Die Grünen vor dem Kriegsparteitag
Wie weit werden die Gegner der Bombardierung gehen?
Von Wolfgang Weber
11. Mai 1999
Dem außerordentlichen Parteitag der Grünen am 13. Mai liegt eine Erklärung mit dem Titel "Luftangriffe sofort beenden - zurück an den Verhandlungstisch!" vor. Unterzeichnet ist sie von den sieben Bundestagsabgeordneten, die bereits im März im Bundestag gegen die Bombardierung Jugoslawiens gestimmt haben, darunter neben Christian Ströbele aus Berlin auch Annelie Buntenbach aus Bielefeld.
Eine Gelegenheit, diese Opposition und ihre Rolle innerhalb der Partei zu studieren, bot am 3. Mai eine öffentliche Versammlung der Grünen in Essen, die der Vorbereitung des Parteitags dienen sollte. Annelie Buntenbach trat dort in einem Streitgespräch mit Winnie Nachtweih auf, der, ebenfalls Bundestagsabgeordneter, wie die Fraktionsmehrheit ein vehementer Befürworter des Kriegs gegen Jugoslawien ist.
Wer von den Versammlungsteilnehmern gegen den Krieg war, setzte, wenn überhaupt noch, dann auf die sieben Bundestagsabgeordneten und ihr Auftreten auf dem Parteitag seine Hoffnungen und wollte hören, welchen Ausweg sie aufzeigten.
Annelie Buntenbach unterstrich in ihrem Beitrag immer wieder, daß sie das, was die NATO als Ziel vorgibt, durchaus teile, nämlich "der unsäglichen Vertreibungspolitik von Milosevic ein Ende zu setzen". Sie halte jedoch militärische Mittel dazu für ungeeignet. Das hätten die Bombardierungen und ihre Folgen ja schließlich erwiesen. Sie hätte sich sehr gefreut, wenn die kriegsführenden Nationen der NATO die Einigkeit, die sie jetzt bei der Bombardierung Jugoslawiens bewiesen, schon früher gezeigt und ein wirksames Embargo gegen das Land verhängt hätten.
Buntenbach vertrat damit dieselbe Linie wie die Grünen, damals noch mehrheitlich, im Golfkrieg. Die USA hatten anschließend mit dem Segen der UNO tatsächlich ein solches Embargo über den Irak verhängt, das die Bevölkerung dort seitdem in wachsendes Elend gestürzt und bereits Hunderttausenden von Kindern das Leben gekostet hat.
Buntenbach und die anderen oppositionellen Bundestagsabgeordneten der Grünen stellen in ihrer Erklärung die UNO heute dennoch als eine demokratische, völkerverbindende Institution dar, die auf dem Balkan Frieden schaffen könne und jetzt wieder gestärkt werden müsse. Eine der bedauerlichsten Folgen des Krieges sei es gewesen, daß die UNO in den Hintergrund gerückt worden sei.
Nach Buntenbach trug der Abgeordnete Nachtweih zunächst die bekannten Argumente der NATO und der Bundesregierung für diesen Krieg vor. Dann erläuterte er, wie und weshalb er, "ebenfalls ein überzeugter Pazifist", sich vom Paulus zum Saulus gewandelt habe: die Greueltaten auf dem Balkan während der letzten zehn Jahre hätten bei ihm vieles bewirkt. Ihm gehe es wie in den alten Zeiten der Friedensbewegung um die Verteidigung der Menschenrechte, um den Stop dieser Greueltaten. Und darum gehe es auch der NATO. Wenn jetzt von verschiedenen Seiten immer häufiger behauptet werde, auch bei diesem Krieg spielten wirtschaftliche Interessen verschiedener NATO-Länder, etwa der USA eine Rolle, so sei dies völlig aus der Luft gegriffen: "Diese Front steht, sie ist einig, und zwar für rein humane Ziele! Und das ist das Besondere und Neue an diesem Einsatz!", rief Nachtweih, daran könnten auch die Kritiker nicht vorbei.
