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Bundesverwaltungsgericht: Irakkrieg war völkerrechtswidrig

Von Justus Leicht
14. September 2005

Eher nebenbei wurde von den deutschen Medien in der letzten Woche ein höchstrichterliches Urteil notiert, das es bei näherer Lektüre in sich hat. Sorgfältig haben die Richter des Bundesverwaltungsgerichts begründet, dass der Angriff der USA und ihrer Alliierten auf den Irak eine eindeutig völkerrechtswidrige Aggression war. Sie haben auch akribisch nachgewiesen, dass die Bundesregierung im Gegensatz zu ihren öffentlichen Beteuerungen dabei Beihilfe geleistet hat, ohne dazu in irgendeiner Weise rechtlich verpflichtet gewesen zu sein. Das Urteil wurde bereits im Juni gesprochen, jetzt liegt die schriftliche Begründung vor, die mehr als 130 Seiten umfasst.

Anlass war die Klage eines Bundeswehrmajors, der bei Beginn des Krieges gegen den Irak einen Befehl verweigert hatte, weil er befürchtete, dadurch dem Krieg Vorschub zu leisten. Er wurde deshalb vom Major zum Hauptmann degradiert, außerdem erging Strafanzeige wegen Gehorsamsverweigerung gegen ihn. Das Bundesverwaltungsgericht hob die Degradierung auf. Sie sei ein Verstoß gegen die vom Grundgesetz, Artikel 4 Absatz 1, verbürgte Gewissensfreiheit.

Der 48-jährige Berufssoldat sollte an der Entwicklung eines Computerprogramms mitarbeiten, von dem er befürchtete, es könnte auch im Zusammenhang mit dem Irakkrieg eingesetzt werden. Er teilte deshalb seinem Vorgesetzten mit, dass er den Befehl nicht ausführen könne. Außerdem suchte er den Militärgeistlichen und den Truppenarzt auf und erläuterte diesen, dass nach seiner, der Presse entnommenen Auffassung der Krieg rechtswidrig sei. Der Truppenarzt schickte ihn daraufhin zu einem Nervenarzt und sogar zur stationären Untersuchung in ein Bundeswehrkrankenhaus - eine Reaktion, die an die Romane Franz Kafkas und das Vorgehen mancher stalinistischen Regime gegen Dissidenten erinnert.

Sein Vorgesetzter schickte ihn außerdem zum leitenden Rechtsberater seiner Truppeneinheit, damit ihm dieser "die rechtlichen Hintergründe erkläre". Dieser drohte ihm mit unehrenhafter Entlassung und Degradierung. Von dem Soldaten zur Diskussion über die völkerrechtliche Legitimation des Krieges aufgefordert, wandte sich der Rechtsberater an das Verteidigungsministerium.

Von dort erhielt er ein Schreiben, in dem es hieß, dass die Bundesregierung den Krieg zwar ablehne, den USA und Großbritannien aber Überflugrechte, Nutzung und Schutz ihrer militärischen Einrichtungen in Deutschland und den Einsatz deutscher Awacs-Flugzeuge zur Überwachung des türkischen Luftraumes zugesagt habe.

Hintergrund seien die Bündnispflichten Deutschlands als NATO-Partner und die UNO-Resolution 1441, die dem Irak ernsthafte Konsequenzen androhe für den Fall, dass er seinen Verpflichtungen zur Zerstörung von Massenvernichtungswaffen nicht nachkomme. Es sei "offen gelassen worden", ob für den Einsatz militärischer Mittel eine nochmalige Resolution des UNO-Sicherheitsrates erforderlich gewesen sei.

Mit anderen Worten übernahm die rot-grüne Regierung hier die juristische Rechtfertigung der Bush-Administration. Als der Major nicht bereit war, diese zu akzeptieren und den Befehl weiterhin verweigerte, folgten Degradierung und Strafanzeige. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun die Argumentation der Regierung im Detail zerpflückt und juristisch wiederlegt.

Gravierende völkerrechtliche Bedenken

Wegen des starken öffentlichen Widerstands gegen die Remilitarisierung Deutschlands, die größtenteils unter Leitung ehemaliger Offiziere der Nazi-Wehrmacht erfolgte, war der Aufbau der Bundeswehr in den 50er Jahren mit einer Reihe demokratischer Zugeständnisse verbunden. Dazu gehört auch, dass Befehle, die gegen die Menschenwürde, die Verfassung, das Strafrecht und das Völkerrecht verstoßen, nicht befolgt werden müssen.

Das Bundesverwaltungsgericht ließ sich tunlichst nicht auf die Beurteilung der Frage ein, ob hier ein solcher Fall gegeben war. Diese Frage brauche nicht entschieden zu werden, urteilte es. Der Klage des Soldaten sei nämlich schon deshalb stattzugeben, weil er unter besonderen Umständen eine schwere Gewissensentscheidung getroffen habe.

Hier war das Gericht unzweideutig: Gegen den Krieg und die Unterstützungsleistungen Deutschlands bestünden "gravierende völkerrechtliche Bedenken".

