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George W. Bush in Philadelphia: Politik der Illusionen

Von der Redaktion
9. August 2000
aus dem Amerikanischen (1. August 2000)

Der Parteitag der Republikanischen Partei, der am Montag vergangener Woche in Philadelphia eröffnet wurde, zeigt den fortschreitenden Niedergang der bürgerlichen Politik in Amerika. Der Parteitag dient den Republikanern lediglich dazu, sich ein bestimmtes Image zuzulegen, das die ebenso reaktionäre wie unbeliebte Politik der Partei und ihres Kandidaten verschleiern soll.

Das unverhohlen erklärte Ziel von Bushs Wahlkampagne besteht darin, ein groß angelegtes TV-Infomercial zu inszenieren. Und die willfährigen Medien beurteilen die Kampagne allein danach, inwiefern sie dieses Ziel erreicht.

Die Kluft zwischen Schein und Realität ist so groß, dass der Parteitag gleichzeitig lachhaft und grotesk ist. Die Republikanische Partei, die jahrzehntelang Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung, Minderheiten und die Armen anführte, kleidet sich nun mit dem Gewand des "mitfühlenden Konservatismus". Um dem rechten texanischen Ölmillionär George W. Bush und seinem Mitbewerber Richard Cheney, ebenfalls ein Ölmillionär, den Anschein von "Offenheit" und "Toleranz" zu geben, werden Schwarze, Hispanoamerikaner, Frauen und Behinderte als Redner aufgestellt. Am Montagabend war der Hauptredner General a.D. Colin Powell, das prominenteste schwarze Mitglied der Republikaner, während Newt Gingrich und andere, die mit rassistischen und christlich-fundamentalistischen Elementen in Verbindung stehen, an den Rand gedrängt wurden.

Die soziale Zusammensetzung der Delegierten des Kongresses widerlegt die vorgeschobene Offenheit. Statistischen Erhebungen zufolge sind 90 Prozent der Delegierten Weiße, nur vier Prozent sind Schwarze und drei Prozent Hispanoamerikaner. Sie sind mehrheitlich Politiker, Rechtsanwälte und Geschäftsleute; 20 bis 25 Prozent von ihnen sind Millionäre.

Ihre Politik ist überwiegend ultra-rechts - einer Umfrage nach unterstützen nur 37 Prozent der Delegierten Bushs Vorschlag, dass die staatliche Krankenversicherung teilweise die Kosten für rezeptpflichtige Medikamente übernehmen soll. Mindestens 20 Prozent der Delegierten gehören der National Rifle Association (dem amerikanischen Waffenverband) an. Ähnlich viele, wenn nicht noch mehr, sind in der Christian Coalition oder vergleichbaren christlich-fundamentalistischen Gruppen organisiert.

Das Wahlprogramm, das am Wochenende vom Vorstand der Republikaner vorgelegt und abgesegnet wurde, ist ein extrem rechtes Dokument, in dem mehrere Verfassungsänderungen gefordert werden: Abtreibung soll verboten und Schulgebete eingeführt werden, außerdem soll die Diskriminierung von Homosexuellen nicht mehr strafbar sein. Die kosmetischen Änderungen, die von Bushs Wahlkampfteam vorgenommen wurden - z.B. wurde die Forderung nach einer Abschaffung des Bildungsministeriums fallengelassen -, werden in Wirklichkeit von der Mehrheit der Delegierten abgelehnt.

Die soziale Kluft zwischen den Parteitagsteilnehmern und der arbeitenden Bevölkerung wurde am Sonntagabend besonders deutlich, als die Delegierten Philadelphia verließen und über den Fluss nach Camden in New Jersey übersetzten, wo für sie ein Gala-Abend stattfand. Dort erfreuten sich 5.000 Delegierte an Wein, Häppchen und Feuerwerk, während sie von Hunderten Polizisten abgeschirmt wurden, um jeden Kontakt mit der örtlichen Bevölkerung zu verhindern, die zu den ärmsten Amerikas gehört. Die Gouverneurin von New Jersey, Christine Todd Whitman, hat zur Vorbereitung des Banketts 50 Millionen Dollar aus der Staatskasse ausgegeben. Unter anderem wurden Absteigen und Bars in Sichtweite der Anlegestelle abgerissen. Inzwischen ist die Stadt Camden so tief verschuldet und verarmt, dass die Stadtverwaltung vom Bundesstaat übernommen wurde.

