Vor dem Urteil im Fall David Irving
Verleumdungsklage des Holocaust-Leugners wird in London entschieden
Von Richard Tyler und Peter Reydt
11. April 2000
aus dem Englischen (24. März 2000)
Das zehnwöchige Gerichtsverfahren über eine Verleumdungsklage des britischen Autors David Irving gegen die amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt ging am 15. März mit den Abschlussplädoyers vor einem vollbesetzten Gerichtssaal in London zu Ende.
In seiner Klageschrift, die dem Gericht im September 1996 erstmals zugestellt wurde, behauptete Irving, der in mehreren Büchern Hitler und die Nazis von Schuld freigesprochen hatte, dass Lipstadt und ihr Verlag Penguin Books Teil "einer organisierten internationalen Kampagne" seien, die das Ziel verfolge, seine Karriere zu zerstören. Mit dem Urteil wird am heutigen 11. April gerechnet.
Ziel der Verleumdungsklage gegen Lipstadt ist es, die Kritik an Irving und all jenen, die den systematischen Völkermord der Nazis an den Juden bestreiten, zum Verstummen zu bringen. Irving stellt Berichte über Massentötungen als übertrieben oder erfunden hin und behauptet, die Gaskammern in Auschwitz hätten gar nicht für einen industriell organisierten Massenmord getaugt. Er hat auch gegen die Schriftstellerin Gita Sereny wegen ihrer Besprechung seines Buches über Joseph Goebbels in der britischen Tageszeitung Observer Klage eingereicht.
Lipstadt ist Lehrstuhlinhaberin für Moderne Judaistik und den Holocaust an der Emory University in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia. Sie beriet während der Bauzeit das Holocaust Memorial Museum der Vereinigten Staaten in Washington in geschichtlichen Fragen und wurde 1994 in den Holocaust Memorial Council der USA aufgenommen, die staatliche Einrichtung, die das Museum betreibt.
Irving griff Lipstadt wegen ihres Buches an: Leugnung des Holocaust - der Angriff auf die Wahrheit und das Erinnern (Denying the Holocaust - The Growing Assault on Truth and Memory). Dieses Werk, das die zahlreichen Verteidiger des Nazismus anhand der Geschichte entlarvt, hat Lipstadt bei der extremen Rechten weltweit zur verhassten Person gemacht. Irving stößt sich vor allem daran, dass Lipstadt ihn als "einen rechtsgerichteten Verfasser historischer Arbeiten" beschreibt, der "zu den gefährlichsten Holocaust-Leugnern gehört".
Über die geschichtlichen Strömungen, die das Ausmaß des Holocaust abstreiten, schreibt sie: "Seit dem Zweiten Weltkrieg erhielt der Faschismus seinen schlechten Ruf durch den Nazismus im allgemeinen und den Holocaust im besonderen. ... Folgerichtig wurde das Leugnen des Holocaust zu einem wichtigen Element ihrer (der neofaschistischen Organisationen) Ideologie" (S. 103).
Über Lipstadts Charakterisierung von Irving gibt es kaum ernsthafte Differenzen. Irving hat als Redner auf Veranstaltungen verschiedener neofaschistischer Organisationen öffentlich seine Sympathien für den Faschismus bekundet. In diesen Kreisen gilt Irving als "bekannter britischer Historiker", und seine Arbeiten werden benutzt, um offenere profaschistische Schriften als seine eigenen zu rechtfertigen. In den achtziger Jahren sprach er auf Versammlungen der ausländerfeindlichen Deutschen Volkspartei (DVU). Auf wenigstens einer Versammlung waren Skinheads anwesend, die "Sieg Heil" skandierten.
1988 trat er im Verfahren gegen den berüchtigten kanadischen Nazi, Ernst Zundel, Autor des Buches The Hitler we loved and why( Der Hitler, den wir liebten und warum) als Zeuge der Verteidigung auf. Lipstadt schreibt: "Während des Zundel-Prozesses erklärte Irving, dass ihn Leuchters Werk überzeugt habe, den Holocaust zu leugnen und die Gaskammern als Mythos zu bezeichnen, (und) bezeichnete sich selbst als Ein-Mann-Intifada gegen die offizielle Geschichtsversion des Holocaust" (S. 179).
Als Irving Leuchters Buch in Großbritannien veröffentlichte, schrieb er in einem Vorwort, die Öffentlichkeit sei "getäuscht worden durch den ursprünglichen trickreichen Plan des britischen Psychological Warfare Executive (PWE) von 1942, die Welt mit der Propagandalüge zu füttern, dass die Deutschen Gaskammern benutzten, um Millionen von Juden und anderen unerwünschten Personen zu töten".
Das Leugnen des Holocaust gilt in einigen europäischen Ländern als Straftat, und Kanada, Australien, Italien und Österreich haben gegen Irving ein Einreiseverbot verhängt. Deutschland verlangt seine Auslieferung wegen rassistischer Hetze, seit er auf Einladung der neofaschistischen NPD in einer Rede Hitlers Schuld für den Zweiten Weltkrieg geleugnet, sowie bestritten haben soll, dass der Holocaust stattgefunden hat.
