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Ex-Tory-Premierminister Edward Heath gestorben

Von Ann Talbot
9. August 2005
aus dem Englischen (25. Juli 2005)

Der Tod des ehemaligen britischen Premierministers Edward Heath, der am 17. Juli im Alter von 89 Jahren starb, hat in den Medien eine Nostalgiewelle ausgelöst. Heath war von 1970 bis 1974 Premierminister. Nach dieser kurzen Periode in Downing Street Nummer 10 verbrachte er den Rest seiner langen politischen Karriere damit, seine Nachfolgerin Margret Thatcher von den Hinterbänken aus anzugreifen.

Heath wird heute in einem milderen Licht gesehen, als auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Im Vergleich mit Margret Thatcher und Labour-Premierminister Tony Blair gilt er als besserer Mensch und prinzipienfesterer Politiker. Sein Sturz im Jahr 1974 wird als Unglück oder sogar Tragödie betrachtet, als Schicksal, das er nicht verdient hat. Während der verbitterte alte Mann zu einer grauen Eminenz stilisiert wurde, sind die Konflikte der Vergangenheit in Vergessenheit geraten.

Tony Benn von der Labour Party erinnert sich, dass Heath ihn zur Zeit der Irak-Invasion angerufen und gefragt hatte: "Wie können wir Blair loswerden?" Die beiden waren vorher gemeinsam zu einem Vermittlungsversuch in den Irak geflogen. Sie hatten befürchtet, Großbritannien werde in einen Krieg hineingezogen, der das Land in einen Satelliten der Vereinigten Staaten verwandeln und seinen nationalen Interessen schaden würde. Sie wussten, dass der Krieg die internationalen Beziehungen belasten und zu innenpolitischen Spannungen führen würde.

In beiden Punkten wurden sie durch die Ereignisse bestätigt. Heath und Benn zusammen verfügten über mehr politische Erfahrung als Blair und sein gesamtes Kabinett. Sie verkörperten einen Teil der historische Erfahrungen der britischen politischen Klasse. Beide waren bedeutendere Politiker als Blair. Doch was zu einem anderen Zeitpunkt als wichtiges Eingreifen zweier älterer Staatsmänner gegolten hätte, wurde zu einem erfolglosen Ausflug zweier betagter Parlamentarier, die man lächerlich aussehen ließ.

Das Scheitern ihres Versuchs, den Krieg zu verhindern oder Großbritannien herauszuhalten, war nicht persönlicher Schwäche geschuldet. Es war ein Ergebnis des tiefen Niedergangs des politischen Lebens in Großbritannien. Ihre Warnungen hatten keinen Einfluss auf Blair, der nicht über die nötige politische Vorstellungskraft verfügte, um sie zu begreifen. Er konnte die Gefahren nicht sehen, die sie sehr gut verstanden.

Zu der Zeit, als Heath die Rolle eines älteren britischen Staatsmannes hätte spielen können, war keine Bühne mehr da, auf der er auftreten konnte. Der gesamte Rahmen der nationalen Politik, in dem er ausgebildet worden war und gearbeitet hatte, hatte sich grundlegend verändert. Seine Warnungen fanden kein Gehör bei der jüngeren Politikergeneration, der die sozialen Bedingungen, die Heath geformt hatten, und die politischen Überlegungen, die sich daraus ergaben, wie Relikte einer vergangenen Epoche erschienen.

Das soll nicht heißen, dass Heath einfach ein Opfer sich verändernder Zeiten war. Er trug seinen Teil zu den Veränderungen bei, deren Ergebnisse er zuletzt bedauerte. Es wird gerne vergessen, dass seine Zeit als Premierminister eine der stürmischsten Perioden in der jüngeren britischen Geschichte war. Nicht weniger als fünf nationale Notstände wurden ausgerufen. In Nordirland wurden unbewaffnete Zivilisten erschossen. Arbeiterführer wurden ins Gefängnis gesperrt. Der Industrie wurde eine Drei-Tage-Woche verordnet. Stromabschaltungen waren Routine. Die Arbeitslosigkeit stieg in damals ungeahnte Höhen. Der Klassenkonflikt erreichte ein so hohes Niveau, dass Großbritannien am Rande einer revolutionären Situation stand, als Heath 1974 durch eine massive Streikwelle zu Fall gebracht wurde. Nur die Rückkehr einer Labour-Regierung verhinderte den Zusammenbruch der parlamentarischen Herrschaft.

