CIA in illegale Deportationen irakischer Gefangener verwickelt
Von Joseph Kay
9. November 2004
aus dem Englischen (3. November 2004)
Die Vereinigten Staaten sind wieder einmal bei einer offenen Verletzung internationalen Rechts ertappt worden. Die Washington Post berichtete am 24. Oktober, dass die CIA eine Reihe von Gefangenen aus dem Irak an Orte außerhalb des Landes zum Verhör deportiert habe. Solche Praktiken sind ein direkter Verstoß gegen die Genfer Konventionen.
Die Post zitierte ein durchgesickertes Memo mit Datum vom 19. März 2004 vom Büro des Rechtsanwalts beim Justizministerium. Das Memo, das auf Anfrage der CIA geschrieben worden war, versuchte eine pseudo-juristische Rechtfertigung für die Praxis des Geheimdienstes zu geben, irakische Gefangene zu deportieren. Der Post zufolge "sagte ein Geheimdienstbeamter, der mit der Operation vertraut ist, dass die CIA das Memo vom März als juristische Grundlage dafür benutzte, während der letzten sechs Monate bis zu ein Dutzend Gefangene aus dem Irak zu deportieren. Die Agentur verbarg die Gefangenen vor dem Internationalen Roten Kreuz und anderen offiziellen Stellen, sagte der Beamte."
Laut der Post ermächtigt das Memo die Behörde, Iraker für eine "kurze, aber nicht unbestimmte Dauer" zum Zweck des Verhörs aus dem Land zu schaffen. Wer dagegen nach "örtlichem Einwanderungsrecht" ein "illegaler Ausländer" sei, könne dauerhaft aus dem Land geschafft werden. Das Memo versucht so, eine Rechtfertigung für den CIA zu schaffen, um Iraker und Nicht-Iraker aus dem besetzten Irak zu bringen.
Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention von 1949 erklärt ausdrücklich: "Individuelle oder massenhafte zwangsweise Verschiebungen oder Deportationen geschützter Personen aus dem besetzten Gebiet in das Gebiet der Besatzungsmacht oder eines anderen, besetzten oder nicht besetzten Landes, sind ohne Rücksicht auf das Motiv verboten."
Die einzige Ausnahme besteht in der zeitweiligen Verlegung von Zivilisten aus "militärischen Gründen", wie etwa bevorstehenden Kampfhandlungen in einer von Zivilisten bevölkerten Gegend, und selbst diese Umsiedlung muss innerhalb des besetzten Gebietes stattfinden, wenn dies nicht "unmöglich" ist. Die Deportation von Gefangenen zum Zwecke des Verhörs ist von der Konvention eindeutig verboten.
Gemäß Artikel 147 gehört die "ungesetzliche Deportation oder die ungesetzliche Inhaftierung einer geschützten Person" zu den "groben Verstößen" der Konvention, die nach internationalem und US-Recht als Kriegsverbrechen gelten. Wer diese Handlungen angeordnet hat, kann deshalb nach internationalem und nationalem Recht angeklagt werden.
Die Autoren des Memos waren sich über die Ungesetzlichkeit ihrer Vorschläge völlig im klaren, wie aus der Fußnote hervorgeht: "Wir empfehlen, dass jede geplante Verlegung von geschützten Personen aus dem Irak, um Verhöre zu erleichtern, sorgsam von Fall zu Fall auf Beachtung von Artikel 49 überprüft wird."
Die Post zitiert Scott Silliman, den leitenden Direktor der juristischen Fakultät der Duke University: "Der Konvention geht es grundsätzlich darum, zu verhindern, dass Menschen aus dem Land und dem Schutzbereich der Konvention verbracht werden. Das Memorandum versucht eine rechtliche Grundlage für etwas zu schaffen, was von der internationalen Gemeinschaft klar als Verletzung internationalen Rechts und der Konvention angesehen wird."
