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Warum The Nation zu Cindy Sheehans Austritt aus der Demokratischen Partei schweigt

Teil 1

Von David Walsh
29. Juni 2007
aus dem Englischen (18. Juni 2007)

Anfang Juni befasste sich die World Socialist Web Site bereits mit dem Umstand, dass die US-Friedensaktivistin Cindy Sheehan ihren Austritt aus der Demokratischen Partei angekündigt hat und andere auffordert, es ihr gleich zu tun. Bezeichnenderweise haben verschiedene amerikanische Antikriegsgruppen und linke Publikationen diese Erklärung Sheehans unterdrückt und totgeschwiegen.

Die WSWS beschäftigte sich dabei unter anderem mit der linksliberalen Zeitschrift The Nation und ihrem Washington-Korrespondenten John Nichols. Seither sind einige Wochen verstrichen und die Macher des Blatt, darunter auch Nichols, haben es immer noch nicht für nötig befunden, auf Sheehans Bruch mit den Demokraten einzugehen.

Sheehan ist die Mutter eines 24-jährigen Soldaten, der 2004 in Bagdad starb. Sie wurde einer öffentlichen Gestalt im politischen Leben Amerikas, als sie im August 2005 vor die Ranch von Präsident Bush im texanischen Crawford zog, um dort gegen den Präsidenten und die Politik seiner Regierung zu protestieren.

Am 26. Mai schrieb sie an die Demokraten im Kongress, nachdem diese der Bush-Regierung weitere 100 Milliarden Dollar für den Krieg bewilligt hatten. In ihrem nachdrücklich formulierten Brief heißt es: "Ihr glaubt, ihm [Bush] mehr Geld zu bewilligen sei politisch zweckdienlich, aber es ist moralisch abscheulich. Jede weitere Sekunde, die die Besetzung des Iraks andauert, bedeutet mehr Blut an euren Händen."

In ihrer Erklärung verurteilt Sheehan die Demokraten und spricht von ihrer "Mitschuld". Wenn im Herbst ein Zwischenbericht über den "Truppenaufbau" im Irak abgeliefert werde, so ihre Vorhersage, "ist jetzt schon klar, dass ihr ihm [Bush] noch mehr Geld gebt, nachdem ihr zuvor ein paar theatralische Gesten gemacht habt, um die Antikriegsfraktion in euren Partei hinters Licht zu führen." Sie erinnert die demokratischen Fraktionsführer im Senat und Repräsentantenhaus Harry Reid und Nancy Pelosi sowie andere Spitzenvertreter der Partei daran, dass bis dahin weitere Hunderte US-Soldaten "für euren politischen Egoismus ihr Leben vergeuden."

Sheehan fährt fort: "Wie könnt ihr überhaupt abends schlafen gehen oder euch im Spiegel in die Augen schauen? Wie könnt ihr die schreienden Mütter auf beiden Seiten der Front ausblenden? Wie könnt ihr mit den Qualen leben, die ihr verursacht habt? [...] Es war George Bushs Krieg. Ihr hättet ihn ehrenhaft beenden können. Jetzt ist es euer Krieg."

Das sind starke Worte.

In einem Interview in Amy Goodmans Radiosendung "Democracy Now" am 30. Mai sagte Sheehan dazu: "Wenn wir keine richtige dritte Partei bekommen - oder, wie einige Leute sagen, eine zweite Partei, denn Sie wissen ja, dass Demokraten und Republikaner einander sehr ähnlich sind und von denselben Leuten bezahlt werden - dann sind wir, dann ist unsere repräsentative Republik dem Untergang geweiht, da George Bush alle Macht bei sich konzentriert und der Kongress ihm diese Macht gegeben hat. Wir brauchen wirklich eine oppositionelle Partei in diesem Land."

Das Schweigen der Linksliberalen zu Sheehans Äußerungen ist das Zeichen einer Krise. Sheehan kann sagen, was ist - offen und ehrlich; jene können das nicht.

