Hamburg
Senat geht gegen demonstrierende Schüler vor
Von Peter Norden
2. April 2003
Mit Drohungen, Einschüchterungsversuchen und maßlosen Polizeieinsätzen geht der Hamburger Senat - eine Koalition von CDU, FDP und Schill-Partei - gegen Schüler vor, die gegen den Irakkrieg demonstrieren.
Am 24. März endete eine Schülerdemonstration gegen den Krieg in einer Orgie der Gewalt von Seiten der Polizei. Als sich der Demonstrationszug in Richtung amerikanisches Konsulat bewegte, sperrte die Polizei das Gelände ab und forderte die Teilnehmer auf, die Kundgebung aufzulösen und nach Hause zu gehen. Nachdem diese sich weigerten, ging die Ordnungsmacht mit Wasserwerfern und Gummiknüppeln auf die Jugendlichen los. Etwa 130 von ihnen, vor allem 14- bis 17-jährige Schüler, wurden eingekesselt, gefesselt, mit Einsatzfahrzeugen auf verschiedene Polizeiwachen im ganzen Stadtgebiet verteilt und dort stundenlang festgehalten.
Die Schüler berichteten von entwürdigenden und demütigenden Verfahren auf den Dienststellen. Sie mussten sämtliche persönlichen Gegenstände einschließlich der Handys abgeben. Die Aufnahme von Kontakten zu Eltern oder Bekannten wurde untersagt. Selbst Mädchen mussten sich in Gegenwart von männlichen Polizeibeamten bis auf die Unterwäsche entkleiden.
Augenzeugen sowie die Organisatoren der Demonstration berichteten von völlig überzogenem und unangemessenem Vorgehen der Polizei gegen die Kinder und Jugendlichen. Selbst der Vorsitzende der Hamburger Jungliberalen, Jan-Erik Spangenberg, der als Augenzeuge zugegen war, bestätigte, dass die Taktik der Polizei eskalierend gewirkt habe, und forderte eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten.
Auf der anderen Seite wies der innenpolitische Sprecher der CDU, Carsten Lüdemann, die Vorwürfe gegen die Polizei zurück. Aus der rechtspopulistischen Schill-Partei des für die Vorgänge letztlich verantwortlichen Innensenators Ronald Schill tönte es empört, dass die Polizei auf "infame Weise" vorverurteilt werde. Auch Bürgermeister Ole von Beust (CDU) verteidigte die Polizei. Sie hätte nun einmal die Aufgabe gehabt, das amerikanische Konsulat "mit aller Kraft" zu schützen. Er sehe auch nicht, dass einzelne Polizisten individuelle "Fehler" gemacht hätten. Dazu gäbe es interne Ermittlungen.
Wie aggressiv die Stimmung innerhalb der Polizei ist, seit der Law-and-order-Fanatiker Schill das Innenressort übernahm, verdeutlicht ein Vorfall vom November 2002. Damals hatten bei einem Polizeieinsatz gegen eine Demonstration von Bewohnern einer Bauwagensiedlung drei Polizeibeamte ihre eigenen Kollegen, die sich in Zivil als "Aufklärer" unter die Demonstranten gemischt hatten, krankenhausreif geprügelt. Die bedauernswerten Zivilpolizisten hatten sich beim Passieren der Polizeikette offenbar nicht mehr an das richtige Codewort erinnert.
Während die Innenbehörde die protestierenden Schüler durch massive Polizeigewalt unter Druck setzte, wählte Schulsenator Rudolf Lange (FDP) den subtileren Behördenweg. Er wandte sich mit einem Schreiben an alle Hamburger Schulleiter, um Sie vor Verstößen gegen die Schulpflicht zu warnen. Er bezeichnete dies als "Beitrag, die Rechtssicherheit wiederherzustellen". Während sich der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble in einem Interview mit dem Deutschlandfunk dagegen sträubt, die Fragen des Rechts im Zusammenhang mit der "Rechtmäßigkeit" des Irak-Krieges allzu "exzessiv auszudiskutieren", bekommen Hamburgs Lehrer und Schüler so die Knute der Paragraphen zu spüren.
Lange erklärt in seinem Brief, dass auch der verständliche Wunsch, seine Meinung in einer Demonstration zu äußern, die Schulpflicht und die Verantwortung der Lehrkräfte nicht aufhebe. Lehrer, die ihre Schüler aktiv zu der Teilnahme an einer Demonstration während der Unterrichtszeit aufforderten, verletzten damit ihre Dienstpflicht. Dies habe disziplinarrechtliche und arbeitsrechtliche Folgen. Sollten Lehrer während der Unterrichtszeit demonstrieren, könnten ihre Bezüge einbehalten werden. Die Schulbehörde prüfe bis zur kommenden Woche, gegen welche Lehrer Disziplinarmaßnahmen eingeleitet werden sollen.
Gegenüber den Schülern betont Lange, dass die Teilnahme an einer Demonstration unter keinen Umständen das Fernbleiben vom Unterricht rechtfertige. Es stehe weder im Belieben der Schüler noch der Eltern, darüber zu entscheiden, ob und wann schulpflichtige Kinder die Schule besuchten. Schüler, die sich eigenmächtig vom Schulgelände entfernten, seien für eventuelle Schäden selbst verantwortlich.
Das brutale Vorgehen der Polizei, wie auch die Drohung des Senators Lange an die Lehrer und Schüler dienen augenscheinlich ein und demselben Zweck. Es geht darum, den aufkeimenden Widerstand nicht nur gegen die Bush-Regierung, sondern auch gegen die unsoziale und die "Antikriegspolitik" der rot-grünen Bundesregierung im Keim zu ersticken.
Dass seit Beginn des Krieges in ganz Deutschland - sowohl in den Metropolen, als auch in der Provinz - mehr als 50 Schülerdemonstrationen mit mehreren Hunderttausend Teilnehmern stattgefunden haben, zeigt, dass sich Massen von jungen Menschen nicht mehr ohne Weiteres mit dem Gang der Dinge abfinden wollen. Und das kann den Herrschenden nicht gleichgültig sein.