Urabstimmung bei Lufthansa
Verbreitete Ablehnung des Verdi-Abschlusses
Von Markus Salzmann
15. August 2008
Fast die Hälfte der Verdi-Mitglieder bei Deutschlands größter Fluglinie Lufthansa haben den von der Dienstleistungsgewerkschaft ausgehandelten Tarifabschluss abgelehnt. Bei der Urabstimmung stimmten 51 Prozent mit Ja. Nach geltendem Arbeitsrecht waren für eine Annahme nur 25 Prozent notwendig.
Verdi-Verhandlungsführer Erhard Ott ging über die hohe Zahl der Nein-Stimmen glatt hinweg. Das Ergebnis zeige, "dass die Mehrheit der Beschäftigen das Ergebnis akzeptiert", sagte er. Doch trotz einer von Verdi intensiv geführten Kampagne ist es ihr nicht gelungen, einen große Mehrheit der Belegschaft von dem Tarifabschluss zu überzeugen. In der letzten Wochen waren Verdi-Funktionäre an den großen Flughäfen unterwegs, um mit Flugblättern für den Abschluss zu werben.
Bei der ersten Urabstimmung hatten sich über 90 Prozent dafür ausgesprochen, für eine Forderung nach 9,8 Prozent mehr Lohn bei einer einjährigen Laufzeit zu streiken. Was Verdi nun ausgehandelt hat, liegt weit darunter. Die Tariferhöhung beträgt für dieses Jahr 5,1 Prozent ab Juli und weitere 2,3 Prozent ab 2009. Der Vertrag läuft über 21 Monate.
Unter dem Strich geht das nur minimal über das von der Lufthansa vor dem Streik vorgelegte Angebot von 6,7 Prozent, bei einer Laufzeit von ebenfalls 21 Monaten hinaus. Aufs Jahr gerechnet übersteigt die Erhöhung kaum die Inflationsrate. Hinzu kommt, dass die Lufthansa-Beschäftigten in den letzten Jahren keine nennenswerten Lohnzuwächse verzeichnen konnten.
Bei dem fünf Tage andauernden Streik war Verdi sichtlich darum bemüht, den Schaden für das Unternehmen so gering als möglich zu halten. Verdi konzentrierte die Streikaktionen auf einzelne Flughäfen und Bereiche. Als trotz alledem der Streik nach einigen Tagen Wirkung zeigte und zahlreiche Flüge ausfielen, was sich für Lufthansa finanziell bemerkbar machte, einige sich die Gewerkschaft schnell mit dem Management.
So war es nicht verwunderlich, dass die Beschäftigten wütend auf den Abschluss reagierten. Flugzeugmechaniker, die gewerkschaftlich stark organisiert sind und bei denen die Streikbeteiligung nahezu hundert Prozent betrug, waren erbost über die Unterwürfigkeit der Gewerkschaft gegenüber dem Management. Bereits nach dem Abschluss hatten viele Lufthansa-Beschäftigte ihren Austritt aus der Gewerkschaft angekündigt, sollte der Abschluss in Kraft treten.
Der Vertrag gilt bislang nur für das Bodenpersonal. Für die Beschäftigten in der Kabine gibt es laut Verdi einen Vertrag mit dem gleichen Volumen, der aber unter dem Vorbehalt steht, dass die mit Verdi konkurrierende Gewerkschaft der Flugbegleiter, Ufo, dem Abschluss ebenfalls zustimmt.
Hierzu hatte Verdi bereits Gespräche mit dem Management und Ufo angekündigt. Im Namen der "Tarifeinheit" übt Verdi Druck auf Ufo aus. Ufo vertritt schon jetzt weit mehr Beschäftigte des Kabinenpersonals als Verdi und hat angekündigt, den von Verdi ausgehandelt Deal nicht zu akzeptieren. Ufo forderte bislang Lohnerhöhungen von 15 Prozent.
Streik der Piloten
Der schnelle Abschluss von Verdi hatte für die Lufthansa einen weiteren Vorteil. So konnte der Streik des Bodenpersonals nicht mit dem der Piloten zusammenfallen. Kurz nachdem Verdi den Streik vergangene Woche beendet hatte, führte ein Streik der bei der Lufthansa-Tochter Cityline beschäftigten Piloten zu weiteren massiven Ausfällen und Verlusten bei der Fluglinie.
Rund 1.100 Piloten legten 36 Stunden lang die Arbeit nieder. Fast tausend Flüge mussten gestrichen werden. Die Flugzeugführer wollen eine Angleichung ihrer Gehälter an die der Kollegen beim Mutterkonzern. Die Gehälter liegen bei Cityline trotz ähnlich schwerer Arbeitsbedingungen teilweise bis zu 20 Prozent unter dem der Lufthansa.
