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US-Senator John McCain erläutert die Interessen des amerikanischen Imperialismus im Irak

Von Patrick Martin
19. April 2007
aus dem Englischen (13. April 2007)

Die Rede von Senator John McCain am 11. April im Militärinstitut von Virginia wirft ein Schlaglicht auf die sich verschärfende Krise des gesamten politischen Establishments der USA. Hinter dieser Krise stehen das Debakel des Besatzungsregimes im Irak und die wachsende Opposition gegen den Krieg in breiten Schichten der Bevölkerung.

McCains Rede wurde von den Medien als Versuch gewertet, seiner in einer Krise steckenden Präsidentschaftskampagne neuen Schwung zu verleihen und die hartgesottensten Kriegsbefürworter in der Republikanischen Partei für sich zu gewinnen. Das Ereignis hat aber eine Bedeutung, die weit darüber hinaus geht. In McCains Äußerungen drückten sich die Widersprüche aus, von denen die herrschende US-Elite geplagt wird.

Die Rede war eine einzige Ansammlung von Lügen und Verzerrungen über die Kriegsursachen und der aktuellen Lage im Irak, die auf eine brutale Wahrheit abzielten: Der amerikanische Imperialismus kann und wird eine Niederlage in diesem Krieg nicht akzeptieren, gleichgültig, was die große Mehrheit des irakischen und des amerikanischen Volkes denkt.

McCain wiederholte im Brustton der Überzeugung die ideologische Rechtfertigung für den Irakkrieg, die zurzeit von der Bush-Regierung gegeben wird: Die Vereinigten Staaten sind in den Irak eingefallen, um dessen Volk von der Tyrannei Saddam Husseins zu "befreien". Dadurch ist der Irak ins Zentrum des weltweiten "Kriegs gegen den Terror" gerückt, den die USA nach den Terroranschlägen vom 11. September auf New York und Washington ausgerufen haben.

Diese Version der Geschichte hat keinerlei Realitätsbezug. Die Bush-Regierung ist in den Irak eingefallen, weil Saddam Hussein angeblich auf riesigen Mengen von Massenvernichtungswaffen saß, mit denen er seine angeblichen Verbündeten, die Terroristen von al-Qaida, beliefern wollte, damit sie die Vereinigten Staaten angreifen konnten. Mit diesen Argumenten wurde der Krieg dem amerikanischen Volk mit Unterstützung der Führung der Demokratischen Partei und der bürgerlichen Medien verkauft.

Erst nachdem die Eroberung und Besetzung des Iraks nicht eine einzige Massenvernichtungswaffe und keinen einzigen Hinweis auf Beziehungen zwischen al-Qaida und Hussein zutage förderte, die in Wirklichkeit politische Feinde waren, veränderte die Bush-Regierung ihre Propaganda. Jetzt behauptete sie, dass ihr wirkliches Ziel gewesen sei, das irakische Volk von der Tyrannei des Baath-Regimes zu befreien und im ganzen Nahen Osten Demokratie zu verbreiten - ungeachtet ihrer langjährigen und andauernden Beziehungen zu solchen Despoten wie den Saudis, den Ölscheichs am Golf und dem ägyptischen Präsidenten Mubarak.

McCain folgte beflissen dem Drehbuch aus dem Weißen Haus. Massenvernichtungswaffen kamen in seiner Rede nicht vor und er unternahm auch keinen Versuch zu erklären, warum dieser Kriegsvorwand durch einen gleichermaßen betrügerischen ersetzt wurde. "Amerika hat ein vitales Interesse zu verhindern, dass der Irak, ähnlich wie Afghanistan vor dem 11. September, zum Wilden Westen für Terroristen wird", erklärte er. "Wenn wir den Irak verlassen, bevor wir eine stabile irakische Regierung etabliert haben, dann riskieren wir genau das. Die potentielle Folge eines sicheren Rückzuggebiets für Terroristen im Irak wäre ein weiterer 11. September oder schlimmer."

