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Die französische Diplomatie und Bushs Kampagne gegen den Irak

Von Alex Lefebvre
31. Oktober 2002
aus dem Englischen (24. Oktober 2002)

Angesichts der Entschlossenheit der amerikanischen Regierung, einen Krieg gegen den Irak vom Zaun zu brechen, ist die französische Regierung bemüht, die US-Offensive gegen den Irak durch Verhandlungen im UN-Sicherheitsrat, wo sie Vetorecht genießt, aufzuhalten. Frankreich besteht auf einem Vorgehen in zwei Schritten: zuerst eine Resolution, die die Rückkehr der UN-Waffeninspektoren in den Irak vorsieht, und danach eine weitere Resolution, die für den Fall, dass die Waffeninspektoren Bagdad nicht ausreichend kooperationsbereit finden, einen Krieg gegen den Irak autorisiert.

Die Sprecher französischer Diplomatenkreise halten sich über Verhandlungsergebnisse in der UN bedeckt und wiederholen nur, die Gespräche mit den amerikanischen Vertretern verliefen "konstruktiv".

Die wenigen Details über die französisch-amerikanischen Verhandlungen, die in der Presse auftauchen, geben ein mehrdeutiges Bild. Die Zeitung Le Monde, die über eine Telefonkonversation zwischen dem französischen Präsidenten Jacques Chirac und George W. Bush berichtete, sprach von einem "Dialog zwischen Tauben". Beide Präsidenten hätten jeweils an ihrer Position festgehalten. Angeblich sollen sie am Ende der Konversation beschlossen haben, die Aufgabe, ihre Positionen auf einen Nenner zu bringen, ihren Außenministern zu überlassen.

Am 3. Oktober hat sich Chirac mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder getroffen, der seinen knappen Wahlsieg seiner öffentlichen Opposition gegen eine US-Militärinvasion im Irak verdankt. Washington hat Schröder deswegen heftig kritisiert, und Bush weigerte sich, ihm zur Wiederwahl zu gratulieren.

Chirac und Schröder erklärten beide, ihre Positionen seien sich ähnlich. Chirac fügte hinzu: "Deutschland hat seine Haltung in der Frage einer möglichen militärischen Beteiligung klar definiert - eine Position, die ich natürlich bestens verstehen kann."

In der französischen Presse hieß es, Frankreich versuche, eine Annäherung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten zu erreichen, und übernehme selbst die Vermittlerrolle dabei. Die Kommentare gewisser französischer Politiker machen jedoch deutlich, dass tiefere strategische Erwägungen mit im Spiel sind.

Am 8. Oktober hat Jean-Pierre Chevènement, ehemaliger Sozialist und Vorsitzender des Republikanischen Pols, erklärt: "Das wahre Ziel der amerikanischen Politik besteht darin, dass zweitgrößte Ölfeld im ganzen Nahen Osten an sich zu reißen." Er fügte hinzu, seiner Meinung nach sei das größte Problem "nicht so sehr der Irak, als der amerikanische Unilateralismus", dessen Ziel es im Grunde sei, "eine neue Weltordnung zu errichten".

Der Fraktionschef der Sozialistischen Partei in der Nationalversammlung, Jean-Marc Ayrault, forderte öffentlich von der Regierung, bei der Abstimmung über die amerikanische Resolution im Sicherheitsrat ihr Veto einzulegen.

Darauf antwortete der Außenminister, Dominique de Villepin, dass eine solche Entscheidung Frankreich "seines Einflusses und seiner Fähigkeit, sein Gewicht im internationalen Spiel einzusetzen", berauben würde. Er war der Meinung, wenn die französische Regierung offen gegen die amerikanische Position Partei ergreife, riskiere sie, dem gleichen diplomatischen Kesseltreiben von Seiten Washingtons ausgesetzt zu werden wie Berlin. Gleichzeitig würde dies die Bush-Administration endgültig in ihrer Meinung bestärken, die UNO sei eine "veraltete" Organisation, die man, wie Bush bereits angedroht hatte, links liegen lassen könne.

Villepins Rede vom 9. Oktober vor dem Senat zeigte, dass alle Strömungen der französischen politischen Elite über die geopolitischen Implikationen eines amerikanischen Angriffskriegs besorgt sind. Villepin erklärte, Frankreich habe eine dreifache "Verantwortung": die Eliminierung der irakischen "Massenvernichtungswaffen", die Erhaltung der Stabilität in Nahost und in Europa und die Verpflichtung, die "vorrangige Rolle der UNO" zu verteidigen.

Villepin schilderte die Bedeutung des Nahen Ostens in imperialistischen Ausdrücken: Aufgrund seiner Ölreserven sowie seiner geographischen Lage am Schnittpunkt "großer Transportrouten" sei er eine "wesentliche strategische Zone".

