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Der Krieg in Jugoslawien - auch eine politische Katastrophe!

Von Prof. Dr. Rainer Rotermundt
20. Mai 1999

Wir veröffentlichen an dieser Stelle einen Gastbeitrag der Initiative von Studenten und Dozenten des Fachbereiches Sozialpädagogik der Fachhochschule Düsseldorf zum Krieg in Jugoslawien.

Die Initiative stellt sich unter http://www.fh-duesseldorf.de/DOCS/FB/SOZPAD/FB-6_ALLGEINR.html mit den Worten vor: "Wir, Studenten und Dozenten der FHD, haben uns zusammengefunden, weil wir den Krieg in Jugoslawien ablehnen, weil wir nicht glauben, daß er irgendeines der Probleme auf dem Balkan löst, und weil wir das uns mögliche tun wollen, damit es schnell und auf Dauer zu einem friedlichen Zusammenleben der Menschen im ehemaligen Jugoslawien kommt.

Wir gehören keiner politischen Gruppierung an und fragen auch niemanden danach. Was uns zusammengeführt hat und zusammenhält ist die maßlose Enttäuschung über die westliche, insbesondere die deutsche Politik, welche zu einem Mittel greift, von dem wir gehofft hatten, daß es nach den Erfahrungen zweier Weltkriege der Vergangenheit angehöre. Es ist auch die Angst vor den unabsehbaren Weiterungen einer solchen Politik, die uns dazu bringt, diese abzulehnen."


Tagtäglich führen uns Regierungsverlautbarungen, NATO-Pressekonferenzen und Korrespondenten der sog. Medien das entsetzliche Elend der Menschen, die aus dem Kosovo flüchten, vor Augen. Hinter all diesem Leid verschwinden allzu schnell die politischen Hintergründe, die Frage, wie es dazu kommen konnte, und die politischen Folgen aus dem Blick des schockierten Betrachters. Ich will hier bewußt diese Seite des Krieges in den Vordergrund rücken, weil es mir scheint, daß hier unter tätiger Mithilfe der Regierung der Bundesrepublik Deutschland von der NATO eine Politik betrieben wird, deren Implikationen der humanitären Katastrophe keineswegs nachstehen.

Die NATO hat mit ihrem Angriff auf Jugoslawien gegen das Völkerrecht verstoßen. Denn sie hat ein Land angegriffen, das weder irgendeinem NATO-Land den Krieg erklärt, noch es gar angegriffen hatte; es existierte (und existiert!) auch kein Mandat des UN-Sicherheitsrates. Daher handelt es sich um einen völkerrechtlich verbotenen Angriffskrieg. Als Legitimation für diesen Akt der Aggression nennen NATO und Bundesregierung humanitäre Motive. Sie hätten zum Handeln gezwungen, man führe Krieg sozusagen im Sinne des Völkerrechts, wenn auch gegen seinen Buchstaben.

Das verwundert den unbefangenen Betrachter sehr. Denn ihm wird zugemutet zu glauben, daß dieselben Regierungen, die der Türkei Waffen liefern, die wenigstens indirekt zum Bürgerkrieg gegen die Kurden beitragen, hier wie dort die Prinzipien der Humanität verteidigten. Auch wissen wir aus der jüngsten Geschichte, wie immer wieder die Berufung auf Menschenrechte zur Legitimation politischer oder anderer keineswegs humanitärer Interessen in Ost und West mißbraucht wurde. Die Liste ist zu lang, um hier wiedergegeben zu werden, deswegen sei nur an die Beispiele Ungarn, Tschechoslowakei, Vietnam, Chile und Nicaragua erinnert.

Nun aber habe die Wandlung vom Saulus zum Paulus stattgefunden. Nunmehr habe man sich eines Besseren besonnen, nachdem man z.B. noch vor vier Jahren der Vertreibung der Kraijna-Serben recht ruhig zugesehen hatte. Diese Wandlung zu glauben, fällt angesichts der Umstände schwer. Dazu kommt - vielleicht weit schwerer wiegend - die politische Implikation des Vorgehens. Wer sich nämlich auf die Humanität beruft, wenn er das Völkerrecht bricht, macht damit den Weg frei für alle anderen, ebenso zu handeln. In Zukunft kann jede dem Völkerrecht widersprechende Politik sich auf das Vorbild justament der Staaten berufen, die in den letzten Jahrzehnten immer und immer wieder die Bedeutung des Völkerrechts herausgestrichen und seine Achtung zwecks friedlicher Regelung internationaler Konflikte angemahnt haben. Wer zukünftig Politik am Völkerrecht vorbei machen will, muß nur noch eines tun: sich auf Humanität - was immer das dann sei - berufen, und schon hat er freie Bahn.

Dies wäre nur dann kein Problem, wenn die Inhalte dessen, was Humanität heißt, wenigstens so klar und eindeutig wären wie etwa völkerrechtliche Regelungen. Davon kann aber keine Rede sein. Nicht nur sind die vielbeschworenen Menschenrechte alles andere als widerspruchsfrei, - sie werden nicht einmal in dieser Oberflächlichkeit von den Staaten, die sich zumindest offiziell dem Völkerrecht verpflichten, geteilt. Mit anderen Worten: Die Politik der NATO hat durch die Legitimation ihres Angriffs auf Jugoslawien jenes mühsam gehegte Pflänzchen rechtlich abgesicherter internationaler Beziehungen in seinen Wurzeln zerstört. Die Konsequenzen dessen werden wir auf unabsehbare Zeit und hautnah zu spüren bekommen!

