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Vierzig Jahre danach - Lehren aus dem Leben - und Tod - von Dr. Martin Luther King Jr.

Von Patrick Martin
16. April 2008

Zum 40. Jahrestag der Ermordung von Dr. Martin Luther King Jr. fand in Memphis, Tennessee, wo der Führer der Bürgerrechtsbewegung umgebracht wurde, ein Marsch statt. Außerdem gab es zahlreiche Gedenkfeiern und Würdigungen überall im Land und ein lebhaftes Medieninteresse.

Allerdings vermittelten nur wenige dieser Aktivitäten einen Eindruck von dem wirklichen King und seiner historischen Bedeutung, seinen Leistungen und seinen Grenzen. Das amerikanische politische Establishment hat enge Grenzen abgesteckt, was über den Mann gesagt wird, der vormals als gefährlicher Agitator angesehen wurde, und den das FBI unbarmherzig jagte.

Vor fast einem Jahrhundert schrieb V. I. Lenin in Staat und Revolution: "Die großen Revolutionäre wurden zu Lebzeiten von den unterdrückenden Klassen ständig verfolgt, die ihrer Lehre mit wildem Ingrimm und wütendem Hass begegneten, mit zügellosen Lügen und Verleumdungen gegen sie zu Felde zogen. Nach ihrem Tode versucht man, sie in harmlose Götzen zu verwandeln, sie sozusagen heilig zu sprechen, man gesteht ihrem NAMEN einen gewissen Ruhm zu zur "Tröstung" und Betörung der unterdrückten Klassen, wobei man ihre revolutionäre Lehre des INHALTS beraubt, ihr die revolutionäre Spitze abbricht, sie vulgarisiert."

King war ein Reformer, Pazifist und baptistischer Pfarrer, kein revolutionärer Sozialist. Gleichwohl war er der Führer einer Massenbewegung, die mehr als ein Jahrzehnt lang gegen die barbarische Rassenunterdrückung im amerikanischen Süden gekämpft hat. Lenins Bemerkung charakterisiert treffend den Prozess, durch den der Bürgerrechtsführer zu einer öffentlichen Ikone gemacht und zum Adressaten abgeschmackter Würdigungen zeitgenössischer kapitalistischer Politiker wurde. Die Liste der Verehrer umfasst Hillary Clinton, Barack Obama, John McCain (der einst gegen einen nationalen Gedenktag für King gestimmt hat) und sogar von den amerikanischen Präsidenten George W. Bush.

Aber King war nicht nur der Autor der "Ich habe einen Traum"-Rede, welche die Schulkinder überall im Land auswendig lernen, oder von Abhandlungen über Gewaltfreiheit à la Ghandi. Auch vierzig Jahre später ist der wirkliche historische King immer noch eine außergewöhnliche Persönlichkeit, ein überzeugter, glaubwürdiger und von Prinzipien geleiteter Gegner der Unterdrückung, ein Mann mit großem körperlichem und moralischem Mut. Trotz der Begrenztheit seiner religiösen Ideologie und seiner reformistischen Politik, forderte er die Machtstruktur seiner Zeit heraus, nicht nur in der Frage der Rassendiskriminierung, sondern auch in Bezug auf Krieg, Armut und die Struktur der Gesellschaft, in der er lebte.

King wurde ein immer leidenschaftlicherer Gegner der Kriegspolitik, die die Regierung von Lyndon Johnson verfolgte, und brach offen mit dem demokratischen Präsidenten, der sein Verbündeter bei der Verabschiedung von Bürgerrechtsgesetzen gewesen war. Die Vereinigten Staaten, erklärte King, "sind heute diejenigen, die am meisten Gewalt auf der Welt ausüben", wobei er sich nicht nur auf den Vietnamkrieg, sondern auch auf die Unterstützung der USA für repressive Diktaturen in vielen Ländern bezog.

In einer Rede zwei Monate vor seinem Tod, nannte King die amerikanische Außenpolitik einen "erbitterten, gigantischen Wettkampf um die Vorherrschaft". Noch einmal Bezug nehmend auf Vietnam erklärte er: "Wir sind Kriminelle in diesem Krieg" und "haben fast mehr Kriegsverbrechen verübt als irgendeine andere Nation auf der Welt".

