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"Moderne" SPD-Politiker III:

Walter Riester - vom Gewerkschaftsfunktionär zum Arbeitsminister

Von Niethammer
25. September 1998

Als der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder im Frühjahr erstmals mit Namen für sein "Kernteam" aufwartete, war Walter Riester der erste gesetzte Kandidat für ein Ministeramt. Der Zweite Vorsitzende der IG Metall soll im Falle eines Wahlsieges der SPD Arbeits- und Sozialminister werden.

Schröders Entscheidung zugunsten von Riester kam damals für einige in der SPD-Riege ziemlich unerwartet. So war der langjährige SPD-Sozialexperte Rudolf Dressler brüskiert, als er erst aus der Zeitung davon erfuhr. Schröder hatte Dressler für dieses Amt bewußt übergangen. In Walter Riester sah er einen erprobten "modernen Reformer" seines Formats.

Walter Riester erklomm die klassische Karriereleiter im Gewerkschaftsapparat, auch Ochsentour genannt. Er lernte Fliesenleger, machte seine Meisterprüfung und wurde zu dieser Zeit gewerkschaftlich aktiv. Im Jahre 1969, im Alter von 26 Jahren, absolvierte er die Frankfurter Akademie für Arbeit. Auch der jetzige Arbeitsminister Norbert Blüm durchlief diese Akademie.

Bereits 1970 wurde Riester Jugendbildungssekretär beim DGB-Landesbezirk Baden-Württemberg, seitdem ist er hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär. 1977 wechselte er zur IG Metall und wurde Sekretär der IG Metall in Geislingen. Drei Jahre später bekleidete er dasselbe Amt im größten IG-Metall-Bezirk, Stuttgart, zu dessen Bezirksleiter er 1988 gewählt wurde.

Riester ist seit 1966 Mitglied der SPD und seit 1988 gehört er dem Parteipräsidium der SPD im Südwesten an. 1995 berief in Bundeskanzler Kohl in den "Rat für Forschung, Technologie und Wissenschaft".

Der Aufstieg Riesters nach ganz oben lief nahezu parallel mit der sukzessiven Verwandlung der Gewerkschaften. Als die IG-Metall 1984 nach einem wochenlangen Streik für die 35- Stundenwoche einen faulen Kompromiß vereinbarte, war Riester daran beteiligt.

Doch der wirkliche Kniefall der Gewerkschaften vor der Kohl-Regierung und den Unternehmern fand nach dem Zusammenbruch der DDR und der Wiedervereinigung statt. Mit tatkräftiger Hilfe der Gewerkschaften wurden im Osten 80 Prozent der Industriebetriebe stillgelegt und damit Hunderttausende Arbeitsplätze kampflos preisgegeben.

Die IG-Metall - insbesondere Steinkühler, Zwickel und Riester - vereinbarten zwischen 1990 und 1993 für die Arbeiter in Ostdeutschland Tariflöhne, die um 30 Prozent unter dem Lohnniveau in Westdeutschland lagen. Damit wurde eine Spaltung der Arbeiter in Ost und West eingeleitet, die verheerende Folgen haben sollte.

Riester, der anerkannte Tarifexperte der IG Metall, sprach sich schon bei der Tarifrunde 1990 für eine "grundsätzliche Änderung unserer Tarifpolitik" aus. Darunter verstand er u.a. Arbeitsverträge, die längere Arbeitszeiten für einzelne Arbeiter beinhalten können. Riester kann seit dieser Zeit für sich beanspruchen, der Vorreiter in Sachen Flexibilisierung von Tarifverträgen zu sein.

Seit Ende der 80er Jahre gab es unzählige Tarifverhandlungen der IG Metall, die mit einer realen Nullrunde endeten oder effektiv einer Lohnsenkung gleichkamen. Mehrmals vereinbarte die IG Metall Tarifverträge mit Laufzeiten von zwei Jahren, zuletzt 1996. Das hatte nicht nur zur Folge, daß die Inflation die mageren Lohnerhöhungen von 1,5 bis 2 Prozent meist nach wenigen Monaten aufgefressen hatte. Viel schwerwiegender wog, daß längere Zeit die "Friedenspflicht" festgeschrieben wurde. Dies kam jedesmal einem Burgfrieden gleich, mit dem von vornherein Streiks und Auseinandersetzungen mit der Regierung verhindert werden sollten.

Im besagten Tarifvertrag von 1996 hat die IG Metall sogar eine Öffnungsklausel aufgenommen, nach der es "notleidenden Betrieben" erlaubt ist, die Tarifbedingungen außer Kraft zu setzen.