Die Reaktion von dieser Seite besteht hauptsächlich darin, Sheehans Abrechnung mit der Demokratischen Partei zu ignorieren und ihr herablassend auf die Schulter zu klopfen. Nichols spielt dabei eine führende Rolle. Er schrieb zwei Artikel für die Website von The Nation, von denen einer auch in der Printausgabe vom 17. Juni erschien. Beide Artikel beschäftigen sich ausschließlich mit einer weiteren Erklärung Sheehans vom 28. Mai, in der sie Erschöpfung und eine gewisse Verbitterung angesichts ihrer Erfahrungen in der Antikriegsbewegung bekennt und ihren Rückzug als Aktivistin erklärt.

Ist es nicht politisch unehrlich, wenn Nichols die ausdrückliche Verurteilung der Demokratischen Partei durch Sheehan nicht erwähnt? Warum bringt es der Korrespondent von The Nation nicht fertig, Sheehans Verlangen nach einem endgültigen Bruch mit den Demokraten wiederzugeben?

Offensichtlich vor allem deshalb, weil er ihre Ansichten nicht teilt. In einem seiner Artikel nennt Nichols sie eine "ehrliche Akteurin, die offen ausspricht, was sie denkt - manchmal leidenschaftlich, oftmals nicht ganz durchdacht, immer ehrlich - und ihren Worten Taten folgen lässt."

Er fährt im gleichen oberlehrerhaften Ton fort und bezeichnet Sheehan als eine "Demokratin nach Jefferson, im besten Sinne des Wortes" (Es wäre interessant zu wissen, für was Nichols sich hält). Weiter heißt es: "Man kann sicher über die politischen Ansichten Sheehans streiten. Sie würde wohl als erste zugeben, dass sie keine Expertin in Fragen von Wahlkampfstrategien oder taktischem Abstimmungsverhalten im Parlament ist."

Nichols mag hoffen, dass Sheehan ihre "leidenschaftlichen" und "nicht durchdachten" Äußerungen zum Austritt aus der Demokratischen Partei noch einmal überdenkt und wieder in den Stall zurückkehrt. Doch in seiner Unfähigkeit, die Demokraten zu verteidigen, zeigt ein außerordentlicher Mangel an politischem Selbstvertrauen. Das ist allerdings nachvollziehbar. Dass die Demokraten im Kongress nach monatelangem Theater Bush mit dem notwendigen Geld für die Weiterführung des kriminellen Konflikts im Irak ausstatteten, markiert einen Wendepunkt. Sheehan zog bestimmte Konsequenzen, und damit steht sie nicht allein.

Die Spezialität von The Nation und Nichols Rolle

Eine Spezialität der Zeitschrift The Nation besteht darin, der demokratischen Parteispitze ‘linke’ Ratschläge zu geben, sie zu besserer Politik anzuhalten und vor den Gefahren ihres rechten Kurses zu warnen. Es existiert jedoch keine Gefahr, dass die Zeitschrift ihre Unterstützung für diese unternehmerfreundliche Partei aufkündigt.

Nichols spezielles Aufgabenfeld ist es, diesen oder jenen demokratischen Politiker ungeachtet seiner politischen Geschichte aufzubauen und ihn als ‚erneuert’ und ‚neu erfunden’ anzupreisen. Dabei entdeckt er irgendwelche bislang verborgenen fortschrittlichen Züge an diesem oder jenem Mitläufer.

Ganz charakteristisch war die Rolle, die er 2004 bei der Kandidatur und im Wahlkampf von John Kerry spielte. Nachdem Howard Dean, der sich bei seiner Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten auf die Antikriegsstimmung in der Partei gestützt hatte, aus dem Rennen geflogen war, nahm sich Nichols der Aufgabe an, Kerry im bestmöglichen Licht erscheinen zu lassen. Den Höhepunkt stellte dabei sein Artikel in The Nation vom 22. März 2004 dar.

Nichols schreibt darin, Kerry habe den Wahlkampf als "inspirationsloser Nicht-Bewerber" begonnen, aber eine "extreme Wandlung" durchgemacht, die ihn zu einer "glaubwürdigen Alternative zu George W. Bush" heranreifen ließ. Nichols schwärmt weiter, "wie radikal diese Wandlung" in Handelsfragen, der Frage des Irakkriegs und anderen Fragen ausgefallen sei. In Bezug auf die Kriegsresolution gegen den Irak und den Patriot Act erklärt der Kolumnist von The Nation, dass Kerry, der im Parlament für die beiden reaktionären Maßnahmen gestimmt hatte, diese "im Wahlkampf auseinander zu nehmen lernte".