Diese Deutlichkeit und moralische Leidenschaft muss man nur mit den verlogenen "Antikriegs"-Reden der heutigen demokratischen Politiker vergleichen, die ausnahmslos den Heroismus und die edle Gesinnung der amerikanischen Soldaten preisen, während sie den Krieg im Irak vor allem als eine Ablenkung von größeren Aufgaben des amerikanischen Militärs in anderen blutigen Abenteuern kritisieren - Afghanistan, Pakistan, Iran, etc. Obama zum Beispiel verbindet seine Kritik am Krieg immer mit der Forderung nach einer Aufstockung, nicht dem Abbau, von Soldaten und Ausrüstung für die US-Kriegsmaschinerie.

King kam zu seiner Ablehnung des Kriegs in Vietnam durch ein wachsendes Verständnis des Zusammenhangs von Militarismus im Ausland und repressiver sozialen Struktur im Inland. Er sah, wie die wirtschaftlichen Mittel, die von der Johnson-Regierung für den "Krieg gegen die Armut" versprochen worden waren, im Morast des Vietnam-Kriegs versanken.

Gegenüber seinen Mitarbeitern im Southern Christian Leadership Council erklärte King, dass die Bürgerrechtsreformen der frühen 1960er Jahre "bestenfalls Änderungen an der Oberfläche waren", die "vor allem auf die schwarze Mittelklasse beschränkt" blieben, und er fügte hinzu, dass jetzt Forderungen erhoben werden müssten, um die Armut abzuschaffen. "Wir erklären, dass etwas nicht in Ordnung ist... mit dem Kapitalismus", folgerte er. "Es muss eine bessere Verteilung des Reichtums geben und vielleicht muss sich Amerika in Richtung eines demokratischen Sozialismus bewegen."

Es ist nicht vorstellbar, dass solche Worte von Barack Obama kommen, der in einem kürzlichen Interview mit BusinessWeek "konfiskatorische" Steuern für die Reichen ablehnte und erklärte: "Meine Gegner auf dem rechten Spektrum möchten mich gerne als wilden Liberalen darstellen, aber ich glaube an den Markt. Ich glaube an das Unternehmertum. Ich glaube an den Kapitalismus und ich möchte Dinge tun, die funktionieren." Was Hillary Clinton angeht, so hat sie ihre Rolle bei der Verteilung des Reichtums am Freitag demonstriert, als sie ihre Steuererklärung veröffentlichte. Aus der geht hervor, dass sie und ihr Ehemann seit Verlassen des Weißen Hauses 109 Millionen Dollar eingenommen haben.

Im letzten Jahr seines Lebens, von seiner öffentlichen Antikriegsrede in der Riverside Church in New York bis zu seiner Ermordung in Memphis, befand sich King in einer wachsenden politischen Krise. Die konservativen Bürgerrechtsorganisationen und ein Großteil des Demokratischen Partei-Establishments hatten ihm wegen seiner offenen Kritik am Vietnam-Krieg den Rücken gekehrt.

Die militanteren Befürworter physischen Widerstands gegen Polizeigewalt und Rassenunterdrückung, wie die Black Panthers, der SNCC (Student Nonviolent Coordinating Committee) and Malcolm X, erfuhren wachsende Unterstützung von der schwarzen Jugend, speziell in den städtischen Zentren außerhalb des Südens, die im Sommer 1967 von Unruhen erfasst wurden.

Obwohl er die Aufstände in den Ghettos als Ablehnung des Prinzips der Gewaltlosigkeit bedauerte, sah er deren gesellschaftliche Wurzeln, und erklärte: "Ein Aufstand ist im Grunde die Sprache der Ungehörten."

