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UNO-Sicherheitsrat nickt Washingtons weitere Besetzung des Irak ab

Von Peter Symonds
12. Juni 2004
aus dem Englischen (11. Juni 2004)

Die einstimmige Zustimmung des UN-Sicherheitsrats zu der von den USA und Großbritannien eingebrachten Irak-Resolution hat erneut gezeigt, dass dieses Gremium eine bloße Clearingstelle für imperialistische Interessen darstellt. Allen schönen Worten über einen demokratischen und unabhängigen Irak zum Trotz haben Deutschland, Frankreich, Russland und China ihren Segen zur andauernden neokolonialen Besetzung des Landes gegeben, gegen die sich ein anwachsender Volksaufstand entwickelt.

Nach diversen Spitzfindigkeiten, was denn nun "volle Souveränität" eigentlich bedeute, und verschiedenen Ergänzungen der Resolution haben alle 15 Länder ihre Stimme zur Unterstützung der größten aller Lüge abgegeben - dass die Bande von US-Söldnern, die letzte Woche als neue Übergangsregierung eingesetzt worden ist, den Willen des irakischen Volkes repräsentiert.

Die große Mehrheit der Bevölkerung hatte überhaupt nichts zu sagen, als das Regime ausgewählt oder festgelegt wurde, wie US-Beamte - mit 160.000 US-geführten Soldaten im Rücken - jeden Aspekt des täglichen Lebens im Irak auch in Zukunft dominieren werden.

Alle neuen Minister sind Unterstützer der illegalen US-Invasion des Irak und von Washington handverlesen. Viele von ihnen sind Mitglieder von Parteien und Organisationen, die seit Jahrzehnten auf der Gehaltsliste der USA stehen. Manche wurden sogar mit Washingtons Unterstützung ins Leben gerufen. Der designierte Premierminister Ayad Allawi hat schon seit den 70er Jahren mit dem britischen Geheimdienst MI6 und der CIA zusammengearbeitet und am Mittwoch verkündet, er schäme sich nicht, mit mindestens 15 Geheimdiensten "in Verbindung" zu stehen.

Die von Deutschland und Frankreich erhobenen Bedenken hinsichtlich der Rolle des US-Militärs im Irak unterstreichen nur die Tatsache, dass Washington weiterhin das Sagen hat. Die Bush-Regierung hat Versuche zurückgewiesen, der Übergangsregierung ein Vetorecht bei US-Militäroperationen einzuräumen, und stattdessen eine Reihe bedeutungsloser Ergänzungen akzeptiert, die eine "volle Partnerschaft" zwischen dem irakischen und dem US-Militär festschreiben. Die amerikanischen Streitkräfte werden aber weiterhin alle Vollmachten haben, Häuser zu durchsuchen, Menschen festzunehmen und auch sonst ganz nach eigenem Gutdünken zu verfahren.

Während die Resolution jetzt festlegt, dass über die US-Militärpräsenz im Irak nach einem Jahr erneut abgestimmt werden soll und die irakische Regierung die US-Truppen zum Gehen auffordern kann, kann jede Entscheidung über die Rücknahme des UNO-Mandats nur im Sicherheitsrat getroffen werden, wo Washington und London ein Vetorecht haben. Der zukünftige "Premierminister" Allawi ist sich wohl bewusst, dass er und seine Minister nur unter dem Schutz der US-Truppen überleben können. In einem Brief an die UNO erklärte er daher, dass sie im Land bleiben sollten. Der irakische Außenminister Hoschjar Zebari sagte dem UNO-Sicherheitsrat, er sei mit den Vereinbarungen vollkommen zufrieden, und tadelte Deutschland, Frankreich und Russland, sie seien "irakischer als die Iraker".

Die andauernde Präsenz einer riesigen US-geführten Truppe straft die Behauptung Lügen, dass Anfang nächsten Jahres freie und demokratische Wahlen stattfinden werden. Die Mehrheit der Iraker steht der US-Besatzung feindlich gegenüber, die ihnen neben Verhaftung, Folter und Tod massive Arbeitslosigkeit und die Zerstörung der verbliebenen Infrastruktur und Sozialleistungen gebracht hat. Washington ist sich dieser weit verbreiteten Opposition wohl bewusst und hat deshalb die UNO beauftragt, Anfang nächsten Jahres Wahlen abzuhalten, um der neokolonialen Besatzung eine demokratische Fassade zu verpassen.

Das wirkliche Machtzentrum im Irak wird die US-Botschaft sein, mit fast 4.000 Angestellten die größte der Welt. An ihrer Spitze wird John Negroponte stehen, der gegenwärtige amerikanische UNO-Botschafter, ein reaktionärer politischer Gangster, der eine lange und schmutzige Geschichte in Zentralamerika hat. Negroponte wird die Botschaft leiten, wenn die irakische Übergangsregierung formell am 30. Juni die "Souveränität" übertragen bekommt.

Bei seiner Tätigkeit als faktischer Leiter der Kolonialbehörde wird sich Negroponte auf den bürokratischen Apparat stützen können, den eine kleine Armee von US-Beratern in den letzten 12 Monaten dort aufgebaut hat und der von einer Reihe von den USA eingesetzter Organisationen überwacht wird. Die eigentlichen Staatsfinanzen, darunter alle Öleinkünfte, werden weiterhin von einem Komitee kontrolliert werden, dass sich aus Vertretern der USA, der Weltbank und des IWF zusammensetzt. Die Übergangsregierung wird an alle Verträge gebunden sein, die von der US-geführten Besatzungsmacht unterzeichnet worden sind.