Allerdings, gab der Bundestagsabgeordnete auf die innerparteiliche Opposition eingehend zu, hätten "wir, die Grünen und auch ich, Fehler gemacht." "Das was uns jetzt böse auf den Kopf fällt, ist die Tatsache, daß wir zu wenig über den Krieg und über die Konsequenzen des Kriegs diskutiert haben." Das müsse jetzt nachgeholt werden, aber eine Alternative zur Politik der Bundesregierung und der NATO gebe es nicht, sie sei auch noch von niemandem vorgetragen worden. Da werde gefordert, "sofortiger Stop der Luftangriffe!", das sei eine sehr schöne Forderung, aber was soll denn nach den Bomben kommen? Darauf habe noch keiner eine schlüssige Antwort. An diesen Konzepten zur Befriedung des Balkans müsse jetzt gearbeitet werden, und da spiele der Außenminister Fischer eine entscheidende Rolle.
Zeitweise kam man sich, wenn man diesem "Pazifisten" zuhörte, wie in einer verkehrten Welt vor, wo alles auf dem Kopf steht. Gegen diejenigen gewandt, die ihn und den Kurs der Bundestagsfraktionsmehrheit kritisierten, erklärte Nachtweih in der anschließenden Diskussion höchst aufgebracht: "Jahrelang habe ich vor der Umwandlung der Bundeswehr gewarnt und gegen weltweite Kampfeinsätze agitiert. Und wie viele kamen zu meinen Versammlungen? Zehn Mann von den Grünen! Jetzt aber, wo die Bundeswehr umgewandelt ist und wir einen solchen Kampfeinsatz führen, jetzt kommen plötzlich die Kritiker. Entschuldigt bitte, wenn ich das so sage, aber das stinkt mir einfach! Wo waren die denn damals?"
Eindringlich warnte er gerade die Gegner des Krieges in der Partei davor, Fischer auf dem bevorstehenden Parteitag eine Niederlage beizufügen und so den Bestand der Regierungskoalition zu gefährden: "Wenn diese Koalition beendet wird, dann werden die Friedensinitiativen geschwächt!"
All dies brachte er im scharfen, schnarrenden Ton der deutschen Militärs und Militaristen vor, mit denen er als Vertreter der Grünen seit 1994 im Verteidigungsausschuß des Bundestags sitzt.
Niemand im Saal wollte Nachtweih offen unterstützen. Gleichwohl machte die Versammlung deutlich, daß mit diesem Krieg die Zeiten endgültig begraben sind, wo die Grünen ernsthafte Kriegsgegner und unangepaßte Jugendliche anzogen und vorübergehend sogar beherbergten. Höchstens 50 Leute fast durchweg älterer Generationen hatten sich im Großen Saalbau von Essen eingefunden, die meisten davon mit gesicherten Posten und Pfründen bei städtischen Behörden und Betrieben, in Schulen, Kirchen und Parlamenten der näheren Umgebung. Nur einige wenige Veteranen der alten Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre waren gekommen, aber eher um ihre Wut und tiefe Enttäuschung über die Grünen auszudrücken. "Winnie, ich erkenne Dich nicht wieder! Wie hast Du Dich verändert seit jener Zeit!", rief eine Frau entsetzt!
Ein beträchtlicher Teil der Versammlung neigte durchaus der Politik der grünen Bundestagsfraktion zu. Aber sie waren alle sehr darauf bedacht, den geringsten Anzeichen einer Spaltung unter den Grünen entgegenzutreten. Als im Saal die Kritik an Fischer immer heftiger und lauter wurde, wandten sich einige grüne Lokalmadatore lautstark gegen diese "Verteufelung einzelner Personen". Auch Fischer habe sicherlich nur das Beste gewollt. In dieser schweren Stunde für die Grünen wäre es das schlimmste, wenn sie sich gegenseitig zerfleischten, wenn sich Haß unter ihnen breit machen würde. Zusammmenhalten sei das Gebot der Stunde.
Diese Parole haben sich wohl auch die Gegner der Bombardierung zu eigen gemacht. Jedenfalls hielt sich Annelie Buntenbach in ihren Beiträgen auffallend zurück mit Angriffen auf ihren Kontrahenten Nachtweih und den Außenminister. Als dann ein Redakteur des wsws an beide Abgeordneten Fragen richtete, fiel der schwache Glanz einer aufrechten, pazifistischen Opposition völlig von ihr ab.