Der Parteitag der Republikaner ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Inszenierung. Nach einer Darstellung der New York Times hat der Organisator des Parteitags, Andrew Card, der Verkehrsminister in der Regierung von Bushs Vater war, in der letzen Woche ein Treffen abgehalten, auf dem der Kongress detailliert geplant wurde. Er und sein Mitarbeiterstab unterteilten jeden der vier Abende des Parteitags in fünfminütige Abschnitte, wobei alles, was während der besten Sendezeit von 19.30 Uhr bis 23 Uhr geschehen sollte, genaustens vorgegeben wurde.

Alle Reden wurden von Buschs Wahlkampfteam überprüft, damit die Redner ihn allabendlich in dem vorher abgesprochenen Thema bestätigen würden. Die Parteitagsthemen schienen eine Parodie auf sich selbst zu sein. Der Montagabend stand unter dem Motto "zweckgerichtete Chancen", das Thema am Dienstag war "zweckbestimmte Stärke und Sicherheit". Der Mittwoch war dem "zweckgerichteten Wohlstand" gewidmet und am Donnerstag nahm Georg W. Bush seine Nominierung an und gelobte, ein "zweckgerichteter Präsident" zu sein.

Dahinter verbirgt sich mehr als nur eine PR-Kampagne. Die viertägige Zurschaustellung einer hinter Bush vereinigten Republikanischen Partei kann nur aufrechterhalten werden, indem jede Diskussion über die wirklichen Fragen unterdrückt wird. Sollte eine solche Diskussion stattfinden, bestände selbst in dem engen politischem Spektrum der Republikaner, das nur die Rechte und extreme Rechte umfasst, die Gefahr, dass unkontrollierbare Konflikte ausbrechen. Es genügt wohl sich auszumalen was geschehen wäre, wenn Powell als Hauptredner des ersten Abends entschlossen seine Meinung zur Abtreibung und der Affirmative Action (die bevorzugten Behandlung von ethnischen Minderheiten und Frauen bei der Besetzung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen) vertreten hätte. Er hätte sich bei diesem Publikum vom Rednerpult aus kaum Gehör verschaffen können.

Nicht weniger schändlich als die Inszenierung auf der Rednertribüne ist die Einflussnahme, die hinter den Kulissen stattfindet. Es wird kaum verhüllt, dass die Versammlung durch Unternehmensspenden finanziert wird und die wirklichen Entscheidungen auf Parties, Ausflügen und geschlossenen Versammlungen durch republikanische Politiker und hohe Tiere und Lobbyisten von der Industrie gefällt werden.

Sogar das Wall Street Journal erkannte, dass das politische System an den Meistbietenden verkauft wird. Zum Beginn des Parteitags lautete die Hauptschlagzeile der Zeitung: "Bushs Spender haben eine lange Wunschliste und erwarten Ergebnisse." Die größten Spender kommen aus der Öl-, Tabak-, Pharma- und chemischen Industrie, und auf ihrem Wunschzettel stehen die Zerschlagung von Sicherheits- und Umweltbestimmungen, massive Steuersenkungen und die Einschränkung von Klagemöglichkeiten gegen Konzerne.

Im Lager von Al Gores Demokraten sieht es kaum anders aus. So schrieb das Wall Street Journal: "Wenn Al Gore Präsident wird, dann fördert er seine eigenen Gruppe von Geldgebern und deren besondere Interessen."

Clintons ehemaliger Arbeitsminister Robert Reich gab in einer Kolumne der Tageszeitung USA Today zu: "Der Parteitag des großen Geldes in Philadelphia wird sich nicht groß von dem [der Demokraten] in Los Angeles in zwei Wochen unterscheiden. Die meisten Leute, die auf dem ersten Parteitag waren, werden auch am zweiten teilnehmen. Sie haben in den Wahlkampf beider Kandidaten investiert, ihre Aktien breit gefächert, wie es kluge Manager bei Risikogeschäften tun."