Die Praxis der CIA, Gefangene illegal außer Landes zu bringen, hängt mit ihrer Praxis im Irak zusammen, Gefangene festzuhalten, ohne ihre Haft dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes zu melden. Diese Praxis, so genannte "Geistergefangene" in Gefängnissen wie Abu Ghraib festzuhalten, ist ein weiterer Verstoß gegen internationales Recht.
Anfang dieses Jahres räumte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld öffentlich die Existenz von einem solchen Geistergefangenen ein, einem Iraker, der zum Zwecke des Verhörs aus dem Irak deportiert worden war, bevor er wieder zurückgebracht wurde. Schätzungen zufolge beläuft sich die Zahl der Geistergefangenen im Irak jedoch auf bis zu 100. Laut Oberstleutnant Steven Jordan, der in Abu Ghraib Dienst tat, sind viele dieser Gefangenen von der CIA geheim festgehalten worden, um ihre Verlegung ins Ausland zu erleichtern.
Es ist unklar, wohin diese aus dem Irak deportierten Individuen geschafft worden sind. Es ist bekannt, dass die CIA zumindest seit 2001 rund um die Welt ein Netzwerk geheimer Haftanstalten betreibt, wo sie ohne Zweifel Folter einsetzt, um Informationen von Gefangenen zu erhalten. Bei einer als Überstellung bekannten Praxis sind einige Gefangene zu solchen Verbündeten der USA wie Ägypten und Saudi-Arabien geschickt worden, die für ihre Foltermethoden berüchtigt sind.
Als sie mit dem durchgesickerten Memo konfrontiert wurde, sah sich die Bush-Regierung gezwungen, die Deportation einiger Gefangener aus dem Irak zuzugeben, behauptete aber, es habe sich dabei um Nicht-Iraker gehandelt, die nach der Invasion in den Irak gekommen seien, um sich dem Widerstand anzuschließen. Der Regierung zufolge gilt die Genfer Konvention für diese Individuen nicht, deshalb dürften die amerikanischen Besatzungsbehörden sie außer Landes bringen.
Das Argument, dass in Bezug auf die Genfer Konvention eine rechtliche Unterscheidung zwischen Irakern und Nicht-Irakern getroffen werden könnte, ist falsch. Die Genfer Konvention unterscheidet bei Menschen in der Gewalt der Besatzungsmacht nicht nach Nationalitäten.
Außerdem widersprechen die jüngsten Verlautbarungen der Regierung früheren Erklärungen von Regierungsvertretern, einschließlich Rumsfeld. Im Mai diesen Jahres - nachdem das Memo des Justizministeriums entworfen worden war und nachdem die CIA irakische Gefangene schon seit einiger Zeit deportierte - erklärte Rumsfeld in einer öffentlichen Anhörung vor dem Kongress, dass "jede militärische Person im Irak" wie auch die von den USA festgehaltenen "zivilen und kriminellen Elemente", entsprechend "den Genfer Konventionen behandelt" werden würden.
Es ist wahrscheinlich, dass die CIA Iraker und Nicht-Iraker deportiert hat, die in Widerstandsoperationen gegen die amerikanische Besetzung verwickelt waren. Das Memo vom März 2004 wurde entworfen, um der CIA ein rechtliches Feigenblatt für vorherige wie zukünftige Deportationen irakischer Gefangener zu geben.
Einem Artikel der New York Times vom 25. Oktober zufolge begannen die Deportationen im April 2003. Ein Rechtsgutachten vom Oktober 2003 erklärte, dass Iraker nicht außer Landes geschafft werden dürften, Nicht-Iraker hingegen schon. Offenbar war die CIA damit nicht zufrieden. Das Memo vom März 2004 wurde auf Anfrage der CIA hin geschrieben und erklärte, Iraker könnten für kurze Zeit verlegt werden. All diese Rechtsgutachten wurden als Rechtfertigungen ex post Faktum für etwas verfasst, was die CIA bereits tat.
