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Der historische Niedergang der Vereinigten Staaten und der Ausbruch von Militarismus

Teil 1

Von Nick Beams
24. Februar 2007
aus dem Englischen (12. Februar 2007)

Der folgende Vortrag wurde von Nick Beams im Rahmen einer Mitgliederversammlung der Socialist Equality Party (SEP) gehalten, die vom 25. Januar bis 27. Januar stattfand. Beams ist Nationaler Sekretär der SEP in Australien und Mitglied in der Internationalen Redaktion der World Socialist Web Site. Der Vortrag erscheint in drei Teilen; wir veröffentlichen heute den ersten Teil, die weiteren folgen in den nächsten Tagen.

Vor gut zwei Monaten, bei den US-Kongresswahlen am 7. November, erteilte die amerikanische Bevölkerung der Bush-Regierung und ihrem Kriegsprogramm eine massive Absage. Trotz eines täglichen Trommelfeuers aus Propaganda, Halbwahrheiten, Lügen und Fälschungen, trotz Medien, die sich als verlängerter Arm der Regierung verstehen, trotz Wahlfälschung und dem Fehlen jeglicher Opposition von Seiten des politischen Establishments stellte das Wahlergebnis eine erstaunliche Ablehnung des Irakkriegs und damit letztlich auch des "Kriegs gegen den Terror" dar, der seit fünf Jahren die Basis von Bushs Herrschaft bildet.

Die US-Wahlen 2006 waren von internationaler Bedeutung. Sie zeigten auf unmissverständlicher Weise, dass ganz im Gegensatz zu dem Bild, das uns häufig präsentiert wird, Amerika in Wahrheit eine zutiefst gespaltene Gesellschaft ist. Die Bush-Regierung ist - ebenso wie der amerikanische Imperialismus und Militarismus - weltweit verhasst, aber, wie das Wahlergebnis zeigt, nirgendwo mehr als in den Vereinigten Staaten selbst. Diese Oppositionsbewegung hat eine große Bedeutung für die Arbeiterklasse in jedem Land.

Das Wahlergebnis brachte die internationale Bewegung gegen die Invasion im Irak, die vor vier Jahren, im Februar 2003 sichtbar war, in den Vereinigten Staaten selbst zum Ausdruck. Eine der zentralen Aufgaben des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) und ihrer Sektionen besteht darin, die notwendigen theoretischen, politischen und praktischen Initiativen zu entwickeln, um diese Bewegung wieder zu beleben. Dazu sind die Lehren aus den Erfahrungen der vergangenen vier Jahre zu ziehen und unsere historische Analyse des 20. Jahrhunderts zugrunde zu legen.

Wenn die US-Wahlen vom 7. November die tieferen Stimmungen spiegelten, die unter der großen Masse der amerikanischen Bevölkerung herrschen, so war die Verkündung einer "neuen Strategie" durch den amerikanischen Präsidenten nur zwei Monate später ein Zeichen dafür, dass die bürgerliche Demokratie in den Vereinigten Staaten vollkommen ausgehöhlt und verfault ist. Trotz einer überwältigenden Ablehnung des Irakkriegs dehnt die Bush-Regierung nicht nur die Operationen im Irak aus sondern droht auch offen mit einem Krieg gegen Iran und Syrien, der den ganzen Nahen Osten in den Konflikt hineinziehen würde. In seiner Rede zur Lage der Nation wiederholte Bush diese Drohungen.

Ich möchte kurz auf den Inhalt der neuen Strategie eingehen. Doch vor allem unterstreicht sie eine Frage, die von großer Bedeutung ist und die wir immer betont haben: Die Intensivierung und Ausweitung des Kriegs wird begleitet von Angriffen, die sich gegen die Überbleibsel der Demokratie in den Vereinigten Staaten selbst richten und diese zu zerstören drohen.

Bei ihren Medienauftritten nach der Bekanntgabe der "neuen Strategie" betonten Bush und Cheney, dass sie sich weder von Wahlergebnissen noch von Kongressabstimmungen in ihren Kriegsplänen beeinflussen lassen. Bush sagte in einem CBS-Interview am 14. Januar: "Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass sie [die Kongressabgeordneten] versuchen könnten, mich aufzuhalten. Aber ich habe meine Entscheidung getroffen. Und wir werden voranschreiten."

