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Joschka Fischer fordert die Entsendung von deutschen Kampftruppen nach Südafghanistan

Von Stefan Steinberg
7. Februar 2008
aus dem Englischen (6. Februar 2008)

Der frühere deutsche Außenminister und führende Grüne, Joschka Fischer, hat sich in seiner wöchentlichen Kolumne in der Zeit vehement für die Entsendung der Bundeswehr in den Süden Afghanistans eingesetzt.

Die deutsche Regierung stellt mit 3.200 Soldaten gegenwärtig das drittgrößte Truppenkontingent in Afghanistan. An der International Security Assistance Force (ISAF) der NATO sind 37 Länder beteiligt. Die deutschen Soldaten sind hauptsächlich mit Sicherheitsaufgaben und dem Schutz ziviler Projekte im relativ friedlichen Norden Afghanistans betraut, wo die Bundeswehr auch die regionale Leitung der ISAF-Mission inne hat. Das aktuell gültige Mandat des Bundestags erlaubt der Bundeswehr nur in Notfällen ein Eingreifen im Süden Afghanistans, um Verbündeten in Extremsituationen zu Hilfe zu kommen.

Als Außenminister der rot-grünen Koalition (1998-2005) spielte Fischer eine ausschlaggebende Rolle, als es im NATO-Krieg gegen das ehemalige Jugoslawien darum ging, den ersten Einsatz deutscher Truppen im Ausland seit dem zweiten Weltkrieg durchzusetzen. Jetzt geht Fischer noch einen Schritt weiter und fordert die Entsendung von Bundeswehreinheiten in den Süden Afghanistans, um die amerikanischen Truppen bei ihren blutigen Kämpfen gegen aufständische Taliban zu unterstützen.

Die große Koalition in Berlin ist sich sehr wohl bewusst, dass zwei Drittel der deutschen Bevölkerung den militärischen Einsatz in Afghanistan ablehnen. Deshalb hat sie Forderungen der amerikanischen und der kanadischen Regierungen, Truppen in den umkämpften Süden zu entsenden, bisher immer zurückgewiesen.

Fischer will mit seinem jüngsten Appell in der Zeit offensichtlich die Koalition beeinflussen, ihre Position zu verändern und sich im "Krieg gegen den Terror" in Südafghanistan offen auf die Seite der USA zu stellen. Damit vertritt er die gleiche Position wie zwei hohe Ex-Generäle der Bundeswehr, Klaus Naumann und Harald Kujat. Sie haben in Interviews behauptet, die deutsche Regierung habe keine andere Möglichkeit, als Kampftruppen nach Afghanistan zu senden. Gleichzeitig greift Fischer damit die große Mehrheit der Fraktionen von SPD, CDU/CSU und der liberalen FDP von rechts an, die vor den Gefahren einer Entsendung deutscher Truppen in den Süden warnen.

Vergangene Woche kritisierte US-Verteidigungsminister Robert Gates in scharfen Worten die Weigerung der europäischen NATO-Verbündeten, mit Ausnahme Großbritanniens, Kampftruppen in den Süden zu schicken. In einem Brief an Verteidigungsminister Franz Josef Jung forderte Gates 3.200 zusätzliche Soldaten. Der Ton des Briefs wurde als Zeichen der Unzufriedenheit der USA mit der Haltung Deutschlands gewertet.

Auf einer umgehend einberufenen Pressekonferenz am Freitag wies Franz-Josef Jung Gates’ Forderung zurück und rechtfertigte die Konzentration der deutschen Truppen auf Nordafghanistan. "Wir sollten uns weiterhin auf Nordafghanistan konzentrieren", sagte er. Noch am gleichen Tag unterstützte der SPD-Außenminister und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier diese Weigerung des Verteidigungsministers, den Forderungen von Gates nachzukommen.

Auch Regierungssprecher Ulrich Wilhelm erklärte, zur Zeit würden "keine Überlegungen" angestellt, das existierende Mandat der Bundeswehr in Afghanistan auszuweiten, und die Kanzlerin weise Gates’ Forderung zurück. Bei allen Gesprächen, fuhr Wilhelm fort, habe die Kanzlerin immer wieder klar gemacht, dass das geltende Mandat "nicht zur Disposition steht". Dies sei nach wie vor die "feste Haltung" der Regierung.

