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Fliegender Wechsel im Verteidigungsministerium

Die Hintergründe der Entlassung von Rudolf Scharping

Von Ulrich Rippert
24. Juli 2002

Nur wenige Minuten dauerte am vergangenen Donnerstag die Bundespressekonferenz, auf der Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Entlassung von Verteidigungsminister Rudolf Scharping (ebenfalls SPD) bekannt gab und im selben Atemzug den bisherigen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Peter Struck, zum Nachfolger ernannte.

Vorausgegangen war eine Präsidiumssitzung der Sozialdemokraten, auf der sich der Kanzler parteiinterne Rückendeckung für seine Entscheidung geholt hatte. Denn bis zuletzt hatte sich Scharping geweigert, dem Wunsch des Kanzlers nach einem "freiwilligen" Rücktritt nachzukommen. Bereits acht Regierungsmitglieder haben das rot-grüne Kabinett verlassen, aber der Verteidigungsminister ist der erste, der regelrecht gefeuert wurde.

Der Anlass waren Presseberichte, in denen aufgedeckt wurde, dass Scharping seit zwanzig Jahren eine enge Beziehung zu dem Frankfurter Medienhändler und PR-Manager Moritz Hunzinger unterhält. Laut einem Bericht des Magazins Stern hat Scharping in den Jahren 1998 und 1999 für Vorträge und eine bisher nicht realisierte Buchveröffentlichung 140.000 Mark (72.000 Euro) von Hunzinger erhalten. Außerdem veröffentlichte das Magazin Quittungen eines exquisiten Frankfurter Herrenausstatters, bei dem Scharping angeblich gemeinsam mit Hunzinger für mehrere Zehntausend Mark eingekauft hat.

Keiner dieser Vorwürfe ist bisher bewiesen oder für sich genommen ein Rücktrittsgrund für einen Minister. Nicht nur haben viele Bundes- und Landespolitiker nahezu aller Parteien enge Kontakte zu dem umtriebigen PR-Manager Hunzinger, auch der Einkauf in Edelboutiquen ist bei vielen Ministern gang und gäbe. Am vergangenen Wochenende gab denn auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir bekannt, dass auch er einen "privaten Kredit" in Höhe von 80.000 Mark (41.000 Euro) zu Vorzugszinsen von Hunzinger erhalten habe. Doch was im Falle Scharpings als Anlass zum Rauswurf diente, wurde im Fall Özdemir als "große Eselei" bezeichnet. Das Gleiche ist eben nicht immer gleich.

Die Entlassung Scharpings erklärt sich nicht aus den Hunzinger-Vorwürfen, sondern hat tiefer liegende Ursachen.

Zunächst einmal ist Schröders überstürzte Reaktion auf die unbewiesenen Pressevorwürfe ein Ausdruck der wachsenden Nervosität und Panik, in der sich die rot-grüne Regierung zwei Monate vor der Bundestagswahl befindet. Am Ende der Legislaturperiode ist deutlich geworden, dass diese Regierung, die vor vier Jahren mit großen Versprechungen an die Macht kam, keine tragfähigen Antworten auf die großen gesellschaftlichen Probleme hat, außer immer weiterem Sozialabbau im Interesse der Konzerne und Banken.

Immer deutlicher gerät diese Politik in Gegensatz zu den Interessen der Bevölkerung, was sich in negativen Wahlprognosen niederschlägt. Seit in Europa eine sozialdemokratische Regierung nach der anderen Wahlniederlagen erleidet, und vor allem seit den dramatischen Stimmenverlusten der Sozialisten in Frankreich vor wenigen Wochen, herrscht im Berliner Kanzleramt Endzeitstimmung.

Seit Wochen wird ein Wahlkampf ohne jegliche inhaltliche politische Auseinandersetzung geführt, weil sich die programmatischen Standpunkte ohnehin gleichen. Aus Angst, die Union könnte die Beschuldigungen gegen Scharping als Wahlkampfmunition nutzen, machte Schröder kurzen Prozess und versuchte sich damit als entschlossenen und handlungsfähigen Regierungschef darzustellen.

Doch wichtiger als diese wahltaktischen Überlegungen ist Folgendes: Der Rauswurf Scharpings ist das Ergebnis eines mehrjährigen Verschleißprozesses. Als Rudolf Scharping vor dreieinhalb Jahren die Leitung des Verteidigungsministeriums übernahm, verband er dies mit der Forderung nach mehr Geld für die Armee, was ihm der erste Finanzminister in Schröders Kabinett, Oskar Lafontaine (SPD), auch zubilligte. Doch nach dem Rücktritt Lafontaines und dem Beginn von Hans Eichels Sparkurs änderte sich die Situation.

Angesicht von starken Kürzungen in allen Sozialbereichen zögerte die Regierung, den Militäretat drastisch zu erhöhen. So geriet Scharping in eine Zwickmühle. Als Sozialdemokrat, der dem rechten Parteispektrum angehört, setzte er sich für den Ausbau und eine zügige Umstrukturierung der Armee ein. Die aus der Zeit des Kalten Krieges stammenden Strukturen einer auf Landesverteidigung ausgerichteten, aus Wehrpflichtigen bestehenden Territorialarmee wurden weitgehend abgeschafft und schrittweise durch die einer technisch hochgerüsteten, professionellen Interventionsarmee ersetzt.