Die Erinnerung an Heath ist dadurch geprägt, dass es ihm 1974 nicht gelang, den Bergarbeitern eine Niederlage beizubringen, Thatcher es zehn Jahre später aber schaffte. Aber Thatchers Sieg wurde zehn Jahre lang vorbereitet und stützte sich auf die Lehren, die die herrschende Klasse aus dieser früheren Erfahrung gezogen hatte. Außerdem hatte es Thatcher nicht mit einem vergleichbaren Gegner zu tun. Als sie es mit den Bergarbeitern aufnahm, verteidigte der Gewerkschaftsdachverband die Interessen seiner Mitglieder noch nicht einmal mehr dem Anschein nach und hatte jede Solidarität zwischen verschiedenen Teilen der Arbeiterklasse aufgegeben.

Thatcher hatte den Vorteil, dass die Bergarbeiter isoliert waren. Heath war mit einer Reihe von Streiks einer mobilisierten und militanten Arbeiterklasse konfrontiert, deren Führer nicht in der Lage waren, die Bergarbeiter zu isolieren, wie sie es 1985 taten.

Nicht, dass sie es nicht versucht hätten. Heath’s Biograph John Campell schreibt, dass Heath bei der Regierungsübernahme berechtigte Hoffnungen hatte, die Gewerkschaftsführer würden seinen Gesetzentwurf zur Einschränkung des Streikrechts unterstützen. Sie hatten ihm privat versichert, sie hießen sein Gesetz zur Regelung der Arbeitsbeziehungen (Industrial Relations Bill) gut, obwohl sie das nicht öffentlich sagen könnten. Ray Gunther, Arbeitsminister unter Labour, unterstützte es ebenfalls und bot Heath privat seinen Rat an. Die letzte Labour-Regierung hatte bereits ähnliche gesetzliche Maßnahmen geplant.

Die Gewerkschaftsführer beteuerten bei jeder Gelegenheit ihre Kompromissbereitschaft, konnten aber den Zorn der Arbeiterklasse nicht im Zaum halten. Im Januar 1972 demonstrierten 120.000 Gewerkschaftsmitglieder in London gegen den Industrial Relations Act. Das war die größte Gewerkschaftsdemonstration in der britischen Geschichte. Es folgte eine ganze Reihe von eintägigen Streiks, und die Gewerkschaften weigerten sich trotz drohender Geldstrafen, sich nach den Bestimmungen des neuen Gesetzes zu registrieren.

Letztlich war es die Labour Party, die den Weg für eine entscheidende Niederlage des militantesten Teils der Arbeiterklasse ebnete.

Heath übernahm die Regierung mit einem rechten Programm, das bei einem Strategietreffen in Selsdon Park im Januar 1970 entworfen worden war. Labour-Führer Harold Wilson prägte den Ausdruck "Selsdon Man" für den Tory-Aspiranten auf den Posten des Premierministers und sein Programm. Der Economist bemerkte den Wandel und kommentierte: "Es sieht so aus, als ob die Tories die nächste Regierung stellen werden, aber sicher keine mitfühlende."

Selsdon wurde zwar vielfach als entscheidender Bruch mit der Vergangenheit interpretiert und als eine Wende zu einer monetaristischer Politik, wie sie später Thatchers Regierungszeit kennzeichnen sollte, aber der Wechsel war nicht so eindeutig, wie es schien. In vieler Hinsicht schätzte Heath die Konsenspolitik der Nachkriegszeit.

Als die Arbeitslosigkeit auf eine Million stieg, eine seit der großen Depression unerhörte Zahl, gerieten Heath und seine Minister in Panik. Die politische Erfahrung lehrte sie, dass eine derart hohe Arbeitslosigkeit zu sozialen Unruhen, zur Destabilisierung der parlamentarischen Herrschaft und sogar zu einer Revolution führen konnte. 1972 griff Heath auf Keynes’sche Maßnahmen zurück, um die Wirtschaft anzukurbeln und einen offenen Klassenkonflikt zu vermeiden. Für Thatcher, die immer mehr der von Enoch Powell gepredigten monetaristischen Doktrin zuneigte, war das Verrat.

