Parteitag der Grünen unterstützt Kriegskurs
Von Peter Schwarz
27. November 2001
Der Bundesparteitag der Grünen hat sich am Samstag mit großer Mehrheit hinter eine militärische Beteiligung Deutschlands am "Kampf gegen den Terrorismus" gestellt. Mehr als zwei Drittel der 700 Delegierten stimmten für einen Antrag des Bundesvorstands, in dem der entsprechende Beschluss des Bundestags vom 16. November akzeptiert wird.
Die Abstimmung gilt als Vertrauensbeweis für Außenminister Joschka Fischer, der zuvor unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass eine Ablehnung des Antrags gleichbedeutend mit dem Ende der rot-grünen Koalition in Berlin sei. Die Grünen könnten sich nur entscheiden zwischen der Alternative, für diese notwendigen Einsätze die Verantwortung als Regierungspartei zu übernehmen oder sich "zu verabschieden", sagte er.
Nachdem sich die Grünen bereits vor zweieinhalb Jahren in Bielefeld mit deutlicher Mehrheit für eine deutsche Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien ausgesprochen hatten, kann es nach der erneuten Entscheidung für den Afghanistankrieg keine Zweifel mehr geben, wo diese Partei im Kriegsfall steht. Hatte sie ihre Aufgabe einst darin gesehen, Kriege zu verhindern, so bezeichnete es Außenminister Joschka Fischer nun als "eine der härtesten Herausforderungen für uns, grüne Bedingungen in einem Krieg zu formulieren".
Der pazifistische Flügel in den Reihen der Grünen hat sich erneut als völlig unfähig erwiesen, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Er spielt im Gegenteil eine wichtige Rolle dabei, kritische Stimmen in die Partei zu integrieren und so der Opposition in der breiten Bevölkerung entgegenzuwirken.
Die mehrstündige Diskussion, die der Abstimmung voranging, erweckte den Eindruck des Déjà vu. Was in Bielefeld noch die Form heftiger Auseinandersetzungen angenommen hatte, wirkte in Rostock nur noch wie erprobte Routine. Jeder spielte seinen eingeübten Part.
Joschka Fischer drohte und schmeichelte den Delegierten, um sie schließlich vor das Ultimatum zu stellen: Entweder Ihr gebt mir freie Hand oder ich geh. Christian Ströbele, Annelie Buntenbach und andere Vertreter des linken Flügels traten Fischer entgegen und forderten ein "klares Nein zum möglichen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan". Fischer wurde mit einer stehenden Ovation gefeiert. Ströbele bekam fast genau soviel Beifall, größtenteils von denselben Delegierten.
Hinterher setzte sich Ströbele mit Fischers Leuten zusammen, um dem Leitantrag den letzten Schliff zu geben. Neben dem konkreten Bekenntnis zur Kriegsbeteiligung enthält er nun auch ein abstraktes Bekenntnis zum Pazifismus. Dank Ströbele wurde der Satz eingefügt: "Bündnis 90/Die Grünen bleiben auch der pazifistischen Tradition verpflichtet und verbunden."
Der gesamte Parteitagsbeschluss ist in diesem Ton gehalten. Einerseits spricht er sich für die Fortsetzung der rot-grünen Koalition aus und stellt sich hinter Regierung und Bundestag - was in der Sprache der Politik die Übernahme der vollen Verantwortung für den Krieg in Afghanistan bedeutet. Andererseits lobt er ausdrücklich jene Abgeordneten, die im Bundestag gegen den Krieg votiert haben. In einer Schlüsselpassage heißt es: "Wir respektieren ausdrücklich, dass unsere Abgeordneten in dieser Entscheidung, die Gewissensfragen genau so berührt wie politische Grundsatzfragen, zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Niemand hat sich die Entscheidung leicht gemacht. Wir akzeptieren, dass unsere Abgeordneten mehrheitlich der Bereitstellung von Einheiten der Bundeswehr zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zugestimmt haben. Wir halten es für richtig, dass die vorhandene Kritik an dem Einsatz, die in unserer Partei ihren Platz hat, in der Abstimmung zum Ausdruck gebracht wurde."
