Britischer Innenminister forderte die Bombardierung von Al Dschasira
Blair-Regierung unterdrückt Beweise, dass auch Bush dies wollte
Von Chris Marsden
27. Oktober 2006
aus dem Englischen (25. Oktober 2006)
Die Hinweise verdichten sich, dass die Bush-Regierung die gezielte Bombardierung des Fernsehsenders Al Dschasira anordnete.
Vor kurzem brachte der britische Sender Channel 4 in seiner Programmreihe Dispatches eine Sendung über die Tagebücher des ehemaligen britischen Innenministers David Blunkett. Laut einem Eintrag vom April 2003 hatte Blunkett den Premierminister Tony Blair gedrängt, die Bagdader Sendeanlage von Al Dschasira zu bombardieren. In der Sendung befragt, gab Blunkett zu, Blair einen solchen Vorschlag gemacht zu haben.
Auf die Frage, ob er Al Dschasira als ziviles Ziel betrachtet habe, antwortete Blunkett: "Nun, ich denke nicht, dass es in einem Krieg Ziele gibt, die ganz auszuklammern sind, nur weil sich darin kein Militärpersonal befindet. Schließlich versuchen die ja, eine Propagandaschlacht zu Gunsten des Feindes zu entscheiden."
Gefragt, ob er der Meinung sei, sein Vorschlag habe gegen das Völkerrecht verstoßen, entgegnete Blunkett: "Ich bin sicher, wir haben auch in früheren Kriegen nicht gezögert, Propagandaorgane des Feindes auf dem Territorium auszuschalten, in das wir eingedrungen sind."
Nur zwei Wochen nach dem Tagebucheintrag vom 8. April 2003 schlug eine US-Rakete im Bagdader Büro von Al Dschasira in einen Stromgenerator ein. Der Reporter Tarek Ajub wurde getötet und ein weiteres Redaktionsmitglied verwundet.
Der Chefredaktor von Al Dschasira Ahmed Al Scheikh sagte: "Dies ist nur einer von vielen Belegen, dass der Angriff auf Al Dschasira auf höchster Ebene vorsätzlich geplant war. Al Dschasira wurde damals ins Visier genommen, weil die Politiker, die Krieg gegen den Irak führten, seine Sendungen nicht mochten. Wir sprechen über Terrorismus. Dies ist reiner Terrorismus."
Al Dschasira fordert von der Blair-Regierung eine Erklärung.
Blunketts Eingeständnis stört empfindlich die Bemühungen der britischen Regierung, Beweise zu unterdrücken, wonach Blair und Bush ein Bombardement der Al Dschasira-Zentrale in Katar diskutiert haben.
Am 22. November letzten Jahres veröffentlichte der Daily Mirror eine exklusive Titelgeschichte über das durchgesickerte Protokoll einer Unterredung zwischen Bush und Blair vom 16. April 2004 in Washington. Das Gespräch, bei dem auch der damalige amerikanischen Außenminister Colin Powell zugegen war, fand während der US-Offensive gegen die irakische Stadt Falludscha statt.
Der Mirror berichtete, laut Protokoll habe Bush ein "militärisches Vorgehen" gegen das Hauptquartier von Al Dschasira in Doha, der Hauptstadt von Katar, angedroht.
Eine nicht näher benannte Quelle sagte der Zeitung: "Das Memo ist explosiv und für Bush äußerst schädlich. Er machte klar, dass er Al Dschasira in Katar und anderswo bombardieren lassen wollte. Blair entgegnete, das könne zu großen Problemen führen. Es steht außer Frage, was Bush tun wollte - und es steht außer Frage, dass Blair dagegen war."
Eine andere Quelle ergänzte: "Es war Bush todernst, und Blair auch. Das geht aus der Wortwahl der beiden Männer absolut klar hervor."