Die Regierung weigert sich, die Nationalität oder Anzahl derer bekannt zu geben, die deportiert wurden, warum sie deportiert wurden, oder wo sie derzeit festgehalten werden.
Die neuen Enthüllungen sind ein weiterer Beweis, dass die USA auf internationaler Ebene Operationen durchführt, in denen wie bei lateinamerikanischen Diktaturen in den 70er und 80er Jahren Menschen "verschwinden". Der amerikanische Geheimdienst hat sich das Recht angemaßt, Menschen aus Afghanistan, dem Irak oder einer anderen Region der Erde zu entführen, sie incommunicado festzuhalten, ohne Beweise für Haftgründe anzugeben, sie an geheime Orte irgendwo auf der Welt zu verbringen und unbekannte Methoden anzuwenden, um Informationen von ihnen zu erlangen.
Die amerikanischen Geheimdienste und das Weiße Haus operieren heimlich und verschwörerisch, hinter dem Rücken des amerikanischen Volkes. Jede Information, die über die Praxis der USA, irakische Gefangene zu verlegen, bekannt geworden ist, ergab sich aus durchgesickerten Memos. Das wahre Ausmaß solcher amerikanischen Operationen bleibt ohne Zweifel geheim.
Das Memo vom März 2004 ist Teil einer geheimen und systematischen Anstrengung, die Angriffe vom 11. September 2001 als Vorwand zu nutzen, um alle rechtlichen Hindernisse für die Operationen der US-Regierung im In- und Ausland wegzuräumen.
Der verschwörerische Charakter dieses Vorstoßes wurde in einer zweiteiligen Serie von Tim Golden in der New York Times vom 24. und 25. Oktober verdeutlicht. In diesen Artikeln wies Golden darauf hin, dass Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Ende 2001 an der Spitze eines Unternehmens standen, nationales und internationales Recht mit Hilfe einer Gruppe rechter Rechtsanwälte im Weißen Haus und dem Verteidigungsministerium zu umgehen.
Im Zentrum dieser Gruppe von Anwälten stand Timothy Flanigan, zu diesem Zeitpunkt der stellvertretende Anwalt des Weißen Hauses. Flanigan hatte vorher eine entscheidende Rolle beim Amtsenthebungsverfahren der republikanischen Partei gegen Clinton und dem Diebstahl der Wahl von 2000 gespielt.
Der erste große Schritt, den diese Leute unternahmen, bestand in der Praxis, Gefangene unbegrenzt lange in Guantanamo Bay festzuhalten und Militärtribunale einzurichten. Im ersten Artikel von Goldens Serie ("Nach dem Terror: Das Kriegsrecht wird insgeheim umgeschrieben") heißt es: "Die Behauptung der Regierung, sie habe das Recht, Militärtribunale einzusetzen... speiste sich aus dem Willen, die Exekutive zu stärken, so Regierungsbeamte. Ihre rechtliche Herangehensweise, auch die Entscheidung die Genfer Konvention nicht anzuwenden [auf die Gefangenen in Guantanamo Bay], widerspiegelte die Entschlossenheit einiger einflussreicher Regierungsvertreter, die ihrer Meinung nach reflexartige Unterwerfung der Vereinigten Staaten unter internationales Recht zu beenden."
Anwälte im Weißen Haus und dem Büro des Rechtsanwalts des Justizministeriums vertraten den Standpunkt, dass weder die Genfer Konventionen noch anderes internationales Recht auf den Krieg in Afghanistan angewandt werden sollte. Die Aktionen dieser Gruppe nahmen einen derart verschwörerischen Charakter an, dass sie von ihren Beratungen nicht nur langjährige Experten der Regierung für Kriegsrecht ausschlossen, sondern auch die nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, Außenminister Colin Powell und Justizminister John Ashcroft.