McCain behauptete, die amerikanische Regierung habe eine moralische Verpflichtung, im Irak zu bleiben, um "einen Völkermord und ethnische Säuberungen" zu verhindern. Ein übereilter Rückzug könne zu einem schlimmeren Blutbad als in Ruanda führen. Natürlich ignorierte er Berechnungen wie die der Johns Hopkins University, dass die Opferzahlen der amerikanischen Intervention im Irak schon jetzt mit denen in Ruanda vergleichbar sind. Sie werden mit der weiteren militärischen Eskalation der USA noch schneller ansteigen.

In seiner Beschreibung der aktuellen Lage im Irak wich McCain nur geringfügig von dem überbordenden Optimismus ab, den er mit seinem viel kritisierten Besuch eines Marktes in Bagdad in der vergangenen Woche verbreitet hatte. (1) Er bedauerte in Worten, eventuell falschen Optimismus verbreitet zu haben, benutzte aber in seinem Bericht über den "Fortschritt" im Irak Formulierungen, die sich wesentlich rosiger anhörten, als alles, was in den vergangenen Wochen aus militärischen Quellen zu vernehmen war.

Im Vorübergehen erwähnte er die wirklichen materiellen Interessen, die dem Krieg zugrunde liegen, das heißt die riesigen Ölvorkommen des Irak. Er sagte: "Der Plan, die Öleinnahmen gerecht auf alle Iraker zu verteilen, ist von den irakischen Ministern akzeptiert worden und liegt jetzt dem Parlament vor." Damit spielte er auf die Zustimmung der Maliki-Regierung an, die unter enormem US-Druck zugestimmt hat, ein Gesetz zu verabschieden, das die Kontrolle über die irakischen Ölfelder privaten internationalen (d.h. amerikanischen) Konzernen überträgt.

Richtig in Fahrt kam McCain, als er sich den Konsequenzen einer amerikanischen Niederlage im Irak widmete. Er gab eine düstere, aber im Kern realistische Einschätzung des Ausmaßes der strategischen Katastrophe, die dem US-Imperialismus droht. "Ein Machtvakuum im Irak wäre eine Einladung an den Iran zu weiterer Einmischung", sagte er. "Wenn die Regierung im Irak zusammenbräche, was sie mit Sicherheit tut, wenn wir vorzeitig abziehen, dann werden die Nachbarn des Irak, von Saudi-Arabien über Jordanien und Syrien bis zur Türkei und Ägypten, sich gezwungen sehen, auf der Seite ihrer favorisierten Fraktion zu intervenieren. ... Wir könnten vor eine schreckliche Wahl gestellt werden: entweder zuzusehen, wie die Region in Brand gerät, wie der Ölpreis dramatisch steigt und unsere Wirtschaft leidet, wie die Terroristen neue Basislager einrichten, oder wieder amerikanische Truppen zu schicken, mit schlechteren Erfolgsaussichten als heute."

Dies ist eine klare und ungeschönte Darstellung der Folgen einer Niederlage. Man könnte noch hinzufügen, dass ein Verlust der Kontrolle über das Öl des Nahen und Mittleren Ostens und Zentralasiens die rivalisierenden kapitalistischen Mächte in Westeuropa, Russland und Asien ermutigen und die Bestrebungen des US-Imperialismus nach Vorherrschaft in jedem Winkel des Globus ernsthaft unterminieren würde.

Zweifellos stimmt das ganze politische Establishment der USA, Demokraten wie Republikaner, mit dieser Einschätzung der Folgen einer Niederlage im Irak überein. Die erbitterten Streitereien innerhalb der herrschenden Elite drehen sich darum, wie die Niederlage abgewendet oder ihre Folgen minimiert werden können, und darum, wer für das Debakel geradestehen soll.

McCain steht für die Fraktion der herrschenden Elite, die sich am rücksichtslosesten und entschlossensten weigert, eine Niederlage einzugestehen oder zu akzeptieren, und die eine Verdopplung der militärischen Anstrengungen zur Unterwerfung des Irak als die einzige gangbare Option betrachtet - selbst wenn dabei ein großer Teil der irakischen Bevölkerung vernichtet würde.