Der gekünstelte und inszenierte Charakter des republikanischen Parteitags ist nicht nur ein äußerliches Merkmal dieses Ereignisses. Beide großen Parteien sind gezwungen, sich auf billige Taschenspielertricks zu verlassen, weil sie jede Diskussion über die dringenden sozialen Fragen - Armut, mangelnde Krankenversorgung, Krise des Bildungswesens und Verfall der Städte - vermeiden wollen. Hier zeigt sich, wie sehr Wahlen ihren ursprünglichen demokratischen Inhalts verloren haben. Dieser politische Verfall hat seine Ursachen in der sozialen Polarisierung, die im Verlauf der letzten 25 Jahre in Amerika enorme Ausmaße angenommen hat.

Die Klassenunterschiede in den USA sind schärfer als jemals zuvor in ihrer Geschichte. Die Kluft zwischen der reichen und privilegierten Elite, den oberen fünf Prozent, und dem Rest der Bevölkerung war noch nie so groß. Das Zweiparteien-System ist ausschließlich auf die Interessen dieser obersten Schicht ausgerichtet und zeigt kaum noch einen Anschein der Sorge um die große Mehrheit, die nicht an der Börse ein Vermögen macht.

Der "mitfühlende Konservatismus" von Bush unterscheidet sich nicht von Clintons einfühlender Politik - die Schmerzen anderer fühlen, während man ihnen neue verursacht.

In den 60er und 70er Jahren waren die Parteitage der Republikaner und Demokraten noch bedeutende politische Foren, auf denen noch echte Entscheidungen gefällt und echte politische Konflikte um Nominierungen und politischen Programme ausgetragen wurden. Obwohl beide Parteien vom Big Business kontrolliert wurden und der Verteidigung des Profitsystems dienten, hatten sie weitgehende Unterstützung innerhalb der Bevölkerung. Sie waren gezwungen, neben den Ansichten der politischen und wirtschaftlichen Elite auch die Meinungen verschiedener Wählerschaften zu beachten. Bei den Demokraten waren dies die Gewerkschaften und Arbeiter, die zur schwarzen oder anderen Minderheiten gehörten, so wie liberal gesinnte Teile der Mittelschicht. Die Republikaner stützen sich auf alteingesessene Farmer, kleinere Geschäftsleute und auf das kleinstädtische Milieu in Amerika.

Durch die kontinuierliche Rechtsentwicklung beider Parteien hat sich ihre soziale Basis enorm eingeschränkt. Keine von beiden ist heute mehr in der Lage, irgendeinen Widerhall in der amerikanischen Gesellschaft hervorzurufen - außer vielleicht Verachtung. Der größte Teil der amerikanischen Bevölkerung sieht sich weder die Parteitage im Fernsehen an, noch schenkt er ihnen größere Aufmerksamkeit.

Die wirtschaftliche und politische Elite ist anscheinend der Auffassung, dass sie mit der Hilfe solcher Nebelwände regieren kann. Aber die Politik der Illusion ist eine Form der Selbsttäuschung. Es ist eine unfreiwillige Bestätigung dessen, dass der bestehende politische Überbau moralisch und intellektuell bankrott ist.

Das politische System in Amerika ist so verkalkt, dass es innerhalb der kapitalistischen Parteien selbst keinen Raum mehr für Selbstkritik gibt, geschweige denn irgendein Forum, in dem die Ansichten und Bedürfnisse der Masse der Bevölkerung Ausdruck finden könnten. Der künstliche, bizarre und zunehmend irrelevante Prozess von Imageaufbau und Medienmanipulation findet vor dem Hintergrund enormer sozialer Spannungen statt. Letztere nehmen weiter zu und laufen unaufhaltsam auf soziale Erschütterungen zu, auf die die herrschende Elite schlecht vorbereitet ist.

Siehe auch:
Die Politik der Plutokratie: Präsidentschaftskandidat Bush ernennt Richard Cheney zum Vize
(28. Juli 2000)