Nun frage ich mich, ob dies unbeabsichtigt geschehen sein könnte, den in diesem Fall vielleicht allzu eifrigen Wahrern der Menschenrechte etwa versehentlich und wider Willen untergekommen? Das könnte man auf den ersten Blick glauben, stellt man in Rechnung, daß in Deutschland immerhin Sozialdemokraten und Grüne diese Politik verantworten. Auf den zweiten Blick tauchen Zweifel auf. Denn das Verhalten der NATO stimmt entsetzlich genau mit der auf dem Jubiläums-Gipfel von Washington am 25.April 1999 veröffentlichten neuen NATO-Strategie für das 21.Jahrhundert zusammen. Macht man sich darüber hinaus klar, daß solch fundamentale Positionen nicht an einem Wochenende beim Jubiläums-Umtrunk ausgehandelt werden, dann ist klar, daß auch die deutsche Regierung die neue Politik seit längerem unterstützt. Zwar verweist sie unablässig auf die wichtige Rolle der UNO, doch im Kern bleibt sie bei der Zustimmung zur neuen Strategie.

Was hat es damit auf sich? Nun, jenseits reiner Verteidigung hätte der NATO-Angriff auf Jugoslawien seine Rechtfertigung in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht nur durch ein Mandat der UNO haben können. Dieses aber lag nicht vor, - und war, was die Beteiligten natürlich alle wußten, angesichts der Vetorechte von Rußland und China im UN-Sicherheitsrat auch nicht zu bekommen. So entschloß sich die NATO, die UNO zu übergehen. Sie hatte damit dies schon einmal getan, was sie wenige Wochen später als ihre neue Strategie vorstellte. Dieser gemäß bindet sie sich nämlich nicht mehr an eine Zustimmung der Vereinten Nationen, wenn sie ihren reinen Verteidigungsauftrag überschreitet, wie dies im Falle Jugoslawiens geschehen ist.

Mit anderen Worten: Faktisch in Jugoslawien und programmatisch in der Erklärung von Washington erklärt die NATO die Vereinten Nationen als zweitrangig. Konfliktregelung im - wie es heißt - "euro-atlantischen Raum" (der rein geographisch immerhin vom Ural bis New York reicht) soll in Zukunft allein nach dem Geschmack der NATO geschehen. Für die zur Legitimation auch hier abgegebene Berufung auf Völkerrecht und UN-Charta gilt erstens das oben bereits gesagte. Zweitens mutet es einigermaßen seltsam an, wenn jemand im selben Atemzug sich auf die Grundlagen eben jener Organisation beruft, deren Marginalisierung er verkündet.

Wo liegt die Logik solchen Tuns? Wo reimt es sich, sich auf die UN-Charta zu berufen und gleichzeitig die UNO als Organisation beiseite zu schieben? Rein formal gibt es da eine Antwort: Wenn ich nämlich unterstelle, die Organisation sei nicht in der Lage, ihren eigenen Grundsätzen Geltung zu verschaffen. Wie ließe sich solches denken? Indem man beispielsweise unterstellt, daß bestimmte Mitglieder der Organisation diese daran hinderten, ihrem Auftrag gerecht zu werden. Seitens des dermaligen "Westens" galt diese Unterstellung schon immer gegenüber dem dermaligen "Osten". Was die heutige Situation von der damaligen unterscheidet, ist die Tatsache, daß - zumindest im "euro-atlantischen Raum" - der bzw. die Nachfolger der Sowjetunion politisch so schwach ist/sind, daß man in der NATO offenbar der Ansicht ist, man könne deren internationalen politischen Einfluß auf Null zurückdrängen.

In einem Satz: Die NATO macht den Versuch, Europa allein zu beherrschen, insbesondere Rußland in internationalen Angelegenheiten nicht mehr fragen zu müssen. So mutet es auch gar nicht mehr zufällig an, daß die neue Strategie in Serbien, dem einzigen Rußland nahestehenden Reststaat aus dem alten Jugoslawien, geprobt wird, nicht aber beispielsweise 1995 an Kroatien. Dies nährt allerdings die Zweifel an der humanitären Begründung der Aktion. Sie werden unterstützt durch die Veröffentlichung der US-amerikanischen politisch-strategischen Ziele, die schon seit 1993 die UNO beiseite stellen wollen (in der Sendung MONITOR der ARD vom 22. April 1999). Danach betrachten die USA zukünftig auch unmittelbare russische Anrainerstaaten wie die Ukraine und Weißrußland als ihr Einflußgebiet. Hat sich schon einmal jemand Gedanken darüber gemacht, welche Reaktionen eine solche Politik in einem Land auslösen kann, das seit 200 Jahren eine europäische Großmacht ist und seit der Revolution von Einkreisungsangst geradezu besessen ist?

Ich frage mich, wie man dies alles sehenden Auges machen kann. Menschen, die berufsmäßig Politik betreiben, müssen wissen, was sie tun, wenn sie das Völkerrecht zur Disposition stellen, die UNO marginalisieren und den USA Beistand leisten in dem Versuch, aus der ehemaligen Großmacht Rußland in der internationalen Politik einen Bittsteller von NATOs Gnaden zu machen. Diese neuen Eckpunkte internationaler Politik machen die politische Katastrophe des Krieges in Jugoslawien aus.