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Der Azorengipfel: Bush stellt Ultimatum für US-Angriff auf den Irak

Von der Redaktion
18. März 2003
aus dem Englischen (17. März 2003)

Das Gipfeltreffen vom Sonntag auf den Azoren hat den Weg für einen amerikanischen Militärschlag gegen den Irak in wenigen Tagen frei gemacht. Man geht davon aus, dass Präsident Bush am Montag Abend in einer Fernsehansprache den endgültigen Kriegsbeschluss bekannt gibt. Amerikanische Kriegsflugzeuge und 250.000 Soldaten stehen bereit, um die Invasion und Eroberung des ausgelaugten Landes einzuleiten und Zehntausende unschuldige Menschenleben zu vernichten.

Auf einer Pressekonferenz nach dem Gipfel stieß Bush offene Drohungen gegen Frankreich und andere europäische Länder aus, die sich der Annahme einer Kriegsresolution durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen widersetzt hatten. Er behauptete erneut, Montag werde die "Stunde der Wahrheit" sein. Das mag stimmen, aber nicht so, wie Bush meint.

Die Bush-Regierung ist dabei, den gesamten Rahmen, indem sich die internationalen Beziehungen nach dem zweiten Weltkrieg bewegten, zurückzuweisen und zu zerstören. Mit ihrem raffsüchtigen und kriminellen Bestreben, sich an den irakischen Ölreserven zu vergreifen und die Vorherrschaft über die Golfregion zu errichten, zeigt sie das wahre Gesicht des amerikanischen Imperialismus.

Mehrfach versuchte das Weiße Haus, seine Politik mit falschen Analogien aus den Dreißiger Jahren zu rechtfertigen, indem es den schwachen und verarmten Irak mit Nazideutschland verglich. Es gibt tatsächlich eine Parallele zu Hitler, aber sie betrifft nicht Saddam Hussein, sondern Bush. Die Welt wird nämlich wieder wie in den Dreißiger Jahren durch die unverschämten Aggressionen und Einschüchterungsversuche einer Weltmacht in Atem gehalten. Deshalb kam es in fast jeder Hauptstadt der Welt zu gewaltigen Protestdemonstrationen gegen die Kriegspläne der USA.

Das Kommuniqué, das George W. Bush, der britische Premierminister Tony Blair und der spanische Premier Jose Maria Aznar veröffentlicht haben, enthält großartige Versprechungen über eine strahlende Zukunft für das irakische Volk, sobald ihr Land von den USA erobert sei und - wie es ein amerikanischer Kolumnist ausdrückte - "70 Jahre unabhängige Geschichte zu Ende" sind. Wie zynisch diese Versprechen sind, kann man an den Bemühungen ermessen, die irakische Regierung für die Hungersnot und die Verarmung des irakischen Volks verantwortlich zu machen, die in Wirklichkeit die Folge von zwölfjährigen Wirtschaftssanktionen der USA und der Vereinten Nationen sind.

Wer beansprucht hier, dem Nahen Osten Demokratie zu bringen? Bush selbst ist nicht das Produkt einer demokratischen Abstimmung, sondern einer gestohlenen Wahl. Er kam durch das Eingreifen des Obersten Gerichts an die Macht, nachdem er die Wahl schon an seinen demokratischen Gegenkandidaten verloren hatte. Blair ist der handverlesene Premierminister des Medienmoguls Rupert Murdoch. Von der eigenen Partei gehasst und abgelehnt, wird seine Kriegspolitik von der überwältigenden Mehrheit in Großbritannien verabscheut. Aznar steht an der Spitze einer Partei, deren Erbe auf den faschistischen Diktator Francisco Franco zurückgeht. Wie Blair hat auch er sich einer überwältigenden öffentlichen Opposition zum Trotz für Krieg entschieden und so den demokratischen Willen des spanischen Volkes in den Wind geschlagen.