Das Bemühen, rechtliche Beschränkungen für das Vorgehen der USA auszuhöhlen, erstreckt sich über die gesamten drei Jahre seit dem 11. September 2001. Das Memo vom März 2004 wurde vom selben Büro ausgearbeitet, von dem auch schon das berüchtigte Memo vom 1. August 2002 stammte, mit dem eine juristische Grundlage für die Anwendung von Folter geschaffen werden sollte. [Siehe dazu http://www.wsws.org/de/2004/jun2004/folt-j22.shtml] Dieses Dokument stellte eine sehr enge Definition von Folter auf - die der Definition im internationalen Recht widerspricht - um dem amerikanischen Militär und Geheimdienst den größtmöglichen Spielraum zur Misshandlung von Gefangenen zu geben. Es erklärte auch, dass der Präsident als Oberbefehlshaber das Recht habe, Folter für militärische Zwecke anzuordnen.
Diese Versuche, internationales Recht zu unterminieren, entspringen nicht Notwendigkeiten des so genannten "Krieges gegen den Terrorismus". Das ist nur ein Vorwand. Die Maßnahmen sind Teil einer Strategie, die schon lange vorher von den rechtesten Teilen der amerikanischen herrschenden Elite ausgearbeitet worden ist, die schon lange nach einer Beseitigung aller Einschränkungen zur Anwendung von Gewalt rufen. Sie sind der logische Ausfluss einer Politik des globalen Imperiums und der neokolonialen Eroberung.
Die Methoden staatlicher Gewalt, einschließlich der Anwendung von Folter, werden letztlich auch gegen die Opposition eingesetzt werden, die sich innerhalb der Vereinigten Staaten entwickelt. Außer der Sanktionierung von Folter und unbegrenzter Inhaftierung durch amerikanisches Militär und Geheimdienste im Ausland haben die Rechtsgutachten der letzten drei Jahre auch die Rechtsgrundlage für eine Militärdiktatur in den Vereinigten Staaten selbst geschaffen.
Golden führt ein Memo von John Yoo vom 21. September 2001 an, dem damaligen Leiter des Büros des Rechtsanwalts beim Justizministerium. Der Times zufolge "listete Mr. Yoo eine Reihe möglicher Operationen auf [die innerhalb der USA durchgeführt werden könnten]: Abschießen eines zivilen Flugzeugs, das von Terroristen entführt wurde; Aufstellen militärischer Kontrollstellen in einer amerikanischen Stadt; Einsatz von weiter entwickelten Überwachungsmethoden, als sie der Polizei gegenwärtig zur Verfügung stehen; oder der Einsatz von Militär, um,vermutete Unterkünfte von Terroristen anzugreifen, auch wenn dabei in Schusswechseln womöglich Dritte verwundet oder getötet werden könnten."
Diese Maßnahmen sind eine eklatante Verletzung des Vierten Verfassungszusatzes, der willkürliche Verhaftung und Durchsuchung verbietet. In dem Memo heißt es jedoch: "Es könnte für die Regierung zulässig sein, Maßnahmen zu ergreifen, die unter anderen Umständen als Verletzung der individuellen Freiheit angesehen werden könnten."
Die neuen Enthüllungen über CIA-Operationen unterstreichen erneut, dass die in Abu Ghraib eingesetzte Folter keine Verirrung war. Sie war ein Bestandteil einer viel breiter und systematischer angelegten Politik, deren Ursprünge in den Kommandohöhen der amerikanischen Regierung zu suchen sind.
Keine dieser Fragen sind im Verlauf der Wahlkampagnen einer der beiden großen Parteien aufgebracht worden. Der Demokrat John Kerry hat bewusst vermieden, die Folterung der Gefangenen in Abu Ghraib zur Sprache zu bringen, und er hat nichts über den Rahmen der amerikanischen Politik gesagt, in dem diese Folter stattfand. Diese Verschwörung des Schweigens kann nur mit der Tatsache erklärt werden, dass Kerry und die Demokratische Partei das grundlegende Ziel dieser Politik unterstützen: die massive Expansion des amerikanischen Militarismus nach Afghanistan, den Irak und darüber hinaus.