Außerdem bemerkte er, dass "der innere Zusammenhalt" der europäischen Staaten in Gefahr gerate, wenn man mit der Krise "auf illegitime und in der Öffentlichkeit schlecht akzeptierte Weise" umgehe. Er ging nicht auf die Meinungsumfragen ein, die deutlich zeigen, dass die Position der Regierung mit ihrem Bemühen, Washington entgegenzukommen, von der öffentlichen Meinung stark abgelehnt wird. Laut einer Umfrage von Ifop sind 65 Prozent der Franzosen gegen einen Krieg, auch wenn er von der UNO autorisiert würde, und siebzig Prozent finden, dass die Vereinigten Staaten im Kampf gegen den Terrorismus eine "zu dominante" Position einnehmen.

Villepin hatte zweifellos auch die Möglichkeit einer Radikalisierung der öffentlichen Meinung in den armen Vorstädten im Sinn, wo viele arabische Immigranten leben, auf die es die Raffarin-Regierung mit ihrer repressiven Sicherheitspolitik ganz besonders abgesehen hat.

Besonders in seinen Ausführungen über die UNO brachte Villepin seine Opposition gegen den Kriegskurs von Washington zum Ausdruck. Wenige Tage, nachdem Washington angekündigt hatte, es werde seine Außenpolitik in Zukunft auf "Präventionskriege" stützen, sagte Villepin: "Frankreich lehnt jede einseitige und präventive Aktion ab und ist überzeugt, dass eine neue Weltordnung sich auf Dialog und Kooperation stützen muss. Wenn die Welt heute ein starkes Amerika braucht, dann braucht sie auch ein starkes Europa."

Villepin steht mit seiner kritischen Haltung nicht alleine da. Le Figaro, eine rechte Zeitung, die der Regierung nahe steht, veröffentlichte am 10. Oktober einen Artikel, der die französischen Bemühungen schildert, "die amerikanische Handlungsfreiheit im Irak einzuschränken" und "dem kriegslüsternen Clan um die Regierung von George W. Bush" entgegenzuwirken. Darin heißt es, auf dem Spiel stehe "das Schicksal der irakischen Bevölkerung", die sich in den Händen eines Diktators mit "Massenvernichtungswaffen" befinde, "das Gleichgewicht der Region", die "Kontrolle über die wichtigsten Weltreserven an schwarzem Gold" und "die Weltordnung".

Der Figaro schreibt, Frankreich sei dabei, Russland und China - die beiden anderen Mitglieder des Sicherheitsrats, die sich den Kriegsplänen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens widersetzen - für seine Haltung zu den UN-Resolutionen zu gewinnen. Am Ende des Artikels muss der Verfasser allerdings zugeben, dass die Kriegsfrage nicht von der UNO, sondern im Weißen Haus entschieden wird. Bush kann sich mittlerweile auf einen Kongressbeschluss stützen, der ihn ermächtigt, dem Irak nach Belieben den Krieg zu erklären, bemerkt der Artikel, und er lässt sich von einer Gruppe beraten, die die Doktrin des Präventionskriegs verficht und seit langem einen Krieg gegen den Irak fordert.

Die französische politische Linie gründet sich auf die schwache Hoffnung, dass das Weiße Haus angesichts der Opposition in der UNO nachgeben werde - eine Hoffnung, die die führenden Politiker selbst immer weniger ernst nehmen können. Den Europäern, die gegen einen amerikanischen Irakkrieg sind, allen voran Deutschland und Frankreich, wird dabei eine weitere Lehre über ihre militärische Schwäche im Vergleich zu den Vereinigten Staaten erteilt.

Der Wunsch Villepins nach einem "starken Europa" nimmt in der Aufstockung des französischen Militärhaushalts um elf Prozent materielle Gestalt an. Um die Militärausgaben erhöhen zu können, fordert Frankreich, die EU müsse in ihren Budgetverhandlungen ein Defizit tolerieren. Diese Perspektive führt in ihrer logischen Konsequenz zu militärischen Konfrontationen zwischen den kapitalistischen Großmächten.

Der französische Imperialismus, der sich noch 1991 uneingeschränkt an der Bombardierung des Irak und an der Blockade, die über dieses Land verhängt wurde, beteiligt hatte, verdient nicht das geringste Vertrauen im politischen Kampf gegen diesen Krieg. Um den räuberischen Charakter der französischen Außenpolitik zu verbergen - die damals vom sozialistischen Präsidenten François Mitterrand und heute von seinem gaullistischen Nachfolger Chirac geleitet wird - müssen die französischen Herrschenden die Lügen der Bush-Regierung nachplappern, dass der Irak ein Aggressor sei und die internationale Gemeinschaft bedrohe.

Siehe auch:
EU-Außenminister in der Irakfrage gespalten
(3. September 2002)