King selber hatte angefangen, die Notwendigkeit für einen breiteren Kampf gegen die ökonomischen Bedingungen zu sehen, mit denen nicht nur die schwarzen, sondern alle arbeitenden Menschen konfrontiert sind. Er hatte deshalb die Entscheidung getroffen, eine "Kampagne der armen Leute" zu beginnen, um zehntausende von Demonstranten im Sommer 1968 nach Washington zu führen, und zwar trotz der Bitten der Demokraten bis nach den Präsidentschaftswahlen zu warten. Wie berichtet wird, überlegte er auch, eine unabhängige Präsidentschaftskampagne zu starten und die Fragen des Kriegs und der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit in den Mittelpunkt zu stellen.

Der Führer der Bürgerrechtsbewegung reiste im März 1968 nach Memphis, um einen Streik schwarzer Kanalisationsarbeiter zu unterstützen; sie waren in den Streik getreten, nachdem zwei Arbeiter von Pressvorrichtungen an ihren Fahrzeugen zu Tode gequetscht worden waren. Der Streik zog sich über zwei Monate hin, in denen die Arbeiter trotz Polizeischikanen und rassistischer Einschüchterung regelmäßig Protestdemonstrationen organisierten.

Die erste Demonstration, an der King teilnahm, führte zu einem gewaltsamen Zusammenstoß zwischen der Polizei und Jugendlichen vor Ort; dabei starb eine Person, 62 wurden verletzt und 218 inhaftiert. King bereitete eine zweite Demonstration vor, als er am 4. April auf dem Balkon vor seinem Zimmer im Lorraine Motel erschossen wurde.

In den stundenlangen Medienberichten und den Zeitungsartikeln zum Jahrestag wird dem Ereignis selbst vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gewidmet -King soll angeblich von einer einzigen Kugel getötet worden sein, abgefeuert aus dem Hinterhalt von James Earl Ray.

Die Ermordung von Dr. King stimmt in wichtigen Merkmalen mit den anderen politischen Morden der 1960er Jahre überein, besonders denen an Präsident John F. Kennedy und Senator Robert Kennedy. Alle drei Morde wurden angeblich von "Einzel-Attentätern" verübt, die nur von ihrem inneren Dämon getrieben wurden.

Keiner der Mörder wurde tatsächlich vor Gericht gestellt - Lee Harvey Oswald wurde selbst von Jack Ruby ermordet, während James Earl Ray and Sirhan Sirhan eine Absprache mit der Staatsanwaltschaft akzeptierten, um der Todesstrafe zu entgehen, - was zur Folge hatte, dass ein großer Teil der Beweise gegen sie nie von einem Gericht geprüft wurde. Bei jedem der Morde blieben wichtige Fragen offen, die darauf hindeuten, dass die Gangster nur kleine Rädchen in einer größeren Verschwörung waren oder einfach Sündenböcke, die ausgesucht wurden, um die Schuld für Morde auf sich zu nehmen, die von mächtigen Hintermännern organisiert wurden.

Wenn eine solche Serie von Morden in einem anderen Land passiert wäre, wäre der Ausgangspunkt für die Untersuchung die Annahme eines politischen Motivs gewesen. Zum Beispiel der Mord an liberalen Journalisten in Russland aus neuerer Zeit: hier wird allgemein vermutet, dass die Regierung Putin und die Sicherheitskräfte darin verwickelt sind.

Warum sollte nicht eine ähnliche Vermutung die Untersuchung der Ermordung der prominentesten Persönlichkeiten der liberalen Politik der Vereinigten Staaten von 1963 bis 1968 anleiten? Die Suche nach den Hintermännern der Mörder würde logischerweise in den politisch rechten Kreisen und im Staatsapparat beginnen, die von der Beseitigung ihrer äußerst prominenten Gegner profitieren konnten.

Darüber hinaus - was waren denn die Methoden der US-Geheimdienste in den 1960er Jahren? Politische Persönlichkeiten im Ausland, die als bedrohlich oder einfach unbequem angesehen wurden, ließ die "Mörder GmbH" des CIA einfach beseitigen. Das war die Zeit der Ermordung von Patrice Lumumba (1961), Rafael Trujillo (1961) und Ngo Dinh Diem (1963) sowie zahlloser Versuche, Fidel Castro umzubringen.