Der Ort des Treffens - auf einem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt auf der portugiesischen Insel Terceira inmitten des Atlantischen Ozeans - war sowohl Ausdruck der Isolation der Bush-Regierung als auch ihrer vollständigen Verachtung der öffentlichen Meinung. Es wäre unmöglich gewesenen, das Gipfeltreffen ohne eine umfassende militärische Mobilisierung in einer der Hauptstädte der drei Länder abzuhalten. Es musste auf einer Insel stattfinden, die für die Bewohner der betroffenen Länder nicht erreichbar ist. Nur so konnten Massenproteste wie tags zuvor, als eine Million Menschen in der spanischen Hauptstadt Madrid demonstrierten, vermieden werden. Aber sogar auf Terceira versammelten sich ein paar Hundert Bewohner der Azoren vor der Airbase Lajes, um ihrer Ablehnung des bevorstehenden Kriegs Ausdruck zu verleihen.

Das ganze Ereignis war in vieler Hinsicht bizarr. Die drei Staatsoberhäupter legten 4.000 km (Bush) und jeweils 1.700 km (Blair und Aznar) zurück, um sich knapp eine Stunde miteinander an den Tisch zu setzen. Dann erschienen sie vor den versammelten internationalen Medien, um ein neuerliches Ultimatum zu verkünden. Dieses war nicht so sehr an Saddam Hussein gerichtet, sondern galt eher Frankreich, Russland, Deutschland und den anderen Staaten, die sich einer Sicherheitsratsresolution widersetzen, die einer Militäraktionen gegen den Irak grünes Licht geben soll.

Bush räumte den Sicherheitsratsmitgliedern eine Frist von 24 Stunden ein, die US-Resolution vorbehaltlos abzusegnen. Danach wird er alle diplomatischen Verhandlungen einstellen und das Pentagon zur Bombardierung und zur Invasion des ganzen Landes ermächtigen. Als der amerikanische Präsident Frankreich wegen des erwarteten Vetos anprangerte, verzerrte sich sein Gesicht derartig, dass man hätte meinen können, er wolle militärische Aktionen nicht nur gegen Bagdad, sondern auch gegen Paris anordnen.

Dieser Gipfel war kein "letzter Versuch" einer diplomatischen Lösung, wie das Weiße Haus vorgab - das sich nicht einmal zu erklären bemüßigte, weshalb bei solch einem Ereignis der Chefdiplomat, der Außenminister Collin Powell, in Washington geblieben war. Es handelte sich im Gegenteil darum, unmissverständlich klar zu machen, dass keinerlei diplomatische Störmanöver mehr die Bush-Administration von ihrem lang ersehnten Ziel, dem Krieg, abhalten können.

Öl, Geld und Lügen

Im Anschluss an den Gipfel erklärte Blair auf einer Pressekonferenz, die amerikanischen und britischen Besatzer hätten die Absicht, "die irakischen Ressourcen zum Wohle der Eigentümer, des irakischen Volkes zu verwenden". Er versuchte damit, der weitverbreiteten - und vollkommen berechtigten - Auffassung entgegenzutreten, dass ein wichtiges Ziel der US-geführten Invasion darin besteht, die Kontrolle über die Ölressourcen des Irak, die zweitgrößten der Welt, zu übernehmen.

Blairs Behauptung war umso absurder, als die amerikanische und britische Presse seit einer Woche diskutiert, wie wichtig es sei, in der Zeit nach dem Krieg die Kontrolle über die irakischen Ölressourcen auszuüben. Jüngsten Berichten zufolge hat Blair die britischen Einheiten mit dem ausdrücklichen Auftrag nach Kuwait geschickt, die irakischen Ölfelder im Süden zu sichern, die bei Rumaila in der Nähe der irakisch-kuwaitischen Grenze liegen.