"Amerika sollte niemals einen Krieg führen, wenn es nicht bereit ist, alles zu tun, um ihn zu gewinnen", erklärte er. Die Logik dieser Position - die offensichtlich aus der bitteren Erfahrung der amerikanischen Niederlage in Vietnam abgeleitet ist - besteht darin, dass alle Mittel, Massenmord und sogar der Einsatz von Atomwaffen, zur Erreichung des "Sieges" erlaubt und legitim sind.

Diese Brutalität und Entschlossenheit, das Blutbad im Irak zu verschärfen, haben McCain eine Menge Zuspruch in der Bevölkerung gekostet. In den Meinungsumfragen sind seine Ergebnisse in den Keller gegangen. Im vergangenen Jahr sah es aus, als wäre er der Favorit der Republikaner, aber die jüngsten Umfragen sagen, dass er nicht nur hinter den New Yorker Ex-Bürgermeister Rudolph Giuliani zurückgefallen ist, sondern sogar hinter den Ex-Senator und heutigen Schauspieler Fred Thompson, der noch nicht einmal seine Kandidatur bekannt gegeben hat.

Wichtiger aber als die Rangordnung nach den eingegangenen Geldspenden ("money primary"), bei der McCain auf den dritten Platz der Republikaner zurückgefallen ist, ist der Kampf um Unterstützung aus den entscheidenden Schlüsselgremien in Washington und der Unternehmens- und Finanzoligarchie. Hier hat McCain einen gewissen Rückhalt, was darin zum Ausdruck kommt, dass sich vier ehemalige republikanische Außenminister - Henry Kissinger, George Shultz, Lawrence Eagleburger und Alexander Haig - in ungewöhnlich deutlicher Form hinter seine Kandidatur gestellt haben.

Alle vier sind tief in frühere Verbrechen des amerikanischen Imperialismus verstrickt, und unterstützen trotz gelegentlicher Kritik am ungeschickten Vorgehen der Bush-Regierung im Irak vorbehaltlos deren Bemühungen, militärisch zu siegen und den Widerstand des irakischen Volkes gegen Fremdherrschaft zu zerschlagen. Ihre Unterstützung ist ein Hinweis darauf, dass McCain möglicherweise allen Umfragen zum Trotz als Kandidat der herrschenden Elite bei der republikanischen Präsidentschaftsnominierung das Rennen machen könnte.

Gerade die Tatsache, dass McCains Ansichten derart unpopulär sind, macht ihn der Finanzoligarchie so sympathisch. Das Wall Street Journal nannte in einem Leitartikel vom Mittwoch die bevorstehende Rede "McCains entscheidende Stunde" und richtete die Aufmerksamkeit auf einen Wortwechsel, den McCain in der sonntäglichen TV-Sendung "60 Minutes" mit Scott Pelly von CBS hatte.

Pelley fragte mit Bezug auf die wachsende Opposition zum Irakkrieg: "An welchem Punkt werden Sie aufhören, das zu tun, was Sie selbst für richtig halten, und damit beginnen, zu tun was die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung will?" McCain antwortete: "Ich bin mit dem, was die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung will, nicht einverstanden". Das Journal fand diese Antwort gut - die im Wesentlichen darauf hinausläuft, Herrschaft des Volkes als Grundlage von Demokratie zurückzuweisen - und bezeichnete sie als mutig und prinzipiell.

David Brooks, der Kolumnist der New York Times, drückte die Ansicht wichtiger Schichten der herrschenden Elite aus, als er am Donnerstag in einem Kommentar schrieb: "Auf lange Sicht wird ihm [McCain] sein Engagement für den Irak vermutlich nicht so schaden, wie es jetzt scheint. In zehn Monaten wird es in dieser Wahl nicht um den Truppenaufbau gehen, es wird um die Hydra-köpfige Krise im Nahen Osten gehen. Der Kandidat, der sich als der substantiellste, reifste und beständigste erweist, wird dann plötzlich attraktiver und notwendiger erscheinen."