Das Gericht verwies auf Art. 2 Ziff 4 UN-Charta, wonach "jede" Androhung und Anwendung militärischer Gewalt gegen einen anderen Staat eine völkerrechtswidrige Aggression sei. Davon gebe es nur zwei Ausnahmen: Der förmliche Beschluss durch den UNO-Sicherheitsrat und den Fall der Selbstverteidigung. Beides sei im Falle des Irak nicht gegeben gewesen.

Insbesondere hätten sich die USA zu Unrecht auf die von ihnen angeführten UN-Resolutionen berufen. UN-Resolution 678 von 1990 habe nur zur Vertreibung des Irak aus Kuwait legitimiert. Die Waffenstillstandsresolution 687 von 1991 habe festgestellt, dass dieses Ziel erreicht sei. Sie habe dem Irak im Falle des Einsatzes gasförmiger oder bakteriologischer Waffen "ernste Konsequenzen" angedroht und eine eindeutige Distanzierung vom "internationalen Terrorismus" verlangt. Dies habe der Irak akzeptiert.

Die UN-Resolution 707 von 1991 habe die Waffenruhe nicht aufgehoben. Auch später sei dies nicht geschehen. Keine der späteren UN-Resolutionen des Sicherheitsrates habe einen Rechtfertigungsgrund für militärische Handlungen enthalten, auch nicht um die Zusammenarbeit mit Waffeninspektoren zu erzwingen.

Dies gelte insbesondere auch für die Resolution 1441 vom 8. November 2002, die von den USA und Großbritannien dann als Rechtfertigung für den Krieg herangezogen wurde.

Diese Resolution habe die Verantwortlichen für die Waffeninspektion, Hans Blix und Mohamed El- Baradei, lediglich angewiesen, den UN-Sicherheitsrat unverzüglich über eine mangelnde Kooperation des Irak zu informieren, damit der Sicherheitsrat über die entstandene Situation beraten könne. Welche Entscheidungen der UN-Sicherheitsrat in einer solchen Situation dann fassen würde, sei offen gelassen worden.

Der UN-Sicherheitsrat habe zwar mit "ernsthaften Konsequenzen" gedroht, aber nicht konkretisiert, worin diese bestehen würden. Dagegen habe er in der Resolution 1441 "unmissverständlich" zum Ausdruck gebracht, dass er (auch nach ihrer Verabschiedung) mit der Angelegenheit befasst bleiben werde. Damit habe er der Sache nach klargestellt, dass er nicht bereit sei, die Angelegenheit aus der Hand zu geben, sondern - wie in der UN-Charta vorgesehen - selbst über die Konsequenzen entscheiden wolle.

Mit der in Resolution 1441 gewählten Formulierung "serious consequences" habe der Sicherheitsrat lediglich eine nicht näher bestimmte Warnung ausgesprochen, jedoch bewusst davon Abstand genommen, die von den Regierungen der USA und des UK angestrebte Gewaltanwendung zu billigen oder sonstwie zu legitimieren.

Nur wenn der UN-Sicherheitsrat ausweislich des Resolutionstextes innerhalb der von der UN-Charta gezogenen Grenzen eine Gewaltanwendung positiv gebilligt hätte, wären - so das Bundesverwaltungsgericht - militärische Gewaltmaßnahmen gegen den Irak nach der UN-Charta zulässig gewesen. Ein diesbezügliches "Schweigen" oder Offenlassen der Art der angedrohten "ernsthaften Konsequenzen" habe als Ermächtigungsgrundlage nicht ausgereicht.

Auch Einwände, der Resolutionstext sei von Vertretern der USA und des UK von vornherein anders interpretiert worden, wollte das Gericht nicht gelten lassen. Spitz formulierte es: "Für die Ermittlung dessen, was der UN-Sicherheitsrat in einer solchen Resolution beschlossen hat, ist aber nicht entscheidend, was sich Regierungsbeauftragte bei der Beratung und Beschlussfassung im UN-Sicherheitsrat,gedacht’ haben. Vielmehr kommt es darauf an, was im Text der verabschiedeten Resolution seinen Niederschlag gefunden hat. Fehlt es daran, mangelt es insoweit an einer entsprechenden Beschlussfassung. Mentalreservationen von Regierungsbeauftragten oder ihrer Auftraggeber sind völkerrechtlich insoweit nicht maßgeblich."

Der Text der Resolution 1441 zeige vielmehr, dass eine Ausnahme vom grundsätzlichen Gewaltanwendungsverbot vom UN-Sicherheitsrat gerade nicht beschlossen worden sei. Von einer Ermächtigung oder Autorisierung irgendeiner Regierung oder eines Staates zur Gewaltanwendung nach Kapitel VII der UN-Charta sei an keiner Stelle die Rede. Der Begriff "Autorisierung" ("authorization") tauche im Resolutionstext in diesem Zusammenhang nicht einmal auf.

Der Versuch der Regierungen der USA, des UK und des Königreichs Spanien, durch eine weitere Resolution später dann unmittelbar vor Kriegsbeginn doch noch eine Ermächtigung für die Anwendung militärischer Mittel zu erreichen, habe im UN-Sicherheitsrat keine Mehrheit gefunden. Um eine Abstimmungsniederlage zu vermeiden, sei der entsprechende Resolutionsentwurf zurückgezogen worden.

Deutsche Unterstützungsleistungen sind völkerrechtswidrig

Bemerkenswert ist, dass die Richter wiederholt auf eine Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 2. Januar 2003 verweisen, die ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass die bisherigen UN-Resolutionen keinen Angriff auf den Irak legitimieren. Auch wenn man davon ausgeht, dass nicht alle Abgeordneten diese Ausarbeitung gelesen hatten, muss zumindest den zuständigen Kabinettsmitgliedern und Bundeskanzler Gerhard Schröder selbst zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sein, dass der Irak-Krieg völkerrechtswidrig war.

Eine Gefahrenlage, die ein Selbstverteidigungsrecht hätte begründen können, sei von den Regierungen der USA und des UK in ihren diplomatischen Noten an den UN-Sicherheitsrat nicht einmal substantiiert behauptet worden.

Das Gericht beschäftigt sich ausführlich mit den Unterstützungsleistungen Deutschlands für den Krieg, insbesondere der Gewährung der Nutzung der militärischen Einrichtungen und der Überflugrechte für USA und UK.

Trocken stellt es fest: "Die Unterstützung einer völkerrechtswidrigen Militäraktion kann nicht nur durch die militärische Teilnahme an Kampfhandlungen erfolgen, sondern auch auf andere Weise. Ein völkerrechtliches Delikt kann durch ein Tun oder - wenn eine völkerrechtliche Pflicht zu einem Tun besteht - durch Unterlassen begangen werden. Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt." Gegen Artikel 26 Grundgesetz, der es verbietet, einen Angriffskrieg "vorzubereiten", verstoße erst recht, wer einen solchen unterstütze.

Die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik ergäben sich eindeutig aus der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 14. Dezember 1974 beschlossenen Resolution 3314, der "Völkerrechtskommission" der Vereinten Nationen ("International Law Commission") und aus dem Völkergewohnheitsrecht, das bis auf die Haager Landkriegsordnung von 1907 zurückgehe.

Bereits letztere habe es Staaten, die an bewaffneten Konflikten zwischen anderen Staaten nicht beteiligt sind, verboten, ihr Gebiet zum Transport von Truppen oder Versorgungstransporten zur Verfügung zu stellen. Auch Telekommunikation und jede Art von Militärluftfahrt müsse der Drittstaat unterbinden, heiße es in der Haager Landkriegsordnung. Über Artikel 25 Grundgesetz seien diese allgemeinen Regeln des Völkerrechtes Teil des Bundesrechts, noch über den Gesetzen stehend.

Die Berufung der Bundesregierung auf ihre "Bündnispflichten" als NATO-Partner stünde dem nicht entgegen. Der NATO-Vertrag verweise auf die UN-Charta und beinhalte keine Pflicht zur Unterstützung völkerrechtswidriger Kriege anderer NATO-Staaten. Zudem sehe der NATO-Vertrag den Bündnisfall nur bei einem "bewaffneten Angriff" auf NATO-Gebiet vor. Der NATO-Rat habe im Fall des Irakkrieges auch gar keinen Bündnisfall beschlossen. Außerdem enthalte der NATO-Vertrag - eingefügt 1949 durch die USA - eine Klausel, wonach kein Staat durch den Vertrag oder dessen Durchführung gezwungen werden dürfe, gegen seine eigene Verfassung zu verstoßen.

Auch aus politischen Erwägungen heraus habe die Bundesregierung die Unterstützungsleistungen nicht erbringe dürfen, denn sie sei nach Art. 20 Absatz III Grundgesetz an Recht und Gesetz und nach Artikel 25 an die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gebunden.

Es ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, dass diese Urteilspassagen keine höheren Wellen geschlagen haben, wird hier doch der Bundesregierung nichts weniger als Verfassungs- und Völkerrechtsbruch vorgeworfen. Ihre Behauptung, sie habe alles in ihrer Macht liegende getan, um den Irakkrieg zu verhindern, wird durch eines der höchsten deutschen Gerichte Lügen gestraft. Sie hätte nicht nur die rechtliche Möglichkeit, sondern sogar die Verpflichtung gehabt, den deutschen Luftraum und die auf deutschem Boden gelegenen Basen für den Irakkrieg zu sperren.

In den meisten Medien ist Schröder für seine angebliche Antikriegshaltung gelobt worden, oder man warf Rot-Grün vor, das transatlantische Bündnis mit den USA beschädigt zu haben. Union und FDP werden im Fall einer Regierungsübernahme entweder die Außenpolitik Schröders weiterführen oder sich noch stärker wieder den USA annähern - und womöglich bald vor ähnlichen Entscheidungen stehen wie Schröder, wenn die US-Regierung das nächste Land angreift. Was die Linkspartei/PDS angeht, so hat deren Spitzenkandidat Gregor Gysi Schröder in den höchsten Tönen für dessen Irakpolitik gelobt.

Siehe auch:
Struck will Bundeswehreinsatz in Afghanistan ausweiten
(2. September 2005)