Die mutmaßliche undichte Stelle, durch die das Protokoll an die Öffentlichkeit gelangte, sind Leo O'Connor, ein Mitarbeiter des ehemalige Labour-Abgeordnete Tony Clarke, und David Keogh, ein früherer Angestellter im britischen Kabinett. Die beiden wurden wegen Geheimnisverrats angeklagt. Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith drohte dem Mirror mit Konsequenzen, falls die Redaktion nicht freiwillig auf die Veröffentlichung weiterer Enthüllungen verzichtete. Die Zeitung fügte sich der Drohung.
Der ehemalige britische Verteidigungsminister Peter Kilfoyle brachte im Parlament einen Antrag ein, nach dem Blair den vollständigen Text des Memos freigeben soll.
Ursprünglich wollte die Regierung die beiden Männer gerichtlich verfolgen, um andere einzuschüchtern und weitere Enthüllungen zu verhindern. Doch bald stand sie vor der Schwierigkeit, in einem Gerichtsprozess Beweisstücke vorlegen zu müssen, die die Planung eines Kriegsverbrechens von Seiten Amerikas und Großbritanniens belegt hätten.
Um dies zu verhindern, versuchte sie, den Gerichtsprozess geheim zu führen. Dieser Forderung kam Richter Aikens am Zentralen Strafgerichtshof in London am 9. Oktober dieses Jahres nach. An diesem Tag wurden die Medien nicht zur gerichtlichen Voruntersuchung zugelassen, die dann hinter verschlossenen Türen passierte. Teile des Prozesses, der auf April nächsten Jahres vertagt wurde, finden nun unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Die Regierung begründet die Geheimhaltung damit, dass das Memo eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar stellt.
Blairs außenpolitischer Berater Sir Nigel Sheinwald, der bei dem Washingtoner Meeting dabei war, wollte den Richter schon im März dazu anhalten, den Prozess im Geheimen zu führen - noch ehe Keogh und OConnor überhaupt angeklagt wurden. Er erklärte, dass eine Veröffentlichung des Protokolls "ernste Folgen für die internationalen Beziehungen" des Vereinigten Königreichs haben und wahrscheinlich den britischen Interessen im Irak Schaden zufügen könnte.
Vertreter der Regierung forderten gleichzeitig auch eine Vertagung der vorgerichtlichen Anhörungen auf April 2006 mit der Begründung, sie bräuchten eine Freigabe vom damaligen Außenminister Jack Straw. Straw unterzeichnete jedoch keine solche Freigabe sondern überließ dies seiner Nachfolgerin Margaret Beckett, die dies auch erst im Juni tat.
Beckett hält die Position aufrecht, die Veröffentlichung des Memos habe "ernsthafte negative Auswirkungen auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Großbritannien und Amerika. Die Folge wäre letztlich... ein erhebliches Risiko für die nationale Sicherheit".
"Meiner Einschätzung nach ist dieses Risiko so groß, dass es das Interesse an einer öffentlichen Rechtssprechung überwiegt", fügte sie hinzu.
Richard Norton-Taylor, Redakteur des Guardian für Sicherheitsfragen, bezeichnet diese Argumente als "zutiefst beunruhigend". Er weist darauf hin, dass Richter Aikens mit seiner Entscheidung die Argumente der Regierung akzeptiert und noch bekräftigt, nach denen die Wahrheit unterdrückt werden muss.
Norton-Taylor bemerkt, dass das Gerichts mit seiner Entscheidung die Annahme akzeptiert, die Veröffentlichung des Memos würde "schädliche Auswirkungen" auf die "diplomatischen und politischen Beziehungen" Großbritanniens zu den USA haben und "ernste Konsequenze" für "die nationale Sicherheit des Vereinigten Königreichs in der aktuellen internationalen Situation" nach sich ziehen.