Cheney war sogar noch unverblümter: "Der Präsident ist der Oberkommandierende. Er ist derjenige, der diese harten Entscheidungen zu treffen hat." Und weiter: "Er ist der Mann, der entscheiden muss, wie und wo die Streitkräfte eingesetzt werden. Der Kongress muss diese Bemühungen natürlich mit der Macht der Finanzaufsicht unterstützen. Er muss daher eine Rolle spielen, und wir wissen das zu schätzen. Aber man kann einen Krieg nicht von einer Diskussionsrunde führen lassen."

Hier ist bereits das Entstehen einer Präsidialdiktatur erkennbar: Der Präsident ist nicht dem Kongress verantwortlich. Der Präsident als Oberkommandierender hat vielmehr die Aufgabe, sich über den Willen des Volkes hinwegzusetzen, um die militärischen Ziele durchzusetzen, die von der Regierung beschlossen wurden.

Cheney sagte in einem Interview mit dem Fernsehsender Fox, es müsse die Vorstellung überwunden werden, dass der Präsident und seine Regierung irgendwie dem Willen des Volkes verpflichtet ist, der in der Zusammensetzung des Kongresses Ausdruck findet.

"Das gehört doch gerade zu jener grundlegenden Strategie, von der unsere Gegner glauben, sie plage die Vereinigten Staaten", sagte Cheney. "Sie sind überzeugt, die augenblickliche Debatte im Kongress, der Wahlkampf im vergangenen Herbst, all dies beweise, dass sie Recht haben, wenn sie sagen, die Vereinigten Staaten hätten nicht den Mumm, diesen langen Krieg gegen den Terror durchzustehen.

Davon sind sie überzeugt. Sie haben alte Beweise dafür vor Augen: den Libanon 1983 und Somalia 1993 und noch davor Vietnam. Sie sind überzeugt, dass die Vereinigten Staaten tatsächlich einpacken und nach Hause gehen, wenn sie nur genügend von unseren Leuten töten. Sie können uns nicht im direkten Kampf schlagen, aber sie glauben, sie können unseren Willen brechen. Und wenn wir einen Präsidenten haben, der auf die Umfragen achtet und sieht, dass die Umfragewerte nach unten gehen, und der darauf reagiert und sagt: ‚Oh mein Gott, wir müssen aufgeben’, dann wird das nur die Weltanschauung von al Qaida bekräftigen. Genau das sollte man nicht tun. Dieser Präsident stützt sich bei seiner Politik nicht auf öffentliche Meinungsumfragen, und er sollte das auch nicht tun. Es ist absolut notwendig, dass wir das hier richtig verstehen."

Die Ablehnung des Kriegs geht aber nicht nur aus einer Meinungsumfrage sondern aus einer Wahl hervor. Außerdem herrscht auch in der herrschenden Elite der USA selbst tiefe Verunsicherung. Die globale Position der Vereinigten Staaten hat sich - ökonomisch, politisch und sogar militärisch - deutlich verschlechtert. Das hat in herrschenden Kreisen deutliche Befürchtungen geweckt, die sich im Bericht der Baker-Hamilton-Kommission niederschlugen. Bush hat diesen Bericht einfach ignoriert.

Man gewinnt den Eindruck, dass das Gerüst des amerikanischen Staatssystems selbst in einer tiefen Krise steckt. Was passiert zum Beispiel im Fall einer Invasion in Syrien oder im Iran, wenn der Kongress sich dagegen stellt und die Rechtsgrundlage des Regierungshandelns in Frage stellt? Wird der Präsident einfach zuschlagen und den Kongress auflösen - mit der Begründung, dass dieser dem Feind hilft? Das ist die Konsequenz, folgt man Cheneys Argumentation.

In einem solchen Fall würden die Demokraten alles tun, um eine oppositionelle Massenbewegung zu verhindern - genauso wie im Jahre 2000, als sie die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs akzeptierten, der Bush den Wahlsieg auf dem Tablett servierte. Aber Millionen Menschen haben seitdem viele Erfahrungen gesammelt, und sie würden heute anders reagieren als damals.

