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Mozarts Oper "Idomeneo" und die Kampagne gegen Muslime

Von Patrick Richter
30. September 2006

Nun hat auch Deutschland seine Debatte über Terror und öffentliche Sicherheit. Es geht darum, eine Atmosphäre der Hysterie und Angst zu schaffen und das politische und kulturelle Leben auf den zunehmend aggressiven innen- und außenpolitischen Kurs der Bundesregierung einzuschwören. Wie in den USA und Großbritannien dient der islamistische Fundamentalismus dabei als Vorwand.

Der Intendantin der Deutschen Oper Berlin, Kirsten Harms, war der Schock in den letzten Tagen anzusehen. Nach ihrer Entscheidung, Mozarts Oper "Idomeneo" vom Spielplan zu nehmen, fand sie sich im Mittelpunkt einer massiven Kampagne wieder, in der sie kaum Verständnis und Unterstützung fand.

Mitte September hatte sie sich nach Warnungen von Berlins Innensenator Ehrhard Körting (SPD) und des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) zu diesem außergewöhnlichen Schritt entschlossen.

In einer Analyse der Inszenierung des "Idomeneo" an der Deutschen Oper Berlin gelangte das LKA zum Schluss, dass "die Aufführung eine Gefährdungslage mit schwer abzuschätzenden Folgen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zur Folge haben" könnte. "Die derzeitige weltweite Lage ist gekennzeichnet von einer verbreiteten Ablehnung der westlichen Ideologie durch Teile der muslimischen Weltbevölkerung. Dazu tragen unter anderem militärische Aktionen in verschiedenen muslimisch geprägten Ländern bei, die von fundamentalistischen Vertretern des Islam als Angriff gegen ihre Religion gedeutet werden. Aufrufe zur Gegenwehr lösen zum Teil bei ‚geringfügigen Anlässen’ erhebliche Reaktionen aus (Mohammed-Karikaturen-Streit)."

Wie Harms gegenüber der Presse erläuterte, hatte Körting sie Mitte August persönlich in ihrem Urlaubsort angerufen, um sie auf die Analyse des Landeskriminalamtes hinzuweisen und vor einer Aufführung der Mozartoper zu warnen. Er habe auch von einem anonymen Drohanruf berichtet und Harms zufolge gesagt, er liebe die Deutsche Oper, er fahre oft an ihr vorbei, und er möchte nicht erleben, dass sie nicht mehr da sei.

Die "Idomeneo"-Inszenierung an der Deutschen Oper läuft mit Unterbrechungen seit März 2003 und stammt von Regisseur Hans Neuenfels. Abweichend zu Mozarts klassischer Version lässt Neuenfels am Ende dem antiken griechischen Meeresgott Poseidon, Buddha, Jesus und auch Mohammed die Köpfe abgeschlagen, um die Abwendung des Protagonisten von Gott zu illustrieren. "Die Inszenierung richtet sich weder gegen den Islam noch gegen eine andere Religion, sondern ist ein Diskurs über Religionsstiftung", so Neuenfels. Im Gegensatz zu den Mohammed-Karrikaturen der dänischen Zeitung Jyllandsposten vom vergangenen Jahr handelt es sich nicht um eine gezielte Provokation gegen den Islam.

Man kann sicherlich darüber streiten, ob die Entscheidung von Harms, das Stück abzusetzen, richtig ist oder nicht. Jeder Versuch religiöser Zensur und jeder Angriff auf die künstlerische und die Meinungsfreiheit ist reaktionär und muss zurückgewiesen werden. Doch darum geht es hier nicht. Vom Standpunkt, eine unnötige Gefährdung von Publikum und Schauspielern zu vermeiden, ist die Entscheidung von Harms gerechtfertigt und verständlich.

Harms musste aufgrund der Warnungen Körtings und des LKA von einer akuten Gefahr ausgehen und sah sich in einer Situation, für die sie nicht die geringste Verantwortung trug, in der aber der kleinste Anlass tragische Konsequenzen nach sich ziehen konnte. In den Tagesthemen erklärte sie, dass sie die jüngste Papstrede im Kopf hatte, die zu einer drastischen Polarisierung und Konfrontation mit der muslimischen Welt geführt hatte.

