US-Geheimdienstbericht: Kriegspläne gegen Iran auf Lügen gebaut
Von Bill Van Auken
7. Dezember 2007
aus dem Englischen (5. Dezember 2007)
Auf einer Pressekonferenz am Dienstag verteidigte Präsident Bush die Aggressionspolitik seiner Regierung gegen den Iran. Er betonte, die neuen Erkenntnisse der amerikanischen Geheimdienste, denen zufolge Teheran kein aktives Nuklearwaffenprogramm verfolgt, werde keinerlei Einfluss auf seine Politik haben.
Der Geheimdienstbericht National Intelligence Estimate (NIE) vom Montag ist das Ergebnis der Analysen von sechzehn amerikanischen Geheimdiensten. Hatten diese vor zwei Jahren noch behauptet, der Iran sei dabei, Atomwaffen zu entwickeln, stellen sie nun fest, das Land habe "sein Atomwaffenprogramm 2003 gestoppt". Außerdem heißt es in dem Bericht, der Iran wäre selbst dann nicht in der Lage, vor 2015 eine Nuklearwaffe herzustellen, wenn er es versuchen sollte.
Diese Erkenntnisse fällen ein vernichtendes Urteil über die ständige Panikmache der Bush-Regierung, es gebe eine angebliche nukleare Bedrohung durch den Iran. Sie machen deutlich, dass das Weiße Haus erneut versucht hat, das amerikanische Volk mit einer systematischen Lügenkampagne in einen Krieg zu verwickeln, genau wie vor fünf Jahren bei der Vorbereitung des Irakkriegs.
Trotzdem behauptete Bush, der Iran könne jederzeit ein früheres Waffenprogramm wieder aufnehmen und den für sein ziviles Atomreaktorprogramm entwickelten Brennstoff nutzen, um den Bau einer Bombe zu beschleunigen. Er stützte sich dabei auf die Behauptung der Geheimdienste, der Iran habe früher ein Atomwaffenprogramm betrieben.
"Wer will garantieren, dass sie nicht ein weiteres geheimes Atomwaffenprogramm starten?" fragte er. Gestützt auf diesen Vorwand entwickelte er die Argumente für einen Präventivkrieg, in derselben Diktion, mit der er 2003 die Invasion im Irak gerechtfertigt hatte.
Als ihn am Ende der Pressekonferenz ein Reporter nach der "Glaubwürdigkeitslücke" der Regierung fragte, antwortete Bush heftig: "Wenn der Iran irgendwann in der Zukunft plötzlich mit einer Atomwaffe dasteht, wird die Welt sagen: Was war 2007? Warum hat man die drohende Gefahr nicht erkannt? Warum hat man nicht verstanden, dass ein Land, das schon einmal ein Waffenprogramm hatte, das Waffenprogramm wieder aufnehmen kann?"
Auf die Nachfrage, ob sich Washington nach den neuen Erkenntnissen der Geheimdienste die "militärische Option" gegen den Iran nicht mehr offen halte, antwortete Bush: "Nach wie vor sind alle Optionen auf dem Tisch."
Während Bush darauf beharrte, dass der NIE sein Eintreten für eine aggressive Politik gegen den Iran und deren Wirksamkeit bestätige, schlug das Dokument weltweit wie eine politische Bombe ein.
Zunächst hat der Bericht Washingtons Bemühungen, eine neue und noch schärfere Sicherheitsratsresolution gegen den Iran durchzusetzen, anscheinend zum Scheitern verurteilt. "Offiziell werden wir das Dokument sorgfältig studieren, inoffiziell ist die Luft aus einer neuen Resolution raus", sagte ein an den Sanktionsverhandlungen beteiligter europäischer Vertreter der New York Times.
China, das sich bei einem Treffen von Sicherheitsratsmitgliedern in Paris dem amerikanischem Druck gebeugt haben soll, ließ jetzt erkennen, dass es seine Haltung im Lichte des NIE geändert habe. Auf die Frage, ob Sanktionen jetzt weniger wahrscheinlich seien, antwortete Guangya Wang, Chinas UN-Gesandter: "Die Sicherheitsratsmitglieder werden das wohl in Betracht ziehen müssen, weil wir meiner Meinung nach alle von einer geänderten Sachlage ausgehen."
