PSG-Wahlveranstaltung in Gießen
"Alles hängt von einer neuen politischen Entwicklung der Arbeiterklasse ab"
Von einem Korrespondenten
28. Dezember 2007
Für Dienstag, den 18. Dezember 2007, hatte die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) in einen Saal der Kongresshalle Gießen eingeladen, um im Rahmen des Hessenwahlkampfs über eine sozialistische Antwort auf Sozialabbau und Kriegsgefahr und den Aufbau einer neuen, internationalen Arbeiterpartei zu diskutieren. Obwohl die Teams nach der Frankfurter Auftaktveranstaltung nur eine knappe Woche Zeit hatten, um die Veranstaltung in Gießen vorzubereiten und bekannt zu machen, nahmen eine Reihe Leser und Sympathisanten und einige ganz neue Interessenten an der Versammlung teil.
Wie schon auf der Frankfurter Veranstaltung ging der hessische PSG-Landtagskandidat Helmut Arens auf die verheerende Bilanz der hessischen CDU-Regierung unter Roland Koch ein. Er erwähnte besonders Kochs Privatisierungspolitik, die für seinen neoliberalen Wirtschaftskurs bezeichnend ist. In diesem Zusammenhang sprach er über die Gießener Universitätskliniken, die ein Paradebeispiel dieser Privatisierungspolitik darstellen. Wenige Tage zuvor hatten WSWS -Journalisten eine Reportage mit Mitarbeitern und Schülerinnen der Uniklinik unter dem Titel "Gesundheit gehört nicht in private Hände" ins Netz gestellt.
"Was uns in unserer bisherigen Wahlkampagne besonders auffällt, ist eine allgemeine Empörung über die offizielle Politik", betonte Arens. Laut einer neuen Umfrage glauben in Deutschland nur noch 15 Prozent der Bevölkerung, die wirtschaftlichen Verhältnisse seien gerecht. In Hessen, so Arens, sei diese Empörung angesichts der politischen Bilanz der Koch-Regierung besonders ausgeprägt und vollkommen verständlich. Allerdings habe Koch bei allen Entscheidungen sowohl auf die Vorarbeit als auch die stillschweigende Zustimmung der SPD in Hessen zählen können. "Hätte die SPD die Bevölkerung ernsthaft gegen diesen Kahlschlag der Koch-Regierung mobilisiert", so Arens, "dann hätte Koch seine Angriffe nicht durchsetzen können."
"Warum eine neue Partei?" fragte Ulrich Rippert, der PSG-Vorsitzende, zu Beginn seines Beitrags. Er ging auf die atemberaubende Polarisierung zwischen Reich und Arm ein und schilderte das Auseinanderklaffen der gesellschaftlichen Schere, die am obern Ende von zügelloser Bereicherung, bei den untersten zehn Prozent von brutaler Verarmung gekennzeichnet ist. "Oft war die Entwicklung in Deutschland gegenüber andern Ländern verzögert; wenn sie jedoch einsetzte, dann vollzog sie sich umso heftiger und schneller", erklärte Rippert.
Er ging auf die Parteien in Hessen ein und erklärte, das zentrale Problem bestehe darin, dass trotz einer aufrichtigen Anti-Koch-Stimmung keine Alternative existiere. Eine neue SPD-Regierung sei keine Lösung, da die SPD in der Bundesregierung selbst für die sozialen Angriffe verantwortlich sei. Auch die Linke von Gysi und Lafontaine stelle keine Alternative dar, sondern praktiziere überall dort, wo sie an der Regierung sei, genau denselben Sozialabbau wie die etablierten bürgerlichen Parteien.