Harms wollte offenbar vermeiden, dass die Deutsche Oper, für die sie die künstlerische Verantwortung trägt, in eine Debatte über den Islam hineingezogen wird und dabei politisch instrumentalisiert wird. Das heißt, sie wollte genau das verhindern, was nun eingetroffen ist. Um jegliche Debatte und Medienaufmerksamkeit zu vermeiden, wollte sie ihre Entscheidung ursprünglich sogar geheim halten.

Möglicherweise hatte sie auch an das Geiseldrama im Moskauer Musicaltheater "Nordost" gedacht, bei dem vor zwei Jahren über 100 Zuschauer bei einer Besetzung durch tschetschenische Separatisten ihr Leben verloren.

Doch anstatt diese Entscheidung zu respektieren oder offen über ihre Beweggründe zu diskutieren, wurde eine politische Schimpfkampagne vom Zaun gebrochen, deren Ausmaß und Intensität mehr über die politischen Ziele der Akteure als über die zur Debatte stehende Frage aussagt.

Bis hinauf zur höchsten politischen Ebene wurde Harms Feigheit vorgeworfen. Sie würde sich dem Diktat der islamistischen Fundamentalisten beugen und einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, in vorauseilendem Gehorsam Rede- und Meinungsfreiheit aufs Spiel zu setzen.

In bemerkenswerter Eintracht warfen sich ausgerechnet diejenigen für die "Freiheit der Meinung" in die Bresche, die sonst einem Überwachungsstaat das Wort reden und von keinem Angriff auf demokratische Grundrechte zurückschrecken, wie jüngst bei der Verabschiedung der Antiterrorgesetze.

Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich höchstpersönlich zu Wort: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht aus Angst vor gewaltbereiten Radikalen immer mehr zurückweichen. Selbstzensur aus Angst ist nicht erträglich."

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, Frau Harms sei "verrückt geworden", er finde die Absetzung "inakzeptabel und lächerlich". Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sprach von einem "Kniefall vor Terroristen", und Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) erachtet die Opernabsetzung als einen "traurigen Beleg dafür, dass islamistisch-extremistische Agitation gegen die Meinungsfreiheit in unserer Gesellschaft offenbar bereits Wirkung" zeige. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) sagte, wenn die Sorge vor möglichen Protesten "schon zur Selbstzensur führt, dann gerät die demokratische Kultur der freien Rede in Gefahr".

Auch SPD und Grüne stießen in dieses Horn. Für SPD-Fraktionschef Peter Struck bedeutet die Absetzung Kapitulation "vor einer möglichen Gefahr", SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sprach von einem "peinlichen Vorgang" und Grünen-Chefin Claudia Roth von einem "Signal von Feigheit".

Als einzige öffentliche Stimme zugunsten von Harms wies der Deutsche Bühnenverein die Kritik als verlogen zurück. Der Vorsitzende der Intendantengruppe des Vereins, Holk Freytag, erklärte, Harms habe letztlich auf Anraten von Behörden wie dem LKA gehandelt, und ihre Entscheidung sei in dem Sinne verantwortungsvoll, weil Muslime weltweit gedemütigt würden.

Und genau darum geht es. Die Empörung über die Absetzung des "Idomeneo" dient nicht der Verteidigung der Meinungsfreiheit, sondern ist Teil einer hysterischen und verlogenen Kampagne mit dem Ziel, die Stimmung gegen den Islam weiter aufzuheizen. Mit der Einschüchterung kritischer Stimmen soll der ideologische Boden für eine weit aggressivere Innen- und Außenpolitik geschaffen und gleichzeitig von den Hauptverantwortlichen für die nun auch in Deutschland wachsende Gefahr von Terroranschlägen abgelenkt werden.

Die Regierung Merkel hat seit ihrer Amtsübernahme einen außenpolitischen Rechtsschwenk vollzogen. Sie hat sich mehr oder weniger offen hinter die Verbrechen des US-Imperialismus im Irak gestellt und zuletzt den brutalen Krieg Israels gegen den Libanon vorbehaltlos unterstützt. Mit einem militärischen Auftrag werden nun deutsche Marineeinheiten in den Konflikt hineingezogen.