Die Türkei schreckte davor zurück, US-Truppen auf ihrem Boden zu stationieren, einerseits wegen der massiven öffentlichen Opposition, aber auch weil das türkische Militär plant, in der Nachkriegszeit selbst in Kirkuk einzumarschieren, dem Zentrum der irakischen Ölfelder im Norden, wo ein Drittel der Ölreserven des Landes liegen. Sie will damit Bestrebungen der irakischen Kurden zuvorkommen, diese Stadt zu übernehmen und zur Hauptstadt eines autonomen oder unabhängigen Kurdistans zu machen. Die Bush-Regierung plant jetzt, US-Truppen auf dem Luftweg nach Kirkuk zu bringen, um sowohl eine türkische als auch eine kurdische Vorherrschaft zu verhindern.

Und wie immer bei der Bush-Administration fallen persönliche finanzielle Interessen aufs Glücklichste mit den militärischen Eroberungsplänen zusammen: Nur wenige Tage vor dem Gipfel enthüllte die britische Zeitung Guardian, dass Vizepräsident Richard Cheney weiterhin Zahlungen in geschätzter Höhe von 500.000 bis 600.000 Dollar jährlich von Halliburton erhält, dem großen Lieferanten von Ölförderanlagen, an dessen Spitze er vor den Wahlen 2000 stand. Halliburton ist eine der drei großen US-Gesellschaften, die bei der Vergabe von Verträgen für den Wiederaufbau der irakischen Ölfelder unter einer amerikanischen Nachkriegsverwaltung bevorzugt behandelt werden sollen.

Es ist typisch für die Feigheit und Korruption der amerikanischen Medien, dass nicht eine einzige große US-Zeitung über diese Enthüllung des Guardian berichtet hat. Ebenso wenig wurde Cheney am Sonntag während stundenlanger Interviews in den Sendungen der NBC Meet the Press und der CBS Face the Nation über seine persönlichen Finanzen befragt.

Bush hat wiederholt erklärt, dass der Hauptzweck der Militäraktion gegen den Irak darin bestehe, die Welt gegen die angebliche Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen zu verteidigen. Die Lügen der Regierung in dieser Frage sind schon oft entlarvt worden, zuletzt in einem Artikel, der in der Washington Post am Tag nach der Gipfelkonferenz erschien.

Der Redakteur für Fragen der nationalen Sicherheit, Walter Pincus - ein ehemaliger CIA-Informant mit guten Kontakten zu den Diensten - zitierte CIA-Quellen, die wie selbstverständlich zugaben, dass die US-Regierung keinerlei Beweise für den Besitz chemischer, biologischer oder atomarer Waffen durch den Irak besitzt.

Pincus berichtete, einige Geheimdienstler machten sich "Sorgen, dass Regierungsvertreter übertriebene Angaben über ihre Erkenntnisse gemacht hätten, weil sie die amerikanische Öffentlichkeit und ausländische Regierungen davon überzeugen wollten, dass der Irak das Verbot der Vereinten Nationen verletze, chemische, biologische oder atomare Waffen oder weitreichende Raketensysteme zu besitzen". Er fügte hinzu: "Ein führender Geheimdienstanalyst sagte, eine Erklärung für die Schwierigkeiten der Inspektoren beim Auffinden von Waffenverstecken läge darin, ‚dass es vielleicht gar keine großen Vorräte gibt’."

Er fuhr fort: "Regierungsvertreter, die den Irak anklagen, haben häufig unterschlagen, dass im Irak zwischen 1991 und 1998 eine beträchtliche Anzahl von Waffen nachweislich verschrottet wurde, als die frühere UN-Sonderkommission für den Irak in diesem Gebiet Inspektionsteams durchführte. Damals zerstörte der Irak unter UN-Aufsicht 817 von 819 verbotenen Mittelstreckenraketen, 14 Startrampen, 9 bewegliche und 56 feste Raketenwerfer. Er zerstörte außerdem 73 von 75 chemischen oder biologischen Sprengköpfen und 163 Gefechtsköpfe mit konventionellem Sprengstoff."