Die Überlegungen zu einer Präsidialdiktatur gehen sogar noch weiter und erstrecken sich auch auf die Justiz. In einer Rede vor dem American Enterprise Institute - wo Bushs Plan für die Truppenaufstockung ersonnen wurde - vertrat Justizminister Alberto Gonzales die Ansicht, dass Richter sich nicht in Fragen der nationalen Sicherheit einzumischen haben. "Ein Richter wird nie in der Lage sein zu beurteilen, was im Sicherheitsinteresse des Landes ist." Die Justiz solle sich gegenüber der Regierung "in Bescheidenheit üben", wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit geht. "Wie sollen Richter an die ganzen Informationen, die kollektive Weisheit der gesamten Staatsführung gelangen [...] und entscheiden, was im nationalen Sicherheitsinteresse des Landes ist? Sie sind dazu nicht in der Lage."

Und weiter: "Ich versuche mir vorzustellen, ich wäre ein Richter. Was weiß ich über die Vorgänge in Afghanistan oder Guantanamo?"

Gonzales zufolge darf niemand die Kriegspolitik des Präsidenten in Frage stellen, weil er der "Oberkommandierende" ist. Regierungsmaßnahmen gegen amerikanische Bürger sollten nicht in den Zuständigkeitsbereich der Justiz fallen, wenn es um die "nationale Sicherheit" geht.

Die Haltung der "oppositionellen" Demokraten

Wenn Bush und Cheney glauben, sie könnten sich über die überwältigende Ablehnung des Kriegs in der Öffentlichkeit hinwegsetzen, so stützen sie sich dabei auf die Gewissheit, dass sie von den "oppositionellen" Demokraten keinen wirklichen Widerstand zu befürchten haben. Sie wissen genau, dass die Demokraten im Kongress keinesfalls Maßnahmen ergreifen, die sie wirklich behindern würden. Die Haltung der Demokraten skizzierte Jacob Weisberg kürzlich in einer beißenden Kolumne in der Financial Times vom 12. Januar.

Unter der Überschrift "Kongress ist hilflos, weil er nicht anders will" schreibt er: "Vor mehreren Jahrzehnten stellte der Psychologe Martin Seligman seine Theorie der ‚erlernten Hilflosigkeit’ auf. Infolge wiederholter Abstrafung gelangen Tiere und Menschen zu der Überzeugung, dass sie keine Kontrolle darüber haben, was mit ihnen geschieht, ob das nun stimmt oder nicht. In Seligmans Experiment erhielten Hunde wiederholt Elektroschocks und unterwarfen sich und winselten daraufhin sogar dann, wenn es in ihrer Macht lag, der Misshandlung zu entgehen.

Was auf die Hunde zutrifft, das stimmt auch für die Demokraten im Kongress. Theoretisch haben sie jetzt die Mehrheit in einem gleichwertigen Verfassungsorgan. Praktisch sind sie von Jahren der Demütigung durch die Arroganz der Regierung so traumatisiert, dass sie sich jedes Mal ducken und freundlich tun, wenn Herrchen mit einem Stock in ihre Richtung droht.

Dieses Phänomen zeigt sich auf erbärmlichste Weise, wenn es um die Zuständigkeit des Kongresses in Fragen der nationalen Sicherheit, des Terrorismus und des Kriegs im Irak geht. Vergangenen Sonntag wurde Senator Joseph Biden, das außenpolitische Schwergewicht der Demokraten bei einer Pressekonferenz gefragt, was er zu tun gedenkt, da Präsident George W. Bush seinen Plan zur Aufstockung der amerikanischen Truppen im Irak bekannt gegeben hat. ‚Da kann ich kaum etwas machen’, gab Biden zurück. ‚Da kann niemand großartig etwas dran ändern. Er ist der Oberkommandierende.’"

Im hier beschriebenen psychologischen Zustand der Demokraten zeigt sich, wie sehr die gesamte Perspektive des amerikanischen Liberalismus in sich zusammengefallen ist - ein Prozess, der sich über Jahrzehnte hingezogen hat.

