Washington nutzt Anschlag in Mumbai zur Verschärfung des "Kriegs gegen den Terror"
Von Bill Van Auken
5. Dezember 2008
aus dem Englischen (4. Dezember 2008)
US-Außenministerin Condoleezza Rice flog am Mittwoch nach Neu Delhi. Offiziell bestand ihr Auftrag darin, angesichts der 173 Toten der Terroranschläge von Mumbai, das Beileid der US-Regierung zu übermitteln und dem indischen Volk die Solidarität der amerikanischen Regierung zu versichern.
Dies wird vermutlich eine der letzten großen Initiativen von Rice auf der Weltbühne sein. Für ihre Rolle bei der Durchsetzung der Aggressionskriege im Irak und Afghanistan, gegen den Willen der amerikanischen Bevölkerung, und für ihre Unterstützung der amerikanischen Folterpraktiken und "außerordentlichen Überstellungen" hat sie sich einen Platz auf der Anklagebank eines Kriegsverbrechertribunals verdient.
Berüchtigt war ihre Bemerkung, der israelische Krieg von 2006, der Tausende libanesische Zivilisten das Leben kostete, sei die "Geburtsstunde" des Friedens. Wegen dieser Bemerkung wurde die amerikanische Außenministerin im Nahen Osten von Demonstranten häufig als Vampir mit bluttriefenden Fängen dargestellt.
Das Bild ist eine passende Metapher für ihren aktuellen Ausflug nach Südasien. Sie leitet einen Vorstoß Washingtons, der das Blut der unschuldigen Opfer von Bombay für den so genannten "Krieg gegen den Terror" nutzbar machen soll, denn das ist für Washingtons geostrategische Interessen von großer Bedeutung.
In Neu Delhi übte Rice gezielten Druck auf Pakistan aus. Sie erklärte, die Regierung müsse "entschlossen und eindringlich handeln und umfassend und transparent kooperieren". Pakistan selbst hat die Terroranschläge verurteilt und streitet jegliche Beteiligung seiner Staatsorgane ab.
Rice deutete eine nicht existierende Verbindung zwischen al-Qaida und den Anschlägen von Mumbai an. Sie sagte: "Hier ist deutlich die Handschrift von al-Qaida erkennbar." Später musste sie zurückrudern, doch sie hielt daran fest, dass sich die Angreifer auf Indiens Wirtschaftshauptstadt und die Attentäter vom 11. September "in den gleichen Kreisen bewegen".
Wenn es eine Verbindung zwischen den Anschlägen von Mumbai und denen vom 11. September gibt, dann liegt sie in der amerikanischen Reaktion. Sieben Monate nach den Flugzeugangriffen auf das World Trade Center und das Pentagon nannte Rice diese tragischen Ereignisse "eine enorme Chance für eine neue Machtbalance". Das Blutbad von Indien sieht Washington jetzt unter dem gleichen Blickwinkel: nämlich, wie es seine Interessen in Südasien stärken kann.
Während Rice in Neu Delhi weilte, besuchte der Vorsitzende des amerikanischen Generalstabs, Admiral Mike Mullen, Islamabad und übte starken Druck auf die acht Monate alte pakistanische Zivilregierung und auf die Militärführung aus.
Mullen hieb in die gleiche Kerbe wie Rice in Neu Delhi und forderte von der Regierung von Präsident Asif Ali Zardari "alle möglichen Verbindungen zu Gruppen, die von Pakistan aus operieren, aggressiv zu untersuchen". Aber der Admiral ging noch weiter und erklärte, die pakistanische Regierung müsse "stärker und besser abgestimmt gegen militante Extremisten im ganzen Land vorgehen".
Diese letzte Bemerkung zielte deutlich darauf ab, vom pakistanischen Militär intensivere Operationen in Wasiristan, den zentral verwalteten Stammesgebieten und anderen Gebieten an der Grenze zu Afghanistan zu verlangen. In diesen Regionen finden die afghanischen Kräfte, die gegen die siebenjährige amerikanische Besatzung kämpfen, Unterstützung und Unterschlupf. Die amerikanische Armee hat schon mehrfach von sich aus diese Gebiete angegriffen und pakistanische Zivilisten bei Luftangriffen oder Kommandounternehmen getötet.
Es ist offensichtlich, dass Washington in den Ereignissen von Mumbai seine Chance wittert. Es hofft, Pakistan zu einer stärkeren Unterstützung des Kriegs in Afghanistan zwingen zu können, oder, wenn das nicht gelingt, sein eigenes, stärkeres Eingreifen zu rechtfertigen.
In dieser Hinsicht war eine Kolumne in der Washington Post vom Dienstag von Robert Kagan bedeutsam. Kagan ist ein führender Befürworter des Irakkriegs mit engen Verbindungen zum Weißen Haus. Er forderte eine internationale Truppe für eine Invasion in Pakistan, um "Terrorlager in Kaschmir und in den Stammesgebieten trocken zu legen".
Zur Rechtfertigung einer solchen Militärintervention erklärte Kagan, es "wäre nützlich für die Vereinigten Staaten, Europa und andere Nationen, mit der Durchsetzung des Prinzips zu beginnen, dass Pakistan und andere Länder, die Terroristen beherbergen, die Beachtung ihrer Souveränität nicht für selbstverständlich nehmen sollten. Im 21. Jahrhundert muss man sich seine souveränen Rechte verdienen."
Eine solche Initiative "zur Internationalisierung der Reaktion" auf den Anschlag von Mumbai, argumentiert Kagan, "hätte den Vorteil, eine direkte militärische Konfrontation zwischen Indien und Pakistan zu verhindern".
Schließlich seien solche Interventionen notwendig, behauptet er, weil die USA die "Verpflichtung haben, dem indischen Volk zu zeigen, dass wir Angriffe auf Indien genau so ernst nehmen wie Angriffe auf uns selbst".
Hier werden der Versuch, den 11. September mit Mumbai zu verquicken, und die Folgen dieses Amalgams recht deutlich. Die Terroranschläge in Indien werden genau wie die Anschläge von 2001 als Vorwand für einen neuen Aggressionskrieg genommen. Sie sollen rechtfertigen, dass man sich über die Souveränität eines historisch unterdrückten Landes einfach hinwegsetzt.
Die militärische Konfrontation zwischen Indien und Pakistan, vor der Kagan warnt, ist durch das Eingreifen des US-Imperialismus in der Region nur wahrscheinlicher geworden.
Für die strategischen Interessen der USA wäre ein solcher Krieg eine ernste Bedrohung, weil Pakistan höchstwahrscheinlich Truppen von seiner Westgrenze mit Afghanistan nach Osten an die indische Grenze verlegen würde. Das würde die Grenzregion und die wichtigen Versorgungswege für die US- und Nato-Truppen in Afghanistan entblößen.
Für die Menschheit brächte ein solcher Krieg die Gefahr eines nuklearen Konflikts mit Millionen Opfern.
Die Krise bricht nur sechs Wochen vor Obamas Einführung in das Präsidentenamt aus. Hier kann man, wie in andern Bereichen, mit einem "nahtlosen Übergang" rechnen. Obama hat immer wieder betont, dass die Eskalation des Kriegs in Afghanistan für seine Regierung oberste Priorität haben wird, und das schließt seine Ausweitung nach Pakistan mit ein.
Auf der Pressekonferenz am Montag, auf der er sein Nationales Sicherheitsteam vorstellte, bediente sich Obama vorbehaltlos der Sprache des "Kriegs gegen den Terror" und ließ erkennen, dass er ähnlich zynische Rechtfertigungen für amerikanische Aggressionen anbieten wird, wie George W. Bush.