Der russische Botschafter, der verschärfte Sanktionen abgelehnt hatte, erklärte, der NIE bestätige die Position Moskaus. "Wir haben immer gesagt, dass es für ein Nuklearwaffenprogramm keine Beweise gibt", sagte Vitali Tschurkin.
Das Dokument diskreditiert nicht nur das Weiße Haus, sondern das gesamte politische Establishment in Amerika. Schon bei der Vorbereitung des Irakkriegs plapperten die Führung der Demokraten und die Medien die Lügen der Regierung über die "Massenvernichtungswaffen" nach. Und jetzt unterstützen die Medien und die Demokraten den Versuch der Bush-Regierung, ein nicht existentes iranisches Atomwaffenprogramm als unmittelbare Bedrohung hinzustellen.
Als der Nationale Sicherheitsberater Stephen Hadley den NIE am Montag den Medien vorstellte, gab er an, er habe Bush schon im August über neue Erkenntnisse im Hinblick auf das iranische Nuklearprogramm informiert.
Bush bestätigte diese Darstellung auf seiner Pressekonferenz mit den Worten: " Mike McConnell [Direktor der Nationalen Aufklärung] kam, glaube ich, im August zu mir und sagte: Wir haben einige neue Informationen. Aber er sagte nicht, welche Informationen es waren."
Einen gewissen Mangel an Wissensdurst nimmt man dem amerikanischen Präsidenten gern ab. Aber die Behauptung, er sei im August vom Chef der Aufklärung über die Existenz neuer Erkenntnisse informiert worden, habe es jedoch dabei bewenden lassen, bis sie vier Monate später in einem öffentlichen Bericht allgemein bekannt wurden, ist dennoch unglaubwürdig.
In Wirklichkeit steckte die Regierung im August mitten in einer großen Propagandakampagne gegen den Iran. Bush hielt Reden, in denen er unbewiesene Behauptungen über die Verantwortung des Iran für Angriffe auf amerikanische Besatzungstruppen im Irak verbreitete und die Welt mit einem "nuklearen Holocaust" schreckte. Gleichzeitig verhafteten die USA provokativ iranische Diplomaten im Irak. Damals kündigte das Weiße Haus zum ersten Mal seine Absicht an, die größte iranische Streitkraft, die Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) zur "Terrororganisation" zu erklären.
Im Lichte der krampfhaften Versuche der Regierung, neue - und seien es offensichtlich falsche - Geheimdiensterkenntnisse zu erhalten um einen Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen, ist es schlicht unvorstellbar, dass Bush und Vizepräsident Cheney nicht hätten wissen wollen, welche neuen Informationen über ihr jüngstes Aggressionsziel entdeckt worden seien.
Kurz, Bush und Cheney hielten Reden über einen "nuklearen Holocaust" und drohten, wie Bush auf der Pressekonferenz am 16. Oktober, mit einem "dritten Weltkrieg", während sie genau wussten, dass das Atomwaffenprogramm, vor dem sie warnten, überhaupt nicht existierte.
Bei der Präsentation der offiziellen Reaktion der Demokratischen Partei auf Bushs Pressekonferenz fragte ein Reporter den Demokratischen Fraktionsvorsitzenden im Repräsentantenhaus, Rahm Emanuel, ob er glaube, dass Bush die amerikanische Bevölkerung hinsichtlich der iranischen Bedrohung absichtlich in die Irre geführt habe.
"Nein, ich glaube nicht, dass der Präsident das absichtlich getan hat... Zu seinen Absichten möchte ich mich nicht äußern, dafür kenne ich ihn nicht gut genug", antwortete Emanuel.