Schwerer noch als psychologische Faktoren wiegt allerdings die politische Ausrichtung und Perspektive der Partei: Die Haltung der Demokraten entspringt der gemeinsamen Einschätzung sämtlicher Teile des politischen Establishments in den USA, dass die globale Vorherrschaft der Vereinigten Staaten mit allen Mitteln zu verteidigen ist. Die Differenzen mit der Bush-Regierung betreffen nicht dieses Ziel sondern lediglich ihre Methoden.

Die Demokraten haben allemal Differenzen mit Bush und seiner Regierung - genauso wie viele Republikaner. Aber sie haben keine wirkliche Alternative für den Weg zum gemeinsamen Ziel - die Verteidigung der Weltherrschaft Amerikas - zu bieten. Das weiß wiederum die Bush-Regierung nur allzu gut. Deswegen fragt sie ihre Kritiker immer wieder: "Was ist eure Alternative?" Unausgesprochen wird dabei vorausgesetzt, dass es darum geht, die globale Stellung der USA zu wahren.

Bush spricht über den "Krieg gegen den Terror" als den großen ideologischen Kampf unserer Zeit. Dabei gehe es, sagt er, um die Zukunft der Vereinigten Staaten selbst. Worum geht es aber wirklich? Niemand glaubt ernsthaft, dass die Terrorbanden von al Qaida oder Gruppen islamistischer Fanatiker die Vereinigten Staaten ernsthaft bedrohen können. In Wirklichkeit sind viel mächtigere Kräfte am Werk.

Einige von diesen Kräften wurden kürzlich in einem Artikel von Jeffrey Herf angesprochen, einem der so genannten Liberalen in der Demokratischen Partei. Herf unterstützt als Amerikaner das "Euston Manifest" und ist damit Teil einer in Großbritannien entstandenen Tendenz, welche die Invasion im Irak mit liberalen Prinzipien rechtfertigen will.

In seinem Artikel mit dem Titel "Neuer Liberalismus, radikaler Islam und der Irakkrieg" schreibt Herf: "Die politische Zukunft des Persischen Golfs und des Nahen Ostens ist von größter Bedeutung für das nationale Interesse der Vereinigten Staaten und unserer Verbündeten in Europa, ebenso für Indien und China." Dasselbe treffe auf die gemäßigten arabischen Länder zu. "Öl ist immer noch das Schmiermittel der Weltwirtschaft. Stabilität in dieser Region liegt deshalb im Interesse von Ländern in aller Welt. Es liegt im Interesse der Vereinigten Staaten und aller ölabhängigen Länder, dass weder radikale Islamisten noch säkulare Radikale, weder ein Führer wie früher Saddam im Irak noch der heutige Iran eine Hegemonialstellung in der Region erlangen. Eine solche Dominanz zu verhindern, ist ein zentrales, nicht nebensächliches Anliegen der Vereinigten Staaten.

Im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg war es das lebenswichtige Interesse der Vereinigten Staaten, dass keine Macht eine Vorherrschaftsstellung über ganz Europa und Asien einnahm."

Weiter heißt es bei Herf: "Die bestimmende Erfahrung der Generation, die dieses Land jetzt an verantwortlicher Stelle leitet, war der Vietnamkrieg. Im Gegensatz zum Irakkrieg wurde jener Krieg um ein Land geführt, das für die amerikanischen Interessen nicht entscheidend war, sondern diese nur am Rande berührte. [...] Die Kombination von Öl, potentiellen Massenvernichtungswaffen und den ideologischen Zielen des radikalen Islams bedeutet, dass es im Irak um viel mehr geht als in Vietnam."

Einen weiteren entlarvenden Einblick in das Denken der Demokratischen Parteispitze lieferte eine Diskussion über "Den Weg vorwärts im Irak", die vom Center for Strategic Studies am 8. Januar 2007 organisiert wurde. Das war die Veranstaltung, von der Barry Grey als Vertreter der World Socialist Web Site ausgeschlossen wurde. Dies allein unterstreicht die Tatsache, dass die Kritik der Demokraten an Bush sich nicht gegen den Irakkrieg an sich richtet, sondern vielmehr darauf abhebt, dass der Krieg so schlecht läuft und dadurch die langfristige strategische Stellung der USA gefährdet.