Rippert erwähnte sowohl die skandalösen, gigantischen Managergehälter, die zur Zeit in aller Munde sind, wie auch die Reaktion vieler Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre auf dieses Phänomen: Funktionäre wie Erich Klemm von Daimler-Chrysler, Uwe Hück von Porsche und Berthold Huber, der neue IG-Metall-Vorsitzende und Mitglied im Siemens-Aufsichtsrat, hätten diese Bereicherungsorgie öffentlich verteidigt, verharmlost und gerechtfertigt. Dem Streik der Lokführer seien die übrigen Gewerkschaften, an ihrer Spitze Transnet, mit offenem Streikbruch und Diffamierung in der Öffentlichkeit in den Rücken gefallen.
Dann ging Rippert auf den Zustand der Gesellschaft ein. Er erklärte, die amerikanische Hypothekenkrise löse eine Finanzkrise von internationalen Ausmaßen aus. In diesem Zusammenhang seien die Kriege im Irak und in Afghanistan, wie auch die Bedrohung des Iran zu verstehen: Wie vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg reagierten die imperialistischen Mächte auf die Krise mit neuen Verteilungskämpfen um die Rohstoffe dieser Welt. Auch Deutschland bereite sich darauf vor, am Krieg um die lebenswichtigen Öl- und Energieressourcen teilzunehmen. "Parallel zu den sozialen Kürzungen findet eine rasante Aufrüstung statt", sagte Rippert. "Wir leben in einer Gesellschaft und einem Wirtschaftssystem, das gescheitert ist und das auf eine Katastrophe zusteuert."
Schließlich ging Rippert noch auf eine dritte Entwicklung ein, die Hand in Hand mit der Kriegsvorbereitung einhergeht, nämlich auf den Abbau der demokratischen Grundrechte. "Soziale Ungleichheit verträgt sich nicht mit Demokratie", sagte er. "Der Staat wird zum Überwachungs-, Kontroll- und Polizeistaat." Die soziale Spaltung führe zwangsläufig zu sozialen Explosionen, und genau darauf bereiteten sich die Herrschenden heute vor.
"Aber was ist unsere Vorbereitung?" fragte Rippert zum Schluss seines Beitrags. "Es braucht eine Partei, die es der Arbeiterklasse ermöglicht, selbständig und unabhängig in das Geschehen einzugreifen." Er forderte alle Anwesenden auf, sich für den Aufbau einer solchen Partei zu engagieren.
Lebhafte Diskussion
Darauf entwickelte sich eine lebhafte Diskussion über die Frage, in welcher Weise Marxisten sich am Parlament beteiligen und mit welchen Methoden ein sozialistisches Programm praktisch umgesetzt werden könne.
Ein Teilnehmer warf die Frage auf: "Kann man das Parlament nutzen, ohne selbst opportunistisch zu werden?" Ein anderer, der sich am Ende als Mitglied der Linken zu erkennen gab, brachte den Einwand vor, es sei nicht schwer, "Kritik an der Konkurrenz" (der Linkspartei) zu üben, aber: "Wie kann man verhindern, im Parlament am Ende selbst an den Angriffen auf die Bevölkerung teilzunehmen?" Ein anderer fragte: "Falls die PSG über fünfzig Prozent der Stimmen für den Bundestag erhält - wie wird sie den Sozialismus praktisch umsetzen?"
Rippert antwortete mit einer Gegenfrage: "Wie würde denn eine Gesellschaft aussehen, in der wir fünfzig Prozent erhielten?" Er erklärte, dies werde überhaupt erst möglich sein, wenn die gesellschaftliche Situation von heftigen sozialen Konflikten erschüttert werde, in der die Marxisten großen Einfluss haben würden. "Die Arbeiter werden Fabrikkomitees und Arbeiterräte parallel zu den korrupten Betriebsräten schaffen und unabhängig von diesen handeln, und diese Selbstorganisationen der Arbeiterklasse werden eine zentrale Rolle bei der Umgestaltung der Gesellschaft spielen", erklärte Rippert.