Krise des Imperialismus

Dem Azoren-Gipfel ging eine Woche mit einer ganzen Serie von Debakeln für die amerikanische Diplomatie voraus. Washington ist es bisher weder gelungen, die Opposition der Türkei gegen die Stationierung amerikanischer Truppen zu überwinden, noch konnte es eine Erlaubnis für die Nutzung des türkischen Luftraums für seine Kampfflugzeuge vom NATO-Partner bekommen. Die Ausrüstung für eine ganze amerikanische Division liegt größtenteils auf Schiffen vor der türkischen Mittelmeerküste fest.

Bei den Vereinten Nationen haben Bestechungen und Drohungen der USA keine erkennbare Wirkung auf die sechs unentschiedenen Länder gehabt, deren Stimmen im Sicherheitsrat eine wichtige Rolle spielen. Das gilt speziell für Mexiko und Chile, die beide vollständig von den USA als Exportmarkt abhängen. Die Bush-Regierung hat nicht mehr als vier von fünfzehn Stimmen sicher, ebenso viele wie vor einem Monat auch.

Das Weiße Haus und Vertreter des Außenministeriums haben ständig Voraussagen gemacht, die sich als falsch herausgestellt haben: Deutschland werde letztlich auf Linie gehen, Russland werde seine Interessen an der Seite der USA erkennen, Frankreich werde Unterstützung leisten, um einen Anteil an der Kriegsbeute zu bekommen, das halbe Dutzend kleiner Länder werde dem Druck der USA nicht standhalten können. Wenn die Militärstrategen der USA bei der Vorausplanung möglicher Probleme ebenso große Versager sind wie ihre diplomatischen Spezialisten, dann hat das Pentagon noch einige blutige Überraschungen zu erwarten.

Die europäischen Mächte wie Frankreich, Deutschland und Russland sind nicht deswegen gegen die Kriegspläne der USA, weil sie prinzipiell gegen den imperialistischen Krieg und den Tod unschuldiger Zivilisten wären, sondern weil sie wissen, dass der amerikanische Kriegskurs Folgen haben wird, die weit über den Irak hinausgehen. Der Krieg bedeutet einen beispiellosen und enorm gefährlichen Griff der USA nach uneingeschränkter globaler Vorherrschaft, eine Position, die ihre imperialistischen Rivalen trotz ihrer momentanen militärischen Unterlegenheit nicht akzeptieren können.

Der französische Imperialismus mag letzten Herbst noch Hoffnung auf eine Verständigung mit Washington gehegt haben, als die Resolution 1441 einstimmig im Sicherheitsrat verabschiedet wurde. Seitdem hat die Bush-Regierung jedoch mit zunehmender Vehemenz und Erbitterung auf jeden Versuch reagiert, eine diplomatische Lösung für die Konfrontation mit dem Irak zu finden.

Seit sie entschieden haben, dass der Eroberung und Besetzung des Irak eine zentrale Rolle bei ihren globalen Bestrebungen zukommt, sind die USA nicht mehr bereit, die geringste Opposition zu dulden. Die extreme Rechte, die jetzt in Washington an der Macht ist, will allen Einschränkungen ihrer Handlungsfreiheit ein Ende setzen, nicht nur im Nahen Osten, sondern auf allen Gebieten.

Mit ihrer wilden Entschlossenheit, gegen den Irak in den Krieg zu ziehen, trotz und sogar in Opposition zum UNO-Sicherheitsrat, bringt die USA den gesamten Rahmen der internationalen Beziehungen zum Einsturz, der nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden war. Sie hat ein blutiges und kriminelles Projekt begonnen, dessen katastrophale Konsequenzen in den nächsten Monaten und Jahren nur allzu deutlich werden.

Siehe auch:
Die Pressekonferenz des Präsidenten
(14. März 2003)
Abhören, Bestechen und Erpressen - wie die Bush-Regierung eine UN-Mehrheit erzwingen wollen
( 8. März 2003)