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Die Grünen werfen der Wirtschaft die Umwelt zum Fraß vor

Von Ludwig Niethammer
24. August 1999

Es ist wieder so weit. Die Grünen haben ein neues Strategiepapier geschrieben. Diesmal nehmen sie ganz unspektakulär Abschied von ihrem Steckenpferd, der Umweltpolitik.

Letzte Woche stellte die grüne Vorstandssprecherin Gunda Röstel ein 10 Punkte umfassendes Thesenpapier der Öffentlichkeit vor. Zusammen mit 20 Umweltpolitikern der Partei plädiert sie für eine neue Umweltpolitik, die sich verstärkt an der Wirtschaft orientiert. Das Papier beginnt mit den Worten: "Die folgenden Thesen sollen einige der überkommenen Vorstellungen von Umweltpolitik in Frage stellen."

In typisch grüner Manier widerspricht ein Satz dem anderen. So heißt es im Punkt eins: "Umweltschutz hat heute mehr Einfluss als je zuvor. Gleichzeitig wachsen die globalen Umweltprobleme." Oder: "Es wirkt paradox: Wasser und Luft sind sauberer geworden - aber die Umweltsituation insgesamt bleibt höchst prekär. In manchen Bereichen sind aus den klassischen ‚Feindbildern‘ wie der chemischen Industrie Vorbilder geworden."

Zwar hatten die Grünen es immer abgelehnt, die grundsätzliche Unvereinbarkeit der kapitalistischen Wirtschaftsweise mit einer gesunden, verträglichen Umwelt anzuerkennen. Doch hatten sie zumindest hier und da die Umweltverschmutzung der Industrie angeprangert und ihr Moral statt Gewinnmaximierung gepredigt.

Das Papier verrät uns leider nicht, wo und warum die Unternehmerschaft plötzlich zum ersten Umweltschützer emporgestiegen ist. Glaubt man dem Papier, so können wir getrost in die Zukunft blicken: "Eintreten für Umweltschutz ist heute weniger spektakulär. Rigorismus verspricht weniger Erfolg... Die alte Umweltpolitik lebte vom Umweltskandal... Sie setzte auf den Staat, der, wenn Bürger und ‚Umweltbewegung‘ ihn am Ende dazu zwangen, das Gute per Verordnung von oben durchsetzte... Die notwendigen Veränderungen ausschließlich von oben erreichen zu wollen, durch die ‚Umsetzung‘ von vorhandenen bzw. von Experten zu erarbeitenden ‚Konzepten‘, bedeutet, sich in einem unendlichen Kleinkrieg zu verzetteln. Erfolge sind deshalb nur durch Kooperation höchst unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure zu erzielen."

Für eine Politikerin vom Schlage einer Gunda Röstel, so darf man annehmen, hätte die Wirtschaft dann allerdings kaum noch Verwendung.

In den weiteren Thesen wird in schier fanatischer Weise jeder Umweltgedanke den Interessen der deutschen Industrie untergeordnet. Als wollten sie ihren blanken Opportunismus noch doppelt unterstreichen, wird ständig der Modebegriff "nachhaltige Politik" benutzt. So heißt es unter der Überschrift "Neue Allianzen schmieden": "Das Leitbild einer nachhaltigen Gesellschaft ist eine neue, sinnvolle Herausforderung für die Industrie, die gerade auf den gesättigten europäischen Märkten Innovationsinvestitionen ermöglicht... Oder anders ausgedrückt: Wer umweltpolitische Ziele erreichen will, braucht Verbündete in Wirtschaft und Gesellschaft."

Noch bis zur Bundestagswahl 1998 hielten die Grünen zumindest in ihren programmatischen Grundsätzen daran fest, dass Umweltschutz Priorität vor den Wirtschaftsinteressen haben sollte. Der neue Umweltminister Jürgen Trittin holte sich dann mehrmals eine blutige Nase, weil er nicht schnell genug den Wünschen der Energiewirtschaft und später der Autoindustrie Folge leistete. Das jämmerliche Einknicken der Grünen in der Frage der Atomkraftwerke und der Altautoverordnung kann schwerlich als Beweis dafür herhalten, dass die Wirtschaft in Zukunft pfleglicher mit der Umwelt umspringen werde. Im Gegenteil, der extrem wirtschaftsfreundliche Kurs der rot/grünen Regierung hat die Wirtschaft erst ermutigt, sie mit noch härteren Bandagen anzupacken.

Die Verwandlung der Grünen in eine Kriegspartei ist gerade drei Monate her. Seitdem sind in dieser Partei alle neoliberalen Kräfte entfesselt. Nachdem vor einigen Wochen die "jungen Grünen" einen rechten Aufruf starteten, in dem sie forderten, alle grünen Grundsätze gehörten auf dem "Dachboden entsorgt", geht es Schlag auf Schlag.

Die Grünen ähneln immer mehr einem Menschen, der Amok läuft. Meist haftet diesem etwas Krankhaftes an, letztendlich aber reagieren solche Menschen auf tiefgehende gesellschaftliche Veränderungen. Anders kann auch die politische Raserei der Grünen, die ihre Politik stromlinienförmig den Bedürfnissen der Wirtschaft anpassen, nicht erklärt werden.

Das Klientel der Grünen und insbesondere ihr Führungspersonal hat in den vergangenen Jahren direkt oder indirekt an der Aufstiegs- und Bereicherungswelle teilgenommen, von der beträchtliche Teile der Mittelschichten profitierten. Der scheinbar endlose Aktien- und Spekulationsboom der 90er Jahre erzeugte bei diesen Schichten eine Mentalität, die es nur noch darauf abgesehen hat, sich um seine eigenen finanziellen Sicherheiten zu kümmern. Auch in der Politik wurde dies immer mehr zum Leitmotiv des politischen Handelns, schon der Begriff soziale Gerechtigkeit galt fortan als altmodisch.

Kanzler Schröder, Hombach und Finanzminister Eichel stehen für diesen Typus von Emporkömmling; sie machen keinen Hehl aus ihren Vorlieben für teure Autos und große Villen. Die grüne Schickeria möchte dem nicht nachstehen und drängt mächtig aufs Parkett.

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