In der Diskussion sprachen vier führende Vertreter aus dem Streitkräfteausschuss im Repräsentantenhaus. Entlarvende Bemerkungen kamen insbesondere von Jim Marshall, einem Demokraten aus Georgia.

"Wir können uns als Land, als Staat und als Kongress natürlich weiter in kleinen Details verlieren und gleichzeitig das Große und Ganze aus den Augen verlieren. [...] Aber wenn man mal innehält und sich die globalen Gefahren anschaut, denen wir uns gegenüber sehen, dann gehen diese weit über den Irak und Afghanistan hinaus, und es wird deutlich, dass wir den Sinn für die Perspektive verlieren können. Ich will damit nicht sagen, dass der Irak und Afghanistan unwichtig sind. Ganz gewiss nicht. Aber die Welt steht heute vor wirklich erschreckenden globalen Fragen, die sich zu Gefahren für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten auswachsen werden.

Bedenkt nur die Tatsache, dass Amerika, genauer gesagt fünf Prozent der US-Bevölkerung, etwa 25 Prozent oder 40 Prozent des Weltvermögens besitzen. Bedenkt die Tatsache, dass etwa fünf Milliarden Menschen weltweit von zwei Dollar am Tag leben müssen. Hinzu kommen die Fragen von Klimawandel; wirtschaftlicher Integration, die nicht sehr gut koordiniert ist und für die es keinerlei Aufsichtsbehörde gibt; keine wirkliche regionale oder internationale Zusammenarbeit, die effektiv mit Dingen wie Pandemien, zunehmender Kriegsgefahr und globalen Terrornetzwerken umgehen könnte. [...] Die Welt rückt immer näher zusammen. Wenn das, was ein paar Leute irgendwo in fernen Gegenden tun, immer häufiger und immer stärker Auswirkungen auf der ganzen Welt hat, dann müssen wir uns als globale Zivilisation organisieren und uns den Herausforderungen stellen, vor denen wir stehen. [...] Das sind große Fragen, vor denen wir in unmittelbarer Zukunft stehen."

Kriegsvorbereitungen gegen den Iran

Der einzige Weg vorwärts für die Bush-Regierung ist die Ausweitung des Kriegs im Nahen Osten. Niemand hat bisher eine tragfähige Gegenstrategie vorgeschlagen. Seine Rede zur Lage der Nation vom 10. Januar, in der er diese Pläne vorstellte, war in zweierlei Hinsicht bemerkenswert.

Erstens wegen des Politikwechsels hinsichtlich der Lage im Irak, besonders in Bagdad, und zweitens wegen die Drohungen gegen Syrien und besonders gegen den Iran. Man könnte sogar sagen, dass nicht der Irak sondern der Iran im Zentrum von Bushs Rede stand.

In den vergangenen Wochen und Monaten sind eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen worden, die auf Kriegsvorbereitungen gegen den Iran hindeuten:

* Eine zweite Flugzeugträgerkampfgruppe wurde im Persischen Golf und Raketenabwehrbatterien vom Typ Patriot wurden in den Scheichtümern am Golf stationiert. Keine dieser Maßnahmen steht im Zusammenhang mit der Lage im Irak, aber beide sind wichtig in Hinblick auf militärische Operationen gegen den Iran - das gleiche trifft zu auf die Ernennung von William Fallon, einen Piloten der Marine, zum Kopf des Central Command, jener Kommandostruktur, die auch für Nahost zuständig ist.

* Im Dezember wurden mehrer iranische Diplomaten verhaftet, später folgten die Festnahmen von sechs weiteren in einem Bürogebäude, das seit 1992 als iranisches Konsulat dient.

* In seiner Rede erklärte Bush, dass die US-Armee "den Nachschub aus dem Iran und Syrien unterbrechen", und "die Netzwerke aufspüren und vernichten wird, die unsere Feinde im Irak mit modernen Waffen und Ausbildung versorgen." Es wurde allgemein, sogar in Kongressanhörungen, festgestellt, dass diese Initiativen große Ähnlichkeit mit den rechtswidrigen Operationen aufweisen, die das US-Militär während des Vietnamkriegs in Kambodscha ausführte.

