Medien, Unterhaltungsindustrie und Michael Jackson
Von David Walsh
23. März 2005
aus dem Englischen (17. März 2005)
Im Prozess gegen Michael Jackson wegen sexueller Belästigung von Minderjährigen, der mittlerweile seit drei Wochen im kalifornischen Santa Maria stattfindet, ist die Anklage ernsthaft unter Druck geraten, nachdem am 14. März das mutmaßliche Opfer selbst als Zeuge vernommen wurde. Der 15-jährige Junge gab bei der Befragung durch den Anwalt der Verteidigung Thomas Mesereau Jr. zu, dass er gegenüber einem Schulvertreter gesagt hatte, der Popsänger habe ihn nicht belästigt.
Bei einer erneuten Befragung am folgenden Tag durch Staatsanwalt Thomas Sneddon erklärte der Junge, auf dessen Vorwürfe sich die Anklage stützt, dass er die Belästigung geleugnet habe, um dem Spott seiner Klassenkameraden zu entgehen. Nichtsdestotrotz hat sein Eingeständnis hinsichtlich des Gesprächs mit dem Schulvertreter die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Frage gestellt. Es könnte der Staatsanwaltschaft schwerer fallen, das Gericht zu überzeugen, dass Jackson zehn Schwerverbrechen begangen hat, für die der Sänger bis zu 20 Jahre im Gefängnis büßen müsste.
Die Anklage behauptet, dass der Popsänger im Februar 2003 auf seiner Ranch Neverland den damals 13-jährigen Jungen sexuell belästigt hat. Die Verteidigung argumentiert, dass die Familie des Jungen schon mehrfach fragwürdige Anschuldigungen erhoben hat, um Geld zu erhalten, und dass der jetzige Fall lediglich einen weiteren solchen Versuch darstellt.
In den ersten Prozesswochen rief die Staatsanwaltschaft das mutmaßliche Opfer, seinen Bruder und seine Schwester in den Zeugenstand. Die zwei Jungen brachten eine Reihe von Beschuldigungen gegen den Sänger vor: Er habe ihnen Alkohol und Sexmagazine gegeben und den Älteren der beiden unzüchtig berührt. Die Verteidigung wies auf Ungereimtheiten in den Aussagen hin und äußerte den Verdacht, dass sie zum Lügen angehalten worden seien.
Der Jackson-Prozess ist zur opulenten Medienveranstaltung geworden - die so genannten "Nachrichten" sind gesättigt mit einer Berichterstattung, die den Fall endlos hochspielt - und Teil der Bemühungen von kommerziellen Medien, die öffentliche Meinung verrohen und verderben zu lassen. Der schäbige Charakter des Prozesses sollte niemanden überraschen. Könnte ein Fall, der durch so wesentliche und erbärmliche Bestandteile des derzeitigen öffentlichen Lebens in Amerika gekennzeichnet ist - Geld, Prominenz und ein anzügliches Interesse an Sex - auf irgendeine andere Weise ablaufen?
Dieses Spektakel weist mehrere Aspekte auf. Zum einen ist da die anhaltende "Leidensgeschichte von Michael Jackson".Der Sänger schien bei seinem letzten Auftritt vor Gericht dem Zusammenbruch nahe. Er erschien zu spät beim Prozess und brachte damit den Richter auf, der ihm mit Untersuchungshaft drohte. Jackson war scheinbar in der Notaufnahme eines Krankenhauses gewesen, um seinen Rücken untersuchen zu lassen, und erschien mit über einer Stunde Verspätung in Pyjamahosen, Hausschuhen und Jackett vor Gericht. Nachdem er den Popstar in diesem Zustand gesehen hatte, sprach sein ehemaliger "spiritueller Berater" Rabbi Shmuley Boteach in einem Fernsehinterview die Befürchtung aus, dass der Sänger noch während des Prozesses sterben würde.
Wir behaupten nicht, zu wissen ob Jackson im Sinne der Anklage schuldig oder unschuldig ist. Er ist, man muss es kaum betonen, ein zutiefst verstörter und mit Problemen beladener Mensch, der zu bizarrem Verhalten neigt. Sein Leben war zu einem so großen Teil mit öffentlicher Vergötterung verbunden, dass Jackson unabhängig vom Ausgang des Prozesses wahrscheinlich schweren Schaden nimmt. Man fragt sich, ob er überleben kann, dass er als Kinderschänder und "Monster" dargestellt wird. Auch finanziell soll er sich in einer zunehmend prekären Lage befinden.
Der Belästigung schuldig oder nicht, Jackson braucht offensichtlich psychologische Hilfe. Ob jedoch die intensivste Therapie jemals den Schaden beheben könnte, den ein Leben in Amerikas Rampenlicht hervorgerufen hat, sei dahingestellt.
