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Sechzig Jahre nach der Bombardierung Hiroshimas und Nagasakis

Teil 3: Der amerikanische Militarismus und die nukleare Bedrohung heute | Teil 1 | Teil 2

Von Joseph Kay
23. August 2005
aus dem Englischen (9. August 2005)

Dieser Beitrag ist der dritte und abschließende Teil einer Artikelserie zum sechzigsten Jahrestag der Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Teil eins vom 19. August handelte von den verheerenden Folgen der Bombardierung für die Bevölkerung, Teil zwei vom 20. August untersuchte die Triebkräfte hinter der Entscheidung, die Atombombe einzusetzen.

Politische und strategische Erwägungen führten zur Entscheidung der Regierung von Präsident Harry Truman, Atomwaffen gegen Japan einzusetzen. In erster Linie sollte der Einsatz der Atombombe den USA die unanfechtbare Hegemonie in der Nachkriegszeit garantieren.

Diese Orientierung war auch der wichtigste Beweggrund für den Eintritt Amerikas in den Krieg. Lange Zeit wurde der Zweite Weltkrieg dem amerikanischen Volk als "Guter Krieg", als gerechter Krieg gegen Faschismus und Tyrannei präsentiert. Zweifellos verstanden Millionen Amerikaner den Krieg tatsächlich als Kampf gegen Hitlerfaschismus und japanischen Militarismus, diejenigen, die sie in den Krieg führten, verfolgten jedoch ganz andere Absichten. Die herrschende Klasse Amerikas trat mit dem Ziel, ihre globalen Interessen zu verfolgen, in den Zweiten Weltkrieg ein. Zwar unterschied sich das bürgerlich-demokratische Regime der USA beträchtlich von den Regimen seiner faschistischen Gegner, doch waren die amerikanischen Kriegsziele nicht minder imperialistisch. Diese grundlegende Tatsache erklärt letztlich die außerordentliche Rücksichtslosigkeit, darunter den Einsatz der Atombombe, mit der die USA ihre Ziele zu verwirklichen suchte.

Die amerikanische Regierung versprach sich vom Einsatz der Atombombe eine Veränderung des Kräfteverhältnisses im sich verschärfenden Konflikt mit der Sowjetunion. Das amerikanische Atombombenmonopol währte indes nur kurz. Die Sowjetunion reagierte auf die Bombardierung Hiroshimas am 6. August 1945 mit einer deutlichen Aufstockung der Mittel für die Entwicklung einer eigenen Atombombe. 1949 fand der erste sowjetische Atombombentest statt.

Teile der amerikanischen herrschenden Elite und des militärischen Establishments wollten die Atombombe weiterhin bei militärischen Auseinandersetzungen einsetzen. Im Jahr 1950, während des Koreakriegs, drohte Truman China mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, und General Douglas McArthur drängte die Regierung, dem Militär grünes Licht für den Abwurf von Atombomben im mandschurisch-koreanischen Grenzgebiet zu geben. Letztendlich wurden diese Überlegungen verworfen, da man befürchtete, der Bombeneinsatz könnte einen Nuklearkrieg mit der Sowjetunion auslösen.

Mit der Entwicklung der noch schlagkräftigeren Wasserstoffbombe, die Ende 1952 zum ersten Mal getestet wurde, wollten die USA ihren nuklearen Vorsprung wieder herstellen. 1953 war die Amtseinführung des Republikaners Eisenhower, der eine aggressivere Politik gegenüber der Sowjetunion versprach und für ein "rollback", d. h. ein Zurückdrängen der sowjetischen Kontrolle über Osteuropa, eintrat. Außenminister John Foster Dulles sagte in einer Rede im Januar 1954, die USA könnten "Aggressoren abschrecken", und zwar "insbesondere durch unsere großen Fähigkeiten, unmittelbar Vergeltung zu üben, durch Mittel und an Orten, die wir selbst bestimmen". Diese Ankündigung "massiver Vergeltung" wurde überall als Drohung begriffen, auf lokale Konflikte wie den Koreakrieg oder den späteren Vietnamkrieg mit dem Einsatz von Nuklearwaffen zu reagieren.

Mit den ersten sowjetischen Versuchen mit der Wasserstoffbombe ging der nukleare Vorsprung im August 1953 aber von neuem verloren. Rasch entwickelten die beiden Länder ein Waffenpotential, das im Fall eines Nuklearkriegs "die sichere gegenseitige Zerstörung" bedeutet hätte.

In diesem Zeitraum, wie auch in den folgenden Jahrzehnten, tobte in den Kreisen des politischen Establishments ein Kampf darüber, welche Politik gegenüber der Sowjetunion und in der Frage des Atomwaffeneinsatzes zu vertreten sei. Trotz des Risikos eines Nuklearkrieges bestand ein wichtiger Teil der herrschenden Klasse Amerikas weiterhin darauf, keinerlei Einschränkungen der militärischen Stärke der USA zu dulden.