Durch den von vergangenen Mittwoch bis Freitag andauernden Ausstand musste Cityline rund 90 Prozent ihrer Flüge streichen. Die Lufthansa-Tochter bedient täglich rund 400 Flugverbindungen in Deutschland und Europa.
Auch nach dem Ende des Warnstreiks kamen die Parteien zu keiner Einigung. Die Pilotenvereinigung Cockpit hat bereits angekündigt, in den nächsten Tagen über weitere Streiks zu beraten.
Die Lufthansa hatte zuletzt ein schon fast provokatives Angebot vorgelegt. Neben Einmalzahlung ab Juli 2008 bot sie eine Gehaltserhöhung von drei Prozent und ab Januar 2009 um weitere 2,5 Prozent an.
Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber forderte die Piloten auf, das Angebot zu akzeptieren. Recht offen drohte er damit, Stellen zu streichen, sollten die Lohnabschlüsse in den Augen des Vorstandes zu hoch ausfallen. Er erklärte, angesichts der "unüberhörbaren Alarmglocken" sägten die Piloten "an dem Ast, auf dem sie sitzen".
Aus dem Mund von Mayrhuber sind solche Äußerungen schlichtweg unverschämt. Im letzten Jahr gönnte er sich und seinen beiden Vorstandskollegen jeweils eine Gehaltserhöhung von 48 Prozent. Zur selben Zeit fuhr das Unternehmen Rekordprofite ein. Im ersten Halbjahr dieses Jahres stieg der operative Gewinn um 45 Prozent auf 705 Millionen Euro. Der Gesamtumsatz betrug 12,1 Milliarden Euro. Im letzten Jahr verbuchte das Unternehmen, durch den Verkauf verschiedener Anteile einen Rekordgewinn von 992 Millionen Euro.
Auch die Piloten der Lufthansa, die ebenso wie die von Cityline mehrheitlich in der Vereinigung Cockpit organisiert sind, drohten mit Arbeitsniederlegungen. Ihr Ziel ist eine eigene Vertretung im Unternehmen, um künftig eine bessere Stellung bei den Forderungen nach Löhnen und Arbeitsbedingungen zu haben.
Angriff auf das Streikrecht
Die Arbeitskämpfe und die Lohnforderungen bei der Lufthansa haben Mayrhuber zu einem Hilferuf an die Politik veranlasst. Es bestehe "dringender Handlungsbedarf", das Problem "konkurrierender Gewerkschaften" zu lösen. In vielen Bereichen - er verwies dabei auch auf die Bahn, würden sich die Lohnforderungen verschiedener Gewerkschaften "gegenseitig hochschaukeln". Die Forderung zieht auf die auch von Verdi viel gepriesene "Tarifeinheit" ab, die sicherstellen soll, dass nur eine Gewerkschaft in großen Unternehmen tonangebend ist, die auch mit dem Management zusammenarbeitet.
Mayrhubers Forderung wurde von Politikern aller Parteien sofort aufgegriffen. Auch der SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend und der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz forderten Einschränkungen der Tarifautonomie und des Streikrechts. Es sei für den Wirtschaftsstandort Deutschland "dauerhaft nicht hinnehmbar", wenn sich Streiks wie bei der Lufthansa oder zuvor der Deutschen Bahn AG durch die Konkurrenz von mehreren Gewerkschaften hochschaukelten, sagte Wend gegenüber der Passauer Neuen Presse. In einer Verfassungsänderung zur Einschränkung der Tarifautonomie könne deshalb etwa bestimmt werden, "dass es in einem Tarifgebiet nur eine tonangebende Gewerkschaft geben kann", an deren Abschluss sich andere orientieren müssten, forderte Wend.
Der Wirtschaftsweise und Arbeitsrechtsexperte Franz ging noch weiter und sprach sich für ein gesetzliches Verbot von Warn- und Sympathiestreiks aus.
Gestreikt werden dürfe "erst nach Ende der Friedenspflicht und eigentlich nur dann, wenn eine Einigung anders wirklich nicht zu erreichen ist", sagte er den Stuttgarter Nachrichten. Für ihn sei es "unverständlich", dass das Bundesarbeitsgericht die Hürden für Streiks gesenkt und Warnstreiks und Sympathiestreiks für rechtlich zulässig erklärt habe. Daher müsse nun "der Gesetzgeber eingreifen und diese unvernünftige Rechtsprechung korrigieren".