* Nach Bushs Rede sind Mitglieder seiner Regierung mehrfach gezielt auf den Iran eingegangen. Typisch waren die Bemerkungen des Nationalen Sicherheitsberaters Stephen Hadley, der bei einer Pressekonferenz bemerkte, der Irakkrieg sei Teil eines "größeren Kampfes im Nahen und Mittleren Osten zwischen den Kräften von Demokratie und Freiheit und den Kräften von Terror und Tyrannei - hinter denen oft der Iran steckt."

Die wichtige Änderung hinsichtlich der Lage im Irak besteht darin, dass das amerikanische Militär nun gegen die Mehdi-Armee im Bagdader Vorort Sadr City vorgehen wird - mit oder ohne Zustimmung der Maliki-Regierung.

Von Anfang an war die US-Politik im Irak von einem Widerspruch geprägt. Einerseits verfolgte Washington nach wie vor das Ziel eines Regimewechsels im Iran. Die Vereinigten Staaten haben nie den Schlag überwunden, der ihnen 1979 durch den Sturz des Schahs versetzt wurde. Andererseits zimmerte die Besatzungsmacht in Bagdad eine Regierung zusammen, die politisch und materiell vom Iran unterstützt wurde. Wie sollte man diesen Widerspruch lösen?

Die Baker-Hamilton-Kommission schlug eine mögliche Lösung vor, die darin bestand, einen Dialog zu beginnen, der zu einer Übereinkunft mit Syrien und dem Iran führen könnte. Aber die Bush-Regierung lehnte diesen Weg ab, nicht zuletzt deswegen, weil er eine völlige Neuorientierung der amerikanischen Politik in Nahost und veränderte Beziehungen zu Israel erfordert hätte. Die einzige andere Alternative ist nun, das Programm eines "Regimewechsels" im Iran noch aggressiver zu verfolgen. Aber diese Option verlangt die Zerschlagung der schiitischen Milizen in Bagdad, die sonst im Falle eines Angriffs auf den Iran eine Offensive gegen die amerikanischen Truppen führen.

Die gleiche Logik stand hinter dem israelischen Krieg im Libanon im vergangenen Jahr. Ziel der Offensive war unter anderem die Vernichtung der Hisbollah und die Beseitigung jeder Bedrohung Israels aus dieser Ecke, sollte der Iran von Israel oder den Vereinigten Staaten selbst angegriffen werden.

Die Krise des Kapitalismus in Amerika und auf Weltebene

Die amerikanische Politik nimmt zunehmend einen irrationalen Charakter an. Jede Militärintervention schafft neue Probleme und neue Feinde, die dann mit noch mehr Militärgewalt eliminiert werden müssen. Dieser Wahnsinn geht aber nicht einfach aus der Bush-Regierung hervor. Er wurzelt in der Krise, die den Weltkapitalismus insgesamt und die Vereinigten Staaten insbesondere erfasst hat.

Um diesen Punkt auszuführen, will ich aus einem Artikel zitieren, der im Herbst 2006 im außenpolitischen Fachjournal Foreign Affairs vom liberalen Vordenker für internationale Beziehungen John Ikenberry veröffentlicht wurde. Schon seit Langem betrachtet Ikenberry die neue Doktrin der Bush-Regierung mit Sorge. Er bezieht sich dabei besonders auf die zunehmenden imperialistischen Ambitionen Amerikas, die die Welt stärker zu verändern drohen, als es das Ende des Kalten Kriegs tat.

"Amerikas erwachende neo-imperiale große Strategie droht das Gefüge der internationalen Gemeinschaft und politischen Partnerschaften zu einem Zeitpunkt zu zerstören, da dieses Gefüge und diese Partnerschaften wichtiger sind denn je. Es ist eine Strategie, die mit großen Gefahren befrachtet ist und wahrscheinlich scheitern wird. Sie ist politisch nicht durchzuhalten und zudem diplomatisch schädlich. Und wenn man nach der Geschichte gehen kann, dann wird sie Gegenwehr und Widerstände provozieren, die Amerika einer feindlichen und gespaltenen Welt aussetzen."