Der amerikanische Geheimdienstapparat führte innerhalb der Vereinigten Staaten Krieg gegen radikale Gegner wie die Black Panther, die das Ziel zahlreicher Mordkomplotte der örtlichen Polizeistellen und der COINTELPRO-Operation des FBIs waren. Man nahm allgemein an, dass das FBI eine wichtige Rolle bei der Organisierung von gewalttätigen Provokationen gespielt hat, mit denen Bürgerrechtsführer wie King und die Massenbewegung gegen den Krieg in Verruf gebracht werden sollten.

FBI Direktor J. Edgar Hoover war ganz besonders von King besessen; er hatte ihn als "den gefährlichsten Neger Amerikas" gebrandmarkt, führte umfangreiche Abhör- und Überwachungsmaßnahmen gegen ihn durch und inszenierte Hassbriefe, zu denen auch Morddrohungen gehörten. Dieselbe Behörde wurde damit beauftragt, Kings Ermordung zu untersuchen, und tischte dann Ray als vermutlichen Einzeltäter auf. Es gibt kaum Zweifel daran, dass die FBI-Version des Mordes Schönfärberei ist.

Ray war trotz seiner Vergangenheit als Landstreicher und Kleinkrimineller in der Lage, sich einen gefälschten Pass zu besorgen und nach dem Mord an King nach Europa zu fliehen. Er wurde in der Folgezeit verhaftet, ausgeliefert, bekannte sich schuldig und wurde zu 99 Jahren Gefängnis verurteilt. Später versuchte Ray sein Schuldbekenntnis zurückzunehmen, und seine Verurteilung anzufechten. Er behauptete jetzt, er sei nicht der Schütze gewesen. Andrew Young, ein ehemaliger enger Berater von King, der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen wurde, erklärt jetzt rundheraus, Ray habe nichts mit Kings Tod zu tun. Kings Familie kam zu der gleichen Schlussfolgerung.

Vierzig Jahre nach der Ermordung von Dr. King sind die Beschränkungen seiner reformistischen Perspektive offensichtlich. Trotz der Abschaffung der offiziellen Rassentrennung im Süden haben sich die sozialen Verhältnisse für die Mehrheit der schwarzen arbeitenden Bevölkerung nicht grundsätzlich geändert. Hunger, Obdachlosigkeit, Armut und Arbeitslosigkeit sind unter den Schwarzen krasser als unter der Gesamtbevölkerung und heute schlimmer als zu irgendeiner Zeit seit Kings Tod. Die Zahl von Afroamerikanern, die im Gefängnis sitzen, ist mit mehr als 900 000 sechsmal so hoch wie 1970.

Für die privilegierteste Schicht von Schwarzen haben die letzten vier Jahrzehnte beträchtliche Vorteile gebracht. Zirka 10 Prozent der schwarzen Haushalte haben ein Einkommen von über 100.000 Dollar im Jahr, eine Steigerung um das Fünffache, obwohl diese Summe kaum bedeutet, das man im Luxus lebt. Die Zahl der schwarzen Millionäre und Multimillionäre ist, obwohl sie klein ist, in die Höhe geschossen. Es gibt 10.000 gewählte schwarze Abgeordnete, eine Steigerung um das Achtfache, und Obama - einer der frisch gebackenen schwarzen Millionäre - könnte durchaus der erste afrikanisch-amerikanische Präsident werden.

Das ist nicht das Ergebnis, dass King sich gewünscht hätte, und es repräsentiert auch nicht die Bestrebungen der Millionen von arbeitenden Menschen und Jugendlichen - weißen wie schwarzen - die an den Kämpfen der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre teilgenommen haben oder von ihnen inspiriert wurden. Diese Ziele werden nur durch die Entstehung einer neuen, politisch viel bewussteren Massenbewegung der arbeitenden Menschen vorangebracht werden, die das kapitalistische System als Ganzes in Frage stellt und herausfordert.

Siehe auch:
50 Jahre seit der Exekution der Rosenbergs
(2. Juli 2003)