverteilung" im transatlantischen Bündnis. Er sagte: "In der Nato sollten nicht einige Verbündete den Luxus haben, sich nur für stabilisierende und zivile Operationen zu entscheiden und damit andere Verbündete zwingen, eine unangemessen große Last beim Kämpfen und Sterben zu tragen."
Eine " Zwei-Klassen-Gesellschaft", in der die einen aktiv kämpften und die anderen "genau das nicht tun", dürfe im Bündnis nicht hingenommen werden. "Eine solche Entwicklung mit all ihren Folgen für die kollektive Sicherheit würde die Allianz letztlich zerstören", sagt der Verteidigungsminister.
Gates erklärte in München, seine Warnung vor einer Zerstörung der Nato richte sich nicht explizit gegen ein einzelnes Bündnismitglied, vielmehr sollten sich alle angesprochen fühlen. Es besteht aber kein Zweifel, dass vor allem Deutschland gemeint war. Ende Januar hatte Gates bereits in einem Brief an seinen deutschen Amtskollegen Franz Josef Jung (CDU) die Ausweitung des deutschen Kontingents und den Einsatz deutscher Kampftruppen auch im heftig umkämpften Süden Afghanistans gefordert. Der Ton des Briefs wurde diesseits des Atlantiks als Zeichen der Unzufriedenheit der USA mit der Haltung Deutschlands gewertet.
Auf der Nato-Tagung in der litauischen Hauptstadt Vilnius am vergangenen Freitag wiederholte die amerikanische Delegation ihre Vorwürfe an die deutsche Adresse und steigerte den Druck auf die Berliner Regierung.
Die arrogante Art und Weise, in der der Pentagon-Chef einen höheren Blutzoll der Europäer, speziell der Deutschen einfordert, ist bemerkenswert. Seine Behauptung, die bisherige militärische Beschränkung der deutschen Beteiligung zwinge die anderen Nato-Verbündeten, eine "unangemessen große Last beim Kämpfen und Sterben zu tragen", ist nicht nur eine groteske Verdrehung der Tatsachen, sondern eine Unverschämtheit.
Obwohl die Kritik der früheren Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) an der amerikanischen Kriegspolitik im Irak und in Afghanistan alles andere als konsequent war, hatte diese Regierung vor dem amerikanischen Militärabenteuer gewarnt. Fischer trat dem damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor sechs Jahren mit den Worten entgegen, "Im not convinced - Ich bin nicht überzeugt".
Nachdem sich nun die damaligen europäischen Warnungen in schlimmster Form bestätigt haben, macht Gates diejenigen für das militärische Desaster verantwortlich, die davor gewarnt haben. Gleichzeitig argumentiert er im Stile eines Militärmachthabers, der die verbündeten Regierungen danach bewertet, wie viele tote Soldaten sie ihrer Bevölkerung bereits zugemutet haben.
Er sei sich über die öffentliche Einstellung zum Afghanistan-Einsatz in Europa durchaus im klaren und wisse auch, dass eine Mehrheit der Deutschen die Bundeswehr-Mission am Hindukusch ablehnt, sagte Gates in seiner Münchner Rede. Viele Bürger hätten wohl noch nicht verstanden, dass der Einsatz in Afghanistan erfolgreich sein müsse, um weitere Anschläge wie in Madrid oder London zu verhindern.
Nahezu unverschleiert forderte er die deutsche Regierung auf, vor der weit verbreiteten Antikriegshaltung der Bevölkerung nicht länger zurückzuweichen, wobei er auch in dieser Frage die Fakten auf den Kopf stellte. Denn die verheerenden Anschläge in der spanischen Hauptstadt im März 2004 und in London im Sommer 2005 waren Teil des Blutzolls, den die europäische Bevölkerung für die verheerende Kriegspolitik der USA und ihrer Verbündeten im Irak und in Afghanistan bezahlen musste. Der amerikanische "Kampf gegen den Terror" hat die Lage in Europa nicht sicherer gemacht - ganz im Gegenteil. Gerade weil viele in Europa diese Zusammenhänge kennen, stößt der Krieg im Irak und in Afghanistan auf große Ablehnung.
Gates sprach in München als Vertreter einer Regierung, die nicht nur große Kriegsverbrechen begangen hat, sondern auch starke militärische Rückschläge hinnehmen musste. Der Widerstand in Afghanistan hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Gates kam als Bittsteller, um von den europäischen Regierungen Unterstützung zu erhalten.
Dass er trotzdem auf der Sicherheitskonferenz auftrumpfte und mit einer Spaltung der Nato drohte, hängt auch damit zusammen, dass er die Feigheit der europäischen Regierungen, allen voran der deutschen gut kennt. Nicht einer der europäischen Vertreter nutzte die Konferenz, um der desaströsen amerikanischen Militärpolitik entgegenzutreten oder auch nur kritisch Bilanz zu ziehen. Statt dessen wurde die Zusammenarbeit intensiviert, während man gleichzeitig in vielen europäischen Hauptstädten hofft, nach der Präsidentenwahl im kommenden Herbst werde sich das transatlantische Klima wieder verbessern, insbesondere falls ein Demokrat oder eine Demokratin ins Weiße Haus einzieht.