Als prominenter Anhänger einer aggressiven Politik gegen den Iran kann der demokratische Fraktionschef im Repräsentantenhaus die einfache und offensichtliche Wahrheit, dass Bush gelogen hat, nicht aussprechen, denn er weiß, dass er selbst und seine Partei ebenfalls bis zum Hals im Sumpf stecken. Auch sie haben versucht, die amerikanische Bevölkerung in der entscheidenden Frage des Kriegs hinters Licht zu führen.
Ein Sprecher Hillary Clintons, der führenden Bewerberin um die demokratische Präsidentschaftskandidatur, erklärte unterdessen, dass der Bericht den Versuch der Bush-Regierung entlarve, "Erkenntnisse der Geheimdienste im Interesse der eigenen ideologischen Ziele zu verzerren", und behauptete gleichzeitig, er bestätige die Position der New Yorker Senatorin, die er als "kraftvolle amerikanische Diplomatie" bezeichnete.
Clinton hat wiederholt zu Protokoll gegeben, auch sie wolle die "militärische Option" gegen den Iran offen halten. Im September stimmte sie gemeinsam mit Republikanern für eine nicht verpflichtende Resolution, in der die IRGC zur terroristischen Organisation erklärt wurde.
Die Erkenntnisse des National Intelligence Estimate sind das Ergebnis eines langen Kampfes innerhalb der Regierung und insbesondere ihres militärischen und Geheimdienstapparates. Die Veröffentlichung des Dokuments wurde um ein ganzes Jahr hinausgezögert. Als Grund wird angegeben, dass Bush und Cheney von den Nachrichtendiensten die Rücknahme derjenigen Erkenntnisse verlangten, die die Behauptung der Regierung über Irans angebliche Waffenprogramme und seine angebliche Unterstützung von Angriffen auf US-Truppen im Irak widerlegen.
Die Endfassung des Berichts lieferte der Regierung nicht nur keine "Erkenntnisse", die ihre Behauptung einer unmittelbaren iranischen Bedrohung stützen. Sie enthält auch eine ausdrückliche Zurückweisung der Behauptungen über ein iranisches Waffenprogramm, die in dem NIE von 2005 aufgestellt worden waren. Dies zeigt, welche enormen Spannungen und welches Unbehagen die Aussicht auf einen Krieg gegen den Iran in der Militärführung und im Auslandsgeheimdienst auslöste.
Der Nationale Sicherheitsdirektor McConnell hatte Anfang des Jahres angedeutet, dass der NIE zu den iranischen Nuklearaktivitäten nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte, was von Bush und Cheney offenbar unterstützt wurde. Die Entscheidung, einige dieser Erkenntnisse nun doch zu veröffentlichen, ging möglicherweise auf die Befürchtung zurück, dass sie andernfalls inoffiziell an die Medien durchsickern würden, vielleicht sogar aus dem Inneren des Sicherheitsapparats selbst.
In mehreren Medienberichten hieß es, dass der NIE den Erkenntnissen der Internationalen Atomenergieagentur (IAEO) und ihren umfangreichen Inspektionen der iranischen Atomanlagen entspreche. Der Generaldirektor der Agentur Mohamed El Baradei begrüßte den Bericht und sagte, er werde dazu beitragen, die internationale Krise zu entschärfen.
Doch ein Sprecher der IAEO machte gegenüber der Times deutlich, dass die Erkenntnisse des US-Geheimdienstberichts durchaus von denen der UN-Agentur abweichen.
"Trotz wiederholter Schmutzkampagnen hat die IAEO an ihrem Standpunkt festgehalten und immer wieder betont, dass es seit 2002 keine Beweise für ein geheimes Atomwaffenprogramm im Iran gibt. Das bestätigt auch die Einschätzung des Generaldirektors, dass die IAEO-Inspektoren im Iran nichts gefunden haben, was auf eine vom Iran ausgehende unmittelbare Gefahr hindeutete."
Mit anderen Worten, die IAEO-Inspektoren haben im Iran keinerlei Hinweise auf ein Nuklearwaffenprogramm gefunden, das nach Angaben des NIE bis 2003 wirksam war.