Vor etwas mehr als einem Jahr hatten Frankreich und Deutschland den damals bevorstehenden Einmarsch der USA im Irak als ungerechtfertigt, sogar als völkerrechtswidrig bezeichnet. Zwei Monate später gingen diese beiden europäischen Mächte vor dem Druck der USA in die Knie und segneten gemeinsam mit den übrigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats die militärische Besetzung des Irak ab. Nun haben beide Länder, gemeinsam mit Russland und China, das Marionettenregime der USA im Irak und die fortgesetzte Kontrolle der USA über das Land abgenickt.

Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte seine volle Unterstützung für die Resolution mit den Worten: "Ich möchte dies ohne Übertreibung als einen großen Schritt nach vorn bezeichnen." Die anderen europäischen Mächte schlossen sich an. Günter Pleuger, der deutsche UN-Botschafter, begrüßte den "flexiblen und konstruktiven Ansatz" Großbritanniens und der USA. Der französische Außenminister Michel Barnier erklärte unmittelbar vor der Abstimmung, die Resolution würde dazu beitragen, "in konstruktiver Weise einen positiven Ausweg aus dieser Tragödie zu finden".

Unterstrichen wird die Heuchelei der europäischen Mächte durch die Tatsache, dass sämtliche Rechtfertigungen, die Washington als Begründung für die Invasion angeführt hatte, als Lügen und Fälschungen entlarvt worden sind. Man fand weder Massenvernichtungswaffen, noch irgendeinen Hinweis auf Verbindungen zwischen dem Hussein-Regime und al-Qaida. Der Anspruch der USA, dem Irak Demokratie zu bringen, hat durch die Enthüllungen über die systematische Folterung irakischer Gefangener in Abu Ghraib jegliche Glaubwürdigkeit verloren.

Die Einwände Frankreichs und Deutschlands gegen den Einmarsch der USA waren nie von Sorge um das irakische Volk motiviert. Beide Länder hatten den ersten Golfkrieg ebenso unterstützt wie die anschließenden Sanktionen gegen den Irak, die während der 1990er Jahre ungefähr eine halbe Million Menschenleben forderten. Vor dem Angriff auf den Irak unterstützten beide Mächte, ebenso wie die übrigen Mitglieder des Sicherheitsrats, die UN-Resolution 1441, mit der die Waffeninspektionen in Gang gesetzt wurden, die den Krieg vorbereiteten.

In Paris und Berlin befürchtete man eine Beeinträchtigung der europäischen Interessen in der gesamten Nah- und Mittelostregion, falls Washington den Irak erobern und die Kontrolle über dessen Ölreserven übernehmen würde. Im Anschluss an die Invasion scheuten sie vor einer offenen Konfrontation mit den USA zurück, weil sie die unvermeidlichen ökonomischen und politischen Folgen fürchteten. Und je mehr sich im Irak ein offener Aufstand gegen die Besatzer entwickelte, desto enger rückten sämtliche Großmächte wieder zusammen, um eine politische Beeinträchtigung ihrer gemeinsamen Interessen in der Region abzuwenden.

Dennoch ist keines der Probleme, die die Spannungen ausgelöst hatten, beigelegt worden. Während des G-8-Gipfels, der diese Woche in den USA stattfand, traten sie wieder zutage. Die Bush-Regierung, die dringend Unterstützung für ihre Besatzungspolitik braucht, strebt die Entsendung europäischer Truppen unter dem Oberbefehl der NATO an. Bisher haben Frankreich und Deutschland dieses Ansinnen brüsk zurückgewiesen und zeigten sich auch nicht bereit, den Forderungen der USA entsprechend die enorme Auslandsverschuldung in Höhe von 120 Milliarden Dollar, die der Irak unter Saddam Hussein angehäuft hatte, zu großen Teilen abzuschreiben.

Was die übrigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats angeht, so kann man sicher sein, dass ihre Zustimmung durch Erpressungen und Drohungen in Hinterzimmern erreicht wurde. Algerien stellte einmal mehr die Unterwürfigkeit der nichtswürdigen arabischen Bourgeoisie gegenüber dem Imperialismus zur Schau, indem es für die fortgesetzte Unterwerfung des Irak unter die USA stimmte. Der UN-Botschafter des Landes, Abdallah Baali, begrüßte die Entscheidung als historischen Moment für das irakische Volk, das nun seine Unabhängigkeit, Souveränität und Ehre zurückgewinnen würde.

Auch Pakistan stimmte der Resolution zu und ließ erkennen, dass es möglicherweise Soldaten für eine neue Militäreinheit "im Umfang einer Brigade" beisteuern würde, die UN-Personal schützen soll. Washington setzt Islamabad bereits seit Monaten mit der Forderung unter Druck, es solle Truppen zur Verfügung stellen. Bislang weigert sich der pakistanische Präsident Pervez Musharraf, weil er fürchtet, dass eine solche Maßnahme in seinem Land auf starke politische Opposition stoßen würde.

Als Ganzes genommen wird die schäbige Prozedur des Sicherheitsrates nur dazu beitragen, den UN ihre humanitäre Maske vom Gesicht zu reißen.