Die herrschende Elite in Deutschland stellt sich damit immer offener in Gegensatz zu den Interessen der einfachen Bevölkerung - nicht nur in Ländern wie Irak, Afghanistan oder Libanon, sondern auch im Inland.

Das meint Merkel, wenn sie sagt, "dass wir nicht aus Angst vor gewaltbereiten Radikalen immer mehr zurückweichen". Auch die deutsche Bevölkerung soll mit Terroranschlägen leben, die das Ergebnis der zunehmend rücksichtslosen deutschen Außen- und Militärpolitik sein werden. Israelische Zustände rücken in greifbare Nähe.

Aus diesem Grund darf Harms berechtigtes Argument, sie habe das Risiko für Publikum und Schauspieler reduzieren wollen, nicht zugelassen werden. Ebenso wie in den USA und Großbritannien sollen Medien und Kulturträger auf einen allgemeinen und irrationalen "Kampf gegen den Terror" eingeschworen werden, bei dem die Ursachen des Terrors nicht genannt werden dürfen - der aggressiv Griff des Imperialismus nach Öl und Macht in Nahost und weltweit.

Nachdem sich Merkel, Schäuble und Co. zu Wort gemeldet hatten, knickten auch Berlins Bürgermeister Wowereit, Innensenator Körting und Kultursenator Flierl auf die neue Generallinie ein, obwohl die Absetzung der Oper mit ihnen abgesprochen war. Sie stellten Harms’ Entscheidung als Alleingang dar und wollten von ihrer früheren Position nichts mehr wissen.

Einzig Flierl erklärte noch, dass er die Entscheidung von Frau Harms "nach den ihr vorgelegten Einschätzungen" als "verantwortungsvoll" gelobt habe, nunmehr jedoch sehe, "dass die Sicherheitsbedenken weder aktuell noch substantiiert genug waren, um eine Entscheidung über die Absetzung zu begründen".

Körting spielte seine Warnung, er wolle das Operngebäude auch weiterhin stehen sehen, als Witz herunter. Im Einklang mit Wowereit erklärte Körting nun stattdessen in einer Presseerklärung: "Sowohl der Karikaturenstreit als auch die Debatte um die Vorlesung von Papst XVI in Regensburg als auch die Diskussion um die Absetzung von Idomeneo an der Deutschen Oper Berlin machen deutlich, wie überfällig eine offene Diskussion mit den Muslimen in Deutschland über den Respekt religiöser Empfindungen einerseits und über Meinungsfreiheit und Freiheit der Kultur andererseits ist."

Er sprach damit aus, was das tatsächliche Ziel der Kampagne um die Oper ist. Die Mozartoper soll mit den Mohammed-Karikaturen, einer gezielten rechten Provokation, und der Papstrede auf eine Stufe gestellt werden, um ein Klima der Angst und Hysterie gegenüber Muslimen zu erzeugen.

Körting ist geradezu prädestiniert, eine Debatte über Meinungsfreiheit zu fordern. Erst im August hatte er das Zeigen von Bildern des Hisbollah-Führers Nasrallah bei Protesten gegen den Libanonkrieg verboten und bei Zuwiderhandlung mit der sofortigen Auflösung der Demonstration gedroht.

Auch was die "Selbstzensur" angeht, haben die Politiker, die sich in dieser Debatte zu Wort gemeldet haben, nicht die geringste Glaubwürdigkeit. Sie sind sich alle einig, dass die öffentlichen Ausgaben für Kultur - auch für die drei Berliner Opernhäuser - noch weiter gekürzt werden müssen. Sie fordern, dass sich die Häuser selbst tragen sollen, was nur möglich ist, wenn die Stücke volle Säle garantieren. Wie bei den kommerziellen Fernsehsendern die Einschaltquote, wird an der Oper dann der Ticketverkauf über die künstlerische Freiheit und Selbstbestimmtheit entscheiden, nicht zu vergessen die privaten Sponsoren.

Siehe auch:
Ratzingers Kreuzzug
(22. September 2006)