Zum Treffen der Grünen-Opposition am 6. Juni in Dortmund
Grün-Linkes-Alternatives "Netzwerk" bereits am Ende
Von Andreas Kuckartz
9. Juni 1999
Am Sonntag trafen sich in Dortmund im Audimax der Universität über 500 Mitglieder, ehemalige Mitglieder und einstige Anhänger der Grünen. Es ging um die Folgen der Bielefelder Delegiertenkonferenz von Bündnis 90 / Die Grünen, die sich hinter die Kriegsführung der Bundesregierung gegen Jugoslawien gestellt hatte. Eingeladen hatte die Initiative "BasisGrün", ein Zusammenschluß oppositioneller Mitglieder.
Die Veranstaltung geriet zu einem pompösen Rohrkrepierer. Nach langem Hickhack, Absprachen, Tricks und Manövern hinter den Kulissen wurde schließlich auf Betreiben des Gründungsmitglieds und ehemaligen Bundestagsabgeordneten Eckhard Stratmann-Mertens mit knapper Mehrheit eine Resolution verabschiedet, die die Grünen als Kriegspartei bezeichnete und dazu aufrief, bei den Europawahlen keiner Kriegspartei die Stimme zu geben. Daraufhin kündigten die Bundesparlamentarier Annelie Buntenbach und Christian Simmert, sowie Ralf Henze und Sylvia Kotting-Uhl im Namen von "Basisgrün" ihre Mitarbeit im anvisierten "Netzwerk" auf. "Wir wollen weiterhin konstruktiv linke Konzepte und politische Perspektiven entwickeln und uns nicht destruktiv an Bündnis 90/Die Grünen abarbeiten", erklärten Buntenbach und Simmert.
Gescheitert ist mit diesem Bruch der Versuch der oppositionellen Grünen im Parlament, sich mit dem "Netzwerk" ein Hilfsmittel für ihre eigenen Zwecke zu schaffen. Auf der anderen Seite steht das angestrebte "Netzwerk" nun nicht nur, wie bisher schon, ohne jede klare Programmatik da, sondern ging auch der Gelder und Organisationsstrukturen verlustig, die es zuvor von der Grünen-Opposition bezogen hatte.
Der Verlauf der Veranstaltung entsprach dem Fehlen jedes ernstzunehmenden politischen Inhalts. Der Autor dieses Berichts hatte hier die Gelegenheit, "Basisdemokratie" life und am eigenen Leib zu erleben. Normale Teilnehmer, d. h. solche, die nicht vorher hinter den Kulissen dafür gesorgt hatten, daß sie als Sprecher "gesetzt" wurden, bekamen jeweils drei Minuten Redezeit zugebilligt, aber auch dies nur, wenn sie das Glück hatten, daß ihr Name aus einem Pappkarton ausgelost wurde. Genauer gesagt nicht einem, sondern zwei Pappkartons, je einer für die beiden Geschlechter. Da keinesfalls mehr Männer als Frauen sprechen durften, hing das Rederecht männlicher Teilnehmer stellenweise davon ab, daß sich noch weibliche Teilnehmer bereit fanden zu sprechen - auch wenn sie dies ursprünglich überhaupt nicht wollten und auch nicht vorbereitet waren. Die "gesetzten" Redner bekamen neun oder auch zehn Minuten zugebilligt.
Gleichzeitig wurde während der insgesamt etwa fünf Stunden dauernden Versammlung eine nicht unerhebliche Menge Zeit für das Auszählen von Abstimmungen verwendet. Bei einer solchen Abstimmung ging es um nichts weiter als die Frage, ob die Diskussion über einen Punkt - nämlich den Wahlaufruf - vorgezogen werden soll. Aufgrund solcher zeitlichen Verzögerungen im Namen der Basisdemokratie wurde die "freie Aussprache" zu einem Tagesordnungspunkt dann ganz gestrichen. Weitere Einzelheiten von Auseinandersetzungen über Geschäftsordnungsanträge ersparen wir dem Leser.