In diesem Sinn bedeutet die veränderte Haltung der US-Nachrichtendienste möglicherweise nur die Ersetzung eines Kriegsvorwands durch einen anderen. 2005 hatten sie festgestellt, dass der Iran mit hoher Wahrscheinlichkeit daran arbeite, Atomwaffen zu entwickeln. Jetzt, zwei Jahre später, behaupten sie mit der gleichen "hohen Wahrscheinlichkeit", dass die Iraner ein solches Programm 2003 gestoppt hätten.
Stichhaltige Beweise für die Existenz eines Atomwaffenprogramms hat bisher noch niemand vorgelegt. Auch der aktuelle NIE-Bericht liefert keinerlei Details über die angeblich 2003 abgebrochenen Aktivitäten
Die Teile von Teherans Nuklearprogramm, dessen Aussetzung 2004 und 2005 in Verhandlungen mit den europäischen Großmächten vereinbart worden war, bezogen sich ausschließlich auf das zivile Atomprogramm des Landes und verstießen nicht gegen den Atomwaffensperrvertrag.
Aber das Weiße Haus kann jetzt auf der Grundlage des neuen NIE behaupten, der Iran habe schon einmal versucht, Atomwaffen zu bauen, und könne jederzeit wieder damit anfangen. Auf Bushs Pressekonferenz am Dienstag wurde diese Behauptung bereits aufgestellt. Die drastischen Sanktionen müssten deshalb beibehalten und die Vorbereitungen auf eine militärische Intervention fortgesetzt werden.
Die Veröffentlichung des NIE wurde in den Medien von der optimistischen Einschätzung begleitet, seine Erkenntnisse hätten die Gefahr eines Krieges im Grunde gebannt. Die Washington Post meinte, dass die Feststellungen des Dokuments "die Möglichkeit eines präventiven Militärschlags noch vor dem Ende der Präsidentschaft Bushs von der Tagesordnung nehmen könnte". Die New York Times spekulierte, dass "die Entschlossenheit zu einem weiteren militärischen Konflikt abgenommen hat".
Vor den Äußerungen Bushs vom Dienstag hatte der Nationale Sicherheitsberater Stephen Hadley am Montag die Drohung des amerikanischen Präsidenten mit einem Dritten Weltkrieg wiederholt. "Die internationale Gemeinschaft muss verstehen", erklärte der Nationale Sicherheitsberater, "dass wir den diplomatischen Druck erhöhen müssen, damit wir am Ende nicht vor der Wahl stehen, entweder zu akzeptieren, dass sich der Iran auf dem Weg zur Atombombe befindet, oder ihn mit Gewalt aufzuhalten, auch wenn dies stark an einen dritten Weltkrieg erinnert."
Nach wie vor bleibt die Gefahr eines weiteren, noch brutaleren Kriegs bestehen. Seine Ursachen liegen nicht in einem nicht existenten iranischen Atomwaffenprogramm, sondern in wachsenden Konflikten zwischen den imperialistischen Mächten und vor allem in den räuberischen Methoden, mit denen der amerikanische Imperialismus seinen ökonomischen Niedergang durch den Einsatz militärischer Gewalt aufzuhalten versucht.
Washington bleibt entschlossen, seine Vorherrschaft über die riesigen Rohstoffvorkommen des Persischen Golfs und Zentralasiens zu sichern. Es hat in den letzten Jahren zwei Kriege vom Zaun gebrochen, um dieses Ziel zu erreichen, und die Möglichkeit eines dritten ist noch längst nicht ausgeschlossen.
Die Gefahr, dass ein US-Angriff auf den Iran zu einem dritten Weltkrieg führen könnte, ergibt sich nicht aus der angeblichen Verbreitung von Atomwaffen. Ihre Ursache liegt vielmehr in den wachsenden Spannungen, die durch die Bemühungen der USA geschürt werden, eine Region zu beherrschen, von der die Energieversorgung ihrer wichtigsten wirtschaftlichen Rivalen - Westeuropa, China und Japan - abhängt.