Ikenberry lobt die von den USA auf der Grundlage einer realistischen Außenpolitik geschaffene Ordnung der Nachkriegszeit, in der die Interessen anderer Staaten anerkannt und in Grenzen bedient wurden. Eine marktwirtschaftliche Ordnung wurde geschaffen, die "das stabilste und gedeihlichste internationale System in der Weltgeschichte ermöglichte."

Das wird nun von einer neo-imperialistischen Politik bedroht, die sich als nicht nachhaltig und letztlich schädlich für die amerikanischen Interessen erweist.

Abschließend betonte Ikenberry: "Die Vereinigten Staaten sollten ihre älteren Strategien erneuern, die von der Auffassung ausgingen, dass Amerikas Sicherheitspartnerschaften nicht einfach nützliche Instrumente sondern entscheidende Bestandteile einer unter amerikanischer Führung stehenden politischen Weltordnung sind, die es zu erhalten lohnt."

Neben Ikenberry haben auch andere weitsichtigere Liberale auf die katastrophalen Folgen der imperialen Politik Bushs hingewiesen. Aber keiner von ihnen kann die grundlegende Frage beantworten, warum diese fortgesetzt wird. Nach bald vier Jahren Krieg ist es einfach nicht mehr möglich, dafür nur das perverse Denken von Bushs außenpolitischen Planern verantwortlich zu machen. Bushs Politik muss tiefe gesellschaftliche Ursachen haben.

Das IKVI und die WSWS haben diese Ursachen nicht nur benannt, wir haben auch ihre historische Bedeutung betont. Erneut treten die grundlegenden Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise an die Oberfläche. Diese entspringen dem unversöhnlichen Konflikt zwischen den Produktivkräften und den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen sie sich entwickelt haben. Sie treten in der Form eines Konflikts zwischen der global integrierten Weltwirtschaft und dem kapitalistischen Nationalstaatensystem auf.

Die herrschende Elite der USA meint, diesen Konflikt lösen zu können, indem die Vereinigten Staaten die Vorherrschaft im kapitalistischen Weltsystem übernehmen. Aber sie versuchen dies unter stark veränderten Bedingungen. Eben jene Globalisierungsprozesse, die eine Weltherrschaft immer notwendiger erscheinen lassen, haben gleichzeitig die einst überwältigende ökonomische Dominanz der USA unterminiert. Gerade diese Wirtschaftsstärke bildete aber letztlich die Grundlage jenes "goldenen Zeitalters", auf das Ikenberry und andere Gegner des neuen Kurses so sehnsüchtig zurückblicken.

Der zentrale Widerspruch ist dieser: Genau in dem Moment, in dem es für den US-Kapitalismus aufgrund der Globalisierung der Produktion immer notwendiger wird, seine Hegemonie zu behaupten, fehlt ihm die ökonomische Potenz dafür.

Nehmen wir das Bruttoinlandsprodukt als Indikator. 1951 betrug der Anteil der USA an der Weltwirtschaft 27,8 Prozent. 2001 waren es nur noch 21,4 Prozent. Das ist weniger als der Anteil der so genannten entwickelten Länder Asiens (ohne Japan), die zusammen auf 24,6 Prozent kommen. Solche addierten Zahlen vermitteln aber kein vollständiges Bild. Die amerikanische Vorherrschaft nach dem Krieg beruhte auf den Kapazitäten seiner industriellen Massenproduktion. Etwa 60 Prozent der weltweiten industriellen Kapazitäten befanden sich in den USA. Heute haben die Vereinigten Staaten ein Handels- und Zahlungsbilanzdefizit, das mit drei Milliarden Dollar pro Tag finanziert werden muss.

Wird fortgesetzt.

Siehe auch:
Stoppt die US-Kriegsvorbereitungen gegen den Iran!
(16. Februar 2007)
Für eine internationale Bewegung von Arbeitern und Jugendlichen gegen den Irakkrieg
( 26. Januar 2007)