Bemerkenswert am Inhalt der Diskussion war, daß die wesentlichste Frage überhaupt nicht angesprochen wurde, nämlich politische Lehren aus der Entwicklung der Grünen zu ziehen. Die Versammlung hielt es nicht für nötig, nach den politischen und gesellschaftlichen Ursachen ihrer Zustimmung zum Krieg zu fragen. Oder vielleicht sollte man besser sagen: sie befürchtete, daß damit auch der Sinn des Versuches, mit genau denselben Perspektiven noch einmal zu beginnen, in Zweifel gezogen werden könnte.
Statt dessen war man sich "einig", daß der Aufbau einer neuen Partei nicht in Frage komme und eine gesellschaftliche Massenbewegung "nicht in Sicht" sei. Für einen großen Teil der Anwesenden war selbstverständlich, daß man um Manöver mit der Grünen-Partei nicht herumkomme.
Zum großen Streitpunkt wurde dann der Antrag für einen Wahlaufruf zur Europawahl "Keine Stimme für die Kriegsparteien!" des ehemaligen Bundestagsmitgliedes Eckhard Stratmann-Mertens. Peter Rath zog kurzfristig einen eigenen ausdrücklichen Aufruf zur Wahl der PDS zurück und unterstützte ebenfalls diesen Antrag.
Stratmann-Mertens trat für einen organisatorischen Bruch mit Bündnis 90 / Die Grünen ein und distanzierte sich von der PDS. Er verfügt zwar über keine politisch-programmatische Alternative zu beiden, doch trat er allein mit seiner etwas konsequenteren Haltung gegen die Beteiligung der Partei am Jugoslawienkrieg all jenen auf die Hühneraugen, die als Opposition lieber "innerhalb der Grünen" verbleiben wollen, um sich ihre Posten, Pfründe und Seilschaften nicht zu verscherzen. Krieg hin oder her, man möchte die Kungelei in Parlamentsausschüssen, in Bundes- und Landtagen, in Kreistagen, Stadträten usw. möglichst ungestört fortsetzen.
Ein typisches Beispiel ist Daniel Kreutz, seit Jahren Landtagsabgeordneter in NRW. Er wandte sich vehement dagegen, einen Wahlaufruf gegen "Kriegsparteien" zu beschließen. Die Opposition gegen den Krieg gehe "durch die Parteien hindurch" und ein solcher Wahlaufruf würde die Möglichkeit diese zusammenzuschließen behindern, das sei ein Aufruf zur "Spaltung".
MdL Kreutz hat eine weite Reise zurückgelegt. Vor vielen Jahren war er ein führendes Mitglied der Gruppe Internationale Marxisten (GIM) und ist mit einer großen Minderheit der GIM in die Grünen eingetreten. Dies wurde damals als "entristische" Taktik ausgegeben. Zur gleichen Zeit entstand 1986 unter der Parole "Vereinigen statt spalten" durch eine Fusion der Mehrheit der GIM mit den albanientreuen Stalinisten der KPD/ML die VSP. Gemeinsam war beiden Strömungen der GIM die Zurückweisung von politischen Prinzipien und die Denunzierung von Trotzkisten als Spalter und Sektierer. Heute bezeichnet der Abgeordnete Kreutz nicht nur Trotzkisten, sondern selbst Leute, die nichts weiter tun, als gegen die Wahl von Kriegsparteien aufrufen und damit sein gemütliches Leben im Landtag bedrohen, als "Spalter".
MdB Christian Ströbele bekam vor dieser Diskussion anläßlich seines sechzigsten Geburtstages am Montag eine Geburtstagstorte überreicht. Nachdem er sich dafür bedankt hatte, daß er diese nicht ins Gesicht geworfen bekam - "auch das hätte ja sein können" - sagte er, daß er etwa zwanzig Jahre Mitglied der Grünen sei und dies auch die nächsten zwanzig Jahre bleiben wolle. Als dann die Auszählung der Abstimmung über den Wahlaufruf stattfand, lief er aufgeregt zum Podium, um vorab das Ergebnis zu erfahren. Auch andere Funktionäre der Grünen waren sichtlich nervös.