Joschka Fischer hat auf diese einheitliche Ablehnung der amerikanischen Forderung durch die deutsche Regierung jetzt mit seinem eigenen persönlichen Appell an Kanzlerin Merkel reagiert. Vor dem Hintergrund verschärfter Kämpfe und zunehmender Opferzahlen bei den amerikanischen und kanadischen Truppen im Süden argumentiert Fischer jetzt in der Zeit, in Afghanistan gehe es "um Sieg oder Niederlage" und damit "um die Zukunft der NATO selbst". Er fügte hinzu: "Und Deutschland läuft in dem seit langem unter der Decke schwelenden Konflikt, der jetzt öffentlich sichtbar wurde, Gefahr, als Hauptverantwortlicher für ein mögliches Scheitern der NATO in Afghanistan gesehen zu werden."

Sollte die alliierte Mission in Afghanistan scheitern, fährt Fischer fort, wäre das für die deutsche Außenpolitik der Maximalschaden. Fischer erkennt an, dass die deutsche Mission in Afghanistan in der Bevölkerung alles andere als populär ist und dass der Einsatz von Kampftruppen im Süden ein neues Mandat des Bundestags erfordern würde.

Die Aufgabe, dafür eine parlamentarische Mehrheit zu organisieren, argumentiert Fischer, liegt bei der Kanzlerin. Weiteres Schwanken in dieser Frage könne nicht toleriert werden. Durch direktes und glaubwürdiges Engagement müsse die Kanzlerin die Opposition in der Öffentlichkeit überwinden und die Bedenken ihrer Parlamentskollegen zerstreuen, damit deutsche Soldaten an den blutigen Kämpfen in Südafghanistan teilnehmen könnten.

Das ist die unverhüllte Stimme des deutschen Militarismus. Sie stimmt in die konzertierte Kampagne führender Militärexperten und Generäle ein, die die zentrale politische Führung drängen, die offene Feindschaft der Bevölkerung gegenüber einer Kampfrolle der deutschen Armee zu überwinden. Deutsche Truppen müssen im Kampf gestählt und die deutsche Öffentlichkeit darauf vorbereitet werden, dass Leichensäcke nach Hause zurückkehren.

Die deutsche Regierung ist mit einer starken Opposition gegen die Anwesenheit deutscher Truppen in Afghanistan konfrontiert. Dieses Problem wurde in einem kürzlichen Leitartikel der Financial Times Deutschland so zusammengefasst:

"Andererseits schwindet der innenpolitische Rückhalt für den Afghanistankrieg immer weiter. Umfragen zufolge wird das Engagement inzwischen von zwei Dritteln der Bürger abgelehnt, ein ehemals führender Sozialdemokrat wie Klaus Bölling, einst Kanzlerberater Helmut Schmidts, hat die Kämpfe in Afghanistan erst kürzlich als aussichtsloses Gemetzel bezeichnet und den Rückzug gefordert. Je deutlicher wird, dass die Bundeswehr nicht nur als eine Art Technisches Hilfswerk in Oliv gefordert ist, desto schärfer wird solche Kritik werden."

Das Zögern der deutschen Regierung, dem amerikanischen und kanadischen Druck nachzugeben, spiegelt nicht nur die breite Opposition der Öffentlichkeit wider sondern auch wachsende Spannungen zwischen den europäischen NATO-Mitgliedern und den USA über die Kriegsführung in Afghanistan, wie auch im weiteren Sinn Unzufriedenheit mit der amerikanischen Politik im ganzen Nahen Osten.

Gleichzeitig bedeutet die Opposition der deutschen Regierung gegen die Entsendung von deutschen Truppen nach Südafghanistan keineswegs, dass sie etwa zögern würde, militärische Gewalt im Interesse ihrer eigenen imperialistischen Ziele einzusetzen. Die Große Koalition dehnt ihre Operationen in Afghanistan aus, ist aber nicht bereit, den Diktaten ihrer Verbündeten im amerikanischen und im NATO-Oberkommando blindlings zu folgen.

Das deutsche Verteidigungsministerium hat zwar Gates’ letzte Anfrage zurückgewiesen, derzufolge die deutsche Truppe im Süden praktisch dem amerikanischen Kommando unterstellt worden wäre. Es hat aber deutlich gemacht, dass Deutschland einer Anfrage der NATO Folge leisten wolle, die schnelle Eingreiftruppe in Afghanistan zu übernehmen. Das bedeutet, dass Deutschland 250 Mann als Krisenreaktionskräfte bereitstellen wird, die in Masar-i-Scharif stationiert werden, und die norwegische Gruppe ersetzen sollen, die im Sommer abgezogen wird.