Die antidemokratischen Implikationen von McCains Verteidigung des Krieges wurden am Schluss seiner Rede offensichtlich, als er anscheinend in Anlehnung an den Kommunistenfresser Senator Joseph McCarthy Demokraten im Kongress als Defätisten und Verbündete der Terroristen denunzierte. Es ging um die Verabschiedung einer Resolution im Kongress, die einen Termin für den Rückzug der US-Kampftruppen aus dem Irak festlegte, und die ganz knapp, mit 218 zu 212 Stimmen, angenommen wurde. Über den Applaus der Kongressdemokraten nach der Annahme dieser Resolution sagte McCain: "Was haben sie gefeiert? Die Niederlage? Die Kapitulation?"

In Wirklichkeit hatten die Demokraten die Quadratur des Kreises gefeiert: Sie hatten eine Resolution verabschiedet, die sich dem Namen nach gegen den Krieg richtete, die aber keinerlei Einfluss auf die Operationen des US-Militär im Irak hat. Das Hauptziel der Demokraten im Kongress besteht darin, den Anschein von Opposition gegen Krieg aufrechtzuerhalten und ihn gleichzeitig jeden konkreten Inhalts zu berauben.

Zu diesem Zweck haben sie die einzigen Instrumente rundheraus abgelehnt, die es nach der US-Verfassung gibt, um kriegerische Handlungen des Präsidenten in Schranken zu halten: Das Impeachment [Amtsenthebung] oder die Verweigerung von Kriegskrediten. Freiwillig haben sie sich in Übereinstimmung mit ihrem doppelten Auftrag eine Zwangsjacke übergezogen: Den Krieg fortzusetzen und gleichzeitig die Wähler, die den Krieg ablehnen, in den Fängen des Zweiparteiensystems zu halten.

McCain weiß natürlich ganz genau, dass die Verteidigung des amerikanischen Imperialismus den Führern der Demokraten im Kongress nicht weniger am Herzen liegt als ihm selbst. Als er noch nicht Kandidat war, verteidigte er im Präsidentschaftswahlkampf 2004 John Kerry, der für die Demokraten kandidierte, gegen Angriffe der Republikaner. Diese hatten Kerry damals des Verrats bezichtigt und behauptet, er unterstütze und ermutige Terroristen. Aber heute wirft er sich im eigenen Interesse hisst er die blutige Flagge des 11. Septembers und gibt vor, jede Opposition gegen den Krieg im Irak bedeute Kapitulation vor dem Terrorismus.

Indem er die Demokraten in die Nähe von Terroristen rückt, will er sich nicht nur bei der faschistoiden rechten Basis der Republikanischen Partei anbiedern, die sich erst noch für einen der angekündigten republikanischen Kandidaten entscheiden muss. Es ist gleichzeitig ein Versuch, die wirkliche Massenopposition gegen den Krieg in der Bevölkerung in den Dreck zu ziehen und ihr jede Legitimation abzusprechen. Es ist eine Versicherung an die Adresse der herrschenden Elite Amerikas, dass sie in McCain einen Kandidaten hat, der bereit ist, über die öffentliche Meinung rücksichtslos hinwegzugehen und die Politik militärischer Aggression der Bush-Regierung unbegrenzt fortzusetzen, sollte er ins Weiße Haus einziehen.

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(1) McCain war mit anderen Senatoren am 1. April über einen von Soldaten und zivilen Sicherheitkräften rundum abgesicherten künstlich belebten Marktplatz in Bagdad geschlendert und hatte die großartigen Fortschritte gepriesen, die das amerikanische Militär dort vollbracht habe. http://www.wsws.org/articles/2007/apr2007/mccn-a04.shtml

Siehe auch:
US-Städteversammlungen fordern Amtsenthebung von Bush und Cheney
(14. März 2007)
Demokraten schließen Finanzierungsstopp für Irakkrieg aus
( 2. März 2007)
Der historische Niedergang der Vereinigten Staaten und der Ausbruch von Militarismus
( 24. Februar 2007)