Nach der mehrheitlichen Annahme des vorgeschlagenen Wahlaufrufes gab MdB Christian Simmert - der den Aufruf zur Gründung des "Netzwerks" formuliert hatte - auch für MdB Annelie Buntenbach eine Erklärung ab, daß sie diese Entscheidung nicht mittragen könnten und für einen Arbeitsausschuß nicht mehr zur Verfügung stehen würden. Am frühen Montag Morgen gaben dann auch Sylvia Kotting-Uhl und Ralf Henze im Namen der BasisGrünen eine Erklärung ab, daß diese an dem Netzwerk nicht mitarbeiten würden.
Eine weitere Erklärung des Koordinators von BasisGrün, Ralf Henze, vom Dienstag schildert die Vorgänge hinter den Kulissen, in der politische Perspektiven und Prinzipien überhaupt keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten:
"Sylvia Kotting-Uhl und ich hatten uns aktiv an der Organisation des Dortmunder Treffens beteiligt, waren deshalb zweimal nach Bonn gefahren, hatten viele Gespräche / Diskussionen im Vorfeld geführt. Es gab immer wieder Probleme zu lösen, viele Kompromisse zwischen den verschiedenen beteiligten Parteien waren zu finden. Mehrfach mußten wir feststellen, daß gefundene Kompromisse am nächsten Tag durch neu geschaffene Fakten schon wieder ausgehebelt waren. Mit der Akzeptanz des Arbeitspapieres für das Netzwerk war unsere Kompromißbereitschaft am Ende angelangt, mußten wir doch die situationsbedingten Interessen verschiedener regionaler Gruppierungen in BasisGrün berücksichtigen. [...] Annelie Buntenbach und Christian Simmert, den Hamburger RegenbogenpolitikerInnen und den anderen an der Organisation Beteiligten ging es darum, ein Gleichgewicht zwischen allen Interessensgruppen herbeizuführen, so auch bei der Besetzung des sogenannten Arbeitsauschusses."
Dieses mühsam austarierte "Gleichgewicht" wurde durch den schlichten Antrag von Eckhard Stratmann-Mertens, keine Partei zu wählen, die den Krieg gegen Jugoslawien unterstützt, ins Wanken, und durch seine Annahme zum Einsturz gebracht.
Sylvia Kotting-Uhl: "In einem solchen sensiblen Zusammenhang genügt aber ein destruktives Element, um das Ganze zusammenbrechen zu lassen. Und dieses destruktive Element war - das will ich jetzt so deutlich sagen - Eckhard Stratmann-Mertens. Eckhard dominierte zunehmend jedes Treffen - selbst, wenn er gar nicht da war."
Der destruktive Geist, der die Treffen so unerbittlich heimsuchte, war vermutlich weniger der ehemalige Funktionär der Grünen, sondern das objektiv existierende Problem, daß sich die Mitgliedschaft in dieser Partei nicht mehr mit einer auch nur halbwegs ernsthaften Opposition gegen den Krieg vereinbaren läßt. (Der Vollständigkeit halber sollte man hier erwähnen, daß sich auch der Antragsteller, der Erfahrungen als ehemaliger Bundestagsabgeordneter hat, mit der Manipulation von Abstimmungen und Schiebereien hinter den Kulissen eben so gut auskennt, wie die Organisatoren des Dortmunder Treffens.)
Nach dem Ende der Versammlung stellt sich jetzt heraus, daß keinerlei Arbeitsausschuß oder Gremium existiert, welches die Arbeit des soeben gegründeten "Netzwerkes" organisieren oder koordinieren würde. Die erhofften Geldmittel aus Abgeordnetendiäten dürften auch ausbleiben.
Die Versammlung hat anschaulich bestätigt, daß der Aufbau einer ernsthaften politischen Opposition ohne eine Abrechnung mit der Perspektive der Grünen nicht möglich ist. Aus den Kreisen der Oppositionellen in und um die Grünen ist dies nicht zu erwarten.