Trotz dieser Umstände wies der Oberste Gerichtshof Irvings Klage nicht ab, sondern stellte ihm ein Podium zur Verfügung, um seine extrem rechten Ansichten zu verkünden. In den USA, wo Lipstadts Buch zuerst erschien, wäre seine Verleumdungsklage niemals zur Verhandlung gekommen. Doch nach den britischen gesetzlichen Regelungen in Verleumdungsfällen, die die freie Rede und akademische Freiheit stark einschränken, muss der Kläger (Irving) keinerlei Beweise vorbringen. Die Beweislast liegt bei der Verteidigung, die nachweisen muss, dass die angeblichen Verleumdungen der Wahrheit entsprechen.
Lipstadt konnte ohne weiteres umfangreiches Material vorlegen, um die Tatsache des Holocaust zu beweisen und Irvings wiederholtes falsches Zitieren zu belegen. Ihre Verteidigung legte Expertenaussagen vor, die Tausende von Seiten füllen. Irving machte daher dem Gericht gegenüber geltend, es genüge nicht, wenn die Verteidigung nachweise, dass er die Tatsachen falsch darstelle. "Es geht nicht darum, wie die Verteidigung argumentiert, was geschah, sondern darum, was ich davon wusste und daraus machte, als ich es niederschrieb".
Der Berg von vorgelegten Dokumenten wurde als Grund angeführt, weshalb der Fall vor einem einzelnen Richter verhandelt wurde und ohne Geschworene stattfand. Diesem Vorgehen stimmten beide Parteien zu. In seinem Schlusswort sagte der Anwalt Lipstadts, Richard Rampton: "Das Leugnen des Holocaust in der Art, wie es Herr Irving praktiziert, ist ein klarer Fall von Antisemitismus und ist Musik in den Ohren der Neonazis und anderer rechter Extremisten. Herr Irving ist ein Anhänger Hitlers, der die Geschichte in eklatanter Weise gefälscht hat, um Hitlers Unschuld zu beweisen. Wie die Leugnung des Holocaust gefällt auch dies seinen Gesinnungsgenossen sehr. Wenn der Holocaust ein Mythos ist, dann ist Hitler natürlich auch nicht dafür verantwortlich".
Irving, der sich während der gesamten Verhandlung selbst vertrat, stellte seinen Fall als Verteidigung der freien Meinungsäußerung dar, konnte aber seinen Antisemitismus nicht verbergen. Seine Schlussrede dauerte vier Stunden. Irving beschrieb sich darin als Opfer einer internationalen, von jüdischen Gruppen inspirierten Hasskampagne. In einem Interview mit der Zeitung The Guardian nach dem Prozess verspottete er die Anti-Defamation League, das Simon Wiesenthal-Zentrum, das Board of Deputies of British Jews, das südafrikanische Jewish Board of Deputies, den österreichischen Jüdischen Kongress und das amerikanische jüdische Komitee als "einige traditionelle Feinde der Wahrheit".
Lipstadt gehört zu den Historikern des Holocaust, die behaupten, dass der Aufstieg des Faschismus die kollektive Verantwortung des deutschen Volkes sei. An einer Stelle ihres Buches tritt sie gegen diejenigen an, die zwischen den Nazis und dem deutschen Volk unterscheiden: "So wird der Nazismus zum Hitlerismus und die deutsche Bevölkerung hat ihren Freispruch" (S. 213). In einem Artikel zu einem ihrer Kurse über Biographien des Holocaust wird sie mit den Worten zitiert: "Ich benutze bewusst das Wort die Deutschen und nicht die Nazis, wenn ich über das Dritte Reich spreche. Ich tue das, weil es sonst manchmal den Anschein hat, als seien die Nazis Marsmenschen gewesen, die mitten in Deutschland landeten und die Macht übernahmen. In Wirklichkeit waren sie aber Deutsche, die, neben anderen, auch die Besten und Größten des deutschen Volkes repräsentierten" ( Emory Report, 16. November 1998, Bd. 51, Nr. 12).
Eine derartige Einschätzung, die pauschal sämtliche Deutschen für die Verbrechen der Nazis verantwortlich macht, verschleiert den eigentlichen Klassencharakter des Hitlerschen Faschismus als einer Bewegung, die vom Großkapital als politische Waffe gegen Deutschlands mächtige sozialistische Arbeiterbewegung gefördert wurde.
Solche wichtigen Fragen der Auslegung der Geschichte können aber nur durch offene Debatte und Auseinandersetzung geklärt werden. Ein Urteil zugunsten Irvings würde diese Freiheiten bedrohen und rechten Bewegungen Auftrieb geben, die den Faschismus rehabilitieren wollen, wie etwa Jörg Haiders FPÖ. Der Umstand, dass einem Richter des Obersten Gerichts das Recht gegeben wurde, zu Fragen der Geschichte des Holocaust Recht zu sprechen, muss Anlass zu ernster Besorgnis um demokratische Rechte geben, ganz unabhängig vom eigentlichen Richterspruch. Die geschichtliche Wahrheit kann nur in Opposition gegen alle Formen von Zensur und Einmischung der Justiz oder des Staates hergestellt werden.