Bundesparteitag der Grünen
Frieden aus den Gewehrläufen
Von Peter Schwarz
8. Dezember 2006
Es war der erste Bundesparteitag der Grünen seit der Ablösung der rot-grünen Bundesregierung vor einem Jahr und der erste seit 18 Jahren, bei dem die Grünen in keiner einzigen Landesregierung vertreten sind. Doch wer erwartet hatte, die Grünen würden am vergangenen Wochenende in Köln eine politische Bilanz ziehen, sah sich getäuscht.
Millionen Menschen leiden unter den Auswirkungen der Politik der Regierung Schröder/Fischer - der Hartz-Gesetze und der sozialen Kürzungen, die die Grünen als Regierungspartei mitverantwortet hatten. Doch die Parteitagsdelegierten ließ das kalt. Anstatt sich mit den Folgen der eigenen Politik zu beschäftigen, regten sie sich über das neue Parteilogo auf, das die Parteispitze ohne vorherige Absprache mit den Mitgliedern präsentiert hatte. Über dieses Thema wurde auf dem Parteitag lange und heftig gestritten.
Das ist charakteristisch für die Grünen. Über selbstverschuldete Katastrophen gehen sie hinweg, als wäre nichts gewesen. Die eigene Verantwortung schütteln sie ab, wie eine Ente das Wasser. Nach sieben Jahren in der Bundesregierung halten sie es nicht für nötig, sich mit dem Ergebnis ihres eigenen Handelns auseinanderzusetzen.
Die Grünen sind ein Spiegelbild jener begüterten Mittelschichten, die sich vorwiegend mit sich selbst beschäftigen und die Verarmung breiter Bevölkerungsteile lediglich als Bedrohung des eigenen Lebensstils wahrnehmen. Selbstversessen, eitel und karrierebedacht streiten sie sich über alles, nur nicht über die Folgen des eigenen Tuns. Von ihrer einstigen Radikalität ist der "radikale Realismus" geblieben - die Bereitschaft, sich an die bestehende Ordnung anzupassen, koste es, was es wolle.
Dabei bewegen sich die Grünen immer weiter nach rechts. Am deutlichsten zeigte dies die Debatte über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
Es sind keine zehn Jahre her, da hatten die Grünen Auslandseinsätze der Bundeswehr kategorisch abgelehnt. Als Regierungspartei unterstützten sie dann Einsätze auf dem Balkan, in Afrika und in Afghanistan und halfen mit, die Bundeswehr von einer territorialen Verteidigungsarmee in eine internationale Eingreiftruppe umzuwandeln. Nun fallen sie über jeden her, der einen militärischen Rückzug aus Afghanistan auch nur andeutet, obwohl dort die Lage zusehends eskaliert.
Mit der Aussage, "der schmutzige Krieg, den die Amerikaner in Afghanistan führen, ist eine Jobmaschine für Terroristen", versetzte der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele die Parteitagsmehrheit in Rage. Ströbele verlangte nicht etwa den bedingungslosen Abzug der Bundeswehr, die im Rahmen des Isaf-Mandats und der Operation Enduring Freedom eng mit den Amerikanern zusammenarbeitet - so weit geht auch die so genannte Parteilinke längst nicht mehr. Er forderte lediglich die Nutzung eines Zeitfensters, um eine "Exitstrategie" zu entwickeln. Doch damit entfachte er einen Sturm der Empörung.
"Es geht um Afghanistan im Hier und Jetzt und nicht um Prinzipien", verkündete Parteichefin Claudia Roth. Die internationale Schutztruppe Isaf sei weiterhin notwendig für den Wiederaufbau. Ein Signal zum Ausstieg sei keine grüne Friedenspolitik. Der Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn unterstützte sie mit den Worten, die Entscheidung für eine deutsche Exitstrategie wäre für die Afghanen ein Zeichen: "Die lassen uns allein, und die Taliban können wieder kommen."
Ex-Umweltminister Jürgen Trittin warf Ströbele vor, er denunziere die grüne Außenpolitik. Die Grünen stünden "gerade als Friedenspartei" für den "Zusammenhang zwischen zivilem Aufbau und militärischer Absicherung".