Außerdem gab es zwischen Thatcher und Heath einen bedeutsamen Unterschied in der Europapolitik. Als erster hatte sich Tory-Premierminister Harold Macmillan um eine Aufnahme Großbritanniens in die Europäische Gemeinschaft (EG) bemüht. Er hatte Heath zu seinem Gesandten für diese Aufgabe ernannt, und Heath blieb dieser Politik bis zum Ende seiner Laufbahn treu.

Mit seiner Europabegeisterung und seinem Desinteresse an den "Sonderbeziehungen" zu den USA blieb Heath unter allen britischen Premierministern die Ausnahme. Allerdings hatten alle auf Macmillan folgenden Regierungen auf eine EU-Mitgliedschaft hin gearbeitet. Da sich Europa von der Zerstörung durch den Weltkrieg wieder erholt und zu einem wichtigen Markt für Großbritanniens Wirtschaft entwickelt hatte, war dies zur ökonomischen Notwendigkeit geworden. Ohne sein Empire konnte Großbritannien seine positive Handelsbilanz nicht absichern und brauchte Europa daher wie nie zuvor. Dass sich Großbritannien nicht sofort nach dem Krieg angeschlossen hatte, erwies sich nun als kostspielige Entscheidung. Es musste äußerst unvorteilhafte Bedingungen akzeptieren, was bis zum heutigen Tag die englisch-französischen Beziehungen vergiftet.

Die EG-Mitgliedschaft wurde zwar zum wirtschaftlichen Rettungsanker für Großbritannien, dabei verloren aber Hunderttausende ihre Arbeitsplätze, da die Industrie für die Konkurrenz auf dem europäischen Markt umstrukturiert wurde. Niedriglöhne und Lockerungen in der Arbeitsgesetzgebung verschafften Großbritannien einen zeitweiligen Vorteil gegenüber den europäischen Konkurrenten.

Die wirtschaftliche Erholung, mit der Thatcher prahlte, und von der Blair momentan profitiert, resultierte aus Investitionen amerikanischer und asiatischer Firmen in Großbritannien. Sie betrachteten das Land als idealen Standort für Montagewerke zur Bedienung des europäischen Marktes.

Thatcher hat sich immer deutlich von Heath abgegrenzt. Tatsächlich unterschieden sich die beiden von ihrer sozialer Herkunft und ihrer politischen Orientierung her kaum. Beide entstammen der unteren Mittelschicht und haben sich auf "grammar schools" auf ihr Oxfordstudium vorbereitet, und nicht auf "public schools", in denen die politische Elite üblicherweise herangezogen wird. Beide verkörpern eine deutlich merkbare Veränderung der Tory-Partei, die in den Nachkriegsjahren versuchte, ihre soziale Basis zu erweitern und sich das Image einer modernen kapitalistischen Partei zu verschaffen, im Gegensatz zu dem traditionellen Image als Repräsentantin des ländlichen England.

Heath war der erste Parteiführer, der seinen Posten einer wirklichen Wahl verdankte und nicht auf Grund eines geheimnisvollen Selektionsprozesses in den Zirkeln der aristokratischen Parteigranden emporstieg. Nach Churchill war er der erste Parteiführer, der über keine eigenen finanziellen Mittel verfügte, und nach Bonar Law der erste seit 1922, der kein Landhaus besaß.

Der rasche Aufstieg dieser Gruppe neuer Tories innerhalb der Partei war ein Ergebnis der Unzufriedenheit über das Zurückweichen der konservativen Regierungen der Nachkriegsjahre. Diese waren gezwungen gewesen, sich aus dem britischen Imperium zurückzuziehen, und waren auch in England selbst, wo sie den Aufbau eines Sozialstaats und die Verstaatlichung bedeutender Teile der Industrie hinnehmen mussten, gegenüber der Arbeiterklasse in die Defensive geraten. International verloren sie Indien, wurden in der Suez-Krise gedemütigt und mussten den afrikanischen Staaten die Unabhängigkeit gewähren. Man hoffte, dass die Partei mit einer neuen Führung, die keine Verbindungen mehr zur alten Aristokratie hatte, wieder in die Offensive käme.