"Wenn Sie beide die Verteidigung der Menschenrechte und das Ende der Vertreibungen auf dem Balkan zum Ziel haben und nur in der Wahl der Mittel - Bomben oder Embargo - sich unterscheiden," so lautete die erste Frage, "wie stellen Sie sich dann zu der Tatsache, daß im Zuge der Errichtung des Staates Bosnien 200.000 Serben aus der Krajina vertrieben worden sind, und dies unter stillschweigender Zustimmung der USA und der EU? Wie zu der Tatsache, daß vier Tage vor dem Beginn der Bombardierung Jugoslawiens das Bundesaußenministerium unter Joschka Fischers Leitung noch eine amtliche Erklärung herausgegeben hat, wonach es im Kosovo keine staatliche Verfolgung und Vertreibung von Kosovo-Albanern gibt?"
Nachtweih wollte daraufhin nur "Fehler des Auswärtigen Amtes" eingestehen. Da gebe es "viel aufzuarbeiten", aber - nicht die militärische Offensive sei deshalb in Frage zu stellen, sondern die Flüchtlingspolitik. Hier bestünde erheblicher Nachholbedarf für die Bundesregierung und hier sei auch die Verantwortung der Grünen gefordert.
Buntenbach hingegen gab die "Heuchelei bei den offiziellen Begründungen für den Krieg" zu, sogar "uneingeschränkt". Auch die Doppelmoral der europäischen Regierungen und der NATO angesichts der Vertreibungen auf dem Balkan oder auch angesichts der türkischen Säuberungspolitik gegen die Kurden wolle sie durchaus nicht leugnen, ja sie empfände Abscheu darüber.
Aber als sie weiter gefragt wurde, weshalb sie als Gegnerin der Bombardierungspolitik dann nicht aus der Fraktion austrete und den Rücktritt von Außenminister Fischer und der gesamten Regierung fordere, da ließ sie erkennen daß das "Fähnlein der sieben Aufrechten" im Bundestag nicht eine Opposition gegen den Krieg anführt, sondern die Nachhut der Regierungstruppen: "Wenn auf dem Parteitag das sofortige und bedingungslose Ende der Luftangriffe beschlossen wird und dies dann zur Koalitionsfrage wird" - d.h. wenn die SPD die Koalition aufkündigt -, "dann sei's drum!", erklärte sie. Daran könne sie dann nichts ändern. "Aber", fuhr sie fort, "ich für meine Person werde nichts tun, um das Ende dieser Koalition herbeiführen. Warum? Weil es mir darum geht, daß Joschka Fischer weiterhin für grüne Politik sein Gewicht in die Waagschale werfen kann!"
Mit anderen Worten: sie wird alles tun, daß die Regierungskoalition ihre Kriegsgeschäfte ungestört weiterführen kann, selbst wenn auf dem Parteitag die Mehrheit sich gegen Fischer für die Forderung nach einem bedingungslosen Stop der Bombardierung entscheidet.
Karl Marx hat bekanntlich einmal geschrieben, laut Hegel wiederholten geschichtliche Ereignisse und Personen sich, das eine Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Die Grünen haben es fertiggebracht, auch diese Wahrheit auf den Kopf zu stellen. Bei ihnen kam zuerst die Farce, und heute erleben wir die Tragödie. Waren nicht fast alle grünen Minister, Staatssekretäre, Bundestagspräsidentinnen und sonstigen Würdenträger in ihrer Jugend Anhänger Mao Tse Tungs und seines berühmten Spruchs: "Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen"? Heute greifen sie diese Parole wieder auf - und schicken Bomben und Soldaten gegen fremde Völker. Oder sie gehören wie Annelie Buntenbach, um bei den Sprüchen von Maos "Roten Büchlein" zu bleiben, zu den "Papiertigern": sie schwingen Reden und verfassen Resolutionen gegen die Regierung - und küssen ihr gleichzeitig die Füße.