Dieses Spiel mit verteilten Rollen war möglich, weil niemand die Frage nach den tatsächlichen Zielen des gegenwärtigen Krieges aufbrachte.
Auch die Gegner einer deutschen Beteiligung, die in der Debatte deutlich überwogen, bestritten nicht, dass er sich gegen den Terrorismus richte. Sie stellten lediglich die Zweck- und Verhältnismäßigkeit der angewandten militärischen Mittel in Frage oder lehnten sie aus einer pazifistischen Grundhaltung heraus generell ab. Der Krieg treffe unschuldige Zivilisten, schüre neuen Hass und züchte die nächste Generation von Terroristen geradezu heran, lauteten ihre Argumente. Vereinzelt gab es auch Kritik an der USA, die, so Hans-Christian Ströbele, in Afghanistan ebenso wie früher im Kosovo und in Mazedonien "ein Teil des Problems" sei.
Die Kriegsbefürworter bemühten sich dagegen, die amerikanischen Bombenabwürfe als Beitrag zur Befreiung der afghanischen Frau und zur Befreiung des Landes von der Herrschaft der Taliban darzustellen. Oder sie drohten damit, dass im Falle einer negativen Entscheidung des Parteitags FDP und Konservative an die Regierung kämen. Wenn man sich aus der Regierung verabschiede, warnte Fischer die Delegierten, dann überlasse man ganz anderen die Gestaltung, "und unter Haider, Berlusconi, jetzt Rasmussen in Dänemark und vielleicht bald Stoiber in Deutschland" würde Europa ganz anders aussehen.
Auf dieser Ebene konnte man in derselben Partei bleiben und sich gegenseitig versichern, dass "man niemandem in dieser Partei die moralische Integrität absprechen" lasse, wie es die Parteivorsitzende Claudia Roth einleitend formulierte. Wären die wahren Kriegsziele diskutiert worden, wäre dies nicht möglich gewesen.
Vor zehn Jahren hatten die Grünen, einschließlich Joschka Fischer, noch unter Transparenten "Kein Blut für Öl" gegen den Golfkrieg demonstriert. In Rostock erwähnte kein einziger Delegierter mehr das Wort Öl, obwohl bekannt ist, dass die Erschließung der Ölreserven in Zentralasien und am Kaspischen Meer ein wesentliches Motiv für den gegenwärtigen Krieg darstellt. Ebenso unterblieb nahezu jede Kritik an der Politik der US-Regierung. Man wollte die Machthaber in Washington nicht reizen und sich dem Vorwurf des Antiamerikanismus aussetzen. Und dies, obwohl die Regierung Bush weit rechts von jenen europäischen Politikern steht, mit denen Fischer die Parteitagsdelegierten schreckte.
Das Aufwerfen diese Fragen hätte schnell deutlich gemacht, dass der Krieg in Afghanistan weder dem Kampf gegen den Terrorismus dient, noch die Rückkehr eines geschundenen Landes zur Demokratie zum Ziel hat. In Wirklichkeit ist er der erste Schritt einer gewaltsamen Neuaufteilung der Welt unter den Großmächten, dem unweigerlich weitere folgen werden, wie US-Präsident Bush unermüdlich betont. Über die Beteiligung oder Nichtbeteiligung an einem solchen Krieg kann es keinen Kompromiss geben - deshalb sind die Grünen der Frage ausgewichen.
Die rot-grüne Koalition und die Einheit der eigenen Partei haben sie damit - für den Moment - gerettet. Die tiefe Kluft zu großen Teilen der Bevölkerung und ihren eigenen Wählern können sie auf diese Weise nicht überbrücken. Spätestens die Bundestagswahl in neun Monaten könnte ihr politisches Ende bedeuten.