Es gibt kaum einen gesellschaftlichen Sektor, der derart erbarmungslos ist wie das amerikanische "Showbusiness". Man kann durchaus sagen, dass an seinen Händen das Blut zahlloser talentierter Individuen klebt. Das Zusammenspiel von großem und plötzlichem Reichtum, Heldenverehrung durch die Öffentlichkeit (nicht selten mit einer Spur Neid und Verbitterung) und gnadenlosen kommerziellen Forderungen hat oft tödliche Folgen - für den Künstler, seinen Körper oder beide.
Die Metapher des "Leidenswegs" ist nicht gänzlich unangemessen. Auf den "Superstar" der Unterhaltungsindustrie konzentriert sich ein guter Teil des Verlangens in der Bevölkerung, insbesondere derzeit in den Vereinigten Staaten, wo so viele Menschen emotional und intellektuell aus dem Gleichgewicht geraten sind.
Jackson, der aus der Arbeiterklasse stammt, ist sich seines Publikums wahrlich bewusst und fühlt sich ihm verpflichtet. Man kann sich vorstellen, wie er die immense Sehnsucht in der Bevölkerung als Druck und Forderung empfindet, und es ihm schwer fällt, dieses Kreuz zu tragen. Er muss auch spüren, dass Vergötterung schnell ins Gegenteil umschlagen kann, wenn sich die Wahrnehmung durchsetzt, dass das Objekt der Bewunderung durch mutmaßliche Missetaten Verrat begangen hat.
Die emotionalen Bedürfnisse der Öffentlichkeit werden von den gnadenlosen finanziellen Forderungen der Industrie noch weitaus übertroffen. Nirgendwo sonst auf der Welt ist die relativ nahtlose Verwandlung des Starkünstlers in eine Profitmaschine so perfektioniert, mit so verheerenden Folgen.
Dies muss natürlich vom Künstler bzw. auch vom Vertreter der Unterhaltungsindustrie nicht voll verstanden werden, aber die vampirischen Bedürfnisse der Medienkonglomerate saugen unaufhaltsam die Kreativität und das Leben aus dem Künstler. Letztendlich muss der Künstler verlieren, was die Unterhaltungsindustrie gewinnt. Und umgekehrt: Insofern ein einzelner Sänger oder Schauspieler sich weigert, seine Seele vollständig zur Ware machen zu lassen, beraubt er die Plattenfirma oder das Filmstudio. Dies ist ein Kampf, der oft buchstäblich zum Tode führt.
Jackson hatte eine Karriere in der Unterhaltungsbranche, die mehr verlangte und "totaler" war als in den meisten Fällen. Er war beinahe sein ganzes Leben lang ein Star und muss dem Musikgeschäft in großem Maße für das danken, was er ist. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung im Jahre 2003 schrieben wir: "Warum sollte man übermäßig schockiert oder empört über Jacksons physische Transformation sein? Er ist nur den Argumenten der Kultur selbst, ihrer unermüdlichen Sucht nach dem Falschen und Irrealen, bis zu ihrer logischen, wenn auch grotesken Konsequenz gefolgt.
Seine Unreife scheint aus denselben Umständen zu kommen - dem Leben, das er führte, wie eingesponnen im Kokon des Show-Business, schließlich umgeben von einer gigantischen Entourage, deren einzige Bestimmung es war, ihm jeden Spleen von den Lippen zu lesen. Der Peter-Pan-Komplex, die offensichtlich vorgetäuschten Hochzeiten, die Ersatzmutter für sein drittes Kind- alles weist auf einen Menschen hin, der zwischen widersprüchlichen Anforderungen hin- und hergerissen ist."
Ein Opfer der Rechten
Gleichzeitig hat der Michael-Jackson-Fall seinen rechtmäßigen Platz in Amerikas merkwürdigem und verkümmertem offiziellen politischen Leben. Staatsanwalt Sneddon hat zweifellos ein persönliches Interesse an der Anklage. Nachdem er im Jahre 1993 schon einmal vergeblich versucht hatte, den Sänger in einem ähnlichen Fall als Straftäter zu überführen, nahm in Jackson in einem seiner Lieder auf kaum verschleierte Weise aufs Korn. Doch hinter der Feindschaft Sneddons, eines konservativen Law-and-Order-Republikaners (Spitzname Mad Dog), gegen Jackson steckt noch mehr.
Jackson, der vage als liberale Ikone wahrgenommen wird, ist zum nützlichen bête noire der Ultrarechten geworden, zu einer der menschlichen Zielscheiben, auf die reaktionäre Elemente einen Teil der orientierungslosen Wut lenken wollen, die in der amerikanischen Durchschnittsbevölkerung brodelt. Rassismus und Schwulenfeindlichkeit liegen direkt unter der Oberfläche ihrer Angriffe. Die pornografische Rechte, die immer nach Schmutz Ausschau hält, kann sich keine Strafe ausdenken, die für Jacksons angebliche Verbrechen zu hart wäre: lebenslänglich, Kastration, sogar Todesstrafe.