Der Redakteur fährt fort: "Der Richter warnt, der Inhalt des Memos werde auf der ganzen Welt gelesen - eine zu schreckliche Vorstellung, so scheint es, um sie ernstlich zu erwägen. Es werde unterschiedliche Ansichten über die Wirkung des Inhalts geben. Man muss vernünftigerweise davon ausgehen, so warnt er, dass einige Personen, Teile der Medien und sogar einige Staaten auf den Inhalt in sehr ungünstiger Weise reagieren. Und das aus dem einzigen Grund, weil das besprochene Thema die Irakpolitik der USA und Großbritanniens zu einem schwierigen Zeitpunkt gewesen sei. Und dann spielt er eine Trumpfkarte aus. Er sagt: Es ist meiner Ansicht nach ebenfalls legitim, wenn das Gericht die ständig gegenwärtige Bedrohung der nationalen Sicherheit im Auge behält, die von möglichen Terrorakten von Extremisten in Großbritannien ausgeht."
Norton-Taylor schließt: "Aber es reicht ihm noch nicht, die Karte mit der Terrorgefahr gespielt zu haben. Der Richter sagt, wenn er einem geheimen Prozess nicht zugestimmt hätte, dann hätte die Regierung die Klage fallengelassen und würde in Zukunft überhaupt zögern, Strafverfolgungen in solchen Fällen einzuleiten."
Diese Argumentation stellt in keiner Weise die Authentizität des Protokolls oder seine korrekte Wiedergabe in Frage. Sie erklärt vielmehr, dass die Offenlegung seines Inhalts, d.h. die Diskussion über Kriegsverbrechen, weltweit zu berechtigter Wut führen und daher britische nationale Interessen schädigen würde, besonders durch eine Gefährdung der Allianz mit Washington.
Die Gerichtsentscheidung unterstellt weiter, dass jeder, der eine Offenlegung fordert, damit auch Terroristen unterstützen und mit Munition versorgen könnte. Und wer die Regierung zwinge, sich öffentlich zu rechtfertigen, halte sie womöglich davon ab, diesen Prozess und ähnliche Prozesse gegen Geheimnisverräter in Zukunft überhaupt noch anzustrengen.
Der Anwalt von Al Dschasira Mark Stephens sagte Reportern: "Unser Kernargument lautet, dass es [in diesem Prozess] nicht um die nationale Sicherheit geht. Es geht darum, uns den Beweis für ein Kriegsverbrechen vorzuenthalten."
Gegen der Weigerung der Regierung, das Memo zu veröffentlichen, stützt sich Stephens auf das Informationsfreiheitsgesetz.
Die Rechtsanwälte von Keogh und OConnor haben keinerlei inhaltlichen Kommentar abgegeben.
Die Redaktionsräume von Al Dschasira wurden zweimal von amerikanischen Bomben getroffen. Schon vor dem Angriff von 2003 in Bagdad, dem Ajub zum Opfer fiel, schlugen am 13. November 2001 zwei Präzisionsbomben im Büro von Al Dschasira in der afghanischen Hauptstadt Kabul ein und zerstörten das Gebäude.
Al-Dschasira erklärte, die Koordinaten ihres Kabuler Büros seien den USA bekannt gewesen. Und schon am 24. Februar 2003, sechs Wochen bevor Ajub getötet wurde, habe Mohammed Dschasim al Ali von Al-Dschasira einen Brief mit den Koordinaten des Bagdader Büros an Victoria Clarke, die Öffentlichkeitsbeauftragte im amerikanischen Außenministerium, geschickt.
Ajubs Witwe strengt einen Prozess gegen die Bush-Regierung an, die sie für den Tod ihres Ehemanns im Jahre 2003 verantwortlich macht. Ihr Anwalt Hamdi Rifai sagte gegenüber der Presse: "Der Prozess wird zum Teil deshalb geführt, weil der Daily Mirror letztes Jahr enthüllte, dass Präsident Bush mit dem britischen Premierminister Tony Blair über seine Absicht gesprochen hatte, die Zentrale von Al Dschasira in Katar zu bombardieren."