Wenn Heath mit diesem Programm scheiterte, lag es bestimmt nicht an mangelnden Versuchen. Rückblickend ist viel Aufhebens um seine persönlichen Schwächen gemacht worden - seine Weigerung, zu heiraten, sein ungeschicktes öffentliches Auftreten, seine Unterkühltheit und sein rohes Benehmen - aber sein politischer Misserfolg kann nicht mit solchen persönlichen Eigenheiten erklärt werden. Viele Politiker, dazu gehört auch Thatcher, besitzen keinen Charme. Thatcher hatte trotzdem Erfolg, denn sie und ihre Gefolgsleute hatten aus Heath’s Scheitern gelernt.

Blair kann mit vollem Recht als Erbe dieses zankenden Ehepaares betrachtet werden. Niemals zuvor hatte ein Labour-Führer derart viel Handlungsspielraum wie er. Er konnte die Labour-Partei vor allem derart so leicht umformen und einen rechen Regierungskurs einschlagen, weil die Degeneration der Arbeiterbewegung bereits weit fortgeschritten war, nachdem sich ihre bürokratische Führung an die von Thatcher verkündeten wirtschaftlichen Erfordernisse angepasst hatte.

Obwohl es befremdlich erscheinen mag, muss eine Würdigung von Edward Heath auch ein Nachruf auf eine politische und soziale Formation sein, der er nicht angehörte. Während die Tories die notwendigen Schlussfolgerungen aus Heath’s Scheitern zogen, versäumte die Arbeiterklasse dies.

Die Regierungszeit von Heath kennzeichnete den Höhepunkt der traditionellen Arbeiterbewegung, und das Niederringen seiner Regierung was deren größter Erfolg. Aber es war auch der letzte. Das Jahr 1974 markierte nicht nur das Ende für Heath’s politische Hoffnungen, sondern auch das Ende einer langen historischen Periode, in der die Labour-Partei scheinbar die unmittelbaren praktischen Interessen der Arbeiterklasse vertrat.

1974 stürzte die britische Arbeiterklasse eine Regierung. Es handelte sich um eine revolutionäre Krisensituation, aber deren revolutionäres Potential wurde von der herrschenden Elite besser erfasst als von der Arbeiterklasse. Heath klammerte sich vier Tage lang an sein Amt und versuchte, eine Koalition zustande zu bringen. Die Gefahr des Einsatzes militärischer Gewalt war zu diesem Zeitpunkt sehr real. Die Krise konnte schließlich beendet werden, als Labour mit dem Segen der Gewerkschaftsführer wieder an die Macht kam.

Nach weiteren fünf Jahren, in denen Labour die Löhne drückte und die Arbeitslosigkeit auf ein Niveau stieg, dass Heath für politisch untragbar gehalten hätte, war die Arbeiterklasse desillusioniert und gespalten. Besserverdienende Schichten unter den Arbeitern wurden von Thatchers Parole vom "Volkskapitalismus" angezogen. Den Gewerkschaften war es viel zu gefährlich, sich wieder an die Spitze einer Bewegung wie 1974 zu setzen. Sie lehnten es ab, sich Thatchers Anti-Gewerkschafts-Gesetzen zu widersetzen oder ihr auch nur mit Solidaritätsaktionen entgegen zu treten. Die Labour-Regierung hatte die Klassensolidarität untergraben, die für die Umsetzung des politischen Programms von Heath noch ein unüberwindliches Hindernis dargestellt hatte.

Kein Frontalangriff einer Tory-Regierung hätte jemals erreichen können, was Labour durch Treulosigkeit und Verrat im Innern der Arbeiterbewegung geleistet hat.

Siehe auch:
Großbritannien: 20 Jahre nach dem einjährigen Bergarbeiterstreik
(6. April 2004)