Bis jetzt hat die Bundesregierung immer betont, dass die Bundeswehr bloß militärische Ausbildung und Unterstützung des zivilen Wiederaufbaus betreibe. Aber schon jetzt steht außer Zweifel, dass die Übernahme der Verantwortung für die schnelle Eingreiftruppe eine neue Dimension für die Intervention Deutschlands darstellt. Zu den Aufgaben der schnellen Eingreiftruppe gehören die Nothilfe für Truppen im Norden bei der Jagd auf "Terroristen" und der Einsatz bei Entführungen im ganzen Land.

Trotz gegenteiliger Behauptungen der Regierungssprecher und von Verteidigungsminister Jung liegt es auf der Hand, was die Entsendung von Elitesoldaten als Krisenreaktionskräfte in den Norden bedeutet: Soldaten werden in Kampfeinsätze geschickt, und dies verletzt die Beschränkungen des geltenden Mandats.

Dem ehemaligen Außenminister Fischer reichen die vorsichtigen Schritte der Großen Koalition zur Erweiterung ihrer militärischen Präsenz in Afghanistan aber nicht aus. In seinem Artikel in der Zeit kritisiert Fischer das "europäische Zögern", sich in Afghanistan zu engagieren und warnt vor der Gefahr einer Spaltung der wichtigsten europäischen Mächte in der Sicherheitspolitik.

Nach Fischer müssen die drei Hauptmächte in Europa - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - im Gleichschritt handeln, um die Entwicklung der eigenständigen europäischen Militärkräfte zu garantieren. Seit einiger Zeit schon betont Fischer die Notwendigkeit einer koordinierten europäischen Militär- und Sicherheitspolitik - mit Deutschland im Führersitz - zuvorderst als Ergänzung, aber potentiell auch als Alternative zur amerikanischen Militärmacht.

Fischers wiederholte Appelle für eine koordinierte europäische Außenpolitik und den Aufbau einer machtvollen europäischen Streitmacht leitet er aus seinen Erfahrungen als deutscher Außenminister ab. Fischer setzte nicht nur 1998 die deutsche Intervention in Jugoslawien durch, sondern spielte auch eine führende Rolle bei der Entsendung von deutschen Truppen nach Afghanistan. 2001 leitete er dann die Petersberg-Konferenz, die Hamid Karzai als Lakaien der US-Regierung zum Chef der afghanischen Übergangsregierung erkor.

Fischers Wandlung von einem pazifistischen Politiker und langjährigen führenden Mitglied der Grünen zu einem Sprachrohr des deutschen Militärs und der aggressivsten Teile der deutschen Bourgeoisie ist für eine ganze Schicht ehemaliger kleinbürgerlicher Radikaler und grüner Aktivisten symptomatisch.

1999 rechtfertigte Fischer die deutsche Intervention in Jugoslawien mit der angeblichen Notwendigkeit, einen neuen Holocaust zu verhindern. Das deutsche Eingreifen in Afghanistan und im Kongo wurde dann mit der Verbreitung von "Frieden und Demokratie" gerechtfertigt. Heute spricht Fischer direkt im Namen der strategischen Interessen der deutschen herrschenden Klasse und setzt bereitwillig das Leben junger deutscher Männer für ein neues imperialistisches militärisches Abenteuer aufs Spiel.

Weil Fischer sich der Stärke des Widerstandes gegen einen solchen Schritt bewusst ist, fordert er die konservative Kanzlerin auf, "Führungsstärke" zu zeigen und nicht nur gegen den Konsens in der Bevölkerung anzugehen, sondern auch gegen diejenigen, die das gültige Bundestagsmandat für die Bundeswehr verteidigen. Fischers jüngste Äußerungen zum Afghanistankrieg riechen nach Verachtung für den demokratischen Prozess und den Volkswillen. Er spricht jetzt für eine Schicht von kleinbürgerlichen Radikalen, die bereit sind, einen "starken Staat" zu unterstützen, um die Vertretung der imperialistischen Interessen Deutschlands sicherzustellen.

Siehe auch:
Joschka Fischer im hessischen Wahlkampf: Die Grünen - offen nach allen Seiten
(24. Januar 2008)
Sonderparteitag zu Afghanistan: Abstimmungsniederlage für Grünen-Vorstand
( 19. September 2007)