Dies alles lief unter Regie von Walter Riester. So hat er 1992 nach längeren Warnstreiks in der Metallindustrie in stundenlangen Vier-Augen-Gesprächen mit dem damaligen Arbeitgebervertreter Hundt einen 21 Monate laufenden Tarifvertrag ausgekungelt, ohne seine Verhandlungsdelegation zu beteiligen, geschweige denn die Mitglieder zu fragen.

Auf dem 17. Gewerkschaftstag der IG Metall 1992 machten sich dann deren Vorsitzender Franz Steinkühler und Walter Riester für einen "Solidarpakt" mit der Bundesregierung stark, der kurze Zeit später Realität werden sollte.

Riester gab sich damals schon ganz staatsmännisch. Er schlug der Bundesregierung vor, wie sie ihre wachsende Staatsverschuldung überwinden könne: "Wir brauchen Lösungen, die sich politisch realisieren lassen. Dazu gehören auch Finanzierungsmöglichkeiten, die in den eigenen Bereich eingreifen. Diese Einschränkungen müssen hingenommen werden." Weiter betonte er, müsse die Gewerkschaft "die Wirklichkeit schonungslos offen darstellen, auch wenn das der Mitgliedschaft weh tut," und "sich davor hüten, in populistische Positionen zu verfallen".

Riesters Zugeständnisse an die Unternehmer kannten selten Grenzen, denn, so Riester im Originalton, "wenn es um die Erhaltung des Industriestandortes Deutschland geht, bin ich zu allem bereit."

In Baden-Württemberg unterstützte er den Wirtschaftsminister Spöri (SPD) in unzähligen "Runden Tischen" und "konzertierten Aktionen", die aus Regierungs-, Unternehmens- und Gewerkschaftsvertretern bestanden. Auf diesen Treffen wurden zahlreiche Konzepte und Vereinbarungen getroffen, die es den regionalen Unternehmern erlaubten, drastisch zu rationalisieren. Der Abbau von Sozialleistungen und Arbeitsplätzen sowie flexible Arbeitszeiten konnten so hinter dem Rücken der Belegschaften durchgesetzt werden.

Als im Mai 1993 der Vorsitzende der IG Metall, Franz Steinkühler, wegen Insidergeschäften an den Börsen seinen Hut nehmen mußte, verzichtete Riester darauf, sein Nachfolger zu werden. Als "Mann der leisen Töne" zog er es vor, unter Klaus Zwickel als dessen Stellvertreter zu arbeiten.

Beide setzten ein Jahr später bei VW in Wolfsburg die Vier-Tage-Woche durch, verbunden mit einer Lohnkürzung von 20 Prozent. Auch Schröder als Ministerpräsident von Niedersachsen und Mitglied des Aufsichtsrats von VW war maßgeblich an dieser Vereinbarung beteiligt, die seinerzeit auf beträchtlichen Widerstand unter den Beschäftigten stieß.

Es verwundert nicht, daß Riester in der Wirtschaft über einen guten Ruf verfügt. Das Magazin Spiegel urteilt über ihn: "Ein überzeugter Pragmatiker wie der Kanzlerkandidat", "ein gestandener Profi", "der Vordenker der IG Metall". Die Zeit lobt ihn: "Es gibt wohl kaum einen Gewerkschafter in Deutschland, der auch bei Unternehmern und in der Öffentlichkeit so viel Respekt genießt." Und das Handelsblatt schreibt: "In seiner Person vereinigen sich ein hohes Maß an Kreativität und Innovationsfähigkeit, aber auch Bereitschaft zum Konflikt."

Genauso wie Schröder sieht Riester die Aufgaben der Gewerkschaften und einer zukünftigen SPD-Regierung darin, ein sogenanntes "Bündnis für Arbeit" zu schmieden. Die Erfahrungen mit dem ersten "Bündnis für Arbeit", daß 1995 von der IG Metall initiiert worden war, machen deutlich, daß ein solches Bündnis ausschließlich den Interessen der Wirtschaft dient. Die Gewerkschaften und die Betriebsräte haben im Namen der Standortsicherung weitgehende Zugeständnisse gemacht, ohne daß neue Arbeitsplätze geschaffen wurden.

Walter Riester, der so gerne von "Innovationen und dem Wandel der Arbeitsgesellschaft spricht", würde daher als Arbeitsminister die Rolle zuteil kommen, die Gewerkschaften, die bereits Gewehr bei Fuß stehen, noch stärker in die Regierungsverantwortung mit einzubinden.

Siehe auch:

"Moderne" SPD-Politiker I:
Wolfgang Clement -Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
(29. August 1998)

"Moderne" SPD-Politiker II:
Jost Stollmann - Multimillionär als Schatten-Wirtschaftsminister
(29. August 1998)