Scharping selbst stellte die Weichen in Richtung Wiedererrichtung eines Generalstabs, den es in den Nachkriegsjahren aufgrund der negativen Erfahrungen während des Hitlerfaschismus nicht gegeben hatte. Die damit verbundene Wiederbelebung einer Militärkaste, die eigene Ansprüche an die Politik stellt, führte dazu, dass der Druck auf den Minister, im Kabinett mehr Geld für den Aufbau und die Umstrukturierung der Armee durchzusetzen, ständig zunahm.

Während Kanzler Schröder und Außenminister Fischer (Grüne) auf internationalen Konferenzen bereitwillig dem Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Krisengebieten zustimmten, so dass gegenwärtig 60.000 deutsche Soldaten weltweit im Einsatz sind, versuchten sie die Militärausgaben niedrig zu halten. So geriet Scharping unter Druck von beiden Seiten und seine Stellung wurde in wachsendem Maße unhaltbar.

Deutlich wurde dies im Januar dieses Jahres, als Scharping die Beschaffung von 73 Transportflugzeugen vom Typ A400M für die Bundeswehr unterzeichnete, ohne dass deren Finanzierung eindeutig geklärt war, und damit gegen das Budgetrecht des Bundestages verstieß. Um einer Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht vorzubeugen, versprach Scharping, die notwendigen Finanzmittel erst im Haushalt 2003 absichern zu lassen. Doch das bedeutete nur eine Verschiebung des Problems.

In einem Artikel aus dem habamtlichen Magazin "Das Parlament", der sich mit dem wachsenden Spannungsverhältnis zwischen Europa und Amerika befasst und für eine deutliche militärische Aufrüstung in Europa und speziell Deutschland eintritt, heißt es: "Der Fehlbedarf für die Bundeswehr ist mit etwa 50 Prozent der Jahresausgaben für Verteidigung anzusetzen, die derzeit bei 24 Milliarden Euro liegen. Der einzige Ausweg neben moderaten Steigerungen der Ausgaben für Verteidigung ist vermutlich daher nur der, die Verteidigung Westeuropas so rasch wie möglich zu standardisieren, sowohl bei den Soldaten wie auch bei der Ausrüstung. Der neue Airbus ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die Vorgehensweise der Bundesregierung bei der Finanzierung zeigt an, wie gering Rot-Grün die Akzeptanz von erhöhten Verteidigungsausgaben bei der Bevölkerung einschätzt."

Je mehr die Bundeswehr als Interventionsarmee auftrat, desto lauter wurde die Forderung der Generäle nach mehr Geld und desto heftiger attackierten sie Scharping. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes Oberst Bernhard Gertz bezeichnete den Verteidigungsminister öffentlich als "Witzblattfigur" und "lahme Ente". In einer disziplinarischen Prüfung, die das Verteidigungsministerium daraufhin verlangte, verteidigte Gertz seine Äußerungen. Er habe den Verteidigungsminister als "lame duck" bezeichnet, was im angelsächsischen Sprachraum einen handlungsunfähigen Politiker beschreibe, dessen Amtszeit sich dem Ende zuneigt. "Eine ziemlich treffende Zustandsbeschreibung", sagte Gertz im März.

Auch hohe Kommandeure der Bundeswehr hatten sich auf internen Tagungen abfällig und verächtlich über den Minister geäußert.

Bereits im vergangenen Sommer waren private Urlaubsbilder von Scharping und seiner damals neuen Lebensgefährtin Gräfin Pilati, von denen sich Scharping mehr Popularität versprach, für eine gezielte Medienkampagne gegen den Minister benutzt worden. Wie weit schon damals die Medienagentur Hunzinger eine Rolle spielte, ist unbekannt. Immerhin lernten sich Scharping und Pilati auf einer von Hunzinger organisierten Veranstaltung kennen, und auch die Bildreporter des Magazins Bunte, das die Bilder veröffentlichte, standen mit Hunzinger in Kontakt. Darüber hinaus unterhält Hunzinger, der seit 27 Jahren Mitglied der hessischen CDU und ein enger Freund von Ministerpräsident Roland Koch ist, enge Kontakte zur Rüstungsindustrie und zu führenden Militärs.

Der rüde Rauswurf Scharpings, der zur Bundestagswahl 1994 als Kanzlerkandidat der SPD angetreten war und bis 1995 deren Vorsitzender war, wird von den Militärs ohne Zweifel als Signal interpretiert werden, ihre politischen und finanziellen Ansprüche in Zukunft noch lauter zu vertreten. Spätestens nach der Bundestagswahl vom 22. September wird die neue Regierung, egal ob unions- oder SPD-geführt, diesen Forderungen nachkommen und die Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer imperialistischen Interventionsarmee durch eine entsprechende Erhöhung der Rüstungsausgaben ergänzen - auch wenn dies höchst unpopulär ist.

Verhindert werden kann diese Wiederentstehung des deutschen Militarismus nur durch eine politische Bewegung der Arbeiterklasse, die sich sowohl gegen den erstarkenden Militarismus als auch gegen die imperialistischen Ziele der deutschen Außenpolitik richtet.

Siehe auch:
60.000 deutsche Soldaten weltweit an Militäreinsätzen beteiligt
(13. März 2002)
Der Streit um die Finanzierung des Militär-Airbus A 400 M
( 20. Februar 2002)
Die Bundeswehr als Rüstungslobby
( 15. September 1999)