Als Kerry schließlich Anfang März 2004 zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten nominiert wurde, zeigte sich das politische und mediale Establishment einigermaßen erleichtert. Mit dem Kandidaten Kerry konnte der Irakkrieg praktisch aus dem Präsidentschaftswahlkampf herausgehalten werden, da zwei sorgfältig ausgewählte Kriegsbefürworter gegeneinander antraten.

Nichols Öffentlichkeitsarbeit für Kerry währte über das ganze Jahr 2004 hinweg. Nach dem Parteitag der Demokraten im Juli, der wie nie zuvor auf Patriotismus und Militarismus setzte, titelte Nichols "Kämpferischer Kerry" und schrieb, der Kandidat habe "die Dinge zu Ende gebracht, indem er angemessen aggressiv auf den Präsidenten einschlug." Tatsache ist, dass Kerry organisch unfähig war, in der Bevölkerung Begeisterung zu wecken, und sich in seinem Wahlkampf weitgehend dem rechten Programm der Republikaner anschloss.

Politik ist kein Spiel. Was Leute sagen und tun, hat Folgen. The Nation hat Tausende Leser, die vermutlich nach einer irgendwie linken Politik und Orientierung Ausschau halten. Indem er sich im Wahlkampf für Kerry ins Zeug legte, chloroformierte Nichols die Öffentlichkeit.

Vor den Kongresswahlen 2006 nahm Nichols - der Experte für Vorher und Nachher - die gleiche Haltung ein. Er kritisierte an den Demokraten, sie hätten im Wahlkampf alles Mögliche getan, "um kontroversen Fragen aus dem Weg zu gehen", verwies aber auf eine bessere Zukunft.

"Ich bin fasziniert von der charakterlichen Wandlung der Oppositionspartei", sagte er in einem Interview. "Und wenn so etwas passiert, dann werden wir einen anderen Kongress bekommen, einen viel interessanteren Kongress. Da gibt es einige Leute, die sehr gute Chancen haben, gewählt zu werden, und die ihren Wählern versprochen haben, in Washington etwas gegen den Krieg zu unternehmen. Wenn das klappt, dann wird es einen viel lauteren Kongress geben und einen Kongress, der in vieler Hinsicht wieder zu dem wird, was sich die Gründerväter der Republik vorgestellt hatten, das heißt eine Institution, die die Regierung in einer Weise kontrolliert, wie es der jetzige Kongress nicht getan hat."

Welch ein blinder und stumpfsinniger Kommentar! Die Macher von The Nation und ihr Umfeld - wohlsituierte Akademiker mit etwas sozialem Gewissen - brüsten sich, "keine Sektierer" zu sein. Sie sind die "praktischen Leute", "die politischen Realisten". Aber sie sind letztlich selbst ein Bestandteil des Establishments und ihre Erklärungen zeigen nur, wie weit sie von der Stimmung in der Bevölkerung entfernt sind.

Nichols schilt Sheehan wegen "ihrer Ansichten über die Politik und die Politiker", aber wie steht es mit seinen eigenen Prognosen? Was ist aus diesem vielversprechenden "viel interessanteren Kongress" geworden?

Am 7. Juni dieses Jahres musste Nichols zugeben, dass sich die amerikanische Bevölkerung von beiden Parteien angewidert abzuwenden beginnt. "Zu Ungunsten der Demokraten scheinen die Wähler zu der Auffassung zu gelangen, dass es die Oppositionspartei auch nicht viel besser macht als Bush", heißt es in seinem Artikel. Eine jüngste Umfrage zeigt, dass gerade einmal 23 Prozent der Bevölkerung mit der Arbeit des Kongresses zufrieden sind.

Und diese katastrophalen Werte sind nicht nur das Ergebnis der letzten Monate. Sehr viele Wähler machten im November 2006 nur aus Hass gegen Bush und den Krieg, aber ansonsten mit großem Misstrauen und Skepsis ein Kreuz bei den Demokraten. Ihre schlimmsten Ahnungen haben sich bestätigt.