Wie falsch derartige Hoffnungen sind, machte in München der parteilose US-Senator Joseph Lieberman deutlich, der unmittelbar nach Gates das Wort ergriff. Lieberman betonte, dass Gates beim Thema Afghanistan nicht nur die Bush-Regierung repräsentiere. Der Minister habe "eine parteiübergreifende, amerikanische Position" vorgetragen. Europa dürfe sicher sein, dass auch die demokratischen Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Barack Obama beim Thema Afghanistan exakt dieselbe Linie vertreten werden, falls sie die Wahl gewinnen, sagt Lieberman.
Wiederbeleben des Kalten Krieges
Offenbar sind einflussreiche Teile der herrschenden Elite in Amerika zur Auffassung gelangt, einer der großen Fehler von Bushs Kriegspolitik habe darin bestanden, dass er - abgesehen von Großbritannien - die europäischen Regierungen nicht einband. Um das künftig zu erreichen, wird der Konflikt mit Russland verschärft. Denn wenn Russland in Europa wieder als Bedrohung wahrgenommen werde, so das amerikanische Kalkül, würden sich die europäischen Nato-Partner wie zu Zeiten des Kalten Krieges wieder hinter den USA vereinen.
Der republikanische Präsidentschaftsbewerber John McCain, der ursprünglich an der Münchner Konferenz teilnehmen wollte, vertritt diesen Standpunkt sehr offen. Unter der Überschrift "In alter Freundschaft" veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung am Tag vor der Konferenz einen Artikel von McCain. Darin fordert er den Rauswurf Russlands aus der G8, die Unabhängigkeit des Kosovo und eine "Liga der Demokraten" unter Leitung der USA als Alternative zur UNO.
McCain schreibt: "Wir brauchen eine gemeinsame Linie des Westens gegen ein revanchistisches Russland, dessen Führer offenbar eher einen alten Konfliktkurs einschlagen wollen, als sich dem demokratischen Frieden des Westens anzuschließen. Wir sollten dafür sorgen, dass die G 8 wieder ein Klub führender Marktdemokratien wird: Er sollte Indien und Brasilien aufnehmen, aber Russland ausschließen."
Europa und die USA sollten die "Reichweite und Koordination" ihrer Programme verbessern, um "die Demokratie und die Herrschaft des Rechts" in Ländern zu unterstützen, in denen es daran mangele. Solche Programme seien beispielsweise in Russland wichtig. Oder in Weißrussland, wo die Diktatur ihre Unterdrückung fortsetze. "Aber es ist auch wichtig, den Übergangs-Demokratien in Georgien, der Ukraine und den Balkan-Staaten eine helfende Hand zu reichen."
Noch deutlicher wurde Robert Kagan in derselben Zeitung am nächsten Tag. Kagan gehört zu den führenden Rechtsideologen der USA. Er ist Gründungsmitglied des neokonservativen Think-Tanks Project for the New American Century und schreibt regelmäßig für die Washington Post. Seinen Artikel "Kampf der Jahrhunderte" beginnt er in der Süddeutschen Zeitung mit der Feststellung: "Geographisch gesehen mögen Russland und die Europäische Union Nachbarn sein, geopolitisch betrachtet aber leben sie in verschiedenen Jahrhunderten."
Während die Europäische Union die alte Machtpolitik überwunden habe und einen modernen Staatenbund anstrebe, sei Russland im Großmachtstreben des 19. Jahrhunderts verhaftet. "Was geschieht nun aber, wenn ein Staatenbund des 21. Jahrhunderts mit einer Großmacht aus dem 19. Jahrhundert konfrontiert wird?", fragt Kagan und entwirft das Szenario eines europäisch-russischen Krieges.
Nach seinen Worten zeichnen sich die Konfliktlinien bereits ab, "in politischen Engpässen wie im Kosovo, in der Ukraine und Georgien sowie in Estland; in Querelen über Gas und Öl-Pipelines; im harschen diplomatischen Austausch zwischen Russland und Großbritannien; und nicht zuletzt in einer militärischen Kraftentfaltung Russlands, die einzigartig ist in der Geschichte seit Ende des Kalten Kriegs."
Es sei durchaus denkbar, schreibt Kagan, dass das, was sich in der euro-russischen Störungszone durch erste Vorbeben ankündige, offen ausbrechen werde. "Eine Krise in der Ukraine, die der NATO beitreten will, könnte zu einer direkten Konfrontation mit Russland führen. Und die Auseinandersetzungen zwischen der georgischen Regierung und den von Russland unterstützten separatistischen Kräften in Abchasien und Südossetien könnten zu einem militärischen Konflikt zwischen Tiflis und Moskau eskalieren." Und dann sei ein Großkonflikt vorprogrammiert.
Hinter dem Rücken der Bevölkerung
Die Berliner Große Koalition reagiert auf den wachsenden Druck aus den USA mit einer schrittweisen Anpassung und Ausweitung ihres Militäreinsatzes und versucht, diese Entscheidungen vor der Bevölkerung zu verschleiern und zu verheimlichen. Während der Konferenz in München veröffentlichte der Spiegel einen Bericht, wonach Verteidigungsminister Jung in vertraulichen Gesprächen mit Gates und Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer die Aufstockung der Bundeswehreinheiten in Afghanistan von gegenwärtig 3.500 auf 4.500 Soldaten zugesagt habe.
Außerdem soll vereinbart worden sein, das Einsatzgebiet im Norden nach Westen auszudehnen und das Mandat im Herbst um 18 statt wie üblich um zwölf Monate zu verlängern, um "das sensible Thema" (Jung) aus dem Bundestagswahlkampf 2009 herauszuhalten. Auf Medienfragen antwortete Jung: "Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich zu künftigen Mandaten keine Angaben mache."