Keine der amerikanischen Regierungen in der Ära nach Hiroshima/Nagasaki, ob demokratisch oder republikanisch, verzichtete auf die Option eines Nuklearkrieges. Die "master card", wie Trumans Kriegsminister Henry Stimson dazu sagte, blieb immer in der Hinterhand, um sie bei Bedarf zu ziehen. Im Jahr 1962 stand die Regierung Kennedy während der Kubakrise kurz davor, einen Atomkrieg zu beginnen.

Als sich die ökonomische Situation in den siebziger Jahren verschlechterte, bekamen die Verfechter einer aggressiveren Ausrichtung gegenüber der Sowjetunion wieder Aufwind. Diese Entwicklung setzte unter der Regierung des Demokraten Jimmy Carter ein und erhielt in den achtziger Jahren unter Reagan einen zusätzlichen Schub. Reagan setzte ein neues Wettrüsten in Gang und strebte auch eine offensive nukleare Überlegenheit gegenüber der Sowjetunion durch die Entwicklung eines defensiven Raketenabwehrsystems (das so genannte "Star Wars"-Programm) an. Genau dies untersagte der ABM-Vertrag von 1972 (Anti-Ballistic Missile, Vertrag zur Begrenzung der strategischen Raketenabwehr). Ein wirksames Verteidigungsschild hätte den Amerikanern erlaubt, einen nuklearen Erstschlag zu führen, da sie einen Vergeltungsschlag hätten abwehren können.

Seit der Selbstauflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 ist innerhalb der herrschenden Klasse Amerikas ein neuer Konsens erzielt worden: Angriffskrieg und einseitige Durchsetzung amerikanischer Interessen mittels militärischer Gewaltanwendung.

Weniger Abkommen, mehr Bomben

Der Ausbruch des amerikanischen Militarismus nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat während der Präsidentschaft George W. Bushs besonders bösartige Formen angenommen. Seit ihrem Regierungsantritt hat die Bush-Administration eine Doppelstrategie verfolgt, um die militärische Schlagkraft der USA zu erhöhen. Auf der einen Seite hat sie alle internationalen Abkommen und Verträge, die Amerikas militärische Handlungsfreiheit einschränken, entweder zurückgewiesen oder unterhöhlt. Auf der anderen Seite hat sie Maßnahmen ergriffen, die militärische und auch nukleare Technologie weiter zu entwickeln, um sie in künftigen Kriegen einsetzen zu können.

1999 trat der von den Republikanern dominierte US-Senat vehement für die Ablehnung des zuvor von der Clinton-Regierung unterzeichneten Comprehensive Test Ban Treaty ein (CTBT, Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen). 2001 kündigte Bush an, dass er nicht noch einmal die Zustimmung des Senats anstreben wolle und nach einer Möglichkeit suche, das Abkommen zu "beerdigen". Die Vereinbarung untersagte Tests von neu entwickelten Atomwaffen. Das lehnt die Regierung Bush ab, denn sie plant die Entwicklung neuer Nuklearwaffen, wozu Atomwaffentests unerlässlich sind.

Im Dezember 2001 kündigte Bush an, dass die USA einseitig den ABM-Vertrag aufkündigen würden, um sich damit einen Weg für die Wiederaufnahme des "Star Wars" Projektes zu öffnen, das nun unter dem Namen "National Missile Defence" läuft. Die Entwicklung eines Raketenabwehrsystems gehört immer noch zu den wichtigsten Vorhaben der Regierung und ist Bestandteil ihrer Bestrebungen, sich die militärische Vorherrschaft im Weltraum zu sichern. Genau wie das Programm Reagans würde ein Raketenabwehrsystem den Weg für atomare Erstschläge gegen Länder wie China oder Russland ebnen.

Während einer internationalen Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages zu Beginn dieses Jahres vertrat die Bush-Regierung eine Position, die die Grundlagen des Abkommens infrage stellt. Als Ausgleich für die Zusicherung, auf Nuklearwaffen zu verzichten, spricht der Vertrag den Nicht-Atommächten das Recht zu, Nukleartechnologie für zivile Zwecke zu entwickeln. Im Vertrag ist auch die Zusicherung der Atommächte enthalten, ihr nukleares Arsenal schrittweise zu vernichten. Die neue Position der Bush-Regierung spricht jedoch denjenigen Staaten, die sie als "Schurkenstaaten" bezeichnet, beispielsweise dem Iran, das Recht ab, Atomenergieprogramme zu entwickeln. Weit davon entfernt, ihre eigenen Bestände zu vernichten, haben die USA unterdessen damit begonnen, ihr bestehendes Waffenarsenal zu modernisieren und neue Offensivwaffen zu entwickeln. Im Vorfeld der Konferenz, bei der es dann auch zu keiner Einigung kam, unterstrich die Bush-Regierung sogar ausdrücklich ihren Anspruch, Atomwaffen gegen Staaten einsetzen zu können, die über keine nuklearen Waffen verfügen.

Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts ist die amerikanische Regierung zu einer Politik des offensiven Atomwaffeneinsatzes übergegangen und hat die Auffassung aus der Periode des Kalten Krieges, dass Nuklearwaffen in erster Linie der Abschreckung dienen sollten, ad acta gelegt. Der Nuclear Posture Review Report, der unter der Regierung Clinton 1997 erstellt wurde, gilt als Ausgangspunkt dafür, dass Länder wie Nordkorea, China und der Iran ins Visier genommen werden.

In einem anderen Dokument, das den Medien zugespielt wurde, wurde diese Politik sehr deutlich definiert. Darin kündigte das Pentagon an, dass "der herkömmliche Prozess (der Atomwaffenkontrolle) nicht der Flexibilität gerecht wird, die für die Planungen der USA und ihre Einsatzkräfte heute erforderlich ist". Explizit wurde darin sehr vielen Ländern angedroht, dass sie Zielscheibe eines Nuklearschlags werden könnten. Die Studie enthielt auch sehr allgemein gehaltene Richtlinien für den künftigen Einsatz atomarer Waffen und die Feststellung, dass diese Waffen auch "gegen Ziele, die nicht-nuklearen Angriffen standhalten können", oder auch "im Falle unvorhersehbarer militärischer Entwicklungen" eingesetzt werden können.

Im vergangenen Sommer gab es eine Anweisung von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die "Interim Global Strike Order" (eine Anweisung an das Strategic Command, ein Alarm- und Bereitschaftssystem zu entwickeln, um feindliche Länder weltweit jederzeit angreifen zu können), die die Option eines atomaren Erstschlags gegen Länder wie den Iran oder Nordkorea beinhalten soll. In den Planungsvorgaben für die Kriege gegen Afghanistan und den Irak war auch der Einsatz atomarer Waffen als Möglichkeit vorgesehen.

Des Weiteren hat die Bush-Regierung die Entwicklung neuartiger nuklearer Waffen zur "Bunkersprengung" in Gefechtssituationen in Angriff genommen. Vorhandene Bestände wurden modernisiert. Nach einem Artikel in der New York Times vom 7. Februar 2005 "haben amerikanische Wissenschaftler mit der Entwicklung einer neuen Generation nuklearer Waffen begonnen, die stabiler und zuverlässiger und länger einsatzfähig (sein sollen)" als die bisherigen.

Die USA haben wiederholt Ländern wegen deren angeblicher Entwicklung von Atomwaffen und anderen "Massenvernichtungswaffen" gedroht. Das jüngste Ziel solcher Drohungen war der Iran, dem die USA einen Militärschlag in Aussicht stellten, sollte der Iran sein Atomenergieprogramm nicht aufgeben. Alle diese Drohungen sollen als Rechtfertigung für zukünftige amerikanische Invasionen dienen, bei denen der Einsatz nuklearer Waffen durch die USA keineswegs ausgeschlossen wird.

Mit der Politik des Präventivkriegs maßen sich die USA das Recht an, jedes Land anzugreifen, das die USA als Gefahr ansehen oder von dem sie einfach behaupten, es könne irgendwann einmal in der Zukunft eine Gefahr darstellen. Es gibt keinen Teil der Welt, an dem die USA kein Interesse haben. Sie haben durch ihren Krieg in Afghanistan und mittels politischer Einmischung, wie beispielsweise in der Ukraine, versucht, ihren Einfluss in Zentralasien und der früheren Sowjetunion ständig zu erhöhen. Sie wollen den Mittleren Osten durch den Krieg im Irak und durch die Kriegsdrohungen gegen den Iran ihrer Herrschaft unterwerfen. Die amerikanischen Aktivitäten in Afrika werden intensiviert und es sind wiederholt Drohungen gegen Nordkorea und China gerichtet worden, um den Einfluss der USA in Ostasien zu zementieren.

Unter diesen Bedingungen sind unzählige Szenarien vorstellbar, unter denen ein Krieg ausbrechen könnte, in dem auch atomare Waffen zum Einsatz kommen. Dazu zählt nicht nur eine Invasion des Iran; auch ein amerikanischer Krieg gegen ein unbedeutenderes Land könnte leicht einen größeren Konflikt auslösen - mit China, Russland oder sogar den europäischen Mächten, die auch alle Atomwaffen besitzen.

Die Katastrophe, die Hiroshima und Nagasaki widerfuhr, wird nie in Vergessenheit geraten. Das Schicksal dieser Städte wird für immer ein Zeugnis der Bestialität des Imperialismus sein. Angesichts des erneuten Ausbruchs des amerikanischen Imperialismus erinnern uns die Ereignisse vom August 1945 an die Alternativen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist: Weltrevolution oder Weltkrieg, Sozialismus oder Barbarei.

Siehe auch:
Sechzig Jahre nach der Bombardierung Hiroshimas und Nagasakis - Teil 1
(19. August 2005)
Sechzig Jahre nach der Bombardierung Hiroshimas und Nagasakis - Teil 2
( 20. August 2005)