Führungsmitglied Krista Sager warf den Kritiker des Afghanistaneinsatzes in einer erregten Rede sogar vor, sie verträten eine "nationalkonservative Haltung". "Dieses Was geht uns das an - das kann doch nicht die Botschaft sein, die von diesem Parteitag an die Menschen in Afghanistan ausgeht", sagte sie.
Schließlich stimmte eine große Mehrheit der 750 Delegierten für einen Antrag des Vorstands, der die Fortführung des Isaf-Einsatzes unterstützt.
Der Parteitag vermied es sorgfältig, sich auf zukünftige Regierungskoalitionen festzulegen. Aber die programmatische Debatte war vom Bemühen geprägt, nirgends anzuecken, "nach allen Seiten offen" zu sein und mit jedem koalieren zu können, einschließlich Union und FDP.
So forderte der Parteitag ein staatlich garantiertes Grundeinkommen für alle - und rechtfertigte gleichzeitig die Zustimmung zu Hartz IV in der rot-grünen Koalition.
Die EU-Verfassung unterstützen die Grünen weiterhin, trotz der negativen Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden. Sie fordern lediglich die Aufspaltung der Verfassung in eine Grundrechtecharta und ein Regelwerk der institutionellen Beziehungen - d.h. dasselbe in neuer Verpackung.
Bei den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen im Bund haben die Grünen nur gemeinsam mit der FDP eine Chance, eine Koalition mit der SPD oder der Union zu bilden. Entsprechend bemühten sie sich um eine Annäherung an die Liberalen. "In der Tat können viele Beschlüsse und Positionen der Grünen mit der Großoperation erklärt werden, die sich mit dem Titel die Partei FDP-kompatibel machen zusammenfassen lässt", kommentierten die Stuttgarter Nachrichten.
Und der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Oswald Metzger verkündete nach dem Parteitag, die Grünen hätten "alle Chancen auf eine spannende Konstellation mit der Union". Sieben Jahre lang seien die Grünen "der Kellner der SPD" gewesen. "Eine schwarz-grüne oder eine Jamaika-Koalition strahlt schon jetzt unglaublich viel mehr Charme aus." Einzig eine Koalition mit SPD und Linkspartei schloss Metzger kategorisch aus. "Deutschland braucht keine dritte Linkspartei", sagte er.
Auch Fraktionschefin Renate Künast ließ ihre Vorliebe für eine Öffnung zur Union deutlich erkennen.
Die Grünen haben allerdings das Problem, dass sie den anderen Parteien derart ähnlich geworden sind, dass es kaum mehr einen Grund gibt, sie zu wählen. Daher der Versuch, ihr altes Steckenpferd, den Umweltschutz, wieder zu aktivieren.
Angesichts der drastischen Folgen der Erderwärmung beschloss der Parteitag ein Energiesparprogramm. Bis 2020 soll Deutschland seinen CO2-Ausstoß um mindestens 40, bis 2050 um mindestens 80 Prozent vermindern.
"Klimaschutz", so der Vorsitzende Reinhard Bütikofer, "ist hegemoniefähig in dieser Gesellschaft." Er beeilte sich zu betonen, dass dies nicht im Gegensatz zu den Interessen der Wirtschaft stehe. "Die Wirtschaft wird nicht ohne ordnungspolitischen Rahmen die ökologische Wende nehmen", sagte er, "aber ohne die Wirtschaft wird die ökologische Erneuerung keine Zukunft haben."
Die praktischen Maßnahmen zum Klimaschutz, die der Parteitag vorschlug, waren bescheiden. Zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs sollen ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern, eine Kerosinsteuer im Flugverkehr und eine City-Maut in geeigneten Gemeinden eingeführt werden. Warum es die Grünen in ihrer siebenjährigen Regierungszeit nicht fertig gebracht haben, ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen - das in jedem anderen Land der Welt selbstverständlich ist - erklärte Bütikofer nicht.
Insgesamt kennzeichnet der Kölner Bundesparteitag eine weitere Rechtsentwicklung der Grünen. Sie waren vor 25 Jahren mit dem Anspruch angetreten, man könne die Gesellschaft in fortschrittlicher Weise verändern, ohne die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse anzutasten. Ihre eigene Entwicklung hat diese These gründlich widerlegt.