Das Parlament werde von Marxisten als Plattform zur Aufklärung der Bevölkerung genutzt. Das Beispiel hervorragender Marxisten wie Karl Liebknecht zeige, dass es durchaus möglich sei, die parlamentarische Arbeit als Bühne zu nutzen, um die Arbeiterklasse über die Machenschaften der Bourgeoisie aufzuklären, ohne selbst zum Verräter zu werden.
Die Politiker der Linken dagegen erfüllten im Parlament gerade ihre objektive Aufgabe, den wachsenden Widerstand der Bevölkerung einzubinden und in ungefährliche Kanäle zu lenken. Überall dort, wo die Linke Regierungsverantwortung ausübe, übernehme sie das rechte Programm der SPD und setze letztlich die Diktate der Wirtschaft um. Bestes Beispiel, so Rippert, sei das Bundesland Berlin, wo seit sechs Jahren eine Koalition aus SPD und Linkspartei regiere, und wo so viele Ein-Euro-Jobs wie nirgendwo sonst geschaffen worden seien.
Eine Teilnehmerin, die selbst von Hartz IV leben muss, sagte: "Die Linkspartei kann man nicht ernst nehmen." Sie erklärte, auf dem Arbeitsmarkt gebe es heute fast nur noch Zeitarbeitsfirmen, befristete Verträge und Billiglohnarbeit, und schilderte ihre eigenen Erfahrungen in einem Call-Center, wo nur Leute arbeiteten, die über Ein-Euro-Jobs eingestellt worden seien. Diese müssten selbst dann noch arbeiten, wenn sie krank seien.
Rippert, der ausführlich aus Berlin berichtete, wies darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen der Regierungsverantwortung der Linken und dem Anwachsen von Rechtsradikalismus bestehe. "Wenn die Linke sich am sozialen Kahlschlag beteiligt, wenn sie in der Bevölkerung so wahrgenommen wird, dass sie für die Schaffung von Ein-Euro-Jobs oder die Schließung von Bibliotheken und anderen Einrichtungen mitverantwortlich ist, dann erzeugt das zwangsläufig eine große Frustration. Dies wird von den Rechten sofort ausgenutzt", erklärte er. So habe zum Beispiel im Schweriner Landtag die rechtsextreme NPD die Früchte ernten können, die durch die rechte Politik von SPD und Linkspartei gesät worden waren.
Über diesen Zusammenhang, der von dem anwesenden Linkspartei-Vertreter vehement bestritten wurde, ergab sich eine lebhafte Diskussion. Ein weiterer Teilnehmer führte die Erfahrungen in Frankreich an, wo Ende der 1990er Jahre fünf Jahre lang eine "linke" Regierung unter Lionel Jospin am Ruder war. Deren unsoziale Politik erzeugte eine derart weit verbreitete Frustration in der Bevölkerung, dass bei den Präsidentschaftswahlen von 2002 der Rechtsradikale Jean-Marie Le Pen vom Front National vor Lionel Jospin auf den zweiten Platz gelangen konnte.
Auf eine weitere Frage eines Teilnehmers, ob im Sozialismus nicht alles "von oben geplant und angeordnet" würde und somit die Freiheit bedroht sei, erklärte Rippert, in Wirklichkeit sei die Aufgabe der Partei eine völlig andere: Es gehe darum, die Entwicklung des Klassenbewusstseins zu ermöglichen. "Alles hängt von einer neuen politischen Entwicklung der Arbeiterklasse ab", sagte Rippert. "Die Arbeiterklasse als Wert schaffende Kraft spielt als einzige Klasse eine fortschrittliche Rolle. Aber sie ist nicht nur physisch, sondern auch ideologisch und kulturell unterdrückt", erklärte er.
Rippert erläuterte, die marxistische Partei werde keineswegs jede Entscheidung im Voraus planen und "von oben herab" diktieren. Sondern ihr Ziel bestehe gerade darin, das gesamte kreative Potential der internationalen Arbeiterklasse in all seinen Facetten zu mobilisieren, damit die akuten Probleme der Gesellschaft gelöst werden könnten.