Insofern Nichols und Konsorten tatsächlich glauben, was sie schreiben, leiden sie an ihrer eigenen Spielart von "liberalem Sektierertum", so weit entfernt sind sie von der sozialen Realität Amerikas.

Nichols moderiert für die Demokraten

Nichols ist kein Außenstehender. Es ist interessant, dass er Anfang Februar - und damit nur wenige Wochen, nachdem die Demokraten wieder die Mehrheit im Kongress gewonnen hatten - eine Veranstaltung moderierte, die vom so genannten Congressional Progressive Caucus, The Nation und dem Institute for Policy Studies ausging. Die Chefredakteurin und Herausgeberin des Magazins Katarina vanden Heuvel merkte an, dass der Congressional Progressive Caucus als Parlamentsfraktion der liberalen Demokraten trotz seiner 69 Mitglieder und seinem Status als größte Fraktion im Kongress unter der republikanischen Mehrheit im Keller des Kapitols tagen musste. Jetzt allerdings, so die Chefin von The Nation, kann die Fraktion ihre Zusammenkünfte im Rayburn House Office Building abhalten. In der Tat, die Aussichten haben sich gebessert!

Anwesend bei dem von Nichols moderierten Ereignis waren Größen der Demokratischen Partei wie die Abgeordneten Charles Rangel, Barney Frank, Maxine Waters, John Conyers, Dennis Kucinich und andere. Das Sehen und Gesehenwerden war ein wichtiger Teil dieser Versammlung.

Vanden Heuvel bemerkte: "Der Raum war mit Energie und Idealismus[!] gefüllt, und dies spiegelte das Verständnis der Fraktion wider, dass die besten Stunden der Demokratischen Partei jene sind, wenn sie mit breiten Volksbewegungen zusammenarbeitet [und] dass Demokratie funktioniert, wenn die Bürger sie für sich beanspruchen. Eines der Fraktionsmitglieder traf die Stimmung der Versammlung genau, als er sagte, wir sollten alle ein Lächeln auf den Lippen tragen. Wir sind vom gleichen Geiste und haben geholfen, die Richtung des Landes zu ändern und die letzte Wahl zu gewinnen. Dies ist ein neuer Tag für einen neuen Kurs."

Der genaue Anteil an Wunschdenken, Selbsttäuschung und bewusstem Betrug in dieser Bemerkung ist schwer einzuschätzen.

Der unermüdliche Nichols bereitet schon die Frühjahrssaison 2008 vor und bietet gewissen Demokratischen Präsidentschaftsbewerbern (Barack Obama, Bill Richardson) seine guten Ratschläge an und poliert, wo nötig, das Ansehen anderer etwas auf.

Nichols scheint am meisten den Ex-Senator John Edwards aus North Carolina zu favorisieren, obwohl er sich offensichtlich noch alle Optionen offen hält. (The Nation zeigt der New Yorker Senatorin Hillary Clinton eher die kalte Schulter, wird sie aber zweifellos unterstützen, falls sie die Nominierung gewinnen sollte.)

In seiner üblichen Art tadelte Nichols kürzlich Edwards für seinen "miserablen Plan zur Lösung der Probleme in ländlichen Gegenden Amerikas" im Wahlkampf 2004. Gleichzeitig lobte er den ehemaligen Vizepräsidentschaftkandidaten der Demokraten für seine neue Herangehensweise. "Dieses Jahr hat Edwards es besser gemacht", teilt The Nation seinen Lesern mit. Edwards neuer Plan "stellt den potenzieller Präsidentschaftskandidaten 2008 an die Seite der Farmer und nicht an die Seite der großen Lebensmittelkonzerne, die von seinem Plan aus dem Jahre 2003 profitiert hätten. [...] Der Kandidat und seine Berater haben seit 2003 eine Menge gelernt."

Und so weiter und so fort.

Wird fortgesetzt

Siehe auch:
Amerikanische Antikriegs-Gruppen schweigen über Cindy Sheehans Austritt aus der Demokratischen Partei
(14. Juni 2007)
Demokraten der Gruppe "Raus aus dem Irak" feiern ihre radikalen Freunde
(10. Februar 2007)