Zum Jahrestag des Kriegsbeginns im Irak
3.000 Kriegsgegner zogen vor die US Air Base in Ramstein - Pfalz
Von Marianne Arens
23. März 2004
Unter dem Slogan "Stillhalten ist tödlich" demonstrierten etwa dreitausend Menschen am Jahrestag des Irakkriegsbeginns von Landstuhl in der Pfalz zur US-Air Base Ramstein, wo heute amerikanische Atombomben gelagert werden.
Zu dem Protestmarsch und der Kundgebung vor dem Militärstützpunkt hatten mehrere Friedensorganisationen und Kriegsdienstverweigerer, die Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs, BUND und Attac-Deutschland aufgerufen.
Auf der Auftaktkundgebung in Landstuhl erklärte Markus Pflüger, Sprecher der Friedens-AG Trier, Ramstein sei das Zentrum des amerikanischen Nachschubs und ständige logistische Drehscheibe der Irakbesatzung, von hier aus sei der Irakkrieg vorbereitet worden. Pflüger machte die Schröder-Regierung mit verantwortlich für den Krieg und sagte: "Dass die rot-grüne Bundesregierung gegen den Irakkrieg war, war weitgehend Wahltaktik. Faktisch haben sie den Krieg unterstützt"; so habe Rot-Grün die amerikanischen Kriegsflughäfen mitfinanziert. Pflüger bezeichnet die so genannten "Verteidigungspolitischen Richtlinien" der Bundeswehr als einen "Orwell'schen Verschleierungsbegriff" und forderte von Struck, Schröder und Fischer, diese Richtlinien zurückzunehmen und "Entmilitarisierung, statt Sozialabbau" zu betreiben.
Von Landstuhl aus ging der Protestmarsch etwa fünf Kilometer weit bis vor den Stützpunkt Ramstein, wo eine Kopie der Freiheitsstatue aufgebaut war, die auf eine Karte mit den weltweiten Stützpunkten amerikanischer Massenvernichtungswaffen hinwies.
In Ramstein trat ein Amerikaner, der Arzt und Professor Michael McCally aus New York, vors Mikrophon. Unter großem Beifall erklärte er, er sei nicht gegen sein Land, sondern gegen die unmenschliche Atomwaffenpolitik seiner Regierung.
Im Anschluss daran sprach der 84-jährige Sozialphilosoph Horst-Eberhard Richter, einer der Mitbegründer der Ärzte gegen den Atomkrieg, der im Anschluss an McCally betonte, kein Anti-Amerikaner zu sein, sondern sich im Kampf für eine friedliche Welt an der Seite des amerikanischen Volks zu wissen.
Richter warnte: "An dieser Stelle liegt ein Teil der nuklearen Riesen, von denen noch 35.000 in der Welt gehortet sind... hier und in Büchel sind insgesamt 65 amerikanische Atombomben vom Typ B61-11 gehortet, von denen jede einzelne über die fünffache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe verfügt, die auf einen Schlag mehr als 200.000 Menschen getötet hat. Damit verstößt die Bundesrepublik gegen den Atomwaffensperrvertrag von 1970."
Er fuhr fort: "Die Bomben gehören den USA, die im Ernstfall genauso wenig fragen würden, ob sie diese einsetzen dürfen, wie sie es im Falle der von Deutschland aus gestarteten Kampfflugzeuge in den Irakkrieg getan haben. Ein künftiger Gegner müsste also bestrebt sein, die hiesigen Atombomben vorsorglich auszuschalten. Das heißt, dass die Menschen, die in dieser Gegend wohnen, in einer andauernden nuklearen Geiselhaft leben. Verdrängen und Stillhalten sind auf Dauer tödlich."
Er forderte die Bundesregierung auf, endlich zu handeln. "Der Krieg gegen den Terrorismus ist schlimmer als der Terrorismus selbst", sagte Richter. "Die hier gelagerten Waffen stellen selbst eine terroristische Bedrohung der schlimmsten Art dar."
Darauf trat Oskar Lafontaine als Sprecher auf, der als "Physiker, Atomwaffengegner und Sozialdemokrat" vorgestellt wurde. Lafontaine war 1998 Wirtschaftsminister der neu gewählten rot-grünen Koalition gewesen, war aber kurz darauf aus der Schröder-Regierung ausgetreten. Sein Redebeitrag wurde gespannt verfolgt und vom Sender "Phönix" direkt übertragen. Wie üblich kombinierte er radikale Töne mit einem Kotau vor der rechten Sozialdemokratie.
Lafontaine forderte die traditionellen Atommächte, die sogenannten "Vetomächte" auf, als erste abzurüsten, denn nur so sei es möglich, auch von kleineren Staaten den Verzicht auf Atomwaffen zu verlangen. "Der Irakkrieg hat viele darin bestärkt, sich ebenfalls Massenvernichtungswaffen zuzulegen, denn - so sagen sich viele - wenn wir das nicht tun, sind wir hilflos den Präventivschlägen einer Supermacht ausgeliefert."
Er forderte die "Vetomächte" dazu auf, ihre Atomwaffen der UNO zu unterstellen, und erklärte ausführlich seine Perspektive, diese Institution, die in Wirklichkeit den Irakkrieg bereits im Nachhinein abgesegnet hat, zu reformieren.
"Die UNO wird in den Ländern der Dritten Welt nicht mehr als internationale schlichtende Instanz wahrgenommen", erklärte Lafontaine, "weil sie sich der Politik einiger weniger Vetomächte unterwirft. Hier ist der Grund, warum auch im Irak Vorbehalte gegen die UNO bestehen. Deshalb müssen wir die UNO reformieren. Es muss Schluss sein mit dem Privileg einzelner Mächte, die UNO muss auch im Sicherheitsrat weiter demokratisiert werden und die Stimme der Länder der Dritten Welt muss gestärkt werden."
Er präsentierte sich als guter deutscher Sozialdemokrat, zitierte Willy Brandt, unterließ jede Kritik an der Schröder-Regierung und kritisierte dafür "die Amerikaner". Viel wäre gewonnen, sagte er, "wenn Amerika endlich begreifen würde, dass nicht 4,5 Prozent der Weltbevölkerung Anspruch auf 25 Prozent des Welterdölverbrauchs haben, wenn die Amerikaner beginnen würden, mit all ihrem Geld und ihren technischen Möglichkeiten eine vernünftige Energiesparpolitik auf den Weg zu bringen".
Mit Hinweis auf die Wahlen in Spanien, bei denen die Aznar-Regierung, die am Irakkrieg teilgenommen hatte, überraschend abgewählt wurde, schlug er den Bogen zu einer Verbeugung vor der Schröder-Regierung und sagte: "Die spanische Entwicklung ist ein ermutigendes Zeichen. Es ist ja nicht so, dass die Verbesserungen von einzelnen durchgesetzt wurden. Die Millionen, die auf die Straße gingen, haben einzelne Regierungen zum Einlenken gebracht, und sie haben auch dazu geführt, dass die deutsche Bundesregierung eine richtige Entscheidung getroffen hat, im Sicherheitsrat nicht zuzustimmen und dem Kampf der Amerikaner nicht nachzugeben."
In Wirklichkeit ist die deutsche Regierung selbst aktiv dabei, in Europa eigene militärische Kapazitäten und eine unabhängige Rüstungsindustrie aufzubauen, um gegen die USA die Profitinteressen der deutschen Kapital- und Finanzelite durchzusetzen.