Die sexuellen Hexenjäger sind offensichtlich fasziniert und angezogen von dem, was sie zu verfolgen und zu bannen versuchen. Hier sehen wir Amerikas puritanische Traditionen auf den Kopf gestellt. Der Clinton-Lewinsky-Skandal öffnete die Schleusen für eine mediale Lüsternheit und Obsession für Perversionen, die nicht mehr nachgelassen hat. Der Hunger rechter, proto-faschistischer Kreise danach, von ihnen verachtete Persönlichkeiten auf schäbige Art zu erniedrigen, ist nicht zu stillen, selbst wenn dafür "Skandale" erfunden und hochgespielt werden müssen.
Die Mainstream-Medien ihrerseits fahren bei Episoden wie dem Jackson-Fall zweigleisig. Auf der einen Seite wetteifern die Fernsehsender und Zeitungen miteinander, um die Öffentlichkeit mit den neuesten schlüpfrigen Vorwürfen zu versorgen. Die Leitartikler und Kommentatoren auf der anderen Seite lamentieren über die Aufmerksamkeit, die solchen Fällen zuteil wird, und den moralischen Zustand einer Bevölkerung, die angeblich nicht genug Details bekommen kann.
Ob die Bevölkerung fasziniert ist oder nicht - und man spürt eine gewisse Ermüdung hinsichtlich der Jackson-Affäre - sie hat in dieser Frage kaum eine Wahl. Von den Medien getragene Skandale folgen mit schöner Regelmäßigkeit aufeinander. Jeder wird zum Brennpunkt der nationalen Aufmerksamkeit, bis ein neuer daherkommt und ihn aus dem Gesichtsfeld drängt.
Wenn zwei Wochen vergehen, ohne dass ein Prominenter in einen Skandal verwickelt ist oder sich ein besonders grausiger Mord ereignet hat, werden die Medien und ihre Papageien sichtlich nervös. Die Fälle Kobe Bryant, Martha Stewart, Scott Peterson, Robert Blake und Michael Jackson vermengen sich zu einem in die Länge gezogenen unwürdigen Angriff auf die Intelligenz und den Anstand der Öffentlichkeit.
Die Hauptentwicklung in den amerikanischen Medien geht in Richtung einer enormen Ausweitung des "Boulevardjournalismus" mit seiner Sensationsgier und Skandaltreiberei, selbst in den "seriösen" Blättern und Sendungen. Dies hat tiefe gesellschaftliche Ursachen. Die Vereinigten Staaten sind ein Land, in dem es von sozialen Widersprüchen und Spannungen nur so wimmelt, aber nichts davon offen zur Sprache gebracht werden kann. Die riesige Kluft zwischen der reichen Elite und dem Rest der Bevölkerung muss in den Augen der Medien ein Geheimnis bleiben.
Und doch ist sich das Medien-Establishment der Unzufriedenheit und Unruhe bewusst, die einen Großteil des amerikanischen Alltagslebens durchziehen und meistens Ausdruck in gewalttätigen, antisozialen Akten finden. Die Aufgabe des "Boulevardjournalismus" besteht darin, die Feindseligkeit in der Bevölkerung aufzugreifen und nicht zuzulassen, dass sie sich jemals gegen die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Beziehungen des Kapitalismus richtet. Verwirrter populistischer Groll gegen überbezahlte Schauspieler und Athleten oder auch einzelne Wirtschaftsverbrecher kann recht einfach manipuliert werden.
Es existiert ebenso das spezifische Bedürfnis, die Aufmerksamkeit nicht nur vom Krieg im Irak mit seinen Opfern und Gräueltaten abzulenken sondern auch von den Vorbereitungen für neue Aggressionen, seien sie gegen Syrien, den Iran oder irgendeine andere Zielscheibe imperialistischer US-Interessen gerichtet.
Michael Jacksons Schicksal vor Gericht bleibt noch unklar. Die Medien ändern ihren Tonfall von Tag zu Tag und sind irgendwie unentschlossen, welchen Ausgang die Dinge nehmen sollen. Der Sänger könnte verurteilt und als sexuelles Raubtier gebrandmarkt werden - ein Ergebnis, das sicherlich vielen Medienmachern gefallen würde. Auf der anderen Seite bleibt die Möglichkeit bestehen, dass Jackson "rehabilitiert" und ihm zumindest teilweise ein herzliches Comeback gestattet wird; in diesem Fall würden wir sicherlich daran erinnert werden, dass der Sänger niemals aufhörte, eine der Ikonen amerikanischer Popkultur zu sein.
So oder so wird der Medienzirkus zusammenpacken und zu seinem nächsten Veranstaltungsort ziehen - und sich nicht